Den Identitären zum Trotz: Deutsche Heimat, deutsche Muslime

Dampfmaschinenhaus in Potsdam im maurischen Stil. Bild: maxrator / CC0

Diese Realität wollen ganz unterschiedliche Akteure immer noch nicht wahrhaben

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Der Begriff eines "deutschen Islam" hat den Beginn der neuen Auflage der Deutschen Islam Konferenz dominiert. Dabei wird einem sehr schnell klar, dass die unterschiedlichen Akteure etwas anderes in diese Begriffskonstruktion hineininterpretieren.

Ich hatte bereits 2012 in meinem Buch Neo-Moslems - Porträt einer deutschen Generation versucht die Lebensrealität der jungen Generation deutscher Muslime zu beschreiben. Einer Generation, die in Deutschland ihre Heimat sieht und das Migrantendasein und die Vorstellung, in einer Art Diaspora zu leben, lange schon überwunden hat. Diese Realität wollen ganz unterschiedliche Akteure immer noch nicht wahrhaben. Sie flüchten sich in Scheindebatten, weil es ihrem Weltbild nicht passt.

Konservative, AfD und türkeistämmige Konservative

Zu diesen Akteuren gehören Teile der Konservativen und die AfD. Für sie gibt es einen unüberbrückbaren Widerspruch zwischen deutsch und muslimisch. Aber zu diesen Akteuren gehören auch türkeistämmige Identitäre, die krampfhaft an der Legende dichten, dass Muslime, die sich selbstverständlich als deutsche Muslime bezeichnen, ein Instrument des deutschen Staates sind, um "den Islam" auszuhöhlen.

Akteure, wie die von mir mit einigen Mitstreitern gegründete Alhambra Gesellschaft, die mit Inhalten zur deutsch-muslimischen Identität den Diskurs mitprägen (Das Muslimische Quartett: "Heimat und Heimatfindung - Junge Muslime in Deutschland", mit Feridun Zaimoglu und Thorsten Klute), sind nach diesen Verschwörungstheoretikern lediglich ein Projekt des deutschen Staates zur Implementierung eines "deutschen Staatsislams".

Dies wird nie so offen im Diskurs in Deutschland artikuliert. Diese Dinge werden nur in türkischer Sprache formuliert, entweder in den sozialen Medien oder in türkischen Medien. In den letzten Wochen sind zahlreiche Beiträge in türkischen Zeitungen von Auftragsautoren mit vermeintlich akademischem Anspruch erschienen, die zum Ziel haben, die Türkeistämmigen mit diesen verzerrten Inhalten zu manipulieren.

Unabhängige Selbstverortung deutscher Muslime ein "Dorn im Auge"

Sie sollen sich ja nicht ändern oder weiterentwickeln. Sie sollen gefälligst so bleiben, wie sie sind, damit sie weiterhin bloße Verfügungsmasse der türkischen Politik sind. Denn eine eigene und unabhängige Selbstverortung deutscher Muslime ist der türkischen Politik ein Dorn im Auge. Es konterkariert die "Diasporapolitik" der türkischen Regierung, die in den Türkeistämmigen in Deutschland eine Verfügungsmasse ihrer politischen Agenda sieht. Dadurch erhoffen sie sich Einfluss auf Deutschland. Die Belange der hier lebenden Muslime sind dieser Politik egal.

Wichtig ist aber, dass die Entscheidungen über muslimische Anliegen in Deutschland tatsächlich auch von Musliminnen und Muslimen hier in Deutschland getroffen werden. Nicht per Dekret aus Ankara oder unter dem Deckmantel einer sogenannten Diasporapolitik. Diaspora ist zu Ende. Wir leben nicht in der Fremde. Deutschland ist für uns Musliminnen und Muslime Heimat geworden.

Dr. Aydin Süer, stellvertretender Vorsitzender der Alhambra Gesellschaft e.V.

Die türkischgeprägten Moscheeverbände sind dieser Agenda unterworfen. Zumindest verhalten sie sich so. Einen innermuslimischen Diskurs über die Belange der Muslime in Deutschland und ihren Herausforderungen gehen sie seit Jahren konsequent aus dem Weg.

Neuer Nationalismus und nicht willkommene Gespräche

Der Koordinierungsrat der Muslime (KRM), in dem alle relevanten Moscheeverbände organisiert sind, hat nie einen innermuslimischen Diskurs gewollt. Denn ein Diskurs bedeutet, sich in ein Gespräch mit unterschiedlichen Akteuren zu begeben, Fragen auszudiskutieren, die dann zu Veränderungen führen können. In all dem sehen die Funktionäre einen potentiellen Machtverlust.

Mittlerweile ist aber dieses Konstrukt KRM zu einem Hologramm geworden, eine Hülle ohne Inhalt. Daneben wird jedes zivilgesellschaftliche Engagement außerhalb ihrer eigenen Strukturen als Verrat aufgefasst und über die türkischen Medien auch so kommuniziert.

Alles, was außerhalb ihrer Strukturen geschieht, kann nur Teil einer versteckten Agenda sein. Zwischen den Inhalten, die diese Verbandsfunktionäre in den deutschen und türkischen Medien kommunizieren, liegen Welten, wenn sie überhaupt noch am Diskurs hier in Deutschland teilnehmen.

Auch die Bezeichnung als "deutscher Muslim" ruft bei ihnen heftige allergische Reaktionen hervor, weil in diesen Strukturen zu oft in allem Nichtürkischen fast eine Abkehr vom Glauben gesehen wird. Das sind die Auswirkungen des neuen Nationalismus unter Türkeistämmigen in Deutschland, der von der türkischen Regierung und der von ihnen kontrollierten Medien massiv geschürt wird.

Dieser neue Nationalismus unter religiösen Deckmantel versucht den Muslimen in Deutschland einzutrichtern, dass der Deutsche per se erst einmal islamkritisch sei, ja fast schon islamfeindlich. Gezielt werden die Ressentiments unter den Muslimen in Deutschland geschürt gegen die Gesellschaft, in der sie leben.

Die großen Moscheeverbände, die die große Mehrheit der Moscheen in Deutschland vertreten, sind die türkischgeprägten Verbände, die in der deutschen Öffentlichkeit mühsam den Eindruck erwecken wollen, sie seien deutsche Religionsgemeinschaften. Aber wie schaut es in der Realität aus?