Den Identitären zum Trotz: Deutsche Heimat, deutsche Muslime

Seite 2: Doppelte Sprachlosigkeit

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In den letzten Wochen wurde wieder über die Imam-Ausbildung in Deutschland diskutiert. Das ist ein Thema, das immer wieder seit 20 Jahren behandelt wird. Das ist für eine Religionsgemeinschaft eine sehr zentrale Frage. Eine Frage, mit der sich muslimische Religionsgemeinschaften in all den Jahren hätten beschäftigen müssen. Stattdessen aber zeigt man sich mit dem Status quo zufrieden und sagt nur dann etwas zu diesem Thema, wenn es wieder einmal aktuell ist.

Es gibt jetzt plötzlich einige Verbandsfunktionäre, die darauf verweisen, dass sie ja bereits Imame in Deutschland ausbilden. Jenseits der Frage nach der Qualität dieser Ausbildung ist es Fakt, dass die deutsche Sprache bei dieser Ausbildung keine Rolle spielt. Man will nicht verstehen, dass es in erster Linie um die Sprache der Gesellschaft, in der man lebt, und um die Lebensrealität hier geht. Wenn die Art und Weise und der Inhalt der Ausbildung gleich ist, ist es irrelevant, ob diese dann in Mainz oder Ankara stattfindet.

Auch das Argument, der türkischsprachige Religionsunterricht für Kinder in Moscheen sei für das Erlernen der türkischen Sprache unerlässlich, hinkt. Denn die Realität ist: Wenn man Vermittlung von Wissen über Glaubensgrundlagen und das Erlernen der türkischen Sprache vermischt, lernen sie am Ende beides nur bruchstückhaft. Und es fehlt ihnen am Ende die Sprachfähigkeit, wenn sie über ihre Glaubenswelt in deutscher Sprache sprechen müssen. Ihnen fehlt es an Sprachfähigkeit in den Diskursen hier in Deutschland. Statt einer Sprachfähigkeit hat man eine doppelte Sprachlosigkeit.

Wem es wirklich um die zukünftigen Generationen junger Muslime geht, muss es zu seiner zentralen Aufgabe machen, ihnen diese Sprachfähigkeit zu ermöglichen. Das geht mit der Ausbildung von Imamen in Deutschland, die sowohl der deutschen Sprache mächtig sind, als auch die Lebensrealität der Muslime in Deutschland nicht fremd ist.

Das geht über die Entwicklung deutschsprachiger Werke als Quellen und die Entwicklung und Etablierung einer eigenen Terminologie, ohne auf eher hölzerne Übersetzungen zurückzugreifen. Gerade junge Muslime sind mehr denn je mit Fragen konfrontiert, mit denen sie sich auseinandersetzen müssen. Ohne das sprachliche Rüstzeug fehlt ihnen diese Möglichkeiten.

Das alles sollte nicht aufgrund von Forderungen seitens der Politik oder Mediendebatten geschehen, sondern das hätte längst auf der Agenda von Religionsgemeinschaften stehen müssen, wenn sie ihre proklamierte Rolle als Religionsgemeinschaft auch nur im Ansatz ernst nehmen würden. Dies ist aber in den letzten 20 Jahren nicht auf ihrer Agenda gewesen. Das liegt u.a. daran, weil sie darin die Aufgabe der türkischen Muttersprache sehen, und das wiederum als Aufgabe eines Bestandteils ihres "Glaubens" fehlinterpretieren.

Wenn die türkische Sprache ihnen wichtig wäre, dann würden sie diese Vermittlung auch vernünftig machen, und nicht aus der Vermittlung von religiösem Wissen und der türkischen Sprache einen Mischmasch veranstalten.

So feindlich manche Verbandsfunktionäre, die geistig immer noch in den 1970er und 1980er Jahren stecken, die neuen Diskussionen um eine deutsch-muslimische Identität auffassen mögen, diese Debatte ist längst überfällig und notwendiger denn je. Wenn sie sich unbedingt wie Heimatvertriebenenverbände organisieren wollen, ist das ihr gutes Recht.

Nur sollten sie von deutschen Muslimen nicht erwarten, dass sie diesem Treiben untätig zusehen. Ob sie wollen oder nicht, ob Ankara es will oder nicht, diese Entwicklung werden sie nicht verhindern können.