Den Rechten nicht in die Falle gehen
Zu den Herausforderungen angesichts des Vormarsches von AfD und ihren Unterstützern außerhalb des Parlaments
Die Ratlosigkeit im Umgang mit der AfD und der neuen Rechten ist allgegenwärtig und sie kann in gefährliche Sackgassen führen. So auch im neuen Bundestag, der sich heute in Berlin konstituiert hat. Das Spektrum der Ideen reicht von der liberalen Akzeptanz eines freien Meinungsaustauschs bis hin zur radikalen Ablehnung jeglicher Auseinandersetzung.
Zu beobachten war das zuletzt zu zwei Gelegenheiten: bei den Protesten gegen neurechte Verlage auf der Buchmesse in Frankfurt am Main und vor der Konstituierung des 19. Bundestages. Auch wenn es Unterschiede zwischen Kulturevent und Parlament gibt, haben beide Fälle eines gemein: Die an Boden gewinnende Rechte droht aus den laufenden Debatten als Siegerin hervorzugehen, weil ihr Gegner und Konfliktlinien klarer zu sein scheinen als ihren politische Kontrahenten. Diese Gefahr wurde offenbar noch nicht allerorts erkannt.
Zunächst zur bürgerlich-liberalen Bereitschaft, den Dialog mit den Neurechten zu suchen, um sie zu entzaubern. Mit diesem Ansatz ist die Frankfurter Buchmesse grandios gescheitert, weil die Auseinandersetzungen, von denen die Messeleitung offenbar völlig überrascht wurde, absehbar waren. Ein rechtskonservativer Verlag stellte ein Buch zu Linken vor. Soweit wäre das Konzept von Messe-Direktor Juergen Boos und Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis noch aufgegangen. Dann aber tauchte der rechtsradikale Thüringer Fraktionschef der AfD Björn Höcke auf, unmittelbar vor einem geplanten Forum mit dem Rassisten und Volksverhetzer Akif Pirincci, der Flüchtlingsfamilien bei einer Pegida-Veranstaltung als "vorzügliche Moslemmüllhalde" bezeichnet hatte. Seine Rede im Oktober 2015 war derart irre, dass sich selbst unter dem deutschen Rassistenpublikum Unmut breit gemacht hatte.
Auf der Frankfurter Buchmesse aber wurde Pirincci unter Berufung auf die freie Meinungsbildung und den liberalen Charakter der Veranstaltung ein Podium geboten. Und das nur zwei Wochen nach der Verurteilung Pirinccis. Goos und Skipis haben genau an dieser Stelle versagt, weil sie Buchpräsentationen zwar durchaus hätten zulassen, Pirincci aber mit Verweis auf seine Verurteilung ausladen können. Selbst bei Höcke hätten sie angesichts seiner Holocaust-Relativierung von ihrem Hausrecht Gebrauch machen können.
Die Reaktion der Messeleitung aber war völlig schizophren: Während sie nach bester Donald-Trump-Manier ("some very fine people on both sides") Rechte und Linke gleichsetzte - "tätliche Übergriffe zwischen linken und rechten Gruppierungen" -, ließen sich Messevertreter später mit Protestschildern gegen Rechts fotografieren. Einmal hü und einmal hott.
Die Herausforderung besteht darin, auch im Parlament den Rechten nicht in die Falle zu gehen
Ein ähnliches Bild zeigt sich im Bundestag. Dort rufen Vertreter der etablierten Fraktionen zwar auch zum inhaltlichen Austausch mit der AfD auf, änderten aber die Geschäftsordnung des Hauses, um einen rechten Alterspräsidenten zu verhindern. Die Rechten nutzten den Winkelzug umgehend, um sich bei der konstituierenden Sitzung als Opfer des Systems zu inszenieren, das sie in einem Antrag gleich zu demokratisieren vorgaukelten.
Die Gefahren im Parlament liegen auf der Hand: Wenn die alleinige Präsenz einer neurechten Minderheit im Plenum zum Abbau von Oppositionsrechten führt, haben die Gegner des bürgerlichen Parlamentarismus schon gewonnen. Zugleich könnte ein skurriles Phänomen eintreten, nämlich dann, wenn die Ablehnung des Missbrauchs des Parlaments als Bühne durch die AfD zur Domestizierung der bisherigen Opposition führt. Vor allem die Linke hatte in den letzten Wahlperioden durch gezielte Aktionen im Plenum, etwa zu den Opfern der Bombennacht von Kundus, notwendige Debatten angestoßen. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass sie von solchen Initiativen angesichts eines neuen Korpsgeistes der Etablierten fortan absieht.
Welche Zwischenbilanz lässt sich also in der Debatte um einen angemessenen Umgang mit der neuen Rechten innerhalb und außerhalb des Parlaments ziehen? Zum einen die Notwendigkeit, Regeln aufzustellen, was heißt: keine Bühne für Volksverhetzer, kein Missbrauch des Parlaments. In beiden Fällen gibt es rechtsstaatliche Instrumente.
Die eigentliche Herausforderung aber besteht darin, den Rechten nicht in die Falle zu gehen, indem man auf ihre Provokationen eingeht. Bei der jüngsten Buchmesse war der wütende bis tätliche Protest linker Gruppen abzusehen und von Seiten der Neurechten mutmaßlich kalkuliert.
In Berlin und in Frankfurt droht, ein verheerender Propagandatrick zu gelingen: Täter als Opfer zu inszenieren. Dies zu vermeiden, ist die wichtigste und zugleich schwerste Aufgabe in dieser Zeit, in der, wie die Trägerin des diesjährigen Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Margaret Atwood, unlängst sagte, "der Boden - der vor Kurzem noch ziemlich stabil wirkte, wo Saatzeit auf Erntezeit folgte (...) - wo dieser Boden unter unseren Füßen wankt, ein mächtiger Wind bläst und wir nicht mehr genau wissen, wo wir sind".