Den Wandel mit aller Entschlossenheit ergreifen
Seite 2: Unterscheidungen ohne Differenz
- Den Wandel mit aller Entschlossenheit ergreifen
- Unterscheidungen ohne Differenz
- Die ethischen Grundlagen
- Argumente gegen Gentechnologie
- Bio-Luddismus
- Genangst
- Ausblick
- Auf einer Seite lesen
Viele Autoren, die über diese Technologien geschrieben haben, treffen Unterscheidungen zwischen "negativen" und "positiven genetischen Eingriffen und zwischen Modifikationen der somatischen Zellen und solchen der Keimbahn. Eine negative Veränderung wurde als Korrektur einer genetischen Krankheit definiert, während eine positive als Versuch gilt, menschliche Kapazitäten über ihre normalen Grenzen hinaus zu vergrößern. Der Unterschied zwischen somatischen Zellen und der Keimbahn wurde angesichts der vermeintlichen ethischen Differenz zwischen dem Eingriff in den eigenen Körper und dem in die Fortpflanzung getroffen.
Beide Unterscheidungen wurden von Menschen formuliert, die eine Begrenzung für die Genforschung festlegen wollen, aber sie sind reichlich ungenau. Man betrachte beispielsweise nur Culvers und Gerts Versuch der Definition von "Krankheit", um zu bestimmen, wann eine Gentherapie eine "Erweiterung" (enhancement) ist oder nicht.
Eine Person hat eine Krankheit, wenn und nur wenn sie in einer von ihren rationalen Überzeugungen und Wünschen unterschiedenen Verfassung ist, so daß sie in Abwesenheit einer bestimmten anhaltenden Verursachung an einem Übel leidet oder einem erhöhten Risiko ausgesetzt ist, ein solches (Tod, Schmerz, Behinderung, Verlust der Freiheit oder der Entscheidungsfähigkeit oder Verlust der Freude) zu erleiden.
Culver and Gerts
Erfüllt nicht jede Verursachung von Krankheit, Leiden und Tod oder jede Nichtübereinstimmung mit den eigenen Zielen diese Kriterien? Als Beispiel diene eine in der Zukunft vielleicht mögliche Gentherapie, die einen hypothetisch angenommenen Schalter für Alterungsprozesse wirkungslos macht und so die Lebenszeit verdoppelt. Ist das eine Therapie jener Krankheiten, die wie Alzheimer oder Krebs aus der Aktivierung des Schalters für Alterungsprozesse entstehen, oder ein unverantwortbarer Eingriff in die natürliche Lebenszeit?
Was die Veränderungen der eigenen Gene im Unterschied zu denen der künftigen Nachkommen angeht, so behauptet man, daß die jetzt lebende Generation durch letzteres das Selbstbestimmungsrecht der künftigen Generation verletzen würde. Meine erster Einspruch geht dahin, daß unsere Wahl der Geschlechtspartner bereits die Biologie der künftigen Generation "festlegt". Nehmen wir beispielsweise ein Paar, von dem beide ein Gen für eine latent vererbbare Geisteskrankheit haben. Der einzige Unterschied zwischen der Entscheidung, eine Schwangerschaft zu verhindern, und jener, eine Keimbahntherapie bei ihnen oder ihren Kindern vorzunehmen, liegt einzig darin, daß letztere eine weitaus glücklichere Entscheidung wäre.
Meine zweite Antwort auf die Unterscheidung zwischen dem Eingriff in somatischen Zellen und dem in die Keimbahn geht davon aus, daß der Fortschritt der Gentechnologie es künftigen Generationen möglich machen wird, ihre Gene rückwirkend zu verändern, wenn sie diese nicht mögen. Nur Eingriffe, die die Autonomie der Entscheidungsfindung für künftige Generationen gänzlich zerstören, würde wirklich Probleme der "Selbstbestimmung" mit sich bringen. Ich werde solche faschistischen Szenarien später behandeln.
Diese Unterscheidungen sind also sehr unscharf und stellen keine wirklichen ethischen Grenzen dar. In diesem Essay will ich die Gentherapie und ihre Möglichkeiten der Verbesserung ebenso verteidigen wie die Selbstveränderung von entscheidungsfähigen Erwachsenen und den Eingriff in die eigene Keimbahn. Sogar im liberalsten und jüngsten Dokument einer internationalen bioethischen Übereinkunft, der UNESCO Declaration on the Protection of the Human Genome von 1995, wird der Eingriff in die Keimbahn verpönt.
Daher ist das Fundament des Bereiches, den ich verteidigen möchte, der Eingriff in die Keimbahn, also die Veränderung des genetischen Codes in der Weise, daß die Eltern diese an ihre Nachkommen weitergeben. Die Verteidigung dieser Möglichkeit betrifft notwendigerweise auch die Kritik an vielen anderen Techniken wie:
In-Vitro Fertilistion
Leihmutter
Extrauterine Befruchtung
Genscreening und -diagnose
Genetische Selektion, die auch die Wahl des Geschlechts beinhaltet
Klonen von Embryos
In einem umfassenderen Sinn formuliere ich ein Plädoyer für die individuelle und kollektive Kontrolle über unsere Körper. Ich werde dieses Plädoyer so breit anlegen, daß es jede Technik zur Veränderung der menschlichen Kapazitäten einschließt, ungeachtet, ob für diesen Zweck eine bestimmte genetische Manipulation in Erwägung gezogen wurde oder nicht.