Der Anfang vom Ende des Kapitalismus

Vorteile eines allgemeinen Nullzins- bzw. Negativzins-Niveaus

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Ein dauerhaftes Nullzins- bzw. Negativzins-Niveau führt zum Absterben des Rentiers, wie J.M.Keynes es formulierte. Es entzieht den Kapitalschmarotzern leistungslose Einkommen im dreistelligen Milliardenbereich und verringert die Ausbeutung von Mensch und Umwelt. Weniger ideologisch formuliert: Es bringt der Gesellschaft zahlreiche Vorteile und verringert die scheinbar selbstverständliche Umverteilung von der Arbeit zu den Besitzenden.

Die lang anhaltende Niedrigzinsphase macht sich in vielen gesellschaftlichen Bereichen immer deutlicher bemerkbar. Die niedrigen Zinssätze und die daraus resultierenden Entlastungen der Schuldner haben für alle Bürger diverse positive Auswirkungen. Doch nur zögerlich wird der Zusammenhang zwischen niedrigen Zinslasten und gesunden ökonomischen Rahmenbedingungen von Wissenschaftlern und Journalisten aufgegriffen.

Dabei liegen die Vorteile der niedrigen Zinsen auf der Hand. Unternehmen kommen wesentlich günstiger als noch vor 10 Jahren an neue Kredite. Die niedrigen Zinsen machen heute Investitionen rentabel, die vor 10 Jahren wegen der Zinslasten keine angemessenen Gewinne erwirtschaftet hätten. Diese großflächigen Kostenentlastungen kommen letztlich dem Arbeitsmarkt und den Beschäftigen zugute. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze war, zumindest in Deutschland, nie so hoch wie heute. In zahlreichen Branchen konnten die Gewerkschaften spürbare Lohnerhöhungen durchsetzen. Die niedrige Zinsbelastung hat zusätzlich Mittel für Forschung und Innovation freigesetzt.

EZB. Bild: Epizentrum/CC-BY-3.0

Massiv entlastet werden die Bürger, da die öffentlichen Kassen schon heute einen hohen zweistelligen Milliardenbetrag weniger an Zinszahlungen aufbringen müssen. Dies wird sich mittelfristig spürbar auf das Steueraufkommen auswirkt. Zusätzlich profitieren die Verbraucher von stabilen Warenpreisen. Dennoch fokussiert sich die Berichterstattung auf die geringeren Zinserträge einiger Privatanleger und Pensionsfonds, ohne die gesamtwirtschaftlichen Effekte mit einzuberechnen. Dabei entsteht der Eindruck, als würde ein nennenswerter Teil der Bürger unter dem Strich eher be- als entlastet. Ein Eindruck, der durch die Fakten klar widerlegt wird.

Bundesregierung spart 25 Milliarden Euro pro Jahr

Die gute Haushaltslage ist die Folge der niedrigen Zinsen, schreibt das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (IWH). In einem kaum vorstellbaren Ausmaß profitieren die öffentlichen Haushalte von der Niedrigzinspolitik. Die Einsparungen für den Bundeshaushalt summieren sich allein in den letzten viereinhalb Jahren "auf rund 100 Milliarden Euro (mehr als 3% des Bruttoinlandsprodukts)", ergaben die Berechnungen des Instituts.

Dabei haben die Wissenschaftler lediglich die geringfügigen Schwankungen bei den Kosten der Staatsanleihen berücksichtigt, die direkt auf die Geschehnisse in Griechenland zurückzuführen sind. Je unsicherer die Situation dort war, desto mehr stieg die Nachfrage nach deutschen Staatsanleihen. Allein der durch die Griechenland-Krise erzeugte zusätzliche Druck auf die Finanzmärkte erspart den deutschen Steuerzahlern Zinslasten von 25 Milliarden Euro pro Jahr. Erstaunlich dabei erscheint die Größenordnung der eingesparten Zinsen von "mindestens 100 Mrd. Euro":

Diese Einsparungen übertreffen die Kosten der Krise - selbst dann, wenn Griechenland seine Schulden komplett nicht bedienen würde. Deutschland hat also in jedem Fall von der Griechenlandkrise profitiert.

IWH

Dabei ist der Druck, der durch die Griechenlandkrise erzeugt wird, global betrachtet, völlig unbedeutend. Allein die schiere Größe der existierenden Geldvermögen erzeugt einen bisher nicht da gewesenen Anlagedruck. In der Folge sinken die Kreditzinsen für solide Schuldner. Und je günstiger die Kreditbedingungen für Staaten, Konzerne oder Unternehmen werden, desto weniger sind sie auf neue Schulden angewiesen. Es entsteht ein positiver "Teufelskreis", von denen mittlerweile auch die hoch verschuldeten Bundesländer profitieren.

Bundesländer sparen Milliarden durch niedrige Zinsen

"Wegen der extrem lockeren Geldpolitik dürfte der Zinsaufwand der Länder weiter sinken", schreibt Die Welt. "Zusammen haben die 16 Bundesländer Verbindlichkeiten von rund 622 Milliarden Euro angehäuft. Die Kosten für den Schuldendienst seien seit 2010 bereits um rund ein Fünftel auf zuletzt 16 Milliarden Euro gesunken", zitiert das Blatt den NordLB-Analyst Fabian Gerlich.

"Zwischen 1,5 bis 2,0 Milliarden Euro können nach unseren Prognosen 2015 netto getilgt werden", errechnete die Landesbank. Das heißt, dass vier Milliarden Euro Steuergelder weniger für Zinsen ausgegeben werden. Zwei Milliarden davon kommen direkt den Bürgern zugute, die anderen zwei Milliarden verringern die Gesamtverschuldung. Das heißt aber auch: Die Entlastung der Steuerzahler ist unmittelbar von der Entwicklung der Zinssätze abhängig. Die Formulierung der "Welt": "Bundesländer tilgen sich dank Geldschwemme gesund", ist nur bedingt richtig.

Schulden tilgen und damit finanziell genesen können Bundesländer, Staaten und Kommunen, aber auch Privathaushalte und Betriebe. Die Voraussetzung dafür ist aber weder eine "Geldschwemme" noch die Schuldenkrise eines anderen Landes. Ausschlaggebend für eine gesunde Schuldenrückzahlung sind dauerhaft niedrige Zinssätze und ein Kreditangebot, dass auch bei niedrigen Renditen ausreichend groß bleibt.

Für beides ist die Notenbank verantwortlich. Mit ihrer aktuellen Niedrigzinspolitik ist die Europäische Zentralbank (EZB) auf dem richtigen Weg. Niedrige Kreditzinsen erleichtern allen Schuldnern die Rückzahlung eingegangener Verpflichtungen. Selbst wenn eine wesentliche Verringerung der Gesamtschuld auf absehbare Zeit eher unrealistisch ist, wird die automatische Zunahme der Schuld durch Zins- und Zinseszins gebremst oder sogar gestoppt.