Der BfV-Informant im Täterumfeld und das heimliche Wissen eines Berliner Staatssekretärs

Seite 2: Welches Spiel spielt der Staatssekretär Torsten Akmann?

Auffällig ist sein vorrangiges Interesse am Ausbau des Sicherheitsapparates. Vor dem Anschlag habe es den Sicherheitsbehörden an Ressourcen gefehlt, erklärte er und ging in seiner Darstellung nicht weniger als 20 Jahre zurück: Seit den Anschlägen vom 11. September 2001, bekannt als "9/11", hätte sich Berlin besser aufstellen müssen.

Das sei jetzt nach dem Anschlag geschehen. Die Polizei erhielt neue Helme, Schutzwesten und Pistolen, mehr Kräfte für die Überwachung, mehr repressive Möglichkeiten und Instrumente.

Das verleitete den Ausschussvorsitzenden Klaus-Dieter Gröhler (CDU) zu der Überlegung, ob es erst einen solchen Anschlag brauchte, um aufzuwachen. Die Frage kann man auch andersherum verstehen: Nutzt ein solcher Anschlag denen, die den Exekutivstaat aufrüsten wollen?

Jedenfalls: Eine Verstrickung von Sicherheitsbehörden in die Tat oder in den Täterkreis könnte ein solches Aufrüstungsprogramm in Frage stellen. Schweigt man im Innensenat deshalb seit fünf Jahren zu den Spitzeln im Umfeld des oder der Täter vom Breitscheidplatz?

Zwei Tage nach dem Anschlag, am 21. Dezember 2016, schrieb Staatssekretär Akmann an seinen Innensenator Geisel eine E-Mail, in der er "dringend anrät", zu "unseren Erkenntnissen" zu Amri öffentlich nichts zu sagen.

Akmann dazu vor dem Ausschuss im Bundestag: Das erkläre sich von selbst, weil der Generalbundesanwalt die Federführung in dem Fall hat, auch in der Pressearbeit. Welche "Erkenntnisse" über Amri der Innensenator und sein Staatssekretär hatten, dazu sagte Akmann allerdings nichts.

Schon in der Nacht des Anschlags wurde die Fussilet-Moschee mehrfach von Polizeikommandos aufgesucht. Gab es innerhalb der Sicherheitsbehörden bereits früh Informationen über mögliche Täter und Tätermilieus?

Mindestens drei V-Leute von BfV, LfV Berlin und LKA Berlin bewegten sich in der Fussilet-Moschee. Der Treffpunkt hatte in der Dschihadistenszene eine bundesweite Bedeutung. Unter anderem war der Agitator Abu Walaa aus Hildesheim in Berlin. Da auch er überwacht wurde, sind Quellen weiterer Verfassungsschutz- oder Landeskriminalämter, aber auch des BKA, denkbar. Die Gesamtzahl erfährt man bisher nicht.

Das Verbotsverfahren gegen die Moschee und den Moscheeverein lag 2016 ein Jahr lang auf Eis.

Parallel lief ein Verfahren des Generalbundesanwalts (GBA) gegen führende Fussilet-Aktivisten, bemerkenswerterweise aber nicht gegen alle Führenden. V-Leute, die der Anklagebehörde in einem Strafverfahren dienlich sein können, können andererseits aber ein Verbotsverfahren erschweren.

Das zeigte sich unter anderem beim NPD-Verbotsverfahren, das an den V-Leuten in der rechtsextremen Partei scheiterte. Für das Bundesverfassungsgericht war nicht mehr nachweisbar, ob verwerfliche Positionen von authentischen Mitgliedern der NPD vertreten wurden oder von Geheimdienst-Mitarbeitern, also manipulativ gewesen wären.

Konnte das Verbotsverfahren im Falle Fussilet-Moschee also wegen der V-Leute nicht zu Ende geführt werden?

Nach dem Anschlag ging es ganz schnell

Nach dem Anschlag ging es ganz schnell: Ende Februar 2017 erging das Verbot, begleitet von einer Razzia, Ende März war es rechtskräftig. Damit schien man sich auf Seiten der Verantwortlichen zufrieden zu geben. Denn die Datenauswertung im Rahmen der Anschlagsermittlungen wurde nicht weiter betrieben. Wer was wann an dem Treffpunkt möglicherweise tat, schlummert mutmaßlich in den Datensätzen. Polemisch könnte man sagen: Die Daten schlummern aus gutem Grund, schließlich darf die Amri-Alleintäter-These nicht gefährdet werden.

Und dazu zählt auch das, was erst in Anfängen unter dem Stichwort "Opalgrün" bekannt geworden ist. Eröffnet hatte den Vorgang das LfV Berlin. Zurück ging er auf Informationen des LfV von Mecklenburg-Vorpommern (M-V), die ein V-Mann in arabisch-stämmigen Kreisen in Berlin gewonnen hat: Hinweise auf einen möglichen Anschlag zum Ramadan 2016.

An der Operation "Opalgrün" waren aber nicht nur beide Landesämter beteiligt, sondern auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Warum das BfV - das ist den Abgeordneten des Ausschusses immer noch nicht so richtig klar. Und das trotz Vernehmung mehrere BfV-Vertreter, obendrein hinter verschlossenen Türen. Die Frage rückt deshalb auch die BfV-Quelle in der Berliner Szene erneut in den Fokus.

Ob es Quellen-Hinweise auf den späteren angeblichen Attentäter Amri gab, ist zwischen den Behörden in Berlin und M-V umstritten. Berlin sagt nein, M-V ja.

Darauf kommt es letztendlich aber sowieso nicht an. Wenn Amri ein Mittäter einer größeren Tätergruppierung war, wofür einiges spricht, muss man nicht nur nach ihm suchen, sondern auch nach bisher unbekannten Tatbeteiligten. Und dann zählen nicht nur Funde zu ihm, sondern auch zu anderen Personen. Andernfalls entpuppt sich die ausschließliche Fokussierung auf Anis A. als Falle.

"Vorgang Opalgrün"

Nach dem Chef des Verfassungsschutzes sowie dem Innenstaatssekretär von M-V befragte der Untersuchungsausschuss des Bundestags nun den früheren Innenminister zu dem Komplex. Lorenz Caffier (CDU) erklärte, er sei über den "Vorgang Opalgrün" informiert gewesen. Worüber genau und ob das schon vor dem Anschlag vom Dezember 2016 war, dazu will er aber "keine Erinnerung" mehr haben.

Caffier gestand ein, dass die Meldungen des VS-Informanten auf jeden Fall an die Ermittlungsstellen hätten weitergeleitet werden müssen. Das nicht zu tun, sei ein Fehler des Verfassungsschutzes gewesen. Der Quellenführer wollte es, die VS-Spitze dagegen unterband es. Trotzdem äußerte sich Caffier negativ zum Verhalten des Quellenführers.

Man kann Caffiers Antwortverhalten auch als opportunistisch bezeichnen, denn sein Staatssekretär Thomas Lenz hatte die Nicht-Weitergabe der Informationen noch "vertretbar" genannt.

Im Übrigen wälzte der verantwortliche Minister das Krisenmanagement nahezu komplett auf seinen Staatssekretär ab. Die Missstände im Verfassungsschutz führte Caffier auf fehlendes Personal zurück. Man habe zunächst die Polizei stärken müssen, erklärte er und tat so, als fielen nicht beide Stellen in sein Ressort.

Lorenz Caffier war als Innenminister zurückgetreten, weil er bei einem Waffenhändler, der mit der illegalen rechten Szene verbunden ist, privat eine Waffe gekauft hatte. Gleichzeitig war bekannt geworden, dass auch der Verfassungsschutz zwei Waffen angekauft hatte, illegal, aber, so die Begründung, um Beschaffungsketten nachzuverfolgen.

Das ist ein Aspekt, der auch im Komplex Breitscheidplatz durchaus von Interesse ist: Denn die Herkunft der Pistole, mit der der polnische Speditionsfahrer getötet wurde und die Amri bei sich trug, als er in Italien erschossen wurde, ist bisher nicht bekannt.

Da eine vergleichbare Waffe der Marke Erma auch im Besitz der NSU-Mitglieder Böhnhardt und Mundlos gefunden wurde, stellt sich die Frage, ob die Pistolen vielleicht aus derselben Quelle stammen.

Hat ein Waffenhändler in Mecklenburg-Vorpommern möglicherweise Waffen an Dschihadisten verkauft? - so die Frage im Untersuchungsausschuss. Antwort Caffier: Das wisse er nicht. Oder Waffen an Rechtsextremisten? Antwort Caffier: Achselzucken. Hat der V-Mann, der die Waffen für den Verfassungsschutz besorgte, den Waffenhändler glauben lassen, dass er sie für Dschihadisten besorge?

Und wieder dieselbe Reaktion beim Ex-Innenminister: Keine Ahnung. Der will im Übrigen bis zum November 2019 gar nicht gewusst haben, dass beim Verfassungsschutz Waffen lagerten.

Unbeantwortete Fragen, Punkte für die Agenda eines notwendigen Folgeuntersuchungsausschusses zum Terroranschlag vom Breitscheidplatz. Die lieferte unfreiwillig auch und gerade der Zeugenauftritt des Berliner Staatssekretärs Torsten Akmann.