Der Blick auf einen abstrakten Krieg
Im Dokumentarfilm "National Bird" sprechen drei Whistleblower über das US-Drohnenprogramm und seinem Schrecken, von dem man sonst nichts mitbekommt
Die Drohne blickt auf eine Wüste. Aus mehreren tausend Metern Höhe zeichnet sie sechs kleine, schwarze Punkte auf, die im Gänsemarsch den kleinen Landschaftsausschnitt durchqueren. Aus dem Off spricht Heather Linebaugh: "There’s at least two possible children." Dann verschwindet alles in der schwarzen Wolke einer Explosion. Bevor die schwarze, mit Pixeln durchzogene Rauchsäule den Blick wieder freigibt, endet das Video.
Linebaugh, die für die Air Force am Drohnenprogramm teilnahm, erklärt, was als nächstes passiert. Der Einsatz ist erst beendet, wenn das Ziel bestätigt werden kann. Die Drohne bleibt also in Position, wartet bis der Krater abkühlt und der Rauch abgezogen ist. Dann werden die Ziele identifiziert. Es sind Menschen, die in Stücke gerissen wurden.
Manchmal kriechen sie ohne Beine vom Krater der Explosion weg, manchmal bleiben nur ihre Körperteile zurück, verstreut über den Ort des Einschlags. Um den Einsatz als abgeschlossen zu bestätigen, werden abgetrennte Beine, Arme oder die Reste eines Torsos dokumentiert. Gleichzeitig sammeln die Familien der Opfer die Einzelteile ihrer Angehörigen ein und tragen sie in Decken davon.
Die Heimatfront des Drohnenkrieges
Heather Linebaugh trug in zwei Jahren als Drone Intelligence Analyst zur Aufklärung und Analyse tausender solcher Ziele bei. Bereits im Dezember 2013 enthüllte sie in einem Artikel für den Guardian, was sie nun für Sonia Kennebecks Film National Bird erneut bezeugt: Die Realität des globalen Drohnenprogramms hat nichts mit einem "präzise eingesetzten Skalpell" zu tun, das "Geschwüre" herausschneidet, wie John O. Brennan, CIA-Chef zu Zeiten der Obama-Administration, die Öffentlichkeit glauben machen wollte.
Linebaugh ist eine von drei Whistleblowern, die Kennebeck für ihren Film interviewt. Sie leidet wie andere, die mit dem Programm zu tun hatten, unter posttraumatischer Belastungsstörung. Eine Folge der Live-Bilder von Tötungen, die Drohnenanalysten und -Operateure täglich vor sich sehen. Im Gegensatz zu den regulären Truppen ist es Beteiligten von NSA-Operationen jedoch untersagt, mit Therapeuten zu sprechen, da diese in der Regel nicht über die erforderliche Sicherheitsfreigabe verfügen. Allein von Linebaughs ehemaligen Kameraden begingen drei infolge ihrer Beteiligung am täglichen Töten per Knopfdruck Selbstmord.
Die Folgen für die Operateure sind nur ein kleiner Teil der Perspektive, die der Film in den Gesprächen mit den Whistleblowern eröffnet. Der ehemals als Private Contractor angestellte Daniel wurde noch während der Dreharbeiten für seine Aussagen über das Drohnenprogramm von der NSA angeklagt. Lisa, die als Technical Sergeant in der US Air Force diente, versucht ihre Schuld zu verarbeiten, indem sie sich für die Opfer von Drohnenangriffen in Afghanistan engagiert.
Ein omnipräsenter, tödlicher Blick
"National Bird" ist mehr als ein Film über die posttraumatische Belastung des mechanisierten Krieges oder den Umgang der US-Regierung mit Whistleblowern. Kennebeck nutzt die Perspektiven der Insider geschickt, um eine undurchsichtige, mechanisierte Form der Kriegsführung in ihren Folgen zu beschreiben und gleichzeitig einen Bezug zu den Menschen herzustellen, deren Tod auf Grundlage von wackligen Live-Aufnahmen beschlossen und per Knopfdruck vollstreckt wird.
In Afghanistan erzählt eine Mutter von einem Drohnenangriff, der 23 Mitglieder ihrer Familie, darunter zwei ihrer Kinder, tötete und ihren Sohn verstümmelte. Ein Hubschrauber, der die Stadt überfliegt, unterbricht ihre Geschichte. In den Gesichtern der Kinder und Verwandten die neben der Frau sitzen, ist die Angst deutlich zu erkennen.
Immer wieder sucht der Film einen Ausdruck für diesen unsichtbaren, allgegenwärtigen Schrecken. So findet der sorgenvolle Blick, den die afghanische Familie gen Himmel richtet, seine unheilvolle Entsprechung in den Bildern, die Kennebeck von den USA macht. Drohnenaufnahmen zeigen amerikanische Städte aus der Luft, überfliegen als unbemerkte Präsenz langsam Straßenzüge, Häuser, Autos und Passanten.
Mit diesen Bildern lenkt der Film den Blick der Drohne von der arabischen Welt zurück auf die Heimat. Ein Blick, der den globalen Schrecken eines Programms verkörpert, das für die Ermordung eines Menschen nicht mehr braucht, als eine unscharfe, verwackelte Luftaufnahme. Ein Blick, der zeigt, was mit Joystick, Keyboard und Bildschirm zum abstrakten Krieg wird, den die USA ohne Fronten und vielleicht auch bald ohne unmittelbare menschliche Beteiligung führen.