Der "Blob": Interventionisten in der US-Politik

"Iron Fist", japanisch-US-amerikanisches Manöver mit Marines, Kalifornien. Bild (Februar 2022): Cpl. Carl Matthew Ruppert/US-Verteidigungsministerium/gemeinfrei

Das politische Establishment in Washington und sein Drängen auf eine aggressive US-Außenpolitik, das mit Bidens Regierung zurückkam

US-Präsidenten neigen dazu, sich besonders um Angelegenheiten außerhalb der USA zu kümmern, da ihr Einfluss auf die Innenpolitik begrenzt ist. Präsident Bidens Regierung ist bis dato durch das Scheitern seines "Build Back Better"-Planes geprägt. Spätestens seit sich die Lage in der Ukraine zugespitzt hat, kann sich Biden nun zumindest außenpolitisch hervortun.

Doch die US-amerikanische Außenpolitik kommt nicht nur aus dem Weißen Haus. Es existiert über parteipolitische Grenzen hinweg ein außenpolitisches Establishment, auch bekannt als der "Blob": überparteilich, mit einer gemeinsamen Ideologie, nämlich der des US-amerikanischen Imperialismus. Mit Blick auf die aktuelle Situation in der Ukraine, und angesichts der propagierten Geheimdienstinformationen, wonach Russland einen Einmarschtermin habe, bleibt nur zu hoffen, dass das außenpolitische Establishment um Frieden bemüht ist.

Wie es Sarah Lyall in der New York Times im Herbst letzten Jahres erklärte, versteht man unter dem "Blob" "im Allgemeinen die Mitglieder des außenpolitischen Establishments: Regierungsbeamte, Akademiker, Gremiumsmitglieder des Council on Foreign Relations, prominente TV-Journalisten und dergleichen".

Gemeinsam sei ihnen, dass sie an die Verpflichtung der Vereinigten Staaten glauben, in der Zeit nach dem 11. September eine aggressive, interventionistische Politik verfolgen zu müssen. "Die Kriege im Irak und in Afghanistan werden in diesem Zusammenhang als vom 'Blob' gebilligt angesehen."

Wie so oft bei amerikanischer Politik lassen sich aktuelle Strategien und Entscheidungen teilweise auf das 9/11-Trauma zurückführen.

Für den Krieg und gegen Kriegsgegner

Nun ist dieser einschneidende Tag schon über 20 Jahre her, doch hat er sich in das Bewusstsein vieler Amerikaner gebrannt, und die amerikanische Außenpolitik nachhaltig beeinflusst. Und wie es bei Traumata der Fall ist, hat die amerikanische Öffentlichkeit ebenfalls so einiges verdrängt.

Nur wenige scheinen sich an die Kriegstreiberei der US-amerikanischen Medien nach 9/11 zu erinnern, inklusive einer Art "Proto-Cancel-Culture", die sich gegen jeden Kriegsgegner richtete. Und es waren nicht nur konservative Medien, "die die US-amerikanische Öffentlichkeit auf den Krieg einstimmten", wie Matt Taibbi in seinem Buch "Hate Inc." heraushebt:

Die Washington Post und die New York Times trieben den Konflikt auf ihrer redaktionellen Seite voran. MSNBC entließ Phil Donahue und Jesse Ventura wegen ihrer Kriegsskepsis. CNN überschwemmte den Äther mit Generälen und Ex-Pentagon-Vertretern, und die Sender ABC, CBS, NBC und PBS trieben es noch schlimmer: In einem Zeitraum von zwei Wochen vor der Invasion hatten die Sender nur einen von 267 amerikanischen Gästen, die den Krieg in Frage stellten.

Matt Taibbi

Natürlich ist dieser Wahn nicht einzig und allein einer koordinierten Kampagne des außenpolitischen Establishments zuzuschreiben. Wahrscheinlich lässt sich die Kriegstreiberei liberaler Medien auf eine Art liberales Schuldbewusstsein zurückführen, nicht in Vietnam gewesen zu sein, oder ihr Land nach 9/11 nicht genug unterstützt zu haben.

Jedenfalls dienten sich die "geistigen Eliten" der Ost- und Westküste den martialisch ausgerichteten Elementen der Republikanischen Partei an, um ja nicht als unpatriotisch zu gelten. Und die (links-)liberale Ideologie widerspricht keineswegs dem Wunsch nach Intervention, dieser muss nur richtig formuliert werden.

Nachdem allmählich klar geworden war, dass die US-Regierung in Bezug auf angeblich im Irak vorhandene Massenvernichtungswaffen gelogen hatte, änderte sie einfach das Narrativ und der Krieg wurde zum notwendigen Übel ernannt, um das eigentliche Projekt des "nation building" voranzutreiben.

Als auch dieser Plan scheiterte, beziehungsweise sich als das entpuppte, was es von Anfang war, nämlich ein Weg, um den militärisch-industriellen Komplex zu bereichern, benötigten die Befürworterinnen und Befürworter interventionistischer Politik einen neuen Grund, um die US-amerikanische Präsenz im Nahen Osten zu rechtfertigen.

Sie behaupteten schlicht und einfach, der Militäreinsatz wäre Teil des "Krieges gegen den Terror". In der Retrospektive wirkt es also so, als hätten Medien und Politik Hand in Hand gearbeitet, um die US-amerikanische Öffentlichkeit von der Notwendigkeit des Krieges zu überzeugen.

Allerdings birgt eine solche Sichtweise auch Gefahren. Denn betrachtet man das außenpolitische Establishment als "Blob", als eine einheitliche Masse, läuft man zwangsläufig in Gefahr, durch eine Art Verschwörungstheorie, mit Verweis auf die Eliten, die Öffentlichkeit von jeglicher Verantwortung freizusprechen.

Exzeptionalismus

Es lässt sich kaum leugnen, dass die amerikanische Außenpolitik seit dem Zweiten Weltkrieg durch Exzeptionalismus geprägt ist, also von der Idee, dass die USA nicht nur berechtigt seien, ihre politischen Interessen weltweit durchzusetzen, sondern sogar dazu berufen. Eine Ideologie, die vor allem während des Kalten Krieges geprägt wurde.

Nach und nach wurde die antikommunistische Propaganda durch eine etwas diffusere politische Position zur Unterstützung von Menschenrechten und Wahrung demokratischer Werte ersetzt. Eigene Verbrechen werden dabei gekonnt ignoriert.

Samantha Power, UN-Botschafterin unter Obama, illustrierte diese Überzeugung in ihrem Buch A Problem From Hell, in dem sie den Umstand beklagt, dass das amerikanische Militär nicht oft genug eingesetzt würde, um weltweit Genozide zu verhindern und dabei die US-amerikanische Rolle in solchen Verbrechen konsequent ignoriert.

Auch behauptet die Autorin, die USA "haben die Pflicht zu handeln" und wenn nötig, "das Leben ihrer Soldaten zu riskieren, um dieses monströse Verbrechen zu stoppen". In dieser Äußerung unterscheidet sie sich kaum vom politischen Narrativ der Neokonservativen, die unter Bush den Irak-Krieg vorangetrieben hatten.

Interessanterweise war es Trump, der den interventionistischen Konsens der beiden Parteien brach. Nicht nur wurde er auf einer Irak-Krieg-kritischen Plattform gewählt, er machte sich auch gleich daran, wie versprochen Soldaten, nachhause zu holen. Eine Einstellung, die Biden zunächst zu teilen schien.

Biden und der Blob

Doch mit Biden kehrte auch der "Blob" in die Sphären der Macht zurück. Und wie zur Bestätigung ihrer veralteten Weltsicht, scheint der Kalte Krieg wieder über uns hereinzubrechen, mit alten Feindbildern wie Russland und China. Gegen beide baut die US-amerikanische Öffentlichkeit schon länger Ressentiments auf. Trump erklärte China zum Hauptfeind der USA und die Liberalen erklärten Trump zur Marionette Putins, der mithalf, die Wahl zum Präsidenten zu manipulieren - die Feindbilder sind die alten, die Welt eine andere.

Das US-Empire befindet sich auf dem Rückzug, und auch wenn China nicht das Interesse zu haben scheint, die exakt gleiche Rolle zu übernehmen, so will XI Jinping doch das Machtvakuum füllen, das die Amerikaner hinterlassen. Wenn Russland also Ersatz für das Geld aus dem Westen braucht, wendet sich Putin an Beijing. Und dass die Biden-Regierung mit dem Iran verhandelt, hat sicher auch mit Irans neuer Handelsbeziehung mit China zu tun.

Ein größeres ökonomisches Gleichgewicht zwischen China und USA hat sicher Potenzial, Frieden zu stiften, doch der Konflikt mit Russland ist akut. Äußerungen von Mitgliedern des außenpolitischen Establishments, wie die des US National Security Advisors Jake Sullivan, wonach "der Westen so geeint wie seit Jahren nicht mehr" sei, mögen ja auf manche beruhigend wirken, andere könnten sich unangenehm an den Kalten Krieg erinnert fühlen.