"Der Boden stellt eine gigantische Umverteilungsmaschinerie dar"
Seite 2: "Die Besteuerung des Bodens hat für den Staat den großen Vorteil, dass er nicht auswandern kann
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Wie hoch sollte die Besteuerung des Bodens ungefähr sein?
Dirk Löhr: Der schon erwähnte Henry George propagierte eine Single Tax: Der Staat sollte sich ausschließlich über eine Bodenwertsteuer finanzieren, deren Satz bei 100 % läge. Das ist in Deutschland rechtlich und politisch auf absehbare Zeit nicht realisierbar. Allerdings sollten wir uns Schritt für Schritt auf den Weg einer Ersetzung der herkömmlichen Steuern durch eine Bodenwertsteuer begeben.
Warum? Welche Vorteile würde das bringen?
Dirk Löhr: Zunächst einmal hat die Besteuerung des Bodens für den Staat den großen Vorteil, dass der Boden nicht auswandern kann. Wir haben ja heute die Situation, dass Unternehmen und reiche Privatpersonen ihren Sitz oder einen erheblichen Teil ihres Vermögens ins Ausland verlagern, um Steuern zu sparen. Dadurch ist der Staat erpressbar. Bei der Besteuerung des Bodens ist er das nicht, denn der Boden bleibt immer da, wo er ist.
Des Weiteren lassen sich durch eine höhere Besteuerung des Bodens andere Steuern senken und dadurch wirksame Impulse setzen. Aktuell wird ja zur Finanzierung des öffentlichen Haushalts vor allem der Konsum des Verbrauchers und der Faktor "Arbeit" herangezogen. Würde man hier die Steuern spürbar senken, dann hätte das natürlich positive Impulse auf den Arbeitsmarkt. Der ökonomische Druck, teure menschliche Arbeitskraft durch preisgünstiger arbeitende Computer und Maschinen zu ersetzen, würde deutlich sinken.
Ein weiterer wichtiger Punkt: die Wohnungsnot in den Ballungsräumen. Eine hohe Bodenwertsteuer erzeugt Nutzungsdruck und mobilisiert brachliegende Flächen. Verdichtetes Bauen wird attraktiv, wodurch der Pro-Kopf-Flächenverbrauch sinkt. Aktuell wird in Deutschland täglich eine Fläche von 66 Hektar neu in Anspruch genommen und davon rund die Hälfte durch Gebäude, Straßen und Parkplätze versiegelt. Das geht auf Kosten der landwirtschaftlichen Nutzflächen und der Natur - und kann nicht ewig so weitergehen. Aus diesem Grunde wird die Initiative "Grundsteuer: Zeitgemäß!" von bedeutenden Umwelt- und Raumplanungsverbänden unterstützt.
Warum wurde dieses Konzept nicht schon längst umgesetzt? Wer profitiert von der aktuellen Situation?
Dirk Löhr: Viele Kleineigentümer von Wohnungen und Einfamilienhäusern glauben, dass sie profitieren. Doch würden sie einmal scharf rechnen, was sie an öffentlichen Abgaben bezahlen und welchen Vorteil sie aus ihrem privaten Bodeneigentum ziehen, kämen sie zu einem ganz anderen Ergebnis.
Auf der Sonnenseite des aktuellen Systems stehen vor allem institutionelle Vermieter, aber auch Spekulanten. Oft vergessen wird, dass Bodenrenten auch einen erheblichen Anteil der Gewinne von erfolgreichen Großunternehmen ausmachen. So ist beispielsweise McDonald's nicht nur ein Burgerbruzzler, sondern ein gewaltiger Immobilienkonzern.
Die größte Blockade besteht aber in den Köpfen. Wegen der mäßigen Bodenrenten und Bodenpreise in der Vergangenheit ist das Bodenproblem hierzulande weitgehend aus dem Bewusstsein verschwunden. Es gibt kein Bodenbewusstsein mehr in Deutschland. In der Wirtschaftswissenschaft wird der Faktor "Boden" ohnehin so gut wie nicht mehr wahrgenommen. Juristen, welche auch die Ministerialverwaltungen dominieren, können sich Boden und Gebäude meist nur als Einheit vorstellen. Wir brauchen also ganz dringend eine öffentliche Diskussion zu diesem Thema. Wir brauchen eine andere Kultur, welche die Privatisierung von öffentlich geschaffenen Werten ächtet.
Gibt es Vorbilder?
Dirk Löhr: Im chinesischen Qingdao, von 1898 bis 1914 eine Kolonie des deutschen Kaiserreichs, wurde eine ganz andere Boden- und Steuerpolitik "ausprobiert" - mit großem Erfolg. Die Reichsmarineverwaltung wollte spekulativen Exzessen vorbeugen und führte u.a. eine Bodenwertsteuer ein, die sogar mit ihren nur 6 % bereits Wirkung zeigte. Die damalige deutsche Bodenreformbewegung um Adolf Damaschke hatte ähnliche Vorstellungen.
Auch Sun Yat-sen, der sowohl in der Volksrepublik als auch in Taiwan als Gründer des modernen China verehrt wird, war davon fasziniert. Er wollte die Bodenordnung von Qingdao auf ganz China übertragen. Wilhelm Schrameier, der deutsche Administrator von Qingdao, wurde sein Berater. Allerdings starben beide zu früh, um ihre Pläne umsetzen zu können. Dennoch sind Spuren der Land- und Steuerordnung noch im heutigen Taiwan zu finden.
Der Erfolg anderer Tigerstaaten ist auf eine andere Bodenpolitik zurückzuführen, als sie in den heutigen Ökonomie-Lehrbüchern propagiert wird. Sicher können Hong Kong und Singapur nur sehr beschränkt als Vorbilder dienen. Allerdings war deren rasanter Aufstieg von unbedeutenden Ortschaften zu internationalen Handels- und Finanzzentren nur dadurch möglich, dass ein großer Teil des öffentlichen Finanzbedarfs aus dem Boden anstatt aus herkömmlicher Besteuerung bestritten wurde.
Auch in einigen angloamerikanisch geprägten Ländern gibt es Bodenwertsteuern, wenngleich auf geringem Niveau - ein Überbleibsel aus dem Wirken des erwähnten Henry George, der diese Länder damals bereiste und mit seinen Ideen begeisterte. Noch heute hat er dort eine beachtliche Anhängerschaft. Sein Hauptwerk war über Jahrzehnte hinweg eines der am meisten gelesenen Bücher überhaupt - es erreichte Millionenauflagen.
In Kontinentaleuropa finden sich zaghafte Ansätze von Bodenwertsteuern in Dänemark und in Estland. Deutschland ist diesbezüglich die reinste Wüste, dabei war hier in früheren Zeiten das Bodenbewusstsein durchaus ausgeprägt. Ein Überbleibsel davon findet sich unter anderem in der Verfassung des Freistaats Bayern von 1946: "Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen", steht in ihrem Artikel 161. Umgesetzt wurde das von der Politik allerdings nie.
Wie lässt sich eine Bodenreform heute begründen?
Dirk Löhr: Ein zeitgemäßes Bodenrecht ist eine Antwort auf das aktuelle Marktversagen. Jeder Ökonom weiß - oder sollte wissen -, dass es immer dann zu Marktversagen kommt, wenn Kosten und Nutzen des Wirtschaftens auseinanderfallen. Beim Boden werden öffentlich geschaffene Werte zugunsten starker und gut organisierter Gruppen systematisch privatisiert. Im Gegenzug werden privat geschaffene Werte zu Lasten schwach organisierter Gruppen über unser Abgabenwesen systematisch sozialisiert.
All dies provoziert Fehlentwicklungen, wird aber durch unsere Eigentumsordnung auch noch geschützt. Das heutige Boden- und Baurecht wird erst tätig, nachdem das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Die Rechtsordnung muss die Voraussetzung dafür schaffen, dass diese Missstände gar nicht erst auftauchen können.