Der Deal: Wie Putin und Prigoschin sich gegenseitig retteten
Der Wagner-Chef bewies großes taktisches Geschick und setzte Moskau unter Druck. Wäre der Konflikt eskaliert, hätte es im Fiasko enden können – für beide Seiten. Was nun?
Bei dem von ihm geführten Militäraufstand bewies der Söldnerführer der Militärfirma PMC Wagner ein großes Maß an taktischem Geschick. Schlag auf Schlag traf er Entscheidungen, gab Statements ab und schuf neue militärische Lagen, auf die die träge Maschinerie des Systems Putin reagieren musste.
Die Situation war für beide Seiten ernst
Dabei befand er sich in einer eigentlich fast aussichtslosen Situation. Mächtige politische Verbündete im Kreml oder Establishment hatte er keine, die Unterstützung durch eine Palastrevolution war ausgeschlossen. Im ganzen Land schwörten die wichtigsten regionalen Politfunktionäre wie Gouverneure Putin demonstrativ die Treue, als offensichtlich wurde, dass sich Prigoschins Rebellion gegen den Kremlkurs in einen offenen Aufstand verwandelte. Darunter war auch Ramsan Kadyrow, der Prigoschins Vorgehen als "abscheulichen Verrat" bezeichnete und eigene Truppen in die Region Rostow entsandte.
Doch Prigoschin war schneller als der Apparat. Während Putin am Freitag selbst noch schwieg, besetzten Prigoschins "Wagneriten" am Abend die Großstadt Rostow im Don. Als der Präsident sich erstmals an das Volk wandte und man in mehreren Regionen einen Ausnahmezustand aufrief, waren die Wagner-Kämpfer bereits auf der Autobahn von Rostow nach Moskau unterwegs, wohlvorbereitet gegen militärische Versuche, sie aufzuhalten.
Das sollte die Regierung schnell merken – drei Hubschrauber und ein Flugzeug, die zu ihrer Eliminierung entgegen geschickt wurden, schossen die Söldner mithilfe ihrer Luftabwehrsysteme ab. Dabei sollen nach unterschiedlichen Quellen 13 bis 20 Regierungssoldaten zu Tode gekommen sein. Als schließlich die Regierung und Prigoschin mit Vermittlung des weißrussischen Staatschefs Lukaschenko ihren Kompromiss abschlossen, standen die Söldner bereits 200 Kilometer vor der russischen Hauptstadt.
Prigoschin zieht den Kopf aus der Schlinge
Prigoschin wird sich jetzt nach Belarus begeben, seine Söldnertruppe in die Ukraine zurückkehren. Dem Anführer wie seinen Gefolgsleuten wurde von Putin persönlich Straffreiheit zugesagt – nachdem sein Ton gegenüber dem Oligarchen noch am gleichen Morgen von der Härte nur noch mit dem vergleichbar war, was er sonst dem früheren Oppositionsführer Nawalny entgegenschleuderte.
So schnell dieser Deal kam – so wenig ist er eine echte Überraschung. Wäre dieser Konflikt weitergegangen, hätte er für beide Seiten äußerst negative Konsequenzen gehabt. Prigoschin hätte in der Tat Moskau erreichen können. Es hätten sich Kämpfe entwickelt, bei denen seine erfahrenen Söldner schwere Gegner gewesen wären.
Doch sobald sich der russische Staats- und Militärapparat organisiert und aufgestellt hätte, der Überraschungsmoment vorbei gewesen wäre, wären die Wagner-Kämpfer auf verlorenem Posten gewesen. Niemand im politischen und militärischen Establishment Russlands hatte Prigoschin die Gefolgschaft zugesagt, alle regionalen Strukturen hätten gegen ihn gearbeitet.
Militärische Spezialeinheiten des Verteidigungsministeriums hätten irgendwann den Aufständischen den Garaus gemacht. Für Prigoschin selbst wäre die Folge dieses Verlaufs der sichere Tod oder zumindest eine langjährige Haftstrafe irgendwo in Sibirien gewesen.
Der Kreml begrenzt den Schaden
Die Fortführung des Konflikts wäre aber auch eine Katastrophe für den Kreml gewesen. Im Zuge des schnellen Vormarschs der Söldner und den militärischen Erfolgen gegen erste Aufhalteversuche litt bereits das für Putin wichtige Image beträchtlich, den Russen Sicherheit und Stabilität zu geben. Selenskyj-Berater Michail Podoljak unkte schon, dass das Gewaltmonopol des Kreml Vergangenheit sei. Der Kriegsgegner in der Ukraine freute sich beträchtlich über den Konflikt.
Aufrufe des Inlandsgeheimdienstes FSB an die Wagner-Söldner, ihren Anführer zu verhaften, oder die der Generäle, an die Front zurückzukehren, verhallten derweil unerhört. Sie störten scheinbar Prigoschins Schauspiel auf der Autobahn und seine "Pressearbeit" auf Telegram in keiner Weise.
Noch viel größer wäre der Imageschaden gewesen mit Kämpfen in der russischen Hauptstadt, vielleicht sogar kurzfristigen Erfolgen der Söldner im Umfeld des russischen Machtzentrums im Kreml. Auf solche Szenarien bereitete man sich dort bereits vor.
Unklar war zudem, ob sich einzelne Einheiten anderer Truppen auf Prigoschins Seite geschlagen hätten, müde vom ständigen verlustreichen Einsatz bei den Eroberungsversuchen im Nachbarland.
So zogen sich beide Seiten mit einem schnellen Ende vergleichsweise elegant aus der Affäre. Prigoschin zog unter dem Jubel einiger Einwohner aus Rostow am Don in ein sicheres Refugium in Weißrussland ab. Das staatliche Gewaltmonopol im Inneren Russlands wurde wiederhergestellt, der Imageschaden zumindest begrenzt.