Der Fall Indien: Wie Autokraten der Demokratie den Sauerstoff entziehen

Seite 2: Modi schreibt Journalisten vor, positiv zu berichten

Im April 2020 veröffentlichte die New York Times einen Artikel mit einer starken Schlagzeile über die Situation der Pressefreiheit in Indien: "Under Modi, India's Press Is Not So Free Anymore" ("Unter Modi ist Indiens Presse nicht mehr wirklich frei").

In dem Bericht zeigten die Reporter, wie Modi im März 2020 mit den Eigentümern der großen Medienhäuser zusammentraf, um sie aufzufordern, "inspirierende und positive Geschichten" zu veröffentlichen. Als die indischen Medien begannen, über die katastrophale Reaktion der Regierung auf die Covid-19-Pandemie zu berichten, wandte sich Modis Regierung an den Obersten Gerichtshof mit dem Argument, dass alle indischen Medien "die offizielle Version" veröffentlichen müssten.

Das Verfassungsgericht lehnte die Forderung der Regierung ab, dass die Medien nur die Sichtweise der Regierung veröffentlichen müssen, aber erklärte stattdessen, dass die Medien die Sichtweise der Regierung publizieren müssen – neben anderen Interpretationen. Siddharth Varadarajan, Redakteur von The Wire, bezeichnete den Gerichtsbeschluss als "bedauerlich" und meinte, er könne als "Genehmigung für die Vorzensur von Medieninhalten" angesehen werden.

Die große Belagerung der Medien

Die "verwaltungsrechtliche Belagerung" von Newsclick durch die indische Regierung begann einige Monate später. Denn die Website hatte unabhängige Berichte nicht nur über die Covid-19-Pandemie, sondern auch über zivilgesellschaftliche Bewegung wie die zur Verteidigung der indischen Verfassung und der Bauern veröffentlicht.

Trotz wiederholter Durchsuchungen und Verhöre konnten die verschiedenen Behörden der indischen Regierung keine Illegalität im Betrieb von Newsclick feststellen. Vage Andeutungen über die Unzulässigkeit von Finanzierungen aus dem Ausland gingen ins Leere, da Newsclick erklärte, dass es bei der Entgegennahme von Geldern die indischen Gesetze befolge.

Die Rolle der New York Times

Als das Verfahren gegen Newsclick zu erlahmen schien, veröffentlichte die New York Times im August 2023 einen äußerst spekulativen und verunglimpfenden Artikel über die Stiftungen, die einen Teil der Gelder von Newsclick bereitgestellt hatten.

Am Tag nach dem Erscheinen des Artikels gingen hochrangige Vertreter der indischen Regierung gegen Newsclick vor und benutzten den Artikel als "Beweis" für ein Verbrechen. Die New York Times war zuvor gewarnt worden, dass die indische Regierung diese Art von Geschichte zur Unterdrückung der Pressefreiheit nutzen würde.

Tatsächlich verschaffte der Bericht der New York Times der indischen Regierung die nötige Glaubwürdigkeit, um zu versuchen, Newsclick zu schließen, was sie nun mit der Entscheidung der Steuerabteilung auch tut.

Verkehrte Welt

Die 141 Mitglieder des Parlaments werden beschuldigt, einen Einbruch in das Parlamentsgebäude am 13. Dezember gutgeheißen zu haben. Zwei Männer sprangen von der Pressetribüne in den Saal und warfen Rauchkanister ab, um gegen das Versäumnis der gewählten Volksvertreter zu protestieren, Fragen der Inflation, der Arbeitslosigkeit und der ethnischen Gewalt in Manipur zu diskutieren.

Die Männer erhielten von Pratap Simha, einem Abgeordneten der BJP, Passierscheine zum Betreten des Parlaments. Er ist nicht suspendiert worden. Die BJP nutzte diesen Vorfall, um die Oppositionsabgeordneten zu suspendieren, weil sie entweder den Vorfall nicht verurteilten oder sich für ihre suspendierten Kollegen einsetzten.

Weder die Personen, die die Rauchbomben ins Parlament geworfen haben, noch diejenigen, die diese Aktion planten, haben einen politischen Hintergrund, geschweige denn eine Verbindung zur Opposition.

Erstickung der Demokratie

Manoranjan D. hatte seinen Job in einer Internetfirma verloren und musste in seine Heimat zurück, um seine Familie bei der Arbeit auf dem Bauernhof zu unterstützen. Sagar Sharma fuhr ein Taxi, nachdem er die Schule wegen finanzieller Probleme zu Hause abbrechen musste.

Azad besitzt Universitätsabschlüsse, konnte aber keine Arbeit finden. Es sind junge Menschen, die von Modis Indien frustriert sind, aber keine politischen Verbindungen besitzen.

Sie haben versucht, sich mit den üblichen demokratischen Mitteln Gehör zu verschaffen, waren aber nicht erfolgreich. Die Suspendierung der Parlamentarier und der Angriff auf die Finanzen von Newsclick sind ebenfalls Symptome dieser Krise: der Erstickung der Demokratie in Indien.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit Globetrotter. Hier geht es zum englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.

Vijay Prashad ist Stipendiat und Chefkorrespondent bei Globetrotter. Er ist Herausgeber von LeftWord Books und Direktor von Tricontinental: Institute for Social Research. Er ist Senior Non-Resident Fellow am Chongyang Institute for Financial Studies der Renmin University of China. Er hat mehr als 20 Bücher geschrieben, darunter "The Darker Nations und The Poorer Nations". Seine jüngsten Bücher sind "Struggle Makes Us Human: Learning from Movements for Socialism" und (mit Noam Chomsky) "The Withdrawal: Iraq, Libya, Afghanistan, and the Fragility of U.S. Power".