Der Friedenswinter ist tot! Es lebe der Friedenswinter!

Hamburger Mahnwache für den Frieden, 23. Juni 2014. Bild: Diagram Lajard/CC0 1.0

Die Friedensbewegung will an die Zusammenarbeit mit den umstrittenen Montags-Mahnwachen anknüpfen

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Es sind etablierte Organisationen der traditionellen, der "alten" Friedensbewegung, die für den 8. Oktober zu einer bundesweiten Friedensdemonstration unter dem Motto Die Waffen nieder - Kooperation statt NATO-Konfrontation, Abrüstung statt Sozialabbau nach Berlin aufrufen: Der "Bundesausschuss Friedensratschlag" Kassel, die "Kooperation für den Frieden" und die "Berliner Friedenskoordination". Doch die Listen der knapp 200 Initiativen, Organisationen, Parteien und Parteigliederungen sowie der knapp 1.200 Einzelpersonen enthalten Namen, die aus dem Spektrum der Montagsmahnwachen, der "Friedensbewegung 2.0" bekannt sind.

Alte Kameraden

Schon im "Friedenswinter 2014/15" war versucht worden, die beiden Spektren unter einen Hut zu bringen. Dieser wurde jedoch im März 2015 für beendet erklärt. Weil - oh, Wunder - auch bei den Architekten des Friedenswinters der Old-School-Fraktion angekommen war, was Kritikerinnen und Kritiker der Mahnwachen von Anfang an gesagt haben:

  1. "Weder rechts noch links" ist keine Richtung, in die eine sich als antifaschistisch und antimilitaristisch begreifende Bewegung marschieren kann.
  2. "Weder rechts noch links" beinhaltet die Möglichkeit, seitens der "Friedensbewegung 2.0" ausdrücklich erwünscht, Spektren sehr weit rechts zu integrieren.
  3. Die "Friedensbewegung 2.0" ist extrem einseitig auf Pro-Putin ausgerichtet, was sich u. a. in plattem Anti-Amerikanismus äußert.

Außerdem wäre da noch die Sache mit dem Antisemitismus, die z.B. Ken Jebsen, Moderator der Sendung KenFM, einer der zentralen Figuren in der Friedensbewegung 2.0, seinen Job beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) kostete.

"Sie brauchen mir keine holocaus informatinen zukommen lassen", antwortet er in einer von dem Publizisten Henryk M. Broder dokumentierten E-Mail an einen Hörer seiner Sendung, die für seine Entlassung den Ausschlag gab. "Ich habe mehr als sie. ich weis wer den holocaust als PR erfunden hat. der neffe freuds. bernays. in seinem buch propaganda schrieb er wie man solche kampagnen durchführt. goebbels hat das gelesen und umgesetzt. ich weis wer die rassendatten im NS reich möglich gemacht hat. IBM mit hollerithmachinen. ich weis wer wärend des gesamten krieges deutschland mit bombersprit versorgt hat.standartoil also rockefeller."

Jebsen bestritt nie, die Mail tatsächlich geschrieben zu haben, wohl aber, dass ihr Inhalt antisemitisch sei. Die Frankfurter Publizistin Jutta Ditfurth erinnert sich an die Anfänge der Mahnwachen:

Ich recherchierte im Februar 2014 anlässlich einer Lesereise mit meinem Buch über adligen Antisemitismus ('Der Baron, die Juden und die Nazis') über Karl-Heinz Hoffmann (Wehrsportgruppe Hoffmann/WSG) und stieß auf ein Treffen von ihm und Elsässer. Es ging um ein gemeinsames Filmprojekt. In diesem Gespräch bot Elsässer Hoffmann die Gelegenheit, sich von Vorwürfen zu entlasten, die WSG habe etwas mit dem Oktoberfestattentat von 1980 zu tun.

Ich recherchierte Elsässers neuere Aktivitäten und stieß auf die Vorbereitungen auf die antisemitisch durchdrungenen Montagsmahnwachen für den Frieden, auf seine Kumpane Lars Mährholz und Ken Jebsen. Ich beobachtete ihre Vorbereitungen auf ihre montäglichen völkischen Kundgebungen. Die drei waren offensichtlich Antisemiten und arbeiteten damals eng zusammen. Sie boten bald alles auf, was es an antisemitischen Klischees und Stereotypen gibt. Ihre erste Kundgebung war dann im März 2014 in Berlin.

Um das zu einem Thema auch in kritischen und linken Kreisen zu machen, wählte ich eine Provokation und erklärte bei Facebook, dass ich alle Facebook-Freunde entfreunden würde, die auch mit Elsässer verbunden waren. Das entfachte eine verblüffend heftige Diskussion, in die hinein ich meine Rechercheergebnisse geben konnte, um über diese neuen Ausdrucksformen von Antisemitismus zu informieren.

Skurrile Anekdote am Rande: Als mich Elsässer dann verklagte, saß beim Gerichtstermin im Oktober 2014 Karl-Heinz Hoffmann in der ersten Reihe des Publikums und verteilte an Journalistinnen und Journalisten seine Visitenkarte mit der Berufsangabe 'Systemkritiker'.

Jutta Ditfurth

Auch Mährholz wies sich auf den Mahnwachen als ausgesprochener "Systemkritiker" aus: u.a. ließ er die erstaunte Öffentlichkeit wissen, dass die FED (Federal Reserve System), seiner Ansicht nach eine Privatbank im Besitz der jüdischen Familie Rothschild, "die Kriege der letzten hundert Jahre" zu verantworten habe.

Fehlende kritische Reflexion

Der "Friedenswinter" wurde im Frühjahr 2015 lapidar für beendet erklärt. In einem Rundschreiben bedankte Organisator Rainer Braun von der Initiative Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen (IALANA) sich "bei allen die sich am Friedenswinter beteiligt und zu den erfolgreichen Aktionen beitragen haben". Da stellte sich dann die Frage: Wenn der "Friedenswinter" so erfolgreich war, warum soll er dann nicht als friedenspolitischer Frühling erwachen?

Was allerdings ausblieb, war eine inhaltliche Auseinandersetzung. Doch schnell wurde klar: Im Prinzip wurde der Friedenswinter deshalb beendet, weil Teile der Friedensbewegung 2.0 und die traditionelle Friedensbewegung während des Winter quasi verschmolzen waren. Einige erwiesen sich als friedenspolitische Hybrid-Pflanzen, die den Winter nicht überlebten, andere werden seither als selbstverständlicher Teil der Friedensbewegung betrachtet.

Nach und nach gliederten sich auch jene (wieder) mit ein, die den Mahnwachen skeptisch gegenüber gestanden hatten. Hamburg spielte dabei eine Vorreiterrolle einer fatalen Entwicklung, die auf Betreiben und in Kooperation mit Rainer Braun den Friedenswinter möglich machte, der wiederum die Synthese der "alten" mit der "neuen" Friedensbewegung hervorbrachte. Stillschweigend.

Dieses Stillschweigen bewahren auch jene, die zunächst die Mahnwachen kritisierten, dann aber doch die ideologische Schlittenpartie während des "Friedenswinters" wagten, sich offensichtlich auf Glatteis führen ließen, dieses aber nicht - zumindest nicht öffentlich - zugeben wollen und jetzt offenbar das Deckmäntelchen des Schweigens darüber hüllen wollen, dass die Friedensbewegung (3.0?) in ihren Reihen Organisationen, Initiativen und auch Einzelpersonen duldet, die - vorsichtig formuliert - ein unbelastetes Verhältnis zu Nazis, Neurechten, esoterischen und/oder verschwörungstheoretischen Kreisen oder auch zum früheren iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad haben.

Inhaltlich simpel gestrickt

Passend zum Kreis der Aufrufenden war der ursprüngliche Aufruf recht schlicht gehalten wie ein Sammelsurium politisch aktueller Themen: Krieg und Frieden, TTIP, CETA und Asylpolitik - ein Versuch, möglichst viele politische Spektren unter dem Dach der Friedensbewegung zu vereinen.

Die Politik muss dem Rechnung tragen. Wir akzeptieren nicht, dass Krieg immer alltäglicher wird und Deutschland einen wachsenden Beitrag dazu leistet: in Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, Jemen, Mali. Der Krieg in der Ukraine ist nicht gestoppt. Immer geht es letztlich um Macht, Märkte und Rohstoffe. Stets sind die USA, NATO-Mitgliedstaaten und deren Verbündete beteiligt, fast immer auch direkt oder indirekt die Bundesrepublik ...

Aufruf zur Friedensdemo am 8. Oktober

O.k., der Hauptfeind steht im eigenen Land, das wusste schon Karl Liebknecht. Dazu passt dann auch das Motto "Die Waffen nieder!", entliehen bei Bertha von Suttner, die 1905 als erste Frau mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Es folgten, nebenbei gesagt, nicht sehr viele weitere Frauen, die diese Auszeichnung erhielten. Als die damals 18jährige Pakistanerin Malala Yousafzai 2014 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, bezeichnet der Bundesausschuss Friedensratschlag dies als "Fehlentscheidung".

Die Altherren-Riege in Kassel sah die Verleihung des Preises an Malala, die als Elfjährige aus Pakistan über die Methoden der Taliban gebloggt hatte, als genauso verfehlt an wie etwa im Falle "Barack Obama oder die Europäische Union".

Doch zurück zur Friedensdemonstration am 8.10.: "Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, Jemen, Mali, Ukraine" - alles in einen Topf, alles wegen Rohstoffen und den Interessen der USA und Deutschland immer mittenmang?

"Deutsche Waffen - deutsches Geld, morden mit in aller Welt" - dieser alte Demo-Spruch hat sicher seine Berechtigung, und es gibt viele gute Gründe, gegen deutsche Kriegsbeteiligung und Waffenexporte zu demonstrieren. Dabei sollten die Aktiven sich aber im Klaren sein, dass kein Krieg dieser Welt beendet würde, wenn die Bundesregierung Unterstützung jeder Art umgehend einstellen würde. Auch die Umwandlung der Rüstungs- in zivile Produktion scheitert nicht an der Bundesregierung, sondern vor allem an den Gewerkschaften.

Ein ganz simples Beispiel für das Missverhältnis zwischen Quantität und Qualität, der Anzahl der Arbeitsplätze in dem Bereich und der Stellung, die bundesdeutsche Konzerne in der Sparte Rüstung in der Welt haben, wird bei der geplanten Fusion der Hamburger "Traditionswerft" Blohm & Voss mit der Bremer Lürssen-Gruppe deutlich. Gerade einmal 1.000 Menschen beschäftigt die Hamburger Thyssen-Tochterfirma, die z. B. beim Bau von Kriegsschiffen in einigen Sparten weltweit federführend ist.

Das zeigt, dass es allen Grund gibt, gegen bundesdeutsche Rüstungskonzerne zu demonstrieren. Es zeigt aber auch, dass die Welt ein wenig komplexer ist, als es der Aufruf zur Demo am 8.10. vermuten lässt.

Der Krieg in Syrien lässt sich eben nicht nur durch den Stopp von bundesdeutschen Waffenlieferungen beenden. Selbst dann nicht, wenn in den USA ab morgen kein Auto mehr fahren und kein Plastik mehr produziert würde. Vielmehr muss auch den inhaltlichen Gründen für diesen Konflikt Rechnung getragen und nach politischen, nicht militärischen Lösungsmöglichkeiten gesucht werden - das gilt übrigens auch für den Jemen-Konflikt - in der die Bundesregierung eine positive Rolle spielen könnte.

Das scheint auch den Organisatoren aufgefallen zu sein. Am vergangenen Freitag schoben sie eine Pressemitteilung nach, in welcher der Syrien-Konflikt ausführlich diskutiert und mögliche Lösungsansätze, die zwar in der derzeitigen politischen Situation schwer umsetzbar, dennoch vernünftig und machbar scheinen, genannt werden.

Eine Wahrnehmung des Konflikts als komplexes Problem mit vielen verschiedenen Akteuren: "Auch Russland führt Krieg in Syrien." Wer hätte das gedacht. "Aus eigenen Interessen und zur Unterstützung der syrischen Regierung." Also hat auch das Assad-Regime was damit zu tun. Eine Erkenntnis, die zu akzeptieren manch Friedensbewegtem äußerst schwer fällt.

Frieden à la Bautzen

Diese Pressemitteilung ist inhaltlich eine sehr erfreuliche Entwicklung, in der bundesdeutsche Verantwortlichkeiten in die - teils heftig aufeinanderprallenden - Interessen internationaler Akteure eingeordnet werden. Das Problem indes ist der Mensch. Mal wieder, wie so häufig. Konkret die Liste derer, die den Aufruf unterzeichnet haben.

Da wäre etwa Platz 722 der Liste der Einzelpersonen: "Bautzner Frieden - Für den Frieden, die Menschen und das Leben". Das ist keine Einzelperson, sondern eine Initiative, die dadurch Aufmerksamkeit erregte, dass sie bei einer ihrer montäglichen Zusammenkünfte auch schon mal stadtbekannte Nazis das Mikro überließ:

Der "Bautzner Frieden"-Aktivist Mario Groebe ist in der schillernden Mahnwachenszene kein Unbekannter. Als Moderator der Bautzner Mahnwache fiel er am 26.05.2014 auf, als er zur Problematik Rechts und Links deutlich erklärte: "Es verbindet uns mehr als uns trennt ... Lasst die unterschwellige Kritik gegen links, lasst die unterschwellige Kritik gegen rechts." Unmittelbar danach bat er Peter ans Mikro, dessen Mitarbeit bei der Mahnwache er zuvor ausdrücklich begrüßt hatte. Peter erklärte dann explizit: "Ich bin bekennender Nationalsozialist." (Video, ab 20:15)

In Bautzen sprach man Klartext…

Der "Bautzner Frieden", bekannt für ein "unverkrampftes Verhältnis" zu ortsansässigen Nazis, vergibt auch einen Friedenspreis. 2014 erhielt diesen zum ersten Mal Lars Mährholz, der als unpolitisch geltende Initiator der Berliner Mahnwache für den Frieden.

"Lars Mährholz ist bei weitem nicht so nett, 'unpolitisch' und naiv im Umgang mit den Medien, wie er sich präsentiert", klärte Stefan Lauer im Mai 2014 auf.

Der 34-Jährige war von 2001 bis 2007 Mitglied und Beisitzer im 'Verband Junger Journalisten' (VJJ), der von Torsten Witt gegründet wurde. Witt starb 2010, aber war zu Lebzeiten eine schillernde Figur im rechtsnationalen Milieu. Er durchlief mehrere Parteien und siedelte sich dort immer im jeweils rechten Flügel an. Vor allem interessant ist seine Mitgliedschaft im nationalliberalen Flügel der FDP von 88-97.

Die Berliner Nationalliberalen hatten geplant, die gesamte FDP zu übernehmen und sie zu einer deutschen FPÖ umzubauen. Dieser interne Putsch war nicht erfolgreich und Witt wechselte zum Bund Freier Bürger. 1999 nimmt Witt zusammen mit Horst Mahler (damals noch Anwalt der NPD, heute im Knast wegen Holocaustleugnung und Volksverhetzung) an Demonstrationen gegen die doppelte Staatsbürgerschaft teil und organisiert interessanterweise Montagsdemos. Allerdings nicht für den Frieden, sondern gegen das geplante Holocaustmahnmal.

2004 wollte er schließlich mit seinem VJJ den Deutschen Journalisten Verband Brandenburg übernehmen, indem die eher rechtslastigen Mitglieder des VJJ (inklusive Mährholz) gesammelt in den DJV eintraten und ihn prompt zum Vize-Vorsitzenden wählten.

Stefan Lauer, Vice

Auch Braun nahm den umstrittenen Preis entgegen

Am 30. Januar dieses Jahres wurde Rainer Braun als 2. Persönlichkeit mit dem Bautzner Friedenspreis ausgezeichnet. Er nahm diesen Preis entgegen, machte aber nicht viel Aufhebens darum.

"Dass ein Friedenspreisträger einen Friedenspreis annimmt, um dann darüber tunlichst zu schweigen, kommt nicht alle Tage vor", kommentierte Otmar Steinbiker, Herausgeber des Aachener Friedensmagazins aixpaix.de. Doch Braun wusste laut aixpaix.de warum: "Doch für das Schweigen gibt es triftige Gründe."

Zwar fragt Steinbicker im telepolis-Gespräch (weiter unten): "Wer schaut schon auf Facebook kursierende Videos?". Doch damit können die Aktiven sich nicht herausreden. Von Anfang an nutzten die Mahnwachen munter die Möglichkeit, ihren Aktionsradius mittels YouTube zu erweitern. Immer wieder wurde von Kritikerinnen und Kritikern darauf hingewiesen, dass auf diesen Videos genau die Inhalte und Personen zu sehen waren, für die die Mahnwachen kritisiert wurden. Die Hauptsache-ganz-viele-für-den-Frieden-Apologeten hätten sich diese Videos bloß mal anschauen müssen.

Braun gehört übrigens auch zum Organisations-Team der ebenfalls umstrittenen Kampagne "Stoppt Ramstein". Als Gegenpart dazu gründete sich die Kampagne "Krieg beginnt hier", die eine umfangreiche Kritik an "Stoppt Ramstein" formulierte, und u.a. Braun auffordert, den Bautzner Friedenspreis zurückzugeben:

Zusammenfassend kritisieren wir darin, dass die Kampagne unzureichend und sehr spät mit vielen lokalen Friedensinitiativen in Kontakt trat (Gruppen, nicht nur Einzelpersonen). Zudem wegen ihrer inhaltlichen Einseitigkeit und wegen ihrer Nähe zu 'Montagsmahnwachen", die teilweise offen für rechtsradikale Ansichten und Akteure sind (in Kaiserslautern sogar offen von Nazis als Plattform genutzt wurden.

AGF-Trier

Mit anderen Worten: Die Nähe von Teilen der Mahnwachen-Bewegung zum rechten Spektrum ist vielfach dokumentiert, alle Beteiligten der traditionellen Friedensbewegung hätten es wissen und Abstand von dem Projekt "Friedenswinter" nehmen müssen.

Stattdessen wurden die Aktiven der Friedensbewegung 2.0 weitestgehend in die etablierten Strukturen integriert, und der alte Wein wird am 8.10. in neuen Schläuchen ausgeschenkt. Er wird Teilen genauso sauer aufstoßen wie 2014/15. Nur wenige werden das aber öffentlich äußern.

Beworben wird die Demo vom 8.10. in bewährter Mahnwachen-Manier in "alternativen" Medien wie KenFM, RT deutsch und anderen. Dabei wird mal wieder billigend in Kauf genommen, an der Seite von Rechtsextremen und Neonazis zu marschieren. Zwar werden sie nicht gezielt eingeladen. Aber wer gemeinsame Sache macht mit Organisationen, die wenig Berührungsängste mit Rechten haben, muss damit rechnen, dass diese auch zu überregionalen Aktionen genau das Klientel mobilisieren, das sie auch lokal anziehen.

Das lässt die Frage aufkommen, welche Gemeinsamkeiten es geben kann mit Initiativen und Kampagnen, die Nazis anziehen. Was für ein Frieden das werden soll, für den da am 8.10 in Berlin (gemeinsam) demonstriert wird?

"Die Friedensbewegung befindet sich derzeit in einer Krise" Fragen an Otmar Steinbicker

Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins aixpaix.de.

Den Aufruf zu der Friedensdemo in Berlin am 8.10.2016 haben knapp 200 Initiativen, Organisationen und Partei-Gliederungen, u.a. der Linken, sowie mehr als 1.000 Einzelpersonen unterzeichnet. Ist das repräsentativ für die Friedensbewegung?
Otmar Steinbicker: Das Spektrum der Friedensbewegung ist deutlich größer als die Liste der Aufrufenden. Es bleibt auch abzuwarten, wie viele Menschen wirklich kommen. Ich weiß, dass es auch in unterzeichnenden Organisationen kontroverse Diskussionen gegeben hat. Da werden nicht wenige lieber zuhause bleiben.
Wieso fehlen einige?
Otmar Steinbicker: Aus unterschiedlichen Gründen. Die Friedensbewegung befindet sich derzeit in einer Krise. Die Veranstalter hoffen, mit dieser Demo neuen Schwung in die Bewegung zu bringen. Das überzeugt aber nicht alle. Einige Kritiker sehen darin eine verzweifelte 1980er-Jahre-Nostalgie, andere sehen eine zu einseitige Fixierung auf die USA und die NATO und einen zu unkritischen Blick auf Russland.
Nicht wenige sehen auch eine Anlehnung an den verkorksten "Friedenswinter" 2014, bei dem mit problematischen Mahnwachen und Personen aus dem neurechten Spektrum offen zusammen gearbeitet wurde.
Ließe sich das auf die Formel bringen: Die Einen fehlen, weil die Anderen dabei sind?
Otmar Steinbicker: Das ist sicherlich ein Aspekt, aber nicht der einzige und womöglich auch nicht der Wichtigste.
Im Zusammenhang mit den Montagsmahnwachen für den Frieden wurde an verschiedenen Orten die Offenheit nach rechts kritisiert. So wurde z.B. bekannt, dass im Ruhrgebiet bei den Mahnwachen auch Nazis anwesend waren, in der Lübecker Mahnwache arbeiteten Personen federführend mit, die nachweislich Kontakt hatten zu der Rostocker Neonazi-Szene, und die Friedensmahnwache Bautzen überließ einem stadtbekannten "Nationalsozialisten" das Mikro. Das wurde in einem Video festgehalten. Bautzen ist gerade dieser Tage quasi täglich Medienthema, wegen der rassistischen Übergriffe. Es ist nicht davon auszugehen, dass es in Bautzen zwei Sorten Nazis gibt: die einen, die zu den Friedensdemos gehen, und die anderen, die Flüchtlinge jagen.
Otmar Steinbicker: Diese Problematik ist seit dem "Friedenswinter" 2014 bekannt. Damals wollten leider viele - auch Verantwortliche - aus der Friedensbewegung trotz deutlicher Warnungen dieses Problem nicht sehen. Als bei einer Auswertungskonferenz im Frühjahr 2015 die Rechtstendenzen unübersehbar waren, wurde der "Friedenswinter" kurzerhand für beendet erklärt. Eine kritische Aufarbeitung blieb leider aus.
Eine selbstkritische Position wie "Wir haben da einen deutlichen Fehler gemacht, hatten die Warnungen ignoriert und uns Illusionen über diese Mahnwachen gemacht", wäre hilfreich gewesen und hätte zur Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit beigetragen. So blieb überwiegend peinliches Schweigen aber es gab keine Aufarbeitung. Damit war die Gefahr einer zumindest teilweisen Wiederholung der gleichen Fehler vorprogrammiert.
Die Mahnwache Bautzen war schon im Sommer 2014 bekannt als Rechtsaußen der Mahnwachen-Bewegung. Auch das wurde damals von vielen in der Friedensbewegung nicht beachtet. Wer schaut schon auf Facebook kursierende Videos? Bis heute beachten viele nicht, was in der Mahnwachenszene in Bautzen vor sich geht.
Die Mahnwache Bautzen gehört zu den Initiativen, die den Aufruf unterzeichneten. Ist also damit zu rechnen, dass unter den Teilnehmenden am 8.10. auch Nazis dabei sind?
Otmar Steinbicker: Das würde mich nicht wundern. Da wird wohl keiner dabei sein, der sich ein Schuld umhängt "Ich bin Nazi", aber diese Zielgruppe wird von den Veranstaltern durch Nutzung von "alternativen" Medien wie KenFM, RT deutsch und anderen gezielt beworben. Da darf man sich dann nicht wundern, wenn die auch kommen.
Welche Rolle spielt Ihrer Ansicht nach Rainer Braun? Er nahm einen Preis der umstrittenen Bautzener Friedensmahnwache an. Er gehört sowohl zu den Organisatoren der Initiative "Stoppt Ramstein", als auch zu denen der Friedensdemo am 8.10. in Berlin. Könnte das ein Grund sein, dass einige Personen und Organisationen Abstand nehmen von der Teilnahme?
Otmar Steinbicker: Reiner Braun war der Initiator des "Friedenswinter". In seinem Büro liefen die organisatorischen Fäden der Ramstein-Initiative und laufen die Fäden der Demo am 8.10. zusammen. Reiner Braun erklärte auch bereits im Sommer in Auswertung der Ramstein-Aktion offen, die genannten "Medien" für die Werbung zum 8.10. nutzen zu wollen. Mir ist nicht bekannt, dass es dagegen offenen Widerstand gab. Der "Friedenswinter" und vor allem der "Bautzner Friedenspreis" hat einigen in der Friedensbewegung zu denken gegeben. Einige dürfte das auch von einer Teilnahme am 8.10. abhalten.
Würde Rainer Braun den Bautzener Friedenspreis zurückgeben, wäre das ein Schritt in die richtige Richtung?
Otmar Steinbicker: Bei denjenigen, die das fordern, handelt sich hier um bekannte, seit langem gut arbeitende Friedensorganisationen und -initiativen aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Sie hatten lange vor der Ramstein-Aktion auf die Mitwirkung von Nazis aus der Region an diesem Projekt hingewiesen und deshalb ihre Teilnahme verweigert. Stattdessen orientierten sie auf eine eigene Veranstaltungsreihe unter dem Motto "Krieg beginnt hier". Zeitgleich zur Ramstein-Aktion veranstalteten sie in Trier eine Protestkundgebung zum "Tag der Bundeswehr". Dort war auch ich eingeladen, einen Redebeitrag zu halten.
Die Forderung an Reiner Braun nach Rückgabe des Bautzner Preises ist sicherlich ein Versuch, Reiner Braun zu einer Änderung seiner Haltung zu bewegen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass er ihn zurückgibt. Er weiß wohl auch, dass das ein Dreivierteljahr nach Preisannahme und heftiger Kritik aus der Friedensbewegung das nicht mehr glaubwürdig zu vermitteln wäre.