Der Geist des Museums

Bauen in den Netzen

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Roy Ascott, ein Pionier der Netzkunst, stellt anhand der veralteten Vorstellung und Funktion des Museums die neue Weltsicht der digitalen, immateriellen, interaktiven und flüchtigen Cyberkultur vor. Museen sind Aufbewahrungsorte einer materiellen Vergangenheit, stabile Bauten für eine Dauerhaftigkeit der Tradition, der Gegenstände und der Körper. Sein radikales Manifest einer neuen Kultur richtet sich gegen solche fixierte und in Materialität gegossene Welten und plädiert für lebendige, sich ständig wandelnde, auf die Menschen reagierende und von ihnen beeinflußbare Umwelten. Sie tauchen nicht nur in den Netzen auf, sondern auch in den Themenparks, jedenfalls außerhalb der etablierten Kultur der Alten Welt.

In letzter Zeit war ich in Linz, wo das digitale Museum, das "Ars Electronica Center", das Museum des 21, Jahrhunderts, eröffnet wurde, und in Tokyo, wo das "InterCommunication Center" von NTT so weit ist, die Maschinen aufzubauen und seine Systeme zu installieren. Auch wenn ich an der Gestaltung des AEC ein wenig beteiligt war und auf verschiedene Weisen mit der Gestaltung des ICC zu tun hatte, auch wenn ich von beiden glaube, daß sie sich auf der Höhe der Entwicklung befinden und auf unterschiedliche Weise so fortschrittlich sind, wie dies ein zeitgenössisches digitales Museum sein kann, möchte ich die Diskussion über das Museum ein paar Jahre später ansiedeln, um ein Szenario für die Zukunft vorzustellen.

Dafür gibt es einen pragmatischen und einen visionären Grund. Museen gleich welcher Größe erfordern einen Planungszeitraum von sieben oder mehr Jahren, eine große Investition von Geld, eine fachmännische Ausführung und einen politischen Willen. Ein Museum zu bauen, das nur der Gegenwart dient und die Zukunft nicht antizipiert, ist töricht. Ich werde ein bißchen überheblich sein, wenn ich sage, daß ich die Zukunft gesehen habe - und die Zukunft ist feucht. Sie ist dort, wo sich das Künstliche Leben und das Künstliche Bewußtsein mit unserer eigenen nassen Biologie und unserer telematischen Gesellschaft des Geistes trifft. Deswegen habe ich meine Ausführungen unter den Titel "Der Geist des Museums" gestellt.

Bevor ich jedoch das postmuseale Szenario darstelle, will ich die Frage stellen, was der Raum des Museums gewesen war, bevor es Museen gegeben hat. Das führt uns weit in die Vergangenheit zurück. Ich nehme an, daß es der Ort des kollektiven Gedächtnisses, der Feier oder sogar des Hedonismus, der Ort kreativer Imagination, der Gefahr und des Wagemuts gewesen ist. Es war der Ort der Transformation, besonders der geistigen Transformation, der in Bildern zum Ausdruck kam, die den Körper veränderten. Irgendwann im Laufe der Geschichte hat das Museum, wie ich glaube, dieses Erbe verloren. Es sollte ausschließend, konservativ, sogar vorsichtig werden. Es ging mehr um Gültigkeit als um Wert, mehr um Gewißheit als die Integration des Ungewissen. Das geschah nicht immer und nicht überall. Es schlug jedoch die falsche Richtung ein, als das Museum sich den Werten der alten Industriekultur anpaßte, einer Kultur des Ausschlußes, der Fragmentierung, des vereinheitlichten Selbst, der Angst, der Entfremdung, des exzessiven Individualismus, der Privatheit und der Geheimhaltung, also einer paranoischen Gesellschaft. Hier will ich hingegen das Bild einer neuen Gesellschaft, der vernetzten Gesellschaft mit einer offenen Kreativität und einem auf Zusammenarbeit beruhenden Bewußtsein vorstellen, die das Gegenteil der Paranoia feiert. Das nenne ich Telenoia und meine damit ein umfassendes Bewußtsein.

Das Museum der dritten Art

Ich will von einem Museum sprechen, das sein eigenes Leben besitzt, das selbst denkt, sich selbst ernährt, auf sich selbst aufpaßt, das antizipiert und am Chaos und an der Komplexität der Kultur teilnimmt, das der Welt konstruktive Beiträge gibt. Ich will über ein Museum sprechen, das ebenso emotional wie instrumental, ebenso intuitiv wie geordnet ist. Ich will in den Geist des Museums eintreten, und ich will ein Museum, das in meinen Geist eintreten kann. Ich will einen bruchlosen Austausch zwischen der Imagination und der Poesie des einzelnen Künstlers und der Imagination und Poesie des umfassenden Bewußtseins, der geistigen Gemeinschaft, deren Grundlage das noch unfertige, aber mächtig heranwachsende Internet ist.

Ich will, daß mein neuronales Netzwerk durch Synapsen mit den künstlichen neuronalen Netzwerken des Planeten verbunden ist. Soweit es das Museum betrifft, das sich in der Phase einer großen Ungewißheit oder sogar seiner Verabschiedung befindet, will ich lieber einen Chip in meinem Gehirn als einen in meiner Schulter. Die Erkundung des menschlichen und des künstlichen Geistes, die möglicherweise ohne die Vermittlung von visuellen Formen und Repräsentationen vor sich gehen kann, scheint mir das Projekt der Kultur des 21. Jahrhunderts zu sein. Ich glaube, daß alles, um meine Karten von vorne herein auf den Tisch zu legen, was sich im Bereich der Kunst in diesem Jahrhundert ereignet hat, also die Verbindung einer auf Technik und wissenschaftlichen Metaphern basierenden Kunst mit einer geistigen und konzeptuellen Kunst, uns für den Ernstfall dessen vorbereitet, was ich eine technonoetische Kultur nennen. "Das Spiel der Bilder ist vorbei", sagte Deleuze in seiner Auseinandersetzung mit Nietzsche. Jetzt geht es um begriffliche Strategien, um Ideen und kognitives Verhalten, um die Entstehung eines neuen Bewußtseins.

Das Museum ist jetzt ein mehr oder weniger leeres Zeichen, zumindest in Hinblick auf alles, was die digitale, interaktive, immaterielle und rematerialisierte (damit meine ich das Künstliche Leben) Kunst betrifft. Wir könnten das Wort mit seiner Bedeutung aufgeben oder es zumindest auf seinen eigenen semiotischen Solipsismus zurückführen. Wir können aber auch versuchen, diesem Begriff wieder Kraft zu verleihen, indem wir ihn leicht verändern, um den Übergang seiner Herkunft von der Muse zum Geist (mind) herauszustellen. Wahrscheinlich würde es meine Behauptung trivialisieren, wenn ich das Wort Museum in "Mindeum" umtaufen würde. Aber das Museum muß, um in der entstehenden technonoetischen Kultur bestehen zu können, sich den Strategien des menschlichen Gehirns und seiner Techno-Evolution anpassen. Anstatt unsere Wahrnehmung (perception) zu "schulen", muß sie die Folgen unserer neu erworbenen Fähigkeit der Cyberwahrnehmung (cyberception), die technisch erweiterten Möglichkeiten der Wahrnehmung und der Erkenntnis erlernen. Kurz, das Museum muß intelligent werden.

Ich spreche nicht nur, um nicht mißverstanden zu werden, über eine "intelligente Architektur", über intelligente Schnittstellen, reagierende Innenräume oder interaktive Geräte oder Ausstattungen, so willkommen all dies in der ansonsten riesigen Trägheit unserer zeitgenössischen Museen auch wäre. Ich spreche über das Museum als ein Gehirn, das seine eigene assoziative Gedankenwelt verkörpert, als einen überaus sensiblen Kortex, den man eher einen Cyberkortex nennen sollte, als ein kognitives Netz all der Ideen, Formen, Strukturen und Strategien, die im Zwischenraum, durch das assoziative Denken, durch die Hyperlinks einer tiefreichenden Vermaschung erzeugt werden und die jenen Bereich des Werdens zwischen dem Virtuellen und dem Realen begründen, der unser globales Heim ist.

Ich appelliere hiermit eher an den Pragmatismus als an die Metapher. Wir befinden uns nicht mehr im Bereich des Traums und der Analogie wie beispielsweise bei den großen Visionären Teilhard de Chardin oder Gregory Bateson. Der durch die intensive Hypervernetzung des Geistes der Menschen im Netz entstandene Bewußtseinsraum ist jetzt bereits spürbar ein Teil unserer Wirklichkeit.

Hypervernetzung und die Abkehr vom Materiellen

Wir müssen aufhören, für das Museum zu denken, und zulassen, daß es selbst denkt. Wir sollten uns weniger darum kümmern, was es tun, welche Kunst es enthalten, welche Politik es verkörpern und sogar welche architektonische Form es annehmen sollte, und uns eher damit beschäftigen, welche Kunst, welche Ideen, welche Formen entstehen könnten. Es geht nicht nur darum, daß das Modell des Museums das des Gehirns sein müßte, auch wenn offensichtlich ist, daß es mit unseren geistigen Prozessen die Funktionen des Gedächtnisses, des Denkens, der Realitätserzeugung, der nicht-linearen Erzählung, des Bewußtseins und des Träumens gemeinsam hat. Es geht darum, daß wir unser ganzes Wissen über die Herausbildung von kognitiven Strukturen auf den Bau von Gehirnen anwenden, besonders aber auf jene für die Kultur, und bei der Geburt des Künstlichen Bewußtseins mithelfen müssen.

Dabei sollten wir die Haltung und das Verhalten des Künstlers berücksichtigen, also wie er über die Entstehung einer technonoetischen Kunst nachdenkt, denn seine Rolle geht von einer aktiven zu einer passiven über, während sich die des Zuschauers in der interaktiven Kunst von einer passiven zu einer aktiven Rolle verwandelt hat. Der Künstler nimmt natürlich keine träge Passivität an. Er erwirbt vielmehr, wenn er über das emergente Verhalten des Netzes, die Entstehung neuer Formen und Bedeutungen nachdenkt, die sich in der internen Hypervernetzung der Netze herausbilden, ein dynamisches, volles Bewußtsein, einen Zen-artigen Zustand des Vorbereitetseins an. Hypervernetzt sind nicht mehr nur Menschen, sondern auch künstliche Agenten und sogar Formen Künstlichen Lebens, deren adaptive Komplexität voraussichtlich zu einem künstlichen Bewußtsein führen werden. Es kann gut sein, daß künstlerische Prozesse von künstlichen Agenten und selbstkonstruierten Entitäten ausgehen, die zu künstlichen Identitäten werden, gleich ob in Silizium oder in dem feuchten Bereich des Künstlichen Lebens, wenn es mit unserer eigenen nassen Biologie zusammenwächst.

Myron Krueger war enttäuscht über die Blindheit der Museen gegenüber der frühen interaktive Kunst. Die Museumspolitik hatte durch denselben blinden Fleck die telematische Kunst nicht beachtet, obgleich es Kunst im Netz seit über 10 Jahren gibt. Mindestens seit 1980 haben Künstler mit Computernetzen gearbeitet. Mein telematisches Projekt für das Museum der modernen Kunst, wenn ich mir eine persönliche Bemerkung erlauben darf, "La plissure du texte, A Planetary Fairytale" (Paris 1983), bezog vierzehn Künstlergruppen ein, die über das Netz von Knoten überall in der Welt in einer nicht-linearen Erzählung von einiger Komplexität interagierten. Vielleicht war dies das erste Projekt "verteilter Autorenschaft" auf der Basis von telematischen Medien in der Welt. Zusammen mit Don Foresta und Tom Sherman betreute ich für die Biennale in Venedig 1986 eine große Zahl telematischer und computerbasierter Kunst. In Venedig waren Dutzende von Künstlern und über 100 online beteiligt. Doch kein Museum (natürlich gibt es auch in der Welt der Museen wie in jedem anderen Bereich Ausnahmen, wo die Angst, etwas zu versäumen, zu einem guten Werk führt) übernahm die Verantwortung, diese dynamische, lebendige, sich entwickelnde Kultur seinem Publikum zu präsentieren. Inzwischen entdeckte DIE Öffentlichkeit und das künftige Publikum der Museen, wenn diese wirklich eine Zukunft haben sollten, Spiele und andere Programme auf dem eigenen PC, genauso wie die Menschen ihren Weg in die delirierende Unordnung des Netzes gefunden haben.

Die Rolle, die einige Museen als Spätzünder eingenommen haben, indem sie vorgeben, daß die Website eher die Stimme des Künstlers als das Klingeln ihrer Kassen transportieren kann, ist nicht gerade bewundernswert. Ich fliege nicht davon, ich winke. Ich will dem Museum signalisieren, daß es angesichts der Wirklichkeiten des Cyborglebens und des telematischen Bewußtseins und dem Beginn der technoetischen Kunst aufwachen soll. Die Gestaltung von Websites und Post-Video-Produktion sind nicht genug. Eine radikale Erneuerung, eine visionäre Restrukturierung ist nicht nur eine Möglichkeit, sondern eine Überlebensstrategie. Die erste Art des Museums, in dem diejenigen, die die Zeit hatten, sich mit der Muse beschäftigten, ist vorbei. Das Museum der zweiten Art, in dem die Materialität der Kunst und ihre herrliche und unbeständige Gegenständlichkeit in ihr virtuelles Anderes überführt wird, kann nicht funktionieren. Ich spreche vom Museum der dritten Art, in dem die intime Begegnung des Geistes mit einem anderen Geist, des Kortex mit dem Hyperkortex, des Virtuellem mit dem Wirklichen zu einer Interaktivität auf der Höhe des Geistes führt.

Manche werden zynisch sagen, daß es in der Natur der Dinge liege, wenn das Museum der alten Art stets viele Schritte hinter dem Künstler hinterher hinkte. Urteilsfähigkeit, Auswahl, Abweisung, Übergang, Sichten und Einstufen benötigen Zeit, besonders dann, wenn man keinerlei Vorstellung davon hat, was los ist, wenn man keine Kriterien, keine Werte, keinen konsensuellen Standort gegenüber den neuen digitalen Erscheinungen hat, um sie beurteilen zu können. So groß sind die Verzweiflung, die Verspätung und der Zweifel, die das Museum in unserer relativistischen Zeit überfallen haben.

In Wirklichkeit dachte man schon seit geraumer Zeit, daß für die durchschnittliche, wohlhabende Mittelklasse die Kunst eher eine belohnende Ablenkung war, daß sie einen vielleicht sogar ein bißchen erhöhte und intellektuell erweiterte. Doch in den letzten Jahrzehnten kommen für eine wachsende Öffentlichkeit aus der Wissenschaft mit dem Fortschritt der digitalen Visualisierungstechniken und neuen Modellierungskonzepten sowohl Unterhaltungsangebote auf hohem Niveau als auch einflußreiche Metaphern. In der Kunst selbst hat die Kunstkritik einen Diskurs eröffnet, der mit der Wissenschaft zusammengeht. Niemand kann den Wert und auch die Inspiration in Zweifel ziehen, die für die sich mit Interaktivität auseinandersetzenden Künstler von der frühen Quantenphysik oder von Charles Wheeler oder David Bohm ausgingen. Natürlich waren ihre Ideen in ihrem Kern unerträglich metaphysisch. Anders als die klassische Physik haben sie die Subjektivität in die Physik eingeführt, was sie in ihren eigenen kreativen Prozeß einbegreift. Die Fäden der Wissenschaft und der Spiritualität, der Technologie und des Bewußtseins sind oft so eng miteinander verwoben, daß eine klare Unterscheidung nicht möglich ist.

Während die bildenden Künste unsere Aufmerksamkeit in komplizenhafter Zusammenarbeit mit dem Museum traditionell auf die erscheinende Oberfläche der Dinge und ihrer Repräsentation lenkten, wendet sie sich jetzt dem Unsichtbaren, den generativen Prozessen des Chaos und der Komplexität, dem Bewußtwerden, den Weisen zu, in denen Form und Bedeutung entstehen können. Daher sind postbiologische Systeme, das allgegenwärtige Netz, intelligente Architektur und Künstliches Leben wichtige Elemente in einem neuen Paradigma, das neue Wege für die Entfaltung von Kunst und Wissenschaft eröffnet und neue moralische und ethische Werte für die Welten benötigt, die wir uns vorstellen und vielleicht auch bauen können. Sie fordern auch die scheinbare Unwandelbarkeit der menschlichen Identität heraus und erschließen nicht nur die Perspektive einer persönlichen Selbstverwandlung, sondern auch der Verteilung des Selbst. Unsere Möglichkeit der Telepräsenz im Cyberspace, hier und dort, eigentlich überall gleichzeitig zu sein, bedeutet in Verbindung mit dem Erwerb einer Televoraussicht, also mit der Fähigkeit, etwas schneller zu antizipieren und weiter vorauszusehen, daß wir die vielen Abwandlungen des Selbst, die vielen koexistierenden Selbste befreien und artikulieren können, die das westliche Modell einer einzigen Persönlichkeit so lange verleugnet und verboten hat.

Wenn vor einem Jahrhundert Henri Bergson, der Philosoph des Wandels und des Prozesses, zum Direktor des französischen Museums ernannt worden wäre, würde unsere Diskussion heute nicht stattfinden, sie würde jedenfalls ganz anderer Art sein. Wir hätten ein Jahrhundert der Muse über die Evidenz des "Werdens" erlebt und nicht Sammlungen von ausgedienten Gegenständen. Heute hat Mickey Mouse die führende Rolle bei der Bewahrung der Archäologie der urbanen Kultur übernommen. Jetzt profitiert Europa, das Heimatland des Museums, direkt von der Fürsorge und Zuwendung der Herren Donald Duck und Mickey Mouse, weil sie Frankreich mit dem Privileg eines Disneylandes ausgestattet haben. Genau wie das alte Museum mit seinem Rezept der Schaukästen und Vitrinen, seinen Sockeln und Dioramen sich endlos reproduzierte und den Planeten mit seiner Ideologie der Vergangenheit kolonisierte, ist Disneyland jetzt überall dazu bereit, Mythos und Geschichte wieder aufzuführen. Alles, was es benötigt, ist eine Bevölkerung von Millionen Menschen in einem Radius von zwei Stunden um einen Ort. Ist das gegeben, so ist Disneyland da.

Themenparks als Modell für das Museum der Zukunft

Der Themenpark ist nicht einfach nur zum definitiven Museum des 20. Jahrhunderts geworden, das Museum selbst will jetzt zu einem Mikro-Themenpark werden, indem es sich mit einem Andenkenladen, einem Restaurant, Führungen, kunstvoller Beleuchtung, Effekten und Glanz ausstattet. All das verbirgt lediglich die Tatsache, daß die Vergangenheit nicht re-präsentiert werden kann. Mit der Simulation der Vergangenheit schaffen wir nur eine andere Gegenwart. In diesem Prozeß befriedigt die Simulation mehr als die Repräsentation, weil sie nicht so hart, weil sie weicher und einbeziehender ist. Das Thema eines solchen Freizeitzentrums ist für die Suche nach einer Neudefinition des Museums nicht unwichtig. Es stellt nicht nur Aktivität heraus, sondern all die Vorstellungen des radikalen Konstruktivismus in der Kunst, die mit dem Künstlichen Leben verbündet ist, und die massenhafte Teilnahme an der Schaffung von Bedeutung. Anstatt der Museen müssen wir die Ökologie neu pflügen und neue Metaphern und Hypothesen säen, genau wie wir auf der Suche nach neuen Formen und Strukturen des Verhaltens und der Bedeutung adaptive komplexe Systeme in Bewegung setzen und neue genetische Strategien ausarbeiten müssen.

Aber genauso wie die Kunst in der Vergangenheit sich auf die Autorenschaft konzentrierte (auf die Einwegkanalisierung der Bedeutung), sahen die Museen ihre Aufgabe darin, Autoritäten zu schaffen (ein Einwegsystem der Wertzuweisung und der Wertschätzung). Man stellte sich nicht vor, daß wir an der Schaffung unserer Vergangenheit teilnehmen könnten, sondern daß uns die Vergangenheit das eine oder andere lernen könnte. Es kann ein moralisches Insistieren auf dem Museum geben, das abscheulich ist. Museen waren nicht so sehr mit dem Wahrnehmen als mit Standpunkten beschäftigt. Ich sehe voraus, daß das Musealisieren zu einer veralteten Tätigkeit wird: Wir haben kein Verlangen nach unseren Geschichten und unseren Kulturen, wenn sie von anderen geformt werden, d.h. wir brauchen keine Geschichte, wenn sie uns nicht mit einer Gegenwart ausstattet. Die Geschichte ist ein Medium, keine Botschaft. Durch den Gebrauch des Mediums schaffen wir unseren eigenen Inhalt.

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Was mit unserer gegenwärtigen Befindlichkeit nicht zusammenpaßt, ist nicht so sehr die Macht und die Autorität, welche Museen in die Metaphern und Hypothesen zu investieren suchen, die ihre Sammlungen von Objekten und Exemplaren zum Ausdruck bringen sollen, sondern daß sie überhaupt materielle Artefakte (konkrete Beispiele) präsentieren. Unsere Welt ist zunehmend immateriell. Sie ist ein Szenario in ständigem Fluß mit einer geringen oder keiner übereinstimmungsfähigen Wirklichkeit. Der Planet ist ein dicht geschichtetes, vielfältiges Netzwerk aus interagierenden persönlichen, sozialen, ökonomischen, kulturellen, politischen und geistigen Unterschieden. Nur wenige Hypothesen sind uns mehr als die paar Mikrosekunden gültig, in denen sich ihre Kontexte selbst verändern. Der Wandel ist die Wurzel unserer Befindlichkeit. Alles ist permanent einer veränderten Wahrnehmung, einer neuen Interpretation, einer Neuanordnung, Rekonstruktion, Reformulierung unterworfen.

Anders als ein Schmetterling in einem naturkundlichen Museum werden wir nicht an eine Unterlage gehaftet. Wir widerstehen der Analyse. Der Schmetterling stellt sogar eine nützliche Metapher des gegenwärtigen Bewußtseins dar. Wir fliegen von Metapher zu Metapher, von Standpunkt zu Standpunkt, und lassen uns nur für einen Augenblick nieder. Für uns sind diese allzu soliden Überzeugungen, diese tiefgründigen Visionen des Zeitalters der Vernunft mit ihrer unerschütterlichen Gewißheit und ihrer cartesianischen Vergewisserung nichts. Für uns ist alles Oberfläche, eine Oberfläche auf einer weiteren Oberfläche. Für uns ist auch ein einziger beständiger oder bohrender Blick nichts. Wir haben einen holistischen Blick aus der Vogelperspektive auf Ereignisse und auf uns selbst, sogar auf unseren Körper. Während wir dessen innere Prozesse wahrnehmen können, leben wir immer mehr außerhalb und jenseits des Körpers, da unser Geist jetzt ein voller Geist ist. Das bedeutet nicht, daß wir jetzt den Körper wegwerfen oder uns nicht mehr um ihn kümmern, aber wir akzeptieren nicht mehr seine Definition in der traditionellen westlichen Bedeutung. Aus dem Körper zu fliehen, heißt, aus den Bedeutungen zu fliehen, die er mit sich trägt. Die Technologie der Cyberwahrnehmung veranlaßt uns zu fragen, was der Körper ist, was wirklich seine Grenzen sind. Wenn wir keine Trennung des Materiellen vom Geistigen haben wollen, sollten wir dann nicht neue Metaphern der Verkörperung schaffen? Sollten wir nicht jetzt die Vorstellung des entkörperten Selbst überdenken, um zu einem besseren Verständnis dessen zu gelangen, was wir sind und was wir werden können? Wer wird die Autorität in Anspruch nehmen, den definitiven Körper zu beschreiben?

Wenn der Körper bei einem Großteil des gegenwärtigen digitalen Diskurses in den Vordergrund gestellt wird, dann geschieht dies aus Angst, nicht aus Angst vor dem Verlust, sondern vor der Unsicherheit der Bedeutung. Die materialistische Beschreibung ist unzulänglich. Das wird nicht nur durch die weitgestreute Anerkennung interpersonaler Psychologien oder durch die Faszination an paranormalen, postmodernen Theorien und poststrukturalistischen Philosophien belegt, sondern auch durch neue technische Entwicklungen, durch die Infrastruktur des Netzes, mittels dessen wir die Welt und uns selbst neu sehen, denken und erschaffen. Daher verlassen wir nicht nur unsere Körper und unsere alten Definitionen des "Körpers", sondern wir lassen die Verkörperung als primäres Maß und als Zeichen der Wirklichkeit hinter uns. Durch die telematischen Netze ist unsere Gegenwärtigkeit verteilt. Wir sind gleichzeitig anwesend und abwesend, hier und dort. Es scheint, daß eine verkörperte Repräsentation uns eine entkörperte Rekonstruktion von uns selbst eröffnet.

Welchen Platz in unserem Bewußtsein können in diesem Eintauchen in das Immaterielle, die unsere Kultur der computervermittelten Ereignisse, der Fuzzy Logic, der Prinzipien der Ungewißheit, der Unentscheidbarkeit und des Chaos begründet, die Aufbewahrungsorte von alten Töpfen und Pfannen, Stöcken und Steinen, Knochen und Spielsachen einnehmen? Welche sinnvolle Rolle können in einer immateriellen Kultur das Aufbewahren, die Klassifizierung und Darstellung einer materiellen "Evidenz" vergegenständlichter Hypothesen spielen? Können Spuren nicht in Datenbanken gespeichert werden, um sie bei Bedarf in der Virtuellen Realität zu verwirklichen, wodurch der Benutzer nach seinen Wünschen Zugang zu kulturellen und geschichtlichen Erinnerungen erhält und seine eigenen Assoziationen. Vermutungen, Rekonstruktionen und Bedeutungen erschaffen kann?

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Wir feiern das Ungewisse, den Übergang, die Veränderung. Wir bringen unsere Welt in die Technologien und Systeme des Immateriellen ein, in das Flüchtige und Fliehende, in das Fragmentarische, Geschichtete und Diskontinuierliche. Unsere Hypothesen sind vorübergehend und sie verwandeln sich. Die Kunst beispielsweise ist nicht mehr das Ergebnis einer einsamen, individuellen Perspektive, ein einzigartiges, besonderes oder unterschiedliches Bild der Welt, eine gerahmte und fixierte Finalität der Form oder des Inhalts. Zuviele Codes und Texte überwuchern sie. Das Kunstwerk muß nicht mehr notwendigerweise als ein materieller Gegenstand existieren. Es kann als provisorischer Verbund von Elementen in einem Datenstrom existieren, als vorübergehende "Differenz" im Datenraum, obgleich es stets ein Unterschied ist, der einen Unterschied macht, um Gregory Batesons Formulierung zu verwenden. Die beherrschende Metapher der Kunst geht von der eines Fensters in eine Welt zu der einer Tür in einen durchschreitbaren (Daten)Raum über, in dem wir unsere eigenen gemeinsamen Bedeutungen erzeugen können. In diesem Raum können alle sensorischen Modalitäten beteiligt sein. Bilder, Texte, Töne und Gesten koexistieren in diesem Hypermedium. Wenn man den Datenstrom betritt, dann verändert man ihn. Der Benutzer ist der Inhalt, das Interface erzeugt den Kontext, alles kann immer wieder neu begonnen werden.

Doch innerhalb dieses transzendentalen, körperlosen, geistvollen Szenarios der Bewußtseinstechnologie und der virtuellen Räume sollten wir Mickey Mouse nicht vergessen. In der Alten Welt gibt es die wirkliche Gefahr, daß Europa als ein einziger riesiger Themenpark dargestellt werden könnte, als ein weitläufiger Raum zur Unterhaltung von Besuchern aus dem Rest der Welt - als ein großes, sich von Küste zu Küste erstreckendes Museum verfallender Antiquitäten und kuriosen Charmes: englische Dörfer, französische Kathedralen, bayerische Wirtshäuser und Walzer aus Wien. Die ganze europäische Kultur als Freizeiterlebnis, als totale Unterhaltung. Doch vielleicht ist Europa ein Themenpark, eine Virtuelle Realität, und sind seine Universitäten, Krankenhäuser und Banken nicht mehr als verschlissene Metaphern des Lernens, der Gesundheit und der Ordnung, die kein Realitätsprinzip mehr enthalten. Vielleicht sind sogar diese ewigen Wahrheiten selbst nur einfache sprachliche Konstrukte ohne "wesentliche" Bedeutung oder Wirklichkeit. Wenn alles der Herrschaft des Relativismus unterworfen wird, ist das Leben jeder Metapher begrenzt. Museen helfen uns oft dabei, Metaphern aufzugeben, die ihre Nützlichkeit überlebt haben. Wenn das Aufbewahren, Schützen und Musealisieren einer Metapher zu lange dauert, kann sie zu einer Wahrheit werden, zu einem evidenten Sachverhalt, zum Teil eines Puzzles, das ein Bild vervollständigen kann. Solche Fiktionen sind verführerisch.

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Wissenlandschaften im Netz für ein postbiologisches Zeitalter

Statt Museumgebäude sollten wir Wissenslandschaften anlegen - Gärten von Hypothesen, die man in verschiedenen Maßstäben in und bei Städten finden kann und die sich im Raum zwischen dem Virtuellen und dem Realen befinden. Gärten von Hypothesen könnten überall auf dem Planeten und in unseren Städten im Raum angelegt werden. Sie wären den Kreisläufen des intellektuellen Wachstums und Wandels unterworfen und würden unsere sich verändernden Perspektiven, Werte und Interessen spiegeln. Der Garten der Hypothesen ist für die technoethische Kultur und für die Welt des Künstlichen Lebens und des Künstlichen Bewußtseins, für den Hyperkortex und die menschliche Cyberwahrnehmung, was die neo-georgianischen und Prunkbehälter des alten Museums für die cartesianische Konformität der klassischen Kultur waren.

Innerhalb dieses postbiologischen Rahmens gibt es eine Kunst, die ich sehr bewundere, weil sie Künstliches Leben als einen Kontext behandelt, in dem durch die Interaktion des Betrachters mit dem Werk oder automatisch durch die Interaktion von dessen Elementen und Agenten Formen und Strukturen wachsen können. Christa Sommerer oder Tom Ray sind Pioniere in diesem Bereich.

Beim Künstlichen Leben beschäftigen wir uns mit dem "Leben-wie-wir-es-kennen" in dem größeren Kontext eines "Lebens-wie-es-sein-könnte". Es betrachtet Leben als eher eine Eigenschaft der Organisation von Materie als eine Eigenschaft der organisierten Materie ... Der wichtigste Begriff beim KL ist emergentes verhalten. Natürliches Leben entsteht aus der organisierten Interaktion einer großen Zahl von leblosen Molekülen ohne eine globale Steuerung, die für das Verhalten eines jeden Teils verantwortlich ist. Jeder Teil ist ein Verhalten, und Leben ist das Verhalten, das aus den ganzen lokalen Interaktionen zwischen einzelnen Verhaltensweisen entsteht. Diese von unten nach oben gehende, verteilte und lokale Bestimmung des Verhaltens setzt KL in seinem primären methodischen Zugang zur Erzeugung lebensähnlichen Verhaltens ein.

Christopher Langton

Man wird die Parallelität zwischen Künstlichem Leben und interaktiver Kunst sofort bemerken. In ihrer telematischen Dimension, in der Kunst im Netz, finden wir dieselbe "von unten nach oben gehende, verteilte und lokale Bestimmung" der Kunst "ohne eine globale Steuerung, die für das Verhalten eines jeden Teil verantwortlich ist." Mein Schwerpunkt als Künstler liegt hier, in der Kunst, die ihre Grundlage im Netz hat, in einer felderzeugenden, feldaktiven Kunst, die sich im Raum des Bewußtseins ansiedelt. Wenn ich im Netz arbeite, ist jedes Kabel, jeder Knoten, jeder Server ein Teil von mir. Wenn ich mit dem Netz interagiere, baue ich mich neu auf. Meine "Netzerweiterung" definiert mich genauso wie mich in der alten biologischen Kultur mein materieller Lörper definierte. Ich bin in jedem Sinn gewichts- und dimensionslos. Meine Leidenschaft pflanzt begriffliche Samen ins Netz, die ich wachsen sehe. Ich beobachte das Netz mit einer Zen-artigen Aufmerksamkeit - wie neue Formen entstehen, wie die kreative Energie der Vernetzung neue Ideen, neue Bilder, neues Leben hervorbringt. Emergenz ist die entscheidende Verhaltensweise im Netz und der Schlüssel für das Verständnis, was Kunst im Netz ist.

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Der Weg nach vorne benötigt einen transdisziplinären Diskurs. Genau wie das Netz der Agent dieses Diskurses sein kann, kann Kunst im Netz neue kulturelle Formen einpflanzen, entwickeln und verbreiten. Durch das Netz lernen wir die Zukunft verstehen. Durch das Netz, im Raum zwischen dem Virtuellen und dem Realen, wird sich das neue Museum wie unsere neue Wirklichkeit und unsere neuen Definitionen des Selbst verkörpern und wachsen. Im Netz werden wir die Verhaltensweisen und Verfahren, die Praktiken und Protokolle des Lebens im neuen Jahrtausend zu erleben beginnen.

Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer