Der Große Bruder im privaten Computer

Jetzt dürfen dank FDP und CDU von Nordrhein-Westfalen ausgerechnet die Verfassungsschützer Computer hacken, auch wenn man technisch noch nicht so weit ist und einiger Wirrwarr herrscht

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Abgeordneten der CDU und der "liberalen" FDP haben im Landtag Nordrhein-Westfalens gestern das veränderte Verfassungsschutzgesetz durchgewunken. Der Protest der Opposition war schwach und ist nicht wirklich an die Öffentlichkeit durchgedrungen. Neu ist vor allem, dass nun in Nordrhein-Westfalen der Landtag dem Verfassungsschutz das heimliche Online-Durchsuchen von Computern eröffnet, was die Große Koalition oder zumindest das Bundesinnenministerium auch gerne machen würde, aber erst einmal vom Bundesgerichtshof gestoppt wurde.

Karten Rudolph (SPD) kritisierte das Gesetz: "Das Auslesen von Festplatten" sei "ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte." Das bezeichnete er als "staatlich organisierten Hausfriedensbruch". Für Monika Düker (Grüne) ist die Erlaubnis, heimlich über das Internet in die Computer eindringen zu dürfen, die sich in den Wohnungen befinden, "verfassungswidrig". Tatsächlich steht die Unverletzlichkeit der Wohnung stärker als die Kommunikation unter dem Schutz der Verfassung, was auch erst jüngst vom Verfassungsgericht bestätigt wurde.

Heimliches Beobachten und sonstiges Aufklären des Internets, wie insbesondere die verdeckte Teilnahme an seinen Kommunikationseinrichtungen bzw. die Suche nach ihnen, sowie der heimliche Zugriff auf informationstechnische Systeme auch mit Einsatz technischer Mittel.

Wortlaut des Abschnitts über die Online-Durchsuchung von Computern

Die Befürworter des Gesetzes, das ausgerechnet von dem liberalen Innenminister Wolf durchgesetzt wurde, versuchen, trickreich den vom Grundgesetz Art. 13 garantierten Schutz der Wohnung und damit des vom Verfassungsgericht so genannten "Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung" vor Zugriffen des Staates zu umgehen (Lauschangriff auf Festplatten). Horst Engel (FDP) ist ein solcher Rhetorikexperte, der ausgerechnet den Kritikern vorwirft, sie würden sich an der Quadratur des Kreises versuchen. Für ihn liegt die Lage klar - und vergisst dabei, dass es nicht nur um das Belauschen und Spionieren von Webseiten, Chaträumen oder Foren geht, sondern um das Eindringen in die auf der Festplatte gespeicherten Daten:

Mit dem World Wide Web verlässt man den geschützten Wohnraum für eine unbestimmte Öffentlichkeit. Wenn Sie etwas online stellen, ist das, als ob Sie etwas ins Schaufenster hängen.

Damit wird aber die eigentliche Problematik des Gesetzes - aus Unwissenheit oder mit Absicht - verschleiert. Man hat allerdings den Eindruck, dass viele Politiker nicht wissen, was sie bzw. ihre Kollegen hier machen, und dass auch in manchen Medien Verwirrung herrscht, ob es nun nur um das Hacken von Webseiten oder eben um das Eindringen in Computer geht. Dass sich auf dem Computer in Emails, gespeicherten Dokumenten und anderen Dateien zunehmend mehr höchst persönliche Informationen befinden, kann höchstens Menschen entgehen, für die der Computer lediglich Arbeitsgerät ist, aber nicht wie für viele in der Informationsgesellschaft zum wichtigen Lebensbestandteil gehört.

Das Eindringen in die Festplatten der Computer, die sich in der Wohnung der Benutzer befinden, wird übrigens ausdrücklich in der Begründung zum Gesetz erwähnt und kann eigentlich, sollte man meinen, nicht überlesen werden:

Die zunehmende Kommunikationsverlagerung extremistischer Bestrebungen auf das Internet, insbesondere auf dessen verdeckte oder verschlüsselte Bereiche und die Cyber-Angriffe von Extremisten auf fremde Systeme macht eine wirksame Nachrichtenbeschaffung auch in diesem technischen Umfeld erforderlich. Hierzu soll zukünftig neben der Beobachtung der offenen Internetseiten auch die legendierte Teilnahme an Chats, Auktionen und Tauschbörsen, die Feststellung der Domaininhaber, die Überprüfung der Homepagezugriffe, das Auffinden verborgener Webseiten sowie der Zugriff auf gespeicherte Computerdaten ermöglicht werden.

Innenminister Wolf hob immerhin dieses Mal in seiner Rede vor dem Landtag hervor, dass das heimliche Zugreifen "auf fremde Rechnersysteme" einen "erheblichen Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen" darstellt:

Die Sichtung von Inhalten eines standortunabhängigen PC's, der über Telefonleitungen mit dem world-wide-web verbunden ist, stellt aber keine Wohnraumüberwachung dar, da nicht die typische Lebenssituation der in Art. 13 geschützten häuslichen Gemeinschaft überwacht wird. Auf Grund der Schwere des Eingriffs haben wir als erste Regierung eine ausdrückliche gesetzliche Regelung geschaffen und die konkreten Handlungsbefugnisse im Bereich der offensiven Internetmaßnahmen im Verfassungsschutzgesetz verankert und transparent gemacht.

Wolf stellt die Lage aber dann so dar, als würden für das Eindringen auf Computer dieselben rechtlichen Regelungen gelten, nämlich die Zustimmung der G10-Kommission", wie bei der Überwachung der "Kommunikationsnetze", wobei er hier "Chatrooms, Internettelefonie oder E-Mails" nennt. Die Experten hatten aber bei der Anhörung eben darauf hingewiesen, dass die auf einem Computer gespeicherten Daten eben gerade nicht dieser Zustimmung bedürfen, da hier keine Kommunikation stattfindet. Die Argumentation, dass ein mit dem Internet verbundener Computer alles in die Öffentlichkeit stelle und deswegen auch Artikel 13 GG nicht zutreffe, würde eben das heimliche Durchwühlen von Festplatten ohne Genehmigung durch einen Richter oder die G10-Kommission ermöglichen.

Vor kurzen ist bekannt geworden, dass angeblich auf Bundesebene Sicherheitsbehörden bereits ohne rechtliche Grundlage Online-Durchsuchungen gemacht haben sollen. Berichtet hatte die Süddeutsche darüber zuerst, ohne allerdings einen Hinweis geben zu können, wie das denn technisch gehen sollte. Die grüne Bundestagsfraktion hat nun bei der Bundesregierung nachgefragt und erfahren, dass offenbar in vier Fällen Online-Durchsuchungen beantragt worden waren. Beim vierten Antrag fiel einem Ermittlungsrichter beim BGH auf, dass damit private Computer heimlich, ohne Anwesenheit der Besitzer wie bei einer Wohnungsdurchsuchung und ohne Benachrichtigung der erfolgten Durchsuchung ausgespäht werden können. Allerdings kamen hier dem BGH-Ermittlungsrichter bereits Zweifel, weil es sich weder um eine Telefonüberwachung noch um eine Wohnungsdurchsuchung handelte, im NRW-Gesetz hingegen müssen die Verfassungsschützer nicht einmal eine richterliche Genehmigung haben.

Entgegen vielen Medienberichten habe die Bundesregierung jedoch gegenüber den Grünen zugegeben, dass bislang wohl noch keine Online-Durchsuchung bei den Polizeikräften stattgefunden hat. Bei den Grünen vermutet man wohl richtig, dass dazu die technischen Möglichkeiten auch noch gar nicht vorhanden sind und das Bundesinnenministerium erst nächstes Jahr das Geld dafür hat, entsprechende Techniken und Programme zu entwickeln und "geeignete Hacker" einzustellen. Ob der Verfassungsdienst bereits ohne gesetzliche Grundlage gehandelt hat, weil hier möglicherweise die entsprechenden technischen Mittel vorhanden sind, teilte die Bundesregierung nicht mit.

Die Grünen fordern: "Der Staat darf nicht als Hacker auftreten." Dem sollten sich zumindest die Bundestagsabgeordneten der FDP lauter und deutlicher als bislang anschließen - und auch die SPD wäre gefordert, auf Bundesebene zu verhindern, was - offenbar vom Bundesinnenministerium gedeckt oder gewünscht - schon unter der Hand probiert wurde. Und man sollte wünschen, dass möglichst viele die Telepolis-Autorin Bettina Winsemann alias Twister dabei unterstützen, gegen das NRW-Verfassungsschutzgesetz eine Verfassungsbeschwerde einzureichen.