Der Kongress diskutierte
Über den Out of this world II - Kongress zu Science Fiction, Politik, Utopie
In Kim Stanley Robinsons Mars-Trilogie erstellen die Revolutionäre in großangelegten Endlosdiskussionen die politische und ökonomische Verfassung für einen erdunabhängigen Mars. Bei Out of this world II ging es etwas bescheidener und viel lockerer zu.
Die Verbesserung der Welt
Bremen ist nicht wie Hamburg. Bremen ist kleingemahlen, feingemahlen. Man kommt an und ist gleich da. In diesem Fall auf, im, am Sielwall. Eine bunte und harte Neighbourhood mit Berbern, Dönern, Headshops und bedenklich vielen Heilpraktikern. Am Tagungsort von Out of this world herrscht der diskrete Charme der Antibourgeoisie: Nahezu einhundert Leute, einige davon aus Wien und Kopenhagen, treffen sich und besprechen die Verbesserung der Welt.
Ernsthafte bis drollige Vorschläge aus der ersten Runde: Die freie Software und die Prinzipien, nach denen sie entsteht, müssten die Welt regieren. Oder: Man koppele doch kleinteilige Einheiten von der globalisierten Wirtschaft ab, das fördere die Befreiung im Lokalen. Oder, damit zusammenhängend: Ein anderes, lokales Geld müsse her, das Vertrauen der locals in die selbstverwaltete Münze erzeuge von allein unerwartete Freiheitspotenziale. Es scheint, die Menschen, die solches im Zusammenhang mit Science Fiction sehen, diskutieren gern. Gespräche bis tief in die Nacht, wie früher. Unter anderem mit dem ehemaligen Offizier eines ehemaligen Ost-Geheimdiensts, der mir erzählt, wie es sich so anfühlte in den Steinmühlen des ehemaligen Sozialismus.
Spaziergang den Sielwall hinauf, die Weser. Am Ufer des Flusses ein übriggebliebenes Volksfest, komplett mit Hundescheiße, leeren Bierflaschen und übernächtigten Schaustellern. Auch Alternatives dabei: indianisches Essen, eine Hanfbäckerei, Rastafrisuren. Kleinteilig, bremisch. Auf grüner Anhöhe zur Altstadt hin: das Kriegerdenkmal. Das ist allerdings groß. Die Lügenlyrik der stolzen Niederlage, in Sütterlin:
Und was wir an gültigen Sätzen gefunden
Dran bleibt aller irdische Wandel gebunden
Und unsere Töne, Gebilde, Gedichte
Erkämpfen den Lorbeer im strahlenden Lichte
Was für eine Scheiße. Inmitten der depperten Großmaulereien steht auf einem Betonblock, der von kleinen, zerdrückten Steinlöwen getragen wird, die eigentliche Nachricht:
10000 Männer und Jünglinge zogen aus dieser Stadt in Krieg und Tod
Aber für wen? Und vor allem: Warum? Out of this world! Please!
Science Fiction - politische Utopie
Später habe ich etwas beizutragen zu der Frage, ob die Science Fiction beizutragen hat zur Verbesserung der Welt. Mein Beitrag verneint das. Oder vielmehr antwortet er: Nicht direkt. Die Zukunft ist kein Leibgericht. Ich schreibe keine Kochbücher. Ich gebe ja zu, es ist ein bisschen widersprüchlich. Die Mars-Trilogie von Kim Stanley Robinson könnte meiner Definition nach eigentlich keine echte Science Fiction sein, weil sie eine echte Utopie ist. Das ist aber nicht wahr. Sie enthält sehr wohl einige Rezepte, zum Beispiel das Rezept "Geschenkökonomie" und das Rezept "genossenschaftlicher Sozialismus mit ökologischer Ausrichtung".
Wir stellen fest: Kim Stanley Robinson kann Kochbücher schreiben, die streckenweise begeistern. Ich argumentiere trotzdem gegen eine leichtfertige Verwechslung von Science Fiction und Utopie. (Während ich dies schreibe, wiederum mit dem Rücken zum Kriegerdenkmal, zieht auf der Weser ein Kutter zwei Ruderboote in Stellung, und dann wird nach Wikingerart gerudert, was das Zeug hält. Menschen sind seltsame Wesen und tun seltsame Dinge. Die eigentlichen Aliens sind wir selber).
Frigga Haug, Soziologin und Mitherausgeberin des Historisch-Kritischen Wörterbuchs des Marxismus findet meine Ansichten grottenfalsch. Ich habe ja wohl den Abstand von Science Fiction und politischer Utopie künstlich aufgeblasen und unzulässig verallgemeinert. Planet der Habenichtse von Ursula K. LeGuin zum Beispiel (zuvor inhaltlich vorgestellt von der Soziologin Bianca Gustafson) sei eine gelungene konkrete Utopie, weil wirklichkeitsgetreu, unideologisch, durchdacht, begreifbar. Warum kommt mir die Geschichte trotzdem durchsichtig konstruiert und die Denk- und Erzählbewegung propagandistisch vor?
Rüdiger Haude trägt seine Gedanken zur Herrschaftsfreiheit in sogenannten primitiven Gesellschaften bei. Er regt an, die Science Fiction-Autoren sollten aus dem Studium dieser Gesellschaften utopistische Kreativität für ihre Romane schürfen.
Das Publikum ist von all dem nicht eingeschüchtert, schweigt nicht stille, muss nicht zum Jagen getragen werden, wie so oft. Man bezweifelt, behauptet, belegt. Die Diskussion ist lebhaft, aber völlig frei von der sattsam bekannten Rechthaberei der Linksradikalen. Es ist ein anderer Tonfall, ein anderer Umgang, als ich ihn kenne.
Warum überleben in der Science Fiction starke Frauen selten?
Und wie das so ist bei gelungenen Konferenzen: Eine Pause gibt es nicht wirklich. Beim Frühstück wird viel gelacht über linke Begriffsneurosen von einst ("demokratischer Zentralismus") und die deutsche Kriegerdenkmalskultur von heute.
Am Tagungsort befragen Alexandra Rainer und Andrea zur Nieden die seltsame Tatsache, dass starke Frauen in der Science Fiction selten als solche überleben: Am Ende sind sie meistens klein und schwach. Oder tot. Die These: Nach der Offensive der Frauenbewegung in den 70ern sei die Subkulturindustrie dazu übergegangen, starke Frauen zu zähmen, entweder indem sie im Verlauf der Medienprodukte immer schwächer und handhabbarer würden, oder indem sie beim Kampf gegen eine projizierte monströse Weiblichkeit (bestes Beispiel: das Monster in "Alien") ihr Leben verlören.
Dann ist es vorbei. Ich schultere meinen Rucksack und fahre zum Bahnhof. Im Zug denke ich: Es war so freundlich. In Frankfurt fällt mir ein Bahnbediensteter auf, der allen Ernstes auf seinem Dienstbuch einen Aufkleber der Polit-Punkband Slime spazierenträgt. Man könnte sagen, ein Potenzial sei besser als kein Potenzial.