Der Krieg Europas gegen Flüchtlinge

Seite 2: Trauriger Rekord: Über hundert Millionen Schutzsuchende

All das könnte abgemildert oder gestoppt werden, wie Experten und NGOs nicht müde werden zu betonen: Fähren für Flüchtlinge, faire und klar geregelte Kooperation und Verteilung je nach Kapazitäten über Grenzen hinweg, Abbau der Abschottungsmaßnahmen, keine schmutzigen Deals mit Autokraten, Internationalisierung der Asylverwaltung und der Versorgung der Schutzsuchenden.

Vor allem sollten die Fluchtursachen bekämpft werden. Lippenbekenntnisse dazu gibt es von den Regierungschefs genug, aber keine Taten.

Doch was ist mit der Belastungsgrenze? Gibt es nicht Grenzen der Barmherzigkeit? Die Wahrheit ist: Natürlich könnten wir weit mehr tun, wir verfügen über enorme Möglichkeiten und Ressourcen. Es ist eine Frage des politischen Willens, wie Proasyl richtig feststellt.

Während sich die globalen Flüchtlingszahlen allein in den letzten zehn Jahren verdoppelten und nun die traurige 100-Millionen-Marke geknackt haben, hielten sich im Jahr 2021 rund drei Millionen Asylsuchende und Flüchtlinge in der EU auf.

Und die, die kommen, brauchen unsere Hilfe. Wie schon 2015/2016: Die meisten erhalten auch heute Schutz (72 Prozent Schutzquote), vor allem Syrer und Afghaninnen (beide 100 Prozent Schutz). Es sind also genuine Flüchtlinge. Sie abzuwehren ist am Ende ein Abgesang auf ein elementares, rechtlich verbrieftes Menschenrecht, die Genfer Flüchtlingskonvention.

Zur Erinnerung: Die EU ist Friedensnobelpreisträgerin. Sie sollte sich endlich auch danach verhalten.

97 Millionen Flüchtlinge und Binnenvertriebene sind also nicht in der EU, sondern verbleiben in sogenannten Frontstaaten, wobei es sich überwiegend um Entwicklungsländer handelt, die wegen grassierender Armut und vielen anderen Sorgen kaum in der Lage sind, die vielen Millionen Hilfsbedürftigen zusätzlich zu schultern.

Die meisten Geflüchteten vegetieren dank der "Festung Europa" – und natürlich auch dank "Fort America" – daher in sogenannten "Höllenexperimente", wie eine Arte-Reportage sich einmal ausdrückte, also in menschenverachtenden Lagersystemen, die wie riesige Zeltghettos aus dem Wüstensand und Schlamm erwachsen.

Elend und Flüchtlings-Apartheid sind aber keineswegs alternativlos. Wir zeigen gerade erneut, wie schon bei den DDR- und osteuropäischen Flüchtlingen zu Zeiten der Sowjetunion, dass wir auch anders können.

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine vor einem Jahr sind rund vier Millionen Ukrainer:innen in die EU gelangt und willkommen geheißen worden. In Deutschland hat man ein unbürokratisches Aufnahmeverfahren für sie eingerichtet, abseits der aufreibenden Asylanträge und meist auch jenseits der entwürdigenden, Kriminalität und Gewalt erzeugenden Sammelunterkünfte.

Gut und richtig so. Aber es ist scheinheilig, wenn jetzt plötzlich wieder Flüchtlingspanik geschürt wird, oft aus parteitaktischen Gründen. Und diese Panik ist ganz speziell gegen Afrikaner:innen, Araber:innen und Muslim:innen gerichtet.

Sicherlich, es treten Probleme auf, die Unterbringung von Flüchtlingen muss gestemmt werden, auch, weil jetzt viele Ukrainer:innen versorgt werden müssen. Aber die Probleme sind hausgemacht und künstlich. Es liegt daran, dass die Mittel für die Kommunen künstlich verknappt wurden und weiter werden. Das muss sich schnellstens ändern.

Im Windschatten der politisch gewollten Verknappungspolitik nun wie zuvor Debatten über Grenzsicherung, verschärfte Abschottung, weitere Aushöhlung des Flüchtlingsschutzes (Asylverfahren an die Außengrenze verlegen) und Begrenzungen beim Zuzug anzufachen, ist nicht nur heuchlerisch und löst keines der Probleme, sondern befördert ausschließlich Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Abwehr in der Bevölkerung.

Wollen wir denn wirklich erneut die "Wir"-gegen-"Die"-Rhetorik ankurbeln, wie bei der letzten "Flüchtlingskrise"? Damals wurde mit Bedrohungsszenarien gegen "Menschenfluten" und Überlastung die am Boden liegende AfD in alle Landtage und den Bundestag gespült.

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