Der Krieg Europas gegen Flüchtlinge

Rettungswesten von syrischen Flüchtlingen und ein Gummiboot an der Küste der griechischen Insel Lesbos. Bild: jdblack / Pixabay

Sind Deutschland und EU an der Belastungsgrenze? Nein, Frontstaaten und Schutzsuchende sind es. Was auf dem Flüchtlingsgipfel wieder nicht verhandelt wird.

Die Europäische Union führt Krieg gegen Flüchtlinge. Nicht erst seit heute. Sondern schon lange. Begonnen hat er spätestens mit den militärischen Tragödien auf dem Balkan in den 1990er-Jahren.

Damals wurde das sogenannte Dublin-System aus dem Boden gestampft und der deutsche Asylschutz abgewrackt, inklusive Grundgesetzänderung, um sich gegen die von dort Fliehenden zu "schützen". Seitdem hat Deutschland das restriktivste Asylrecht aller europäischen Staaten.

Damit wurden die Länder an den EU-Außengrenzen verpflichtet, die in die EU kommenden Menschen auf der Suche nach Asyl aufzunehmen, womit man die Flüchtlinge von den wohlhabenden Nordländern mehr oder weniger abhalten und an den Grenzen zermürben konnte.

Zugleich schloss die Union Türsteher-Deals ab, wie mit der Türkei, Libyen und anderen afrikanischen Ländern, während der Weg in die EU durch diverse reale und virtuelle Mauern versperrt und kriminalisiert wurde. Seitdem gibt es praktisch keine sicheren und legalen Fluchtwege mehr.

Angela Merkel brachte als Bundeskanzlerin die Abwehr-Strategie 2009 in einer Rede vor der Bertelsmann-Stiftung auf den Punkt, als sie feststellte, dass sich auch die deutsche Regierung an der "Flüchtlingsbekämpfung" beteilige – es hätte korrekterweise heißen müssen: dass man sie gemäß deutscher Interessen in der EU durchgesetzt habe.

Während Deutschland vom verschärften Dublin-Verfahren in der Folgezeit "profitierte" (durch immer weniger Flüchtlingszuzüge und hohe Ausgleichszahlungen aus den EU-Töpfen gemessen an absoluten Flüchtlingszahlen), schaute die Bundesregierung tatenlos zu, wie der Flüchtlingsschutz in den EU-Hauptaufnahmeländern an der Außengrenze wie in Griechenland und Italien zunehmend erodierte.

Mit den diversen Abwehr- und Abschottungsmaßnahmen hat sich der reichste Kontinent der Welt mit einer halben Milliarde Menschen bis heute relativ erfolgreich, mit ein paar Krisen im Abschottungssystem wie 2015/2016, von einem Großteil der Schutzsuchenden südlich des Mittelmeers isolieren können.

Dabei sollte doch zumindest das Verursacherprinzip greifen. So sind die Anti-Terror-Kämpfe der USA und seiner europäischen Verbündeten im Nahen und Mittleren Osten, der Syrienkrieg und die, auch militärische, Stützung von Diktatoren oder autoritären Regimen durch den Westen verantwortlich für viele Fluchtursachen – siehe die deutschen Waffenlieferungen an die Golfstaaten-Kriegs-Allianz im Jemen. Die Verwüstungen produzierten Flüchtlingskrise über Flüchtlingskrise, während die Mauern Europas immer höher wuchsen.

Auch reale Mauern wurden errichtet, noch bevor Donald Trump ans Werk ging – und dafür vom liberalen Europa mit Schimpf und Schande bedacht wurde. An der Grenze der Türkei zu Syrien und dem Iran verläuft seit 2016 eine hunderte Kilometer lange, drei Meter hohe Betonmauer, auf die ein meterhoher Nato-Stacheldraht gespannt wurde. Die EU stattet die Grenzschützer mit Sicherheits- und Überwachungstechnologie im Wert von 80 Millionen Euro aus.

Es wird an der Grenze misshandelt, getötet und gegen das Flüchtlingsrecht ins Kriegsgebiet zurückgeschoben. Wen juckt das schon in der EU, wer berichtet darüber?

Das Resultat: systematischer Menschenrechtsbruch. Heute werden Flüchtende in Konzentrationslager in Griechenland von der EU festgehalten, trotz heftiger Einsprüche von Menschenrechtsorganisationen. Viele ertrinken im Mittelmeer, Boote werden illegal auf hoher See abgedrängt.

Italiens rechtsextreme Regierung erklärte jüngst den Notstand und machte die Häfen hermetisch dicht. Die anderen EU-Mitgliedsstaaten schauen weg. Währenddessen werden die Leichname von Hilfesuchenden an europäische Strände gespült. Seit 2014 seien, so der UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk, über 26.000 Menschen bei der Überquerung des Mittelmeers ums Leben gekommen oder verschollen.

Mit Sicherheit eine deutliche Unterschätzung des wahren Dramas. Dazu kommen die, die auf anderem Wege auf der Flucht umkommen, in Wüsten verdursten oder Gewalt bzw. Vergewaltigungen erfahren. Das gut recherchierende Projekt „Migrant Files“ geht davon aus, dass von 2004 bis 2019 bis zu 80.000 Flüchtende allein im Meer gestorben sind – dazu käme noch einmal mindestens die gleiche Opferzahl in Folge von Verdursten, Verhungern und Ermordungen.

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