Hybris des Westen: Drei Jahrzehnte Chaos und Niedergang

US-Soldaten im Kampfeinsatz

US-Soldaten im Kampfeinsatz. Bild: Shutterstock.com

USA und Europa verlieren globalen Einfluss, in Afrika, im Nahen Osten und Asien. Sie antworten darauf mit Gewalt und Repression. Ein Rezept für den Untergang.

Nach dem Fall der Berliner Mauer feierte sich der Westen, die USA und Europa, als Sieger der Geschichte. Geschichte wurde in einer Art globaler Selbstermächtigung für beendet erklärte.

Was nichts anderes heißt als: Es gibt keine bessere Welt als die vom Westen erschaffene. Wir sind im irdischen Paradies angelangt. Was die Menschen und insbesondere "der Rest der Welt" außerhalb der reichen Industriestaaten davon hielten, war irrelevant.

Verletzliche Supermacht

Die USA und ihre Nato-Verbündeten erklärten sich zugleich zu Weltpolizisten, die nun ungehindert für Ordnung sorgen würden. Dem Sich-auf-die-Schulterkopfen und Triumphalismus folgten auch Taten. Doch nicht Ordnung und westliche Zivilisation verbreiteten sich damit, sondern was folgte war Blut, Instabilität und Niedergang.

Der erste Golfkrieg und die Militäroperationen der Nato in Jugoslawien ließen schon erkennen, wohin die Reise gehen sollte. Dann kamen die Anschläge vom 11. September 2001.

Es war ein einschneidendes Ereignis. Nach Jahrzehnten, in denen die USA überall auf der Welt mit Gewalt ihren Willen durchsetzen konnten (von Indochina bis Lateinamerika), wurden für einen Moment die Kanonenrohre umgedreht.

Die Vereinigten Staaten von Amerika – eine Insel der Sicherheit, abgeschirmt von den Konfliktherden der Welt, die sie oft selbst antrieben – zeigten sich verletzlich. Es war auch eine narzisstische Kränkung der "einzig verbliebenen Supermacht" auf der Welt.

Das Tor zur Hölle

Die angeschlagene Supermacht mit der mächtigsten Militärmaschine in der Menschheitsgeschichte ließ daraufhin ihre Muskeln spielen. Der Überfall auf Afghanistan zog die US-Truppen in einen blutigen Sumpf und stieß das ärmliche Land vollends in den Abgrund.

Die Irak-Invasion öffnete dann "die Tore zur Hölle" im Nahen Osten, wie es Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Moussa, vorhersagte.

Nach Angaben der Brown University wurden 4,5 Millionen Menschen im Zuge der sogenannten "Antiterrorkriege" getötet, die zugleich immer mehr Terror züchteten.

Dazu kamen Abu Ghraib, Guantánamo, das Wikileaks-Video "Collateral Murder", die darauffolgende Jagd auf Julian Assange sowie insgesamt auf Journalisten, Kritiker und Whistleblower, der Abbau von Bürgerrechten und der Meinungsfreiheit.

Die Weltpolizisten gehen auf globale Streife

Die Weltpolizisten öffneten zugleich eine andere Front. Mit einer ökonomischen Schocktherapie von Privatisierung und Liberalisierungen, angeleitet von US-Beratern, kollabierte die russische Wirtschaft und führte zu einem beispiellosen Rückgang der Lebenserwartung dort. Wladimir Putin erbte diesen gesellschaftlichen Frust und setzte auf Nationalismus und neue Stärke.

Eine ähnliche Politik hatte man in den USA ab den 1970er-Jahren und später auch in Europa bereits durchgesetzt. Mit dem Instrumentenkasten "Washington Konsens" oder "Neoliberalismus" wurden die Demokratien "marktkonform" gemacht.

Die Auswirkungen der Maßnahmen waren in westlichen Industriestaaten zwar nicht derart drastisch wie in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion (da die "Medizin" schonender verabreicht wurde und die Ökonomien viel gefestigter waren). Aber es fand ebenfalls ein schleichender sozio-ökonomischer Niedergang in Form von wachsender Ungleichheit, Ausbreitung von Armut, stagnierende bis sinkende Reallöhne und Abbau des Wohlfahrtsstaats statt.

In den USA ist die Lebenserwartung jetzt sogar so stark wie nie zuvor in den letzten hundert Jahren zurückgegangen.

Die Nato als Krisenbeschleuniger

Gleichzeitig wurde die Nato gegen Versprechen, die man Gorbatschow machte, weiter nach Osten ausgedehnt. Die westliche Militärallianz rückte immer näher an die russischen Grenzen, während Moskau warnte und deutlich signalisierte, dass Georgien und die Ukraine rote Linien seien für ihre eigenen Sicherheitsbedürfnisse.

Das Bündnis erhielt auch den Auftrag, Regionen ökonomisch auf westfreundlichem Kurs zu halten. Der damalige Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer teilte auf einer Nato-Tagung im Juni 2007 mit, dass "die Nato-Truppen Pipelines bewachen müssen, die Öl und Gas transportieren, das für den Westen bestimmt ist". Sie sollen insgesamt die von Tankern genutzten Seewege und andere "entscheidende Infrastrukturen" des Energiesystems schützen.

Doch der Versuch, die Welt mit Druck, Erpressungen und "militärischen Lösungen", manchmal auch mit ökonomischen Anreizen, unter Kontrolle zu bringen, funktioniert immer weniger. Die Unschlagbarkeit des Westens unter Führung der Vereinigten Staaten, die Fähigkeit, dem Rest der Welt seinen Willen mit Verweis auf die militärische und ökonomische Überlegenheit aufzudrücken, erodiert seit Jahrzehnten immer mehr.

Die Kriegsunternehmungen in Afghanistan, Irak, aber auch in Libyen hinterließen Chaos, während die USA gezwungen waren, ihre Truppen am Ende nach langjähriger Besatzung zurückzuholen und den Einflussverlust hinzunehmen.

Durchhalteparolen im Ukraine-Krieg

Doch trotz der offensichtlichen Desaster macht der Westen weiter wie zu Zeiten, als man noch glaubwürdig Dominanz ausüben konnte. Anstatt Konflikte zu deeskalieren, setzt man auf Konfrontation.

In der Ukraine führt man seit dem Sturz der Janukowitsch-Regierung und Maidan-Proteste 2014 de facto einen Stellvertreter-Krieg mit Russland. Diplomatische Lösungen wären machbar gewesen (vor allem, wenn die USA erklärt hätten, die Sicherheitsbedürfnisse Moskaus zu berücksichtigen und die Ukraine nicht in die Nato aufzunehmen).

Nun droht das Ganze nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 in einem weiteren Fiasko zu enden. Die Ukraine ist trotz massiver Unterstützung durch den Westen weit entfernt zu siegen, im Gegenteil.

Trotz der düsteren Aussichten auf dem Schlachtfeld, der Zerstörung der Ukraine, der Tötung von vielen Tausenden Ukrainern, werden in Europa und USA unbeirrt Durchhalteparolen und Siegesstimmung verbreitet. An die Stelle von Realpolitik ist längst Illusionspolitik getreten.