Der Krieg geht vorerst weiter

Hamas lehnt einseitigen Waffenstillstand ab

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Nach drei Wochen Gaza-Offensive verkündete der israelische Premierminister Ehud Olmert gestern Abend eine unilaterale Waffenruhe im Gaza-Steifen. Hamas antwortete darauf mit Mörser-Feuer und Raketenangriffen auf den Süden Israels. Ein anhaltender Waffenstillstand ist nicht in Sicht.

Am Samstag versicherte Premierminister Olmert der Nation vor laufenden Fernsehkameras, dass Israel alle seine gesetzten Ziele und sogar noch mehr erreicht hätte. Die Raketenagriffe der Hamas seien entscheidend zurückgegangen, ihre Infrastruktur und Waffenlager zerstört und die Führung der Terrororganisation würde sich verstecken. „Hamas hatte gedacht, wir würden keine derartige Operation durchführen, aber sie haben sich getäuscht und wurden überrascht von Israels Entschlossenhei.t."

Nun gebe es wieder mehr Sicherheit für den Süden Israels und die Politik der Abschreckung sei gesichert. „Hamas kann für lange Zeit nicht mehr zuschlagen.“ Dank der Militäroperation sei in Zukunft zudem gesichert, dass keine Waffen mehr nach Gaza geschmuggelt werden. Olmert bedankte sich bei der deutschen, italienischen und britischen Regierung, die ihr Verständnis für Israels Recht auf Selbstverteidigung bestätigten und beim Kampf gegen den Waffenschmuggel behilflich sein wollen.

Besonders hervorgehoben wurde der ausscheidende US-Präsidenten George W. Bush für seine uneingeschränkte Unterstützung Israels. Nicht zu vergessen Außenministerin Condoleezza Rice, mit der am vergangenen Freitag noch ein Memorandum unterzeichnet wurde, indem die USA bei der Unterbindung von Waffenschmuggel in den Gaza-Streifen behilflich sein will. Konkret bedeutet das, eine intensivere Kooperation des CIA mit dem Mossad bei der Kontrolle des Gaza-Streifens.

Ehud Olmerts Bemerkungen über das rücksichtsvolle Vorgehen der israelischen Armee dürften in Gaza und anderen arabischen Staaten mit tiefem Ärger aufgenommen worden sein. Israel habe versucht, so Olmert, zivile Opfer zu minimieren, was nicht viele Staaten der Welt so gemacht hätten. „Wir hassen euch nicht in Gaza“, versicherte der Premierminister. „Israel ist nicht euer Feind. Jedes tote Kind ist ein Opfer von Hamas. Hamas ist der Feind.“ Bei über 1.200 Toten, davon über 400 Kinder, wird ihm das, gerade im Gaza-Streifen, niemand abnehmen. Die israelische Armee bombardierte gezielt Krankenhäuser, mehrere Einrichtungen der UN, beschoss Sanitäter und Ärzte (Link auf /tp/blogs/8/121820).

Ebenso ungläubig und kopfschüttelnd dürften viele Olmerts Erklärung vernommen haben, dass die Militäroffensive als ein erster Schritt zum Frieden und einem palästinensischen Staat sein soll. „Israel erinnert an britische und französische Kolonialisten des 20. Jahrhunderts“, meint Abdelhay Moudden Professor an der Universität in der marokkanischen Hauptstadt Rabat. „Einfach mit Gewalt jeder Art von Kritik zu begegnen und mit Hilfe des Militärs koloniale Expansion zu betreiben.“

Hamas ist im Zugzwang

Die Antwort von Hamas auf die von Israel unilateral erklärte Waffenruhe kam wenige Minuten nach dem Ende der Rede des israelischen Premiers. Wie jeden Tag zuvor während des Gaza-Kriegs wurde der Süden Israels mit Raketen beschossen. Hamas lehnt die israelische Waffenpause ab und will weiterkämpfen bis ihre Forderungen nach dem Abzug der israelischen Truppen aus Gaza sowie die Öffnung der Grenzübergänge und dem Ende der Blockade. „Wir werden keinen einzigen Soldaten in Gaza akzeptieren sagte Fawzi Barum, ein Sprecher der Hamas. „Solange die Israelis nicht über die Initiative Ägyptens verhandeln“, erklärte Ahmed Yousef, Hamas-Berater in Rafa, „und immer noch Gaza besetzen, haben wir ein Recht auf Selbstverteidigung.“

Mit Sicherheit hat die islamistische Organisation einen herben Schlag gegen ihre Infrastruktur bekommen, aber der militärische Flügel mit rund 15.000 Kämpfern ist offensichtlich noch immer handlungsfähig und weit von einer Aufgabe entfernt. Die letzten vier Tage versuchte das israelische Militär vergeblich, ins Zentrum von Gaza City vorzustoßen und die Kontrolle zu übernehmen Dort wird, in Bunkern versteckt, die Führung der Hamas vermutet. Vielleicht auch der israelische Soldat Gilad Schilat, der im Juni 2006 von der Hamas entführte wurde. Für ihn dürfte die Lage noch aussichtsloser sein, bald frei zu kommen. Hamas wird für ihn jetzt wesentlich mehr palästinensische Häftlinge fordern, die aus israelischen Gefängnissen entlassen werden sollen. Aber bis es dazu kommt, kann es noch Monate oder sogar Jahre dauern.

Nach der israelischen Waffenruhe ist Hamas in Zugzwang. Ehud Olmert hat bereits angekündigt, jeder weitere Raketenbeschuss oder anderweitige Kampfhandlungen durch die Hamas habe eine Fortsetzung der Offensive zur Folge. Hamas wird kaum klein beigeben und die Bedingungen Israels einfach so akzeptieren. „Hamas muss das Feuer einstellen“, sagte der israelische Premier, „und Gaza verlassen.“ Forderungen eines Siegers, der er eigentlich nicht ist.

Israel wollte Hamas schwächen und in die Grenzen weisen, was militärisch zum Teil auch gelungen sein mag. Nur die Popularität von Hamas ist bisher deutlich gestiegen, gerade unter den Palästinensern. Der von Israel einzig akzeptierte Verhandlungspartner, Präsident Mahmoud Abbas, hat an Glaubwürdigkeit deutlich verloren. Bei einer zukünftigen palästinensischen Regierung der nationalen Einheit könnte Hamas erneut eine entscheidende Rolle spielen. Nach demokratischen Spielregeln würde ihr das auch zustehen. Schließlich hatte sie bei den Wahlen 2006 die Mehrheit der Sitze im Parlament gewonnen. Nur Israel wollte eine Regierung, in der Hamas beteiligt ist, nicht anerkennen.

Eine friedliche Lösung ist durch den Krieg erst einmal wieder in weite Ferne gerückt

Mit Israels Entscheidung, das Feuer einzustellen, ist der Krieg noch lange nicht beendet. Vergangene Nacht gingen die Kämpfe zwischen israelischen Truppen und Hamas sporadisch weiter. Die nächsten Tage vielleicht auch Wochen werden zeigen, ob es tatsächlich bei einer Waffenruhe bleibt.

Erreicht hat Israel mit Gaza-Offensive letztendlich wenig Positives. „ In der Geschichte des Nahost-Konflikts hat Israel so viele Male unilaterale Entscheidungen getroffen", meinte Rami Khouri, der ehemalige Chefredakteur des Daily Stars in Beirut, „und jedes Mal wurde die Situation dadurch schlimmer.“ In Gaza hat sich der jüdische Staat unter der Bevölkerung neue und auch noch erbittertere Feinde gemacht. Die Kinder und Jugendlichen, deren Brüder, Schwestern, Mütter und Väter getötet oder verwundet wurden und heute ihre zerstörten Häuser sehen, sind die nächste Generation von Kämpfern und Selbstmordattentäter. Mütter, die ihre Kinder und Ehemänner verloren, haben bereits geschworen, dass Gott und wer auch immer heftige Rache an Israel nehmen soll.

Israel hat zwar bewiesen, wie fruchtbar und zerstörerisch sein Militär zuschlagen kann, aber eine wirkliche Abschreckungsfunktion hat das nicht. Ihr schlechtes Image aus dem Libanonkrieg mit Hisbollah 2006, als sich die israelische Armee Hunde zurückziehen musste, werden sie nicht mehr los. Der israelische Staat hat sich durch die Angriffe gegen UN-Einrichtungen und unschuldige Zivilisten viele Sympathien international verspielt. Von der öffentlichen Meinung in der arabischen und muslimischen Welt nicht zu reden, die während der letzten drei Wochen oft antisemitische Züge angenommen hat. Die Friedeninitiative und die Einrichtung eines palästinensischen Staates sind jetzt wohl für einige Zeit erst einmal ad acta gelegt. Aber wahrscheinlich wollte man das auch so in Israel, die Brutalität des Vorgehens im Gaza-Krieg legt das nahe.

Israelische Offizielle hatten immer wieder betont, wie friedenswillig man gewesen sei, als man Gaza 2005 mit allen Siedlern verlassen und den Palästinensern eine einmalige Chance gegeben habe. Verschwiegen wird aber, dass nach dem Abzug aus Gaza neue Siedlungen im Westjordanland für ultrareligiöse Israelis gebaut wurden, wo mittlerweile rund 280.000 Siedler leben. Ganz zu schweigen von der anhaltenden Besetzung und Kontrolle des Gaza-Streifens.