Der Man in Black wird 70
Eine Menge Leute sind in den Straßen und Gefängnissen der USA krepiert, seit Johnny Cash vor 45 Jahren seine ersten Hitsingles fliegen ließ...
Am Sonntag im Hamburger Intercontinental Hotel. Interview-Termin mit Folk-Pop-Chanteuse Suzanne Vega. Frage : "Frau Vega, am Dienstag feiert Johnny Cash seinen 70. Geburtstag. Ist das nicht schön?" Antwort: "Johnny Cash? Das war doch der mit "Ring Of Fire", oder?" Man möchte erst weinen und dann alle Suzanne Vega-CDs verbrennen.
Heute, liebe Freunde, feiert Johnny Cash seinen 70. Geburtstag. Das an sich ist schon ein Wunder, denn fast tot war der Mann schon oft. Das zweite Mirakel gesellt sich gleich dazu: Johnny Cash, jahrelang als semi-mumifizierte Country-Ikone in der Pop-Gruft eingelagert, ist seit den ersten - 1994 erschienen - "American Recordings" wieder mordsmäßig aktuell und gerade außerhalb der Country-Szene schwer angesagt. Dieser Tage erleben Country und Singer/Songwriter zudem im Windschatten des schwer gefeierten Songwriters Ryan Adams eine kleine Renaissance. Der deutsche Rolling Stone widmet sich in seiner neuen Ausgabe gleich auf neun Seiten alten und neuen (Alternative) Country-Klassikern. Klar auch, dass anlässlich Cashs Wiegenfests das Feuilleton jeder ernstzunehmenden Tageszeitung mit einer Ode an den Meister aufwartet. Pünktlich zum Jubiläum erschienen außerdem eine Biographie und ein Tribut-Album. Und um die soll es hier gehen.
Das Buch heißt "The Beast In Me - Johnny Cash und die seltsame und schöne Welt der Countrymusik". Das ist schon mal ein feiner Titel, den wir - wie überhaupt das ganze Buch - einem gewissen Franz Dobler zu verdanken haben. Aufmerksame Telepolis-Leser werden sich vielleicht noch an Doblers legendären Artikel erinnern, der vor gut einem Jahr anlässlich Cashs neuen Albums hier erschien ( Vielleicht gibt's keinen Gott: Aber sein ist der beste Sänger). Dobler ist ein recht umtriebiger Mensch, der Artikel schreibt für die Süddeutsche Zeitung und die Junge Welt, der diverse hoch gelobte Kompilationen zusammenstellt für die kleine, sympathische Münchner Plattenfirma Trikont, der Romane schreibt und Sachbücher und sich auf seiner Homepage wie folgt charakterisiert:
Guten Tag, mein Name ist Franz Dobler. Ich bin Schriftsteller und Montags-DJ. Ich bin der darf ich sagen letzte gottverdammte Punkrocker aus meiner Generation in dieser wunderbaren deutschen Literaturszene. WerŽs nicht glaubt, soll Rocko Schamoni oder Peta Devlin fragen. Allerdings bin ich nicht der einzige Punkrocker, der Ž76 keine Ahnung hatte und sich inzwischen gerne mit Countrymusik beschäftigt und schöne Anzüge trägt...
Dieser Dobler also hat ein Buch über Cash und Country geschrieben, was ihm richtig gut gelungen ist. "The Beast In Me" ist nämlich zum Glück keines dieser Plattenlurch-Werke, in denen dem interessierten Laien viel zu viele Jahreszahlen, Veröffentlichungsdaten und Nichtigkeiten zu gemutet werden. Vielmehr hat der Autor nach monatelangem Studium von Platten, Büchern, Artikeln und Internetseiten viel über Cash und Country erfahren und bringt jenes nun dem Leser mit einfacher, fast schnoddriger, zuweilen dezent verschrobener und humoriger Sprache nahe. Wer so richtig Ahnung hat vom Metier, wird sich hier wahrscheinlich langweilen, weil er das meiste schlicht und einfach schon weiß. Allen anderen jedoch, sei dieses Buch ganz dringend empfohlen - so sie denn dem Thema ein Interesse entgegenbringen.
Dobler zeichnet die wichtigsten Stationen von Cashs Leben nach. Er berichtet von Kindheit und Jugend des Meisters, von den ersten musikalischen Gehversuchen, den ersten großen Erfolgen, den suizidären Exzessen, den Drogen, dem Glauben an Gott und dem Vergessen, dem Cashs Karriere in den späten Achtziger Jahren beinahe zum Opfer gefallen wäre. Weil Dobler so stringent und flüssig schreibt, und Cash so aufregend lebte, liest sich das Ganze zuweilen wie eine Abenteuergeschichte. Die jedoch hat einen enormen Bildungswert, denn fast nebenbei erfährt der Leser Wissenswertes über die Welt des Country - wo alles herkommt, was das mit Nashville auf sich hat, warum Willie Nelson als Verräter beschimpft wurde, und warum Country zu unrecht als stock-konservative Volksmusik für rechtsgewandte Rednecks abgestempelt wird. Nach dem Verschlingen dieses 300-seitigen Druckwerkes ist meine Liste der so-schnell-wie-möglich-zu-erwerbenden-Tonträger um mindestens 30 Einträge angewachsen.
Wer es nicht schon vorher getan hat, wird den Man in Black nach der Lektüre lieben. Denn dieser Mann war und ist ein reaktionärer Idealist, einer, der immer seinen Weg ging und hoffentlich noch lange geht - "I Walk The Line". Er hat als einziger Country-Sänger gegen den Vietnam-Krieg protestiert. Er hat auf das Unrecht aufmerksam gemacht, dass den Ureinwohnern Nordamerikas angetan wurde und damit in der Szene heftige Proteste ausgelöst. Er hat legendäre Konzerte in amerikanischen Hochsicherheitsgefängnissen gegeben und sich eine Dekade lang von Amphetaminen ernährt. Er hat als zweiter Künstler überhaupt ein Konzeptalbum aufgenommen und meistens genau das gemacht, wonach ihm der Sinn stand. Nur zu oft hat er damit auf kurze Sicht seiner Karriere geschadet, auf lange Sicht aber Unsterblichkeit erreicht. Johnny Cash ist der Rock'n'Roller unter den Country-Stars. Eine Ikone, ein lebendes Monument. Das alles und noch viel mehr erzählt "The Beast In Me".
Zeitgleich zum Buch erschien das Tribut-Album "A Boy Named Sue - Johnny Cash Revisited" (Trikont/Indigo). Auch hier war federführend Franz Dobler am Werk, der 19 Lieder von ausschließlich deutschen Musikern zusammensuchte, die sich allesamt an Johnny Cash-Songs versuchten. Ein schier wahnwitziges Unterfangen, denn unzählige - anderen großen Künstlern gewidmete - desolate Tribut-Alben machen klar: An den Werken von Ikonen vergreift man sich nicht (man erinnere sich nur an das schaurige Leonard Cohen-Tribut "Tower Of Song"), und wenn doch, dann tut man's mindestens genial. "A Boy Named Sue" kommt dem Ideal recht nah. Die Interpreten werden den meisten Lesern jedoch nicht viel sagen. Immerhin: Der fast-immer-tolle Satiriker Wiglaf Droste ist dabei, Tilman Rossmy (Ex-Chef von Die Regierung) und Musiker aus dem Dunstkreis der Goldenen Zitronen, der Sterne und Fink.
Etwas einfältig wirkt leider "Ring Of Fire", welches die Kingston Cowboys mit Ska bekleckerten. Die Version von Smokestack Lightnin' ist nur wenig besser. Und überhaupt wurde "Ring Of Fire" schon so oft nachgespielt (zuletzt von den grenzdebilen H-Blockx), dass man da echt nicht mehr ran muss. Auch erschließt sich der Sinn nicht so recht, wenn Hack Mack Jackson "Rusty Cage" covern, was Cash seinerseits auf "Unchained" von Soundgarden adaptiert hat, oder wenn Whils recht ideenlos "Thirteen" nachspielen, was Cash von Danzig coverte. Da hätten sich im nicht eben kleinen Cash-Repertoire sicher noch ein paar schöne Originale gefunden. Ganz famos hingegen klingt's, wenn Wiglaf Droste & Das Spardosenterzett "I Won't Back Down" nachmachen. Mensch Droste, was hast du nur für eine grandiose Stimme! Gleiches gilt für das Tilman Rossmy Quartett, das sich am "Orange Blossom Special" versuchte - und besteht. Cow aus Hamburg geben "Jackson" einen frischen Verve, Guz verscheppern "Guess Things Happen That Way", dass es eine Freude ist, und Mann Ohne Schmerzen (namentlich Nils Koppruch und Andreas Voß von der famosen Hamburger Band Fink machen aus dem "Big River" einen träge in den Abgrund fließenden, schmutzigen Strom. Ganz groß, das. Und Cash-Songs funktionieren auch mit Beats und Computer-Geploinks, wie Queen Of Japan und The Bionaut zeigen.
Was "A Boy Named Sue" beweist ist zweierlei. Erstens: Man kann Lieder vom Meister nachspielen, ohne dummdreiste Blasphemie zu betreiben. Zweitens: In Deutschland gibt es massig Musiker, die das drauf haben mit dem Country, Americana - oder wie auch immer man das nennen möchte, was nach Staub, Einsamkeit und Weite klingt. Soviel also zu Platte und Buch.
Und jetzt bitte eine Flasche Whiskey öffnen zu Ehren des Herrn Cash. Und wie es Franz Dobler am Ende seines Buches macht, soll auch hier Wiglaf Droste zitiert werden, der Dobler übrigens förmlich nötigte, das "The Beast In Me" zu schreiben. Also, jetzt der Droste:
Beten gehört nicht zu meinen Gewohnheiten, aber dafür, dass Johnny Cash vielleicht noch eine Platte besingt, kann man ganz eigennützig auf die Knie gehen.
Gala zum 70. Geburtstag von Johnny Cash heute, 20.30 Uhr, München, Schlachthof, Zenettistr. 8 Mit Buch- und CD-Präsentation