Der Militär-Unterhaltungs-Komplex
Militärtechnologie für die Modebranche und Reality-TV von der Front
Am 29. März debütierte "American Fighter Pilot" im US-amerikanischen Fernsehen, eine wöchentliche Reality-TV-Serie direkt von der Front. Damit nimmt der Zusammenschluss der Militär-, High-Tech- und Unterhaltungsindustrie im laufenden Krieg gegen den Terror neue Dimensionen an.
Xybernaut nutzt jedenfalls die Gunst der Stunde. Die Forschung, die das Unternehmen auf dem Gebiet des wearable computing leistet, kann der Terrorismusbekämpfung zu Gute kommen. Vernetzte Cops mit Computer-Chips in den Sonnenbrillen und intelligenten Schlagstöcken sollen das Sicherheitsnetz undurchlässig machen.
Um solchen Ideen Gehör zu verschaffen, so dass früher oder später alle Gesetzeshüter der Nation mit Xybernaut-Technologienm ausgestattet werden, konnte James S. Gilmore gewonnen werden, ehemaliger Governeur des Staates Virginia und Vorsitzender des Kongressberatungsausschusses für Massenvernichtungswaffen und inländische Abwehrmaßnahmen. Laut einem Bericht des Online-Magazins The Register rührte dieser auf einer Experten-Konferenz schon mal kräftig die Werbetrommel:
"Anziehbare Computer sind der beste Beweis dafür, wie Technologie als Teil der US-amerikanischen Anti-Terror-Kampagne mobilisiert werden kann, um für Sicherheit in unserem Land zu sorgen und sogar dazu beizutragen, der globalen Ökonomie zum Aufschwung zu verhelfen."
Wie The Register diesbezüglich anmerkt, verbringt Xybernaut viel Zeit damit, derartige Marketing-Coups zu inszenieren. Dabei wird schon mal in Aussicht gestellt, dass Xybernaut-Technologien demnächst bei Missionen zum Mars eingesetzt werden könnten. Die Ausstattung von Fluglinien-Angestellten zwecks Airport-Security stellte sich allerdings später als voreilige Behauptung heraus. Was The-Register-Journalist Thomas C. Greene zu der Bemerkung veranlasste, "vielleicht sollten Xybernaut-Investoren versuchen, die Firma davon zu überzeugen, das Geschäft zu wechseln und Cutting Edge-Forschung an filmischen Spezial-Effekten zu betreiben. In Hollywood wären ihre Spielzeuge sicherlich ein Hit. Der dortige Markt ist jedenfalls um ein Vielfaches verlässlicher als Missionen zum Mars."
Doch Utopie und Realität haben im Military Industrial Complex sowieso fließende Grenzen. Am seit 1954 mit der Herstellung von technisch innovativen Militärprodukten beschäftigten Soldier System Center in Natick kann man sich zu Gute halten, dem Technologie-Transfer zwischen Armee und zivilen Supermarktketten zu gehörigem Auftrieb verholfen zu haben.
Die Entwicklung von feuerabweisenden und schnell trocknenden Stoffen hat nämlich nicht zu letzt Zukunftskleidung am Natick Center entstehen sehen. Als letzter Schrei gelten derzeit selbsterhitzende Jacken, was den 1966 in San Francisco gegründeten Trekking-Ausstatter North Face nicht lange zögern ließ. Ende letzten Jahres nahm die Kultmarke kurzerhand die so genannte Met5-Jacke ins Programm: Batterie-gestützt und mit feinen Fasern ausgestattet, kann sie für gut zweieinhalb Stunden eine Temperatur von rund 114 Grad Fahrenheit erzeugen. Die für 500 USD angebotenen Space-Age-Parkas waren in kürzester Zeit vergriffen. Von diesem Erfolg beflügelt, sollen dieser Tage weitere am Natick Center in Kooperation mit anderen privatwirtschaftlichen Firmen entwickelte Produkte auf den Markt gebracht werden. Darunter eine USB-Küche, also eine Esszubereitungsstätte, die ihren eignen Strom generiert und ein sogenanntes Pocket Sandwich - Brot, das angeblich gut drei Jahre lang frisch bleiben soll.
Handelt es sich hier um die Begleitmusik zu einem Krieg, der, weil er gegen einen abstrakten Gegner geführt wird, keinen Endpunkt hat, sich also immer länger hinzieht und dementsprechend aufmerksamkeitsfördernde Eingriffe erfordert? "Zeitgeist", ein Roman von Bruce Sterling, gibt darauf zwar keine Antwort, hat aber das passende Szenario zur Hand. Im Mittelpunkt einer in die Schräglage geratenen Welt steht eine fiktive Frauenband namens G7. Zweifellos geht es dieser Kombo darum, die dritte Welt mit schlechtem Sampel-Pop zu dominieren. "Wenn Kulturimperialismus nicht funktionieren würde," so Sterling "dann würde G7 kein Geld machen."
Doch wird nicht nur in Sterlings Romanwelt, in der übrigens auch alle islamischen Länder durch US-amerikanische Popkultur unterjocht wurden, der Military Industrial Complex vom Military Entertainment Complex überschattet. Neuste Entwicklungen auf dem US-TV-Markt sollen nicht nur Unterhaltung im Kriegsformat liefern, sondern auch das an der vordersten Front generierte Informationsvakuum beseitigen. Mit dem Einverständnis des Pentagons haben TV-Sender, darunter CBS und ABC, aufwendige Reality-TV-Formate entwickelt, deren gemeinsamer Nenner ist, dokumentarische Seifenopern von Kriegsschauplätzen zu liefern. Mit Jerry Bruckheimer und Tony Scott konnten Regisseure angeheuert werden, die zwar mit dem Action- und Kriegsfilmgenre durchaus vertraut sind, allerdings mit der Verlegung ihres Arbeitsplatzes in reale Kampfzonen unerforschtes Terrain betreten.
Zuerst wird ab dem 29. März "American Fighter Pilot" einmal pro Woche im US-amerikanischen Fernsehen ausgestrahlt. Aus nächster Nähe sollen dabei Einzelschicksale beleuchtet, aber auch machtpolitische Zusammenhänge des laufenden Krieges aus der Innenperspektive erfasst werden.
Kriegsberichterstattung, die ohnehin seit geraumer Zeit als eine Seifenoper wahrgenommen wird, stößt damit in neue Dimensionen vor. Was bedeutet es für den Journalismus und für die Unterhaltungsindustrie, dass für einen nicht absehbaren Zeitraum Reality TV als exklusive und zudem authentische Informationsquelle von der Front gehandelt wird? Ohne an dieser Stelle über die möglichen Antworten zu spekulieren, lässt sich jedenfalls jetzt schon mit Gewissheit sagen, dass nicht nur das Soldier System Center in Natick eine komplett neue Werbeplattform für seine Produkte erhalten wird.