Der Mythos von den weltweiten Kämpfen

Seite 2: Nutznießer sind am Ende die Rechten

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Am Schluss soll mit Alain Badiou eine kritische Stimme zu der Theorie der weltweiten, führerlosen Aufstände erwähnt werden. Der Frankreich-Korrespondent der Jungen Welt zitiert aus einem kritischen Text Badious:

Dieser sympathische Karneval kann mich nicht beeindrucken. (…) Wir haben auf der einen Seite einen Staat den Notwendigkeiten des weltweiten Marktes unterworfen und auf der anderen eine Protestbewegung populärer Allüre mit vager, schüchterner, nationalistischer Vision, gestrickt aus falschen Parolen, dessen einziger, auf parlamentarischer Ebene organisierter Teil die extreme Rechte ist. (…) Es handelt sich um einen Konflikt, der zwei Protagonisten gegenüberstellt - ohne politische Konsistenz und ohne Träger einer egalitären Zukunft zu sein.

Aus Alain Badiou "Die kommunistische Hypothese", zitiert von der Jungen Welt

Nun kann sicher entgegnet werden, Badiou habe als Teil der traditionellen Linken mit den neuen Bewegungen immer gefremdelt. Doch wenn man das Beispiel Brasilien oder auch Hongkong anschaut, sollte man seine Kritik nicht vorschnell verwerfen. Zumindest sollte klar sein, dass Protestbewegungen, in denen rechte Ideologie von Anfang an toleriert ist, nicht unter das Label globale Bewegungen fallen sollte.

Da ist Dario Azzellini, der seit Jahren über Arbeiterselbstverwaltung forscht, zu loben. Er hat in seinen im letzten Jahr im VSA-Verlag erschienen Buch "Vom Protest zum sozialen Prozess", das Betriebsbesetzungen im Fokus hat, in einer Fußnote klargestellt:1

So gehört das Beispiel des Maidan in der Ukraine, eine Platzbesetzung, die in eine nationalchauvinistische bis faschistische Mobilisierung abkippte, nicht in die Reihe. Gleichheit ist bei aller Unterschiedlichkeit eine der wesentlichen Grundlagen der neuen globalen Bewegung. Rassistische, faschistische oder nationalchauvinistische Parolen waren auf allen anderen Plätzen ausgeschlossen. Am Maidan waren sie von Beginn an (minoritär) präsent und wurden toleriert. Insofern war der Maidan nicht Ausdruck der neuen globalen Bewegung.

Dario Azzellini, Vom Protest zum sozialen Prozess

Es wäre wünschenswert, nach diesen Kriterien auch die Proteste in Hongkong und anderswo zu analysieren, statt in eine Barrikaden-Romantik zu verfallen.