Der Name der Mutter

Bild: © Jürgen Olczyk / Sony Pictures

Stefan Ruzowitzky verfilmt Hermann Hesses "Narziß und Goldmund"

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"Ich möchte nahe bei Gott sein." - "Dafür musst du den Menschen kennen."
Dialogpassage

Ich habe mit diesem Buch der Idee von Deutschland und deutschem Wesen, die ich seit der Kindheit in mir hatte, einmal Ausdruck gegeben und ihr meine Liebe gestanden - gerade weil ich alles, was heute spezifisch 'deutsch' ist, so sehr hasse.
Hermann Hesse

"Nazis in Dortmund" - heutige Schüler bestellten angeblich mehr als einmal diesen Titel beim Buchhändler. Hermann Hesse selbst sagt jetzigen Jugend-Generationen nicht mehr viel. Und wenn, dann nicht immer Gutes. Dabei war Hesse über Jahrzehnte zumindest das: Ein Autor der Jugend, der unreifen Rebellion, der uneingelösten Zukunft gegen die schlechte Gegenwart. Eigentlich ideal für die "Fridays-for-Future"-Generation.

Hermann Hesse mochte das Kino nicht. Er wollte seine Bücher eigentlich nie verfilmen lassen. Vielleicht ahnte der Bestsellerautor, dass sie dem über Generationen andauernden Erfolg vor allem bei jüngeren männlichen Lesern ein Stück ihres Geheimnisses und ihrer Aura nehmen würden.

Mit zwei Ausnahmen in den Hesse besonders zugetanen Hippiezeiten der 1970er Jahre, als man "Siddharta" und "Steppenwolf" verfilmte, und einer überaus nichtssagenden Fernsehverfilmung 2012 haben sich die Hesse-Erben an das Bilderverbot des Erblassers gehalten. Nun aber "Narziß und Goldmund" - ausgerechnet. Ausgerechnet dieser schwierige und spröde Thesenroman.

Narziß und Goldmund (20 Bilder)

Bild: © Jürgen Olczyk / Sony Pictures

Nach einem gescheiterten Versuch, bei dem der inzwischen verblichene Senator-Film-Verleih den Stoff von Florian Gallenberger verfilmen lassen wollte, durfte nun der Österreicher Stefan Ruzowitzky Regie führen. Die Stärken des Films liegen in seiner Ausstattung, Kamera, Montage und in seinen Darstellern. Doch den aus der Zeit gefallenen Stoff selbst vermochten die Macher nicht zu modernisieren. Mit viel Fördergeld ausgestattet, drehte er in vier Ländern, aber über schöne Landschaftsbilder hinaus ist das Ergebnis dieser Verfilmung daher zwiespältig.

Wohlgeformte Damenbrüste und Männerhintern

"Tempest", "Mythos", "Lotus" - so heißen die drei Firmen deren Logos dem Film vorangestellt sind. Und schon sind wir in der Hesse-Welt.

Blauer Himmel, weißer Schnee, aus dem Off gregorianische Choräle - von Anfang an durchzieht diesen Film ein Déjà Vue. Die schönen Burgen mal im Sonnenschein, mal im Schnee, die mittelalterlichen Kostüme und die Tonsuren der Mönche und wohl auch die letztendlich im Guten wie im Schlechten doch sehr europäische Anmutung - immer wieder erinnert dieser Film an einen anderen. An: "Der Name der Rose", die über 30 Jahre alte, immer noch populäre Umberto-Eco-Verfilmung von Jean-Jacques Annaud.

Die Hermann-Hesse-Verfilmung des Österreichers Stefan Ruzowitzky ist ebenfalls eine europäische Großproduktion: Gedreht in vier EU-Ländern, reich und liebevoll ausgestattet, prunkt sie mit vielen Schauwerten und satten Bildern.

Erzählt wird die Jungsfreundschaft zweier Kloster-Novizen, die etwas sehr platt vom Autor Narziß und Goldmund getauft wurden. Der erste ist ein - angeblich selbstbezogener - Bildungsfan und Intellektueller, der andere ein ziemlich geistloser, dafür um so hübscherer Knabe und ein Verführer aller Damen, die bei drei noch nicht auf dem Kirchturm sind. Der eine bleibt im Kloster und lebt in der Spannung zwischen geistlich-geistiger und profaner Welt, der andere "muss" in die weite Welt hinaus, der eine dient Gott und Geist, der andere der Kunst und dem Eros.

Ihr Leben und Streben, auch ihre Abgründe werden hier erzählt, vor allem in Rückblicken - ein Film der Schauwerte von der wohlgeformten prachtvollen grünen Wiese mit roter Mohnblume und weißer Ziege, bis zu den vielen nicht minder wohlgeformten Damenbrüsten und Männerhintern, die hier auch oft genug ins Bild gerückt werden.

Liebe fordert Opfer

Die Darstellung der Kinderzeit ist gut, allerdings wird das Kirchenleben und das Leben im Kloster sehr idyllisch gezeichnet, sieht man einmal von der Prügelstrafe ab: "Ein Esel bekommt die Rute", erfahren wir. Schon hier hat Narziß gegenüber dem oberflächlichen Verführer Goldmund ein spirituelles Charisma: Kaum hebt er bei der Morgenmesse an, die Psalmen zu singen, hören alle zu, wachen alle auf.

Aber um seine Berufung zu vollenden, muss er den weltlichen Freund fortschicken. "Ehrwürdiger Abt, ich kann doch nicht..." Doch, sagt der Abt, "Liebe fordert Opfer."

Historisch und von den Anspielungen her dürfte der Film viele Zuschauer überfordern. Vom manchmal in der Tonmischung verschluckten Dialogpassagen abgesehen: Wer versteht etwa wirklich, dass es sich um die Pest handelt, wenn vom "Schwarzen Tod" die Rede ist? Wer erkennt tatsächlich aus zwei Halbsätzen die Schuldzuschreibung für die Pest an den Juden?

Und ob man versteht, was es heißt, wenn Goldmund eine Kreuzzugs-Chronik schreibt? Den Witz begreift, wenn er sagt: "Vielleicht nicht immerzu töten. Vielleicht aufschlitzen, niederstrecken, massakrieren"?

Peitsche in der Büßerzelle

Einige Parallelmontagen sind gewagt: Als Goldmund von einer Zigeunerin verführt wird, sehen wir zugleich wie Narziß sich in der Büßerzelle auspeitscht, und als er erstmals mit Lene schläft, tut er das mit dem Blick auf die Statue von Narziß.

Sabin Tambrea spielt einen eindringlichen Narziß, dem zwischen Askese und unterdrückter Leidenschaft ein Blick genügt, um alle im Kino zu interessieren. Janis Niewöhner als Goldmund ist der einzige Schwachpunkt: Ein schöner Jüngling, dessen Kussschnute und Hinterteil oft genug vom Film ausgestellt werden, der aber nur zwei mimische Ausdrucksformen kennt.

Das wird aufgefangen durch die Schauspielerinnen, deren es zahlreiche gibt: Die auffällige Elisa Schlott als Künstlerin (und Hieronymus-Bosch-Verschnitt) Julia, Emilia Schüle als ihre eifersüchtige Schwester Lydia und Henriette Confurius, das schönste Barfußmädchen des deutschen Kinos, als Lene. Und ein kurzer prägnanter, kaum zweiminütiger Auftritt von Jessica Schwarz stellt manche andere, die man hier viel länger sieht, mit Links in den Schatten.

Immer wieder gewöhnungsbedürftig ist die Neigung, den zarten Schauspielerhänden dann viel Dreck unter die Fingernägeln zu schmieren, wo er dann offensichtlich angeschminkt herumklebt und den Widerspruch zu den blitzblanken Zähnen nur noch verstärkt.

Was den Film überdies zu einem insgesamt nicht überzeugenden Werk macht, ist auch nicht Ruzowitzkys routinierte Regie, oder sein Drehbuch, das sich immerhin müht, Hesses Vorlage in einen Film zu gießen, und dem arg veralteten Stoff subtil ein paar Gegenwartsbezüge zu schenken - nein, es ist die Hesse-Vorlage selbst.