Der Name der Mutter
Seite 2: Der Karl May unter Bedingungen der Paarungsbereitschaft
- Der Name der Mutter
- Der Karl May unter Bedingungen der Paarungsbereitschaft
- Auf einer Seite lesen
Kann man Hermann Hesse überhaupt heute noch ertragen? Das wird man ja wohl noch fragen dürfen. Das muss man sogar fragen, falls man Hermann Hesse nur aus dieser Verfilmung kennt. Schon literarisch ist das Allermeiste bei Hesse eine Zumutung.
Und vielleicht ist das Beste, was man über diesen Schriftsteller sagen kann, dass er gewissermaßen der Karl May der Pubertät ist, also die Fortsetzung Karl Mays unter Bedingungen der Paarungsbereitschaft. Narziss und Goldmund, das sind gewissermaßen Winnetou und Old Shatterhand mit anderen Mitteln.
Aber nicht nur die schwülstige Tonlage und der Hang zum Konventionellen, Floskelhaften hat sich überholt. Auch die Haltung: Das Verlangen nach dem Identifikatorischen. Die unzähligen Sätze mit Sentenzencharakter, wie sie vielleicht in Literatur-Kalender gehören, aber nicht in gute Romane. Hesse wollte keine Dichtung leisten. sondern Bekenntnis. Schließlich die antidemokratische Grundhaltung mit ihrem Hass auf das "feuilletonistische Zeitalter", ihrer Forderung nach Gefolgschaft, ihrer unpolitischen Innerlichkeit, ganz auf hohem Roß.
Uncooler Charismatiker und hübscher Hallodri
In Zeiten von BRAVO und David Hamilton ("Bilitis") und erst recht dann in den späteren von Pornhub ist das Erregungs- und Irritierungspotential des Romans "Narziß und Goldmund", bei dem sogar der wohlwollende Hesse-Biograf Gunnar Decker von "Peinlichkeit" und "Trash" schreibt, schon fraglos geringer als im Jahr 1930, als der Roman erstmals veröffentlicht wurde, und die Deutschen sowieso schon eine schwere Zeit hatten.
Damals, als man beim Thema Jungs und Jung-sein an den Hohen Meißner ("Wandervögel"), Autoritäten und paramilitärische Männerbünde dachte, war "Narziß und Goldmund" ohne Frage rebellisch, denn die Erzählung zeigte weiche, sensible, in irgendeiner Form angreifbare und mehr auf ihre dummen egomanischen Gefühle hörende junge Männer, das Gegenteil von aller Schneidigkeit und Kruppstahlhärte, wie sie wenige Jahre später Programm wurde.
"Narziß und Goldmund" war auch ein antiautoritärer Stoff. Gerade das betont Uncoole dieses Buchs und überhaupt von Hesses Werk hat viele Nerds aller Zeiten getröstet und es den Hippies so sehr angetan.
Ebenso überholt ist auch das Bild der homoerotisch gefärbten Männerfreundschaft. Die entsprechenden schwulen Untertöne in der Beziehung zwischen Narziß und Goldmund arbeitet der Regisseur elegant und einigermaßen geschmackvoll heraus. Narziß wird als verkappter Homosexueller gezeichnet, der eigentlich in Goldmund verliebt ist, während sich der routinierte Aufreißer und Hallodri Goldmund fortwährend nach neuen Frauen umschaut.
Was dem deutschen Kino dann wieder reichlich Gelegenheit zur geschmacklichen Verirrungen gibt: Denn wo sonst wird eine Sexszene wohl mit dem Satz eingeleitet: "Jetzt zeige ich Dir, wo das Himmelreich wirklich liegt."
Die Tonlage des populistischen Zeitalters: "Vielen Leuten ist es unheimlich, wenn einer allzu geleert ist."
Sehr muffelig riecht auch der kunstreligiöse Schmodder im Zentrum der Geschichte, die Verklärung des Künstlers zu einem Übermenschen: "Alles, alles, nur nicht reich und unfrei sein", jauchzt Goldmund einmal. "Ich hatte noch viel zu wenig erlebt, um ein Künstler sein zu dürfen." Und Narziß antwortet: "Ich muss alles selbst durchmachen. Ihr Künstler lebt im Vollen, ihr dürft erleben und lieben." Oder nochmal Goldmund zum Meister: "Ich habe suchen gelernt bei euch, finden muss ich allein."
Erst recht gilt das für den simplen Gegensatz zwischen Eros und Askese, Intellekt und Gefühl, der in der schlichten Schwarzweiß-Malerei der sogenannten "Lebensphilosophie" der Jahre um 1900 den Geist als Widersacher des Lebens denunziert.
Hier ist der Mensch gefangen im Korsett höherer diffuser Triebe und eines überindividuellen Willens. Ein jeder Mensch "muss" immerfort. Goldmund "muss" Künstler werden, "muss" seine Mutter suchen, Narziß "muss" Gott dienen. All das trägt nicht umsonst inzwischen den Stempel einer hippieesk eingefärbten Heranwachsenden-Literatur, die mit 15 legitim und mit 18 schon unangemessen ist, und es erinnert an jene pubertären Jugendzeiten, die längst in die Scham-Ecken der eigenen Biographie verbannt sind.
Die Frauen sind allesamt für die Story so austauschbar, wie sie es in Goldmunds Leben sind. Warum tragen so viele Vornamen mit "L"? Lise, Lydia, Lisbeth, Lene. Dazu kommt noch die Fixierung von Goldmund auf die Mutter, die er nie kannte und die er nun in seinen ständigen Affairen und Liebeleien "sucht". Das haben Hesse-Biographen schon längst als private Marotte des Autors und missverstandene Freud-Lektüre beschrieben - einem breiteren Publikum erscheint es als recht küchenpsychologische Simplifizierung eines Charakters.
Insgesamt wird das Gleichgewicht zwischen beiden Figuren aber im Drehbuch ausgehebelt und Goldmund sehr klar zur vermeintlich attraktiveren Zentralfigur, zum Helden der ganzen Geschichte - in anti-intellektuellen Zeiten scheint der gutmütige blonde Simpel offenbar zuschaueraffiner. Sich statt mit einem Hallodri ohne Tiefe dagegen mit einem Gottsucher und Mönch zu identifizieren, erscheint ungleich schwerer. "Vielen Leuten ist es unheimlich, wenn einer allzu geleert ist." Das ist die Tonlage des populistischen Zeitalters.
"Narziss und Goldmund" ist eine reichlich naive Geschichte, die uns heute, auch den viel klügeren Kindern der "Fridays-for-Future"-Generation und ihren älteren Geschwistern, den "Millennials", nicht mehr viel zu sagen hat.
Dies vor allem lässt auch Rusowitzkys redlichen, wenn auch schlichten Versuch eines Hermann-Hesse-Updates nicht unberührt.