Der Preis der Billigkeit

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Corona-Soforthilfe: Der Staat als Wohltäter erkaufte die nötige Disziplin der Bevölkerung für den Lockdown: "Bleibt zu Hause! Wir zahlen euren Schaden!" Die Bewilligungsbescheide sprechen eine andere Sprache

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Ich möchte eingangs noch einmal auf den Satz von Frau Merkel zurückkommen, den ich bereits zuvor zitiert habe (siehe: Schockwellenreiter). Die Kanzlerin sagte in der Pressekonferenz vom 06.05.2020:

Die ganze Bundesrepublik ist auf Vertrauen aufgebaut.

Angela Merkel

Vertrauen

Die Kanzlerin verweist auf ein Prinzip, nach dem man "blind glaubt". Vertrauen ist ein Vorschussgeschäft. Vertrauen wird "geschenkt". Seine Ikone ist die ausgestreckte Hand. Wir fühlen erst in den Tagen des Kontaktverbotes, welche weitreichenden Implikationen in der Geste stecken.

Angeblich ist ein Hormon für die Vertrauensbildung im Gehirn verantwortlich. Es heißt Oxytocin und bedeutet "leicht gebärend", "schnell". Wer jedoch allzu schnell Vertrauen gebiert, gilt als vertrauensselig, ergo: dumm.

Denn wer vertraut, macht sich verletzlich. Und das gilt nicht als schlau. Verletzungsgefahr besteht insbesondere, wenn das Vertrauen von der anderen Seite nicht erwidert wird. Wenn man mit Kontrollen überprüft, ob der Vorschuss auf Vertrauensbasis tatsächlich berechtigt war.

Die Kanzlerin verkehrt mit ihrem eingangs zitierten Wort das klassische Bonmot zur Herrschaft durch Kontrolle zunächst einmal recht erfreulicherweise in sein Gegenteil: "Kontrolle ist gut. Vertrauen ist besser."

Sie sagt sogar, die ganze Republik stünde auf diesem Fundament. Alles funktioniert nur, wenn die Bürger dem Staat vertrauen. Doch einen Moment! Gilt das Prinzip Vertrauen nicht wechselseitig und daher auch anders herum? Traut uns der Staat?

Hilfe

Am 30. März hatte ich unter dem Titel "Umbau des Landes im Stillstand" über die Soforthilfe des Bundes berichtet. Der Zuschuss ist finanziell - doch im Sinne des Vertrauens, auf das unsere ganze Republik gebaut sein soll, keineswegs ein Vorschuss.

Warum?

Ich gebe ein Beispiel, das in vielen Bundesländern in ähnlicher Weise Gültigkeit haben dürfte. Im Bescheid der niedersächsischen Nbank ("Wir fördern Niedersachsen") heißt es: "Sie müssen eigenständig prüfen, ob es zu einer sogenannten Überkompensation bei Ihnen gekommen ist".

Die Kontrolle der Berechtigung zum Empfang der Hilfsleistung ist scheinbar an den Empfänger der Mittel abgegeben. Auf der breiten Vertrauensbasis, dem Fundament unserer Republik. Später allerdings kommt die Überprüfung - im Bescheid heißt es dazu: "durch den Niedersächsischen Landesrechnungshof oder dessen Beauftragte, sowie das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung oder dessen Beauftragte". Die Zahl der Prüfer klingt stattlich.

Wer dem Prüfen entgehen will, gibt - so empfiehlt es die Nbank gleich mit der Bewilligung - die Soforthilfe am besten gleich zurück. Und zwar unter dem Verwendungszweck "Soforthilfe Rückzahlung wegen Überförderung".

Dass geprüft wird, ist schon das Einzige, was bislang völlig unmissverständlich kommuniziert wurde. Alles andere bleibt vage oder versteckt sich hinter schwer verdaulichen Termini. Es ist ein heiteres Begriffe- Raten.

Welcher Soloselbständige weiß denn, welche rechtlichen Konsequenzen mit der "Gewährung einer Billigkeitsleistung" verbunden sind? Hat er nicht schon genug damit zu schaffen, dass er in seiner Existenz bedroht ist und deswegen in "Liquiditätsengpässen" steckt, "die durch die Covid-19-Pandemie im Frühjahr 2020 entstanden" sind?

Billigkeit

Billigkeit, ist "ein im deutschen Recht vorkommender unbestimmter Rechtsbegriff, unter dem eine gerechte oder angemessene Anwendung allgemeiner gesetzlicher Bestimmungen im Einzelfall verstanden wird."

Im Zuge einer typischen "Bedeutungsverschlechterung" (ebd.) ist das Wort in seiner Kombination mit "Leistung" zu einem fiesen Beurteilungs-Werkzeug heruntergekommen. Es verweist auf die gesellschaftliche Stellung des Zuwendungsempfängers. Der mit einer Billigkeitsleistung Bedachte erfährt viel über seine eigene Bedeutungsverschlechterung, sprich: Rolle in der Reihe der systemrelevanten oder eben verzichtbaren Akteure unserer Kultur.

In Corona-Hilfe-Zeiten soll der geplagte Soloselbständige die aus Billigkeit gewährte Leistung also auf Aspekte einer "Überkompensation" hin prüfen. Was ist das für eine Situation, in der der Staat seine Hilfe angeboten hat?

Die Einnahmen bleiben aus wegen der Lockdown-Verordnung. Der Soloselbständige, beispielsweise im Kultur- oder Veranstaltungsbetrieb hat keine Wahl. Er darf nicht weiter arbeiten. Sich widersetzen ist bußgeldrelevant. Der Kontostand geht unter null. Wie weiter? Der Staat schlägt vor: schnell und unbürokratisch Soforthilfe annehmen. Eine Art Geldgeschenk? Kann es das geben? In Krisen von Weltmaßstab offenbar: ja!

Auf den Krieg gegen das Virus folgt nun unmittelbar der Papierkrieg. Noch im Schützengraben an der Insolvenzfront müssen Wikipedia und diverse juristische Wörterbücher konsultiert werden, um einschätzen zu können, wie schlecht es dem Soloselbständigen wirklich geht. Oder genauer: Es ist egal, wie es sich für den Betroffenen wirtschaftlich und vor allem: perspektivisch darstellt. Für eine Bewertung des Risikos, die mit der Annahme des "Geschenks" verbunden ist, muss er verstehen, wie die Bank, der Rechnungshof und diverse Ministerien den Fall beurteilen würden.

Die Selbstüberprüfung ist keineswegs freiwillig. "Sie sind verpflichtet, uns unverzüglich über Änderungen, die diesen Antrag betreffen, zu informieren. Insbesondere ist über eine im Nachhinein entstandene Überkompensation (Sie haben mehr erhalten als Sie tatsächlich benötigen) zu informieren."

Von Vertrauen jedenfalls keine Spur mehr.

Immerhin ist das Wort "Überkompensation" erläutert. Nicht erläutert hingegen ist das entscheidende Wort: "benötigen". Wann ist der mutige Kleinstunternehmer nach Meinung der staatlich alimentierten Horden von Prüfern, die dem einzelnen, nicht umsonst als "solo"-selbständig Benannten nun bald gegenüberstehen werden, in Not? Wo beginnt Not? Bei Hunger?

Un-Bürokratie?

Der Wortlaut des Bescheides gemahnt an einen Wirtschaftsförderungsantrag. Einen Antrag auf Soforthilfe aber hätten die Millionen Soloselbständiger und Kleinstunternehmer nie gestellt, wären sie nicht durch die Maßnahmen der Bundesregierung rund um die Viruseindämmung in Schwierigkeiten geraten.

Dieses auslösende Moment tritt angesichts des Auflagenpaketes der "Subvention" deutlich in den Hintergrund. Ob das Virus uns wirklich zum völligen Lockdown zwingt, ist immerhin Gegenstand von laufenden Debatten.

Selbst in der aktuellen Situation hätten viele der in ihrer Existenz bedrohten sicherlich keinen Antrag auf Wirtschaftsförderung gestellt. Wirtschaftsförderung anzunehmen, gilt in der Kleinstunternehmer-Szene als wahnsinnig riskant wegen der unüberschaubaren Folgen. Als Wirtschaftsförderung ist ihnen die "Corona-Soforthilfe" allerdings auch nicht verkauft worden.

Peter Altmaier hatte vollmundig versichert: "Wir lassen niemanden allein."

Wen er schicken will, um unsere Einsamkeit in der unfreiwilligen Isolation zu vertreiben, wird nicht nur aus dem Wortlaut der Bescheide klar, sondern auch, wenn man die Kurzfakten zum Corona-Soforthilfeprogramm des Bundes studiert.

Unter "5. Unbürokratisches Antragsverfahren" heißt es dort: "Das Soforthilfe-Programm verzichtet bewusst auf ein bürokratisches Antragsverfahren, um eine rasche und unbürokratische Auszahlung zu gewährleisten." Nun gut, der Antrag ist leicht. Aber wie steht es mit dem Verwendungsnachweis?

Gleich im nächsten Satz nimmt der Bund Drohhaltung ein. Man versteht plötzlich, was Olaf Scholz meint, wenn er sagt: "Wir gehen in die Vollen.".

Auf knappen drei Seiten taucht das Wort "Betrug" dreimal auf. "Strafverfolgung" wird gleich viermal in Aussicht gestellt. Erhobener kann der Zeigefinger nicht sein! Es klingt, als rede der Staat mit seinen als notorischen Schlawinern bekannten Untertanen:

"Die Angaben zum Antrag müssen aber richtig sein - Falschangaben können den Tatbestand des Subventionsbetrugs erfüllen und zu entsprechenden strafrechtlichen Konsequenzen führen."

In keiner Form ist definiert, was der Bund mit "richtig" meint. Aber es klingt natürlich abschreckend: Subventionsbetrug. Will man als Soloselbständiger gleich mit der Pleite auch noch als Betrüger dastehen?

Es ist wohl für die meisten Antragsteller eine Selbstverständlichkeit, dass man nicht lügt, weder über seine Berechtigung, das Geld zu empfangen, noch über die Umstände der eigenen "existenzgefährdenden Wirtschaftslage". Wer also in Geld schwimmt, sollte nicht noch Corona-Almosen empfangen dürfen. Nachvollziehbar ist auch, dass der Bund mit dem Programm Existenzen erhalten will und deswegen Unternehmen, die bereits vor der Pandemie an der Grenze zur Insolvenz standen, mit diesem Zuschuss nicht retten möchte.

Aber was ist eine "richtige Angabe"? Zahlen oder andere belastbare Kriterien werden nicht genannt.

Es stellt sich somit die Frage: Gilt durch Zahlung der Zuschüsse die im Infoblatt des Bundes genannte "strafbewehrte Versicherung"? Gilt die Selbstauskunft des Antragstellers, dass und inwiefern seine "wirtschaftliche Tätigkeit durch die Corona-Pandemie wesentlich beeinträchtigt und ihre wirtschaftliche Existenz dadurch bedroht ist" als anerkannt? Oder können später noch Konditionen nachgeschoben werden?

Gewinnermittlung

Inzwischen hat sich die gewaltige bürokratische Maschinerie von dem Schock erholt, dass so viel Geld so plötzlich in sie hineingeschüttet wurde, das es genauso blitzschnell weiter zu verteilen gilt. Alle Rädchen des Apparatismus sind wieder frisch geschmiert. Sie lassen die Mittel abfließen nach dem Prinzip, das sie am besten kennen und beherrschen: Gewährung ohne Anspruch.

Die Höhe des Bedarfs legt allein der Staat fest. Keine Ausnahmen von der Regel. Alles wirklich Entscheidende steht in den Allgemeinen Nebenbestimmungen. Undsoweiter undsoweiter.

Nun, da sich die Soforthilfe als klassische Wirtschaftsförderung mit lediglich herabgesetztem Antragsaufwand entpuppt, droht den Bedrohten zusätzlich zum Existenzproblem der ganze Apparat, der ausschließlich auf Kontrolle gedrillt ist. Kontrolle mittels messerscharfer Wendungen, die nur ihren Autoren selbst in der vollen Tragweite bewusst sind.

An diesem Punkt ist wenig geblieben vom Gehalt des Wortes "Hilfe", das im Normalfall eine Form von Zusammenarbeit beschreibt, die dazu dient, einem Mangel abzuhelfen oder eine änderungswürdige Situation oder Notlage zu verbessern.

Irritierend auch, dass der Staat sich selbst mit der Soforthilfe alimentiert. Es steht fest, dass man Teile der Billigkeitsleistung in Form von Steuern zurück zahlen muss:

"Die als Soforthilfe unter den vorstehenden Voraussetzungen bezogenen Billigkeitsleistungen sind steuerbar und nach den allgemeinen steuerrechtlichen Regelungen im Rahmen der Gewinnermittlung zu berücksichtigen."

Schon ist sichtbar: Am Ende werden die Existenzbedrohten so oder so keinen Gewinn aus der Sache ziehen und wieder einmal die "Alleingelassenen" sein, wie der Spiegel am 16.5.2020 mutmaßte: "denn die Hilfsgelder des Bundes sind an Bedingungen geknüpft, die an der Realität vieler Selbstständiger vorbeigehen".

Sorgen macht das wohl niemanden - außer den Betroffenen, die zahllose Petitionen auf den Weg gebracht haben. Petitionen aber sind das Mittel der Machtlosen. Sie fordern die Gnade des Staates, nicht ein Recht.

Auf der Pressekonferenz, in der die Kanzlerin den denkwürdigen Satz über das Vertrauen sagt, kommt schlussrichtig auch das "Wiederaufbauprogramm für die deutsche Autoindustrie" zur Sprache. Den Künstlern verkündet die Kanzlerin, dass sie sie lieb hat ("wir wollen weitestgehend helfen und ihnen sagen, wie wichtig sie für uns sind"), aber der deutsche Wagenbau, der gerade einen echten Betrug hinter sich hat und die Zeichen der Zeit in Sachen E- und KI verschlafen hat, erhält Bares.

Das Wiederaufbauprogramm für die Soloselbständigen hingegen wird zum seelischen Heilumschlag aus warmen Worten. Die Solisten sind und bleiben "Einzeltäter" ohne Lobby.