Der Putsch: Khameneis verspätete Rache?
Der oberste geistliche Führer steht vor einem selbst verschuldeten Scherbenhaufen
Die Rivalitäten zwischen dem obersten Religionsführer Ayatollah Seyed Ali Khamenei und dem Präsidentschaftskandidaten Mirhossein Mousavi Khameneh geht auf die Anfänge der Islamischen Republik Iran zurück. Beide gehörten zu den Führungsmitgliedern der damals neu gegründeten Islamisch-Republikanischen Partei (IRP), wobei Khamenei zusammen mit Ayatollah Mohammad Hosseini Beheschti, Hodschatoleslam Ali Akbar Haschemi Rafsandschani die Führungstroika bildete. Mousavi diente als Chefredakteur des IPR-Organs „Dschomhuri-yeh Eslami“. Die Troika war maßgeblich dafür verantwortlich, dass sich Ayatollah Khomeini am Ende der internen Machtkämpfe auf die Seite der radikalen Mullahs stellte und den damaligen Präsidenten Abol Hassan Bani Sadr im Juni 1981 absetzte. Fast wäre das Trio gänzlich ausgerottet worden. Beheschti fiel 1981 einem Bombenanschlag zum Opfer, Rafsandschani und Khamenei überlebten die jeweils auf sie verübten Anschläge.
Alte Revolutionäre mit alten Rivalitäten
Im Oktober 1981 wurde Khamenei nach blutigen Machtkämpfen und dem gewaltsamen Tod seines Vorgängers Mohammad Ali Radschai zum Präsidenten gewählt. Offenbar hatten Khamenei und Mousavi bereits vorher Differenzen. Khamenis Wunschpremier war Ali Akbar Velayati. Das iranische Parlament, die Madschlis, lehnte ihn ab und Khamenei musste wider Willen den bisherigen Außenminister Mousavi zum Premier vorschlagen, der von der Madschlis bestätigt wurde. Mousavi war schon damals ein Mann des damaligen Parlamentspräsidenten Rafsandschani, nach Khomeini der starke Mann Irans.
Mousavi ignorierte Khamenei oft und erstattete seine Berichte eher Rafsandschani. Nimmt man die damaligen Frontbildungen innerhalb des Regimes ernst, so gehörte Mousavi zum linken und Khamenei zum rechten Flügel der IRP. Am meisten ärgerte Khamenei der wirtschaftliche Kurs Mousavis, der die Organisation der Wirtschaft während des Krieges gegen den Irak durch ein strenges Rationalisierungsprogramm beinhaltete. Der Höhepunkt des Streits war 1985, als sich Khamenei weigerte, nach dem erneuten Gewinn der Präsidentschaftswahlen Mousavi der Madschlis wieder als Premier vorzuschlagen.
Der gewiefte Politiker Rafsandschani, der deutlich höheren Kredit bei Ayatollah Khomeini hatte, bewirkte, dass dieser ein klares Machtwort sprach und Mousavi de facto wieder einsetzte. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre änderte sich an den Differenzen zwischen Khamenei und Mousavi nichts. Durch die Rückendeckung Rafsandschanis und Khomeinis konnte Mousavi sich immer durchsetzen. Khomeini hat sogar zuweilen öffentlich Khamenei gerügt, sodass er „Reuebriefe“ schreiben musste, was eine große Demütigung war. Khamenei hat das alles nicht vergessen. Die Wunden von einst brachen nach 20 Jahren wieder auf.
Zweifellos können die heutigen heftigen Auseinandersetzungen im Iran infolge der strittigen Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni nicht eins zu eins mit den Ereignissen der 80er Jahre verglichen werden. Die jüngsten Krise wird auch über das Schicksal der beiden alten Rivalen und ihre Fehde aus den 80er Jahren entscheiden. Die damaligen Rivalitäten haben zumindest zum besseren Verständnis der heutigen Krise beitragen können.
Es geht heute um die Aufrechterhaltung des Systems der „absoluten Herrschaft des Rechtsgelehrten“ (Velayat-e Motlaqeh-e Faqih), die nun mit dem Antritt der beiden Reformkandidaten Karubi und Mousavi bei der Präsidentschaftswahl in Gefahr geraten ist. Es geht ebenso um viele Pfründe, die ihren Nutznießern verlorengehen können. Denn die Revolutionswächter (Sepah-e Pasdaran), die Stütze Ahmadinedschads und des konservativen Verbandes des Klerus, haben sich seit Ahmadinedschads Amtsantritt auch ökonomisch zu einem ökonomischen Giganten verwandelt. Dennoch ist Khamenei kein Handlanger der Sepah.
Wechselseitige Abhängigkeit zwischen Sepah und Religionsführer
Khamenei ist nicht nur eine Person. Er ist das Zentrum eines „Sammelbeckens der Macht“, sagt der Islamwissenschaftler und Politikanalytiker Mehdi Khalaji aus dem Washington Institute for Near East Policy in einem Interview mit der Deutschen Welle zu Recht. Er hat am 15. Juni über die jüngsten Ereignisse im Iran einen Artikel in der Washington Post verfasst.
Khamenei ist der Koordinator zwischen polizeilich-militärischen Zellen, religösen Institutionen, konservativem Verband der Geistlichkeit und wirtschaftlichen Cliquen außerhalb der Regierungskontrolle. Die Sepah-Kommandeure verfügen ohne ihn über keinen ideologischen Protektor und können keineswegs eigenständig notwendige Verbindungen zu den übrigen Koordinaten dieses „Sammelbeckens“ herstellen. Ohne ihn ist die Verbindung zu den „gläubigen Untertanen“ bzw. den „unbekannten Soldaten des Imam Mahdi“ in der Gesellschaft nicht möglich.
Diese, ebenso auch ranghohe Getreue, bezeichnet man heute im Iran „die mit dem System der Velayat-e Faqih verschmolzenen Anhänger“. Wer heute im Iran die Rolle der Sepah weit über die Khameneis stellt, verkennt die komplizierten Machtverhältnisse. „Er ist ohne sie (Sepah-Kommandeure) ein Nichts und die Kommandeure ohne ihn nichts. Er ist genau so sehr Geisel der Sepah wie Sepah sein Geisel“, so Mehdi Khalaji.
Mousavis Erfolgschancen bei den Präsidentschaftswahlen würden die Position des „Sammelbeckens der Macht“, zu deren Eckpfeilern Khamenei und Sepah gehören, spürbar schwächen. Das Gerede über Mousavi als „Mann des Systems“, der für das Regime keine Bedrohung darstellen könnte, erwies sich spätestens nach den jüngsten Ereignissen als haltlos. Bereits Mousavis (und auch Karubis) Wahlprogramme haben das gesamte „Sammelbecken“ zum Zittern gebracht. Anders lässt sich der Putsch nicht erklären. Richtig ist, dass Mousavi, falls man ihn ins Präsidentenamt gelassen hätte, sehr viel Zeit und Verhandlungen mit Khamenei gebraucht hätte, um seine Wahlversprechen mühsam verwirklichen zu können, wobei dahingestellt bleibt, wie viele davon. Sollten die Reformer aus dem Machtkampf erfolgreich hervorgehen, muss Khamenei mit Mousavi verhandeln und versuchen, ihn in seinem Reformeifer zu bremsen.
Tödlicher Fehler
Irans Religionsführer Ayatollah Ali Khameni hat am vergangenen Samstag mit seiner überhasteten Bestätigung des strittigen Wahlausgangs einen tödlichen Irrtum begangen. Es könnte sein letzter sein. Das ungeduldige geistliche Oberhaupt hat nicht einmal die gesetzliche Frist für die Einreichung der Beschwerden der Kandidaten und die Bestätigung des Ergebnisses durch den Wächterrat abgewartet.
Ein Spezifikum der iranischen Gesellschaft ist die rasante Entwicklung von Ereignissen, die schlagartig eintreten. So hat 1978/79 niemand auch nur im Traum einige Monate vorher den Sturz der Monarchie erahnen können. In Teheran wird nun im Kreis des Establishments nervös darüber beraten, wie man eine völlig unnötig selbst heraufbeschworene Krise meistern kann. Hinter verschlossenen Türen beraten ebenfalls die Sepah-Kommandeure, wie sie mit der zugespitzten Lage verfahren wollen. Noch hat sich Sepah zurückgehalten. Stattdessen wüten die Basidsch-Militionäre unter dem Volk.
Wo steuert der Iran hin?
Es sieht so aus, dass die beiden „unterlegenen“ Reformkandidaten Mousavi und der Geistliche Karubi keineswegs von ihrer Forderung, der Annullierung der Wahl, abweichen wollen. Die beiden als Saubermänner geltenden Reformer sind gestandene Politiker der ersten Stunde der Islamischen Republik. Zumindest bis jetzt haben sie sich durch Mut und Unnachgiebigkeit ausgezeichnet. Das hatten sich viele Iraner vor allem vom Ex-Reformpräsidenten Mohammad Khatami gewünscht.
Nun steht Ayatollah Khamenei vor einem selbst verschuldeten Scherbenhaufen. Kommt es zur Annullierung und einer Wiederholung der Wahlen, ist der überwältigende Sieg Mousavis so gut wie sicher. Irans Präsident hat verfassungsrechtlich keine entscheidenden Kompetenzen, die stattdessen beim Religionsführer liegen. Doch unter den nun geschaffenen Rahmenbedingungen wird Khamenei, der stark an Legitimität stark eingebüßt hat, mit einem entschlossenen, populären und moralisch sehr starken Präsidenten konfrontiert sein. Mousavis Spielraum für die Realisierung seines demokratischen Wahlprogramms wird erheblich größer. Dabei hat es noch am vergangenen Freitag nicht danach ausgesehen.
Mousavi genießt zusätzlich zur Unterstützung hochrangiger populärer Politiker des Landes auch den Beistand von etlichen anerkannten großen Ayatollahs, die sich nun zuhauf zu Wort melden. Das ist mithin ein „Verdienst“ Ahmadinedschads, der in seinem Wahlkampf mit der öffentlichen Diffamierung gegnerischer Geistlicher wie Rafsandschani und den traditionell-konservativen Ayatollah Ali-Akbar Nateq Nuri samt Familie eine „rote Linie“ überschritt.
Ein Enthüllungsbrief einiger Beamter des Innenministeriums, die kurzfristig als Mitglieder der Wahlkommission ausgetauscht wurden, enthüllt die Dramatik des Vorganges, was die Wähler zusätzlich in Rage brachte. Demnach soll der Ultrakonservative Ayatollah Mesbah-Yazdi, der wichtigste Mentor Ahmadinedschads, im Führungszirkel des Innenministeriums gesagt haben, dass Betrug und Fälschung des Ergebnisses bei den Wahlen sogar Pflicht seien, um einen dem Westen freundlichen Kandidaten am Wahlgewinn zu hindern.
Es sieht so aus, als ob das Regime den Weg der Niederschlagung des Protestes nicht aus den Augen verloren hat. Landesweit werden Berichte von Straßenschlachten zwischen Demonstranten und der Basidsch-Miliz gemeldet. Die Zahl der Toten steigt und vom Schicksal zahlreicher verhafteter prominenter Reformpolitiker weiß niemand. Sie werden anscheinend an geheimen Orten gefangen gehalten. Der beliebte junge Geistliche Mohammad Ali Abtahi, ehemaliger Stellvertreter Khatamis wurde ebenfalls am Dienstag verhaftet. Dabei wird vor unlauteren Mitteln nicht zurückgeschreckt. Die Frau des Vorsitzenden des „Absolventenzweigs des Büros zur Festigung der Einheit“, Dr. Ahmad Zaidabadi, teilte mit, die Sicherheitskräfte hätten als Postboten geklingelt und ihren Mann mitgenommen.
Derweil hat Ayatollah Khamenei mit der Anordnung einer Überprüfung der Stimmauszählung zurückgerudert. Es könnte zu spät sein. Wenn Mousavi und Karubi die Straße nicht unter Kontrolle bekommen, könnten sich die Forderungen der Demonstranten radikalisieren. Als der Schah im Herbst 1978 die „Stimme des Volkes erhörte“ und sich zu umfassenden Reformen bereit erklärte, wollte man fortan nur noch eins: „Der Schah muss weg.“ Anders als die kaiserliche Armee und Polizei, die auch vom Schah höchstpersönlich permanent angehalten wurden, kein Blutbad unter dem Volk anzurichten, sind Sepah und Basidsch für ihre Skrupellosigkeit bekannt.
Die religiös-ideologisch motivierte Kommandeure und die mittleren Ränge der Sepah haben viel zu verlieren, und bis die Mannschaften überzeugt werden können, von einem sinnlosen Blutvergießen abzusehen, kann es viel Opfer geben. „Wir werden jede orangene Revolution im Keim ersticken“, so der Kommandeur des Politbüros der Sepah, Jadollah Dschavani. Wenn das Regime den Mob, die oben erwähnten „im System der Velayat-e Faqih verschmolzenen Anhänger“ mobilisiert und auf die Straße schickt, wofür vieles spricht, dann muss Gott den Iran und die Iraner beschützen.
Vorhersagen über die Politik im Iran waren immer schwierig. Vieles hängt von der Entschlossenheit der führenden Reformpolitiker ab. Mousavi hat schon einmal während des Iran-Irak-Krieges (1980-88) sein kompetentes Management des Staates und der Gesellschaft unter Beweis gestellt. Würden Karubi, Khatami und alle andere prominenten Reformer samt ihren Anhängern mitziehen? Die beiden haben derweil die erneute Stimmenauszählung abgelehnt und insistieren auf der Annullierung der Wahl.
Rafsandschanis Rolle
Rafsandschanis Rolle dürfte auch nicht unterschätzt werden. Wenn es nachgewiesen wird, dass sich Ayatollah Khamenei wissentlich gegen das Votum des Volkes gestellt hat, hat er seine Kompetenz als Religionsführer überschritten. Der Expertenrat, der für Wahl- und Abwahl des Religionsführers zuständig ist, könnte tätig werden. Ihm steht der gewiefte Rafsandschani vor. Noch hält er sich auffällig zurück. Die Konfrontation mit dem Religionsführer und Ahmadinedschad, die die mächtigen Revolutionswächter und Basidsch-Miliz auf ihrer Seite haben, könnte ihn und auch andere selbst physisch gefährden. Das wird auch dann eintreten, wenn das Regime erfolgreich die Krise in den Griff bekommen könnte.
Die Ära Ahmadinedschad nähert sich dem Ende. Der Iran darf jedoch jenseits der inneren Krise seine Außengrenzen nicht außer Acht lassen. Benjamin Netanjahu hat immer die Lösung des Palästinakonflikts mit dem Ende des iranischen Nuklearprogramms verknüpft. Sein jüngster Vorstoß hinsichtlich der Gründung eines palästinensischen Staates hat ihm, trotz seiner einseitig diktierten Bedingungen, sehr viele Pluspunkte beschert. Die Tumulte im Iran könnten die Gelegenheit sein, mit wenig Aufsehen die iranischen Atomanlagen zu zerstören.
Schon einmal hat ein Likud-Premier im Juni 1981 die Wirren des Iran-Irak-Krieges am Persischen Golf genutzt, um auf dem Höhepunkt des Krieges die irakische Nuklearanlage in Osirak zu zerstören. Auch damals, im Zeitalter des Kalten Krieges, war der Angriff nicht risikolos. Mit einer Obama-Administration würde solches Abenteurertum schwierig, Möglich ist es dennoch.