Der Raum ist selbst ein Akteur des großen Schauspiels!

Seite 2: "Jenseits des Mondes ist nichts mehr von der Menschheit detektierbar"

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Ich komme nochmals auf unseren unverwüstlichen und omnipräsenten Stephen Hawking zurück, der ja schon seit einigen Jahren explizit davor warnt, starke Radiosignale als Kosmogramm ins All zu senden. Damit könnte man böse Geister heraufbeschwören und eine kosmische Büchse der Pandora öffnen, so sein Einwurf. Diese Diskussion ist in SETI-Kreisen derzeit sehr populär. Was halten Sie von dieser Debatte?

Ulrich Walter: Ich halte diese Debatte für Nonsens. Ja, wir senden Signale aus. Das stimmt zweifelsfrei. Aber wie weit reichen solche Signale denn ins All? Reichweite definiert sich nicht allein durch das Abstandsgesetz, sprich dem 1/r²-Gesetz. Dieses besagt, dass die Signalstärke eines Radiosignals invers mit dem Quadrat des Abstands zur Quelle abnimmt.

Bleibt die Frage, wann das Signal zu guter Letzt im kosmischen Rauschen untergeht. Wann wird die Signalstärke geringer als das galaktische Rauschen, das es überall im Universum gibt? Die Antwort ist: Sieht man einmal von starken Pulsen wie das Arecibo-Signal ab, dann versanden unsere Radio- und Fernsehsignale bereits in Mondnähe. Jenseits des Mondes ist nichts mehr von der Menschheit detektierbar.

Stephen Hawking mit dem damaligen NASA-Chef Charles Bolden. Bild: NASA

Ich möchte jetzt bewusst einen Gedankensprung machen und Ihre Meinung über die seit einigen Jahren populären Pre-Big-Bang-Modelle in Erfahrung bringen, von denen die Stringtheorie die bekannteste ist. Vor dem Hintergrund, dass das Urknall-Modell mit den besten Indizien aufwarten kann, stellt sich die Frage, welche Chancen derlei alternative theoretische Konzepte haben, sich später einmal zu etablieren.

Ulrich Walter: Nun, die von Albert Einstein kreierte Allgemeine Relativitätstheorie ist eine klassische Gravitationsfeldtheorie, also keine Quantentheorie, womit sie auch keine Quanteneffekte berücksichtigen kann. Daraus folgt zwangsweise, dass unser isotrop expandierendes Weltall beim Big Bang in einer Singularität entstand. Eine Singularität ist ein strukturloser 0-dimensionaler Punkt und kann daher nur ein Bit Information tragen: Entweder er ist da oder nicht da. Aber mit einem Bit können sie nicht die gesamte Information des komplexen Universums darstellen. Und deshalb können wir niemals aus unserem komplexen Universum durch eine Singularität in eine eventuelle Vergangenheit zurückschauen. Wir werden daher gemäß der Allgemeinen Relativitätstheorie niemals in Erfahrung bringen, ob und was "davor" war.

Jetzt stellt sich die Frage: Wie verheiratet man die Einstein'sche Feldtheorie mit dem Wissen, dass es beim Urknall Quanten gegeben hat? Egal wie die richtige Quantengravitationstheorie aussieht, sie muss den Zustand des Urknalls als einen extrem kleinen, dichten, gekrümmten, aber endlich großen Raumbereich beschreiben. Erst die genaue Quantengravitationstheorie wird uns sagen können, wie die Information des Universums, die nun wesentlich größer als ein Bit sein muss, dort aussah. Und erst wenn wir das wissen, dann könnte es sein, dass die Stringtheorie als möglicherweise richtige Quantengravitationstheorie ein eventuelles Universum "davor" beschreibt.

Kann ich also mit der heute zur Verfügung stehenden Information durch den Urknall nach hinten extrapolieren, um zu eruieren, ob und was "davor" war? Die Antwort ist: Solange wir keine Quantengravitationstheorie haben, ist das mit der heute bekannten Einstein'schen Relativitätstheorie nicht möglich.

Albert Einstein in Barcelona. Aufnahme aus dem Jahr 1923. Seine 1905 publizierte Spezielle Relativitätstheorie kollidiert nicht mit der Inflationstheorie. Bild: Public Domain

Sie gehen recht detailliert auf die Inflationsphase ein, der zufolge sich das All unmittelbar nach dem Urknall binnen eines winziges Zeitraumes überlichtschnell ausgedehnt hat. Tatsächlich kollidiert die überlichtschnelle Expansion des Universums nicht mit der von Albert Einstein 1905 postulierten Speziellen Relativitätstheorie, da diese nur eine überlichtschnelle Bewegung im Raum verbietet. Der Raum selbst jedoch vermag sich überlichtschnell auszudehnen, weil er weder mit Information noch Masse beschwert ist. Das kommt dann doch für manche Leser sehr überraschend.

Ulrich Walter: Wenn man einmal verstanden hat, dass sich Raum und Materie gegenseitig bedingen, dann wird folgendes klar: Die Massen im Universum legen die Eigenschaften des Raumes fest, in dem sie existieren. Massen drücken Raum umso mehr auseinander, je dichter sie sind. Das bedeutet, der massendichte Raum dehnt sich aus. Und damit driften die Massen auseinander, selbst wenn sie darin ruhen.

Wir Normalsterbliche glauben, der Raum sei lediglich eine große Bühne, aber letzten Endes ist er dies eben nicht. Der Weltenraum ist keine Bühne. Er selbst ist ein Akteur des großen Schauspiels der Expansion des Universums. Ich weiß, es ist schwer, sich dies vorzustellen. Mir ist es aber ein Anliegen, den Menschen klar zu machen, dass der Raum Eigenschaften hat, etwas Dingliches ist. Er kann krumm sein und sich wie Gummi ausdehnen. Er ist nicht unveränderlich.

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