Der Rekordhalter: Hitlers gefährlichster Regisseur im Doppelpack
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Das Dritte Reich im Selbstversuch, Teil 7: Verräter und Unternehmen Michael
Der gefährlichste Regisseur der NS-Zeit war Karl Ritter. Von den 17 Spielfilmen, die er von 1933 bis 1944 inszenierte, stehen neun auf der Vorbehaltsliste. Damit ist er einsamer Spitzenreiter (Veit Harlan bringt es nur auf vier Nennungen). Der gefährlichste Regisseur des Dritten Reiches ist inzwischen auch der am wenigsten bekannte. Die Hälfte seines Gesamtwerks ist verboten. Diesmal auf dem Programm: Zwei Ritter-Filme, die 1936 bzw. 1937 im Rahmen des Reichsparteitages der NSDAP in Nürnberg uraufgeführt wurden.
Teil 6: Die Russen kommen! Aber wo?
Karl Ritter stammte aus einer musikalischen Familie. Seine Mutter war Opernsängerin, sein Vater Professor am Konservatorium. 1888 in Würzburg geboren, ging Ritter nach dem Abitur als Berufssoldat zur bayerischen Armee. Den Ersten Weltkrieg machte er als Offizier der Infanterie mit. 1919 nahm er in München ein Studium der Malerei und der Architektur auf. Durch seine Frau Erika, eine entfernte Verwandte Richard Wagners, fand er Zugang zu rechten Zirkeln (Winifred Wagner, Richards Schwiegertochter, war eine enge Freundin Adolf Hitlers). 1925 trat er in die NSDAP ein. Ritter hatte seit 1911 das Flugzeugführerpatent und gab nun Parteigenossen Unterricht - heimlich, weil das gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrags verstieß. Ritters Begeisterung für die Fliegerei merkt man auch seinen Filmen an. Da kommt immer mal wieder ein Flugzeug vor, ob das nun für die Geschichte erforderlich ist oder nicht.
Herrliche Bilder vom Krieg
1926 kam Ritter als Werbegrafiker zum Film. Als Schriftsteller versuchte er sich auch, mit mäßigem Erfolg. 1930 wurde er Dramaturg bei der Südfilm, dann Produktionsleiter. In den ersten Jahren des Tonfilms, als das Synchronisieren technisch noch zu kompliziert war und die Umstellung auf die neuen Klangsysteme viel Geld verschlang, suchten die Europäer ihr Heil in internationalen Co-Produktionen. Von einem Film wurden gleichzeitig mehrere Sprachfassungen hergestellt, mit (teilweise) wechselnden Schauspielern. Ritter kam als Produktionsleiter viel herum. In den Elstree-Studios leistete er seinen Beitrag zu Hitchcocks Mord - Sir John greift ein! (die deutsche Version von Murder!), in den Ateliers von Joinville arbeitete er mit René Clair zusammen.
Ritter war zwar ein "Garant für weltanschauliche Festigkeit", wie ihn Hans-Christoph Blumenberg in Das Leben geht weiter nennt, aber ein klein wenig opportunistisch war er vielleicht doch auch. Jedenfalls ließ er seine Mitgliedschaft in der NSDAP ab 1927 ruhen, was damals in der von den Nazis wenig begeisterten (und stark jüdisch geprägten) Filmbranche kein Nachteil war. Als Produktionsleiter bei Die verkaufte Braut (1932) verstand er sich offenbar bestens mit Max Ophüls und Karl Valentin, die beide völlig unverdächtig sind, mit den Nationalsozialisten sympathisiert zu haben. Bei Valentins Kurzfilm Im Photoatelier (1932) führte Ritter erstmals Regie. Ebenfalls 1932 reaktivierte er seine Mitgliedschaft in der NSDAP. Inzwischen konnte das durchaus karrierefördernd sein. Bald war Ritter bei der Ufa Produktionsleiter mit eigener Herstellungsgruppe. Seine erste Aufgabe: Hitlerjunge Quex.
1936 inszenierte er seinen ersten langen Spielfilm, die krachlederne Dorfkomödie Weiberregiment. Dann folgte der Spionagefilm Verräter. Willy Birgel spielt den ausländischen Geheimagenten Morris, Paul Dahlke ist sein deutscher Helfer namens Geyer, und Rudolf Fernau photographiert als Dr. Brockau die Pläne für einen kriegswichtigen Rohölvergaser, weil er Geld für seine Geliebte braucht, die schöne Marion (Lida Baarová). Auch bei der Erlangung der Pläne eines Wasserwerks soll er behilflich sein. Der Landesverrat kann verhindert werden, weil sich Hans Klemm (Heinz Welzel), früher Bankangestellter und jetzt Panzerschütze, der ebenfalls bereits in das Netz der feindlichen Agenten geraten ist, den Behörden offenbart.
Ernst Hugo Correll, Produktionschef der Ufa, hatte nach Hitlerjunge Quex das Fazit gezogen, dass solche "politischen Filme" für sein Unternehmen durchaus von Vorteil sein konnten. Da aber mit ständiger Einmischung zu rechnen sei, sei es empfehlenswert, solche Projekte in enger Abstimmung mit den betroffenen Stellen in der Regierung zu betreiben. Es sprach also einiges dafür, den bei jeder Gelegenheit seine Begeisterung für den Nationalsozialismus hinausposaunenden Parteigenossen Ritter mit der Regie von Verräter zu betrauen.
Das Projekt kam von Admiral Canaris, dem Chef der Abwehr, über den Reichskriegsminister zu Goebbels, der ein Drehbuch in Auftrag gab. Auch die Wehrmacht mischte mit und zeigte gern her, was sie nach ein paar Jahren massiver Aufrüstung zu bieten hatte. Der Kritiker der B.Z. am Mittag (10.9.1936) war nach der Uraufführung begeistert darüber, wie sehr sich Verräter "von den Sensationsfilmen vergangener Zeiten" unterscheide (gemeint waren Filme wie Fritz Langs Spione oder Das Testament des Dr. Mabuse),
denn im Mittelpunkt allen Geschehens steht keine belanglose private Handlung, sondern der Staat, der jeden von uns zu unbedingter Treue verpflichtet. Man sieht dabei - organisch eingefügt in die Spielhandlung - die eindrucksvollsten Aufnahmen der neuentstandenen deutschen Wehrmacht, die bisher gezeigt wurden. Alle drei Wehrmachtsteile wirkten bei diesen Aufnahmen mit, und Heer, Kriegsmarine und Luftwaffe zeigen uns die herrlichsten Bilder, spannende Szenen.
Verräter war dem Regime sehr wichtig. Der Film hatte beim Festival in Venedig Weltpremiere (20.8.1936) und erhielt die Prädikate "staatspolitisch und künstlerisch besonders wertvoll" sowie "volksbildend". Es gab auch noch andere Möglichkeiten, Propagandafilme zu bewerben. Paul Dahlke, als Geyer einer von den Verrätern, wurde 1937 zum "Staatsschauspieler" ernannt (als jüngster Darsteller überhaupt). In Biographien des Publikumslieblings wird dieser Titel gern erwähnt, nicht aber der propagandistische Hintergrund, vor dem er verliehen wurde. Deutschland-Premiere war am 9.9.1936 in Nürnberg, im Rahmen des Reichsparteitags. Goebbels zufolge war die Aufführung ein "beispielloser Erfolg". Zur allgemeinen Begeisterung des Publikums im Nürnberger Ufa-Palast fuhren am Schluss (auf der Leinwand) deutsche Panzer aus der Kaserne, und deutsche Kampfflugzeuge traten zum Formationsflug an.
Ruchlose Agenten
Solche Spionagefilme wie Verräter gab es dann noch einige, zum Beispiel Die goldene Spinne (1943) von Erich Engels. Sie folgen immer demselben Muster: Feindliche Agenten wollen deutsche Staatsbürger zum Geheimnisverrat bewegen, die Behörden können das im letzten Moment verhindern. Das Ziel ist klar: Die Bevölkerung sollte mittels einer spannenden Geschichte über die Umtriebe fremder Mächte informiert werden und das richtige Verhalten vorgeführt bekommen. In Zeiten heißer oder kalter Kriege floriert das Genre in allen Ländern (sehr gut ist Thorold Dickinsons The Next of Kin, eine britische Produktion von 1942). Die NS-Variante zeichnet sich allerdings durch einen besonders hohen Grad an Xenophobie und Kleinbürgerlichkeit aus.
Jeweils spielt eine mondäne, meist irgendwie "östliche" Ausländerin eine Rolle. Im Fall von Verräter ist das durchaus pikant, weil die schöne Verführerin von der Tschechin Lida Baarová verkörpert wird, damals noch mit Gustav Fröhlich aus Alarm in Peking liiert. Joseph Goebbels charmierte sich gerade bei ihr ein und bekam dafür von Fröhlich während der Dreharbeiten zum nächsten Ritter-Film, Patrioten, eine ebenso legendäre wie imaginäre Ohrfeige (was Fröhlich in der BRD sehr dabei behilflich war, sich als Regimegegner zu positionieren). In ihrem Erinnerungsbuch Die süße Bitterkeit meines Lebens sagt sie, sie habe sich weniger in Goebbels selbst als in die Tatsache verliebt, dass der Minister sie so geliebt habe. Er gab den Romantiker, spielte Klavier für sie und nahm sie zur Rehfütterung mit. Das verschaffte ihm Vorteile gegenüber Fröhlich, der fand, Lida solle vor einer Heirat erst mal reifer werden und sich als Hausfrau bewähren (mit einer anderen verheiratet war er auch). Hitler persönlich ordnete schließlich das Ende von Lidas Affäre mit Goebbels an, aus Gründen der Staatsraison. Das Volk verlange es so, soll er gesagt haben.
Lida Baarovás Marion in Verräter lebt auf großem Fuß, und weil er sie nicht verlieren will, ist Dr. Brockau bereit, sein Land zu verkaufen. In einer Schlüsselszene unterhält sich Dr. Brockau mit seinem Freund Dr. Auer, der ein weltweit "fast einzigartiges" Wasserwerk gebaut hat. "Natürlich geht das nicht ganz ohne Verzicht auf die angenehmen Dinge des Lebens ab", sagt Dr. Auer. "Man muss sich eben manche Dinge verkneifen, wenn man solche Liebhabereien hat." Entweder man macht brav seine Arbeit und tut da seine Pflicht, wo man hingestellt wurde, oder man leistet sich ein unmoralisches Privatleben mit ausländischer Geliebter (was böse enden wird). Beides zusammen geht nicht. So ist das im Nazi-Kino.
Dr. Auer wird weiter sein Wasserwerk leiten, der mit der blonden Hilde (garantiert eine "Arierin") verlobte Panzerfahrer erhält ein Lob des Kommandanten, und Dr. Brockau, der mit der Ausländerin geschlafen hat, überlebt die Geschichte nicht. Das deckt sich mit der kleinbürgerlichen Moral der Feuerzangenbowle. Da singt am Ende Heinz Rühmann das Hohelied auf Selbstbescheidung und Spießertum: "Wahr sind die Träume, die wir spinnen, und die Sehnsüchte, die uns treiben. Damit wollen wir uns bescheiden." Wieso eigentlich? Warum sollte man nicht versuchen, seine Träume zu leben? Warum wird man automatisch zum Verräter, wenn man mit Lida Baarová schläft, statt der Gänseliesel zum Mutterkreuz zu verhelfen?
So ein Nazi-Agententhriller wie Verräter, denkt man sich, wird wohl so sein wie von der Murnau-Stiftung auf ihrer Website beschrieben:
Dieser Propagandafilm von 1936 erzählt von den Machenschaften "ruchloser" ausländischer Agenten in Deutschland und ihren Verbündeten aus den Reihen der deutschen Bevölkerung.
Stimmt aber nicht. Der Film setzt voraus, dass jedes Land ebenso einen Inlands- wie einen Auslandsgeheimdienst braucht, also andere auch ausspioniert. Dafür bedient man sich solcher Leute wie Dr. Brockaus, die bereit sind, ihr Land zu verraten. Solche ehrlosen Kerle werden leider benötigt, trotzdem sind sie verachtenswerte "Schweinehunde". Morris und Dr. Wehner, sein Gegenspieler von der Gestapo, sind sich darin einig. Die beiden stehen auf verschiedenen Seiten, aber sie respektieren sich und begegnen sich auf Augenhöhe. In Spionagefilmen ist das oft so, auch in britischen und amerikanischen. Morris ist nicht so "ruchlos", wie die Murnau-Stiftung denkt. Er ist sogar recht sympathisch, was auch dem weltgewandten Willy Birgel zu danken ist.
Freisler bei der FSK
Interessant ist die Nachkriegskarriere von Verräter. Zuerst wurde der Film verboten. Im Kriterienkatalog der Alliierten fanden sich dafür reichlich Gründe: Prädikatsfilm; vom NSDAP-Mitglied Karl Ritter inszeniert; Hans Klemm ist ein Panzerfahrer, der mit seiner Kompanie zu Hurrah-Musik durch die Landschaft pflügt; die heldenhafte deutsche Luftwaffe schießt einen feindlichen Agenten ab, der mit dem tollen neuen Sturzbomber, einem Meisterwerk deutscher Technik, in Richtung Grenze fliegt usw.
Offenbar stand die Ufa-Produktion nach der Gründung der Murnau-Stiftung noch längere Zeit auf der dort geführten Vorbehaltsliste. Dann wurde sie von der Liste gestrichen. Wir erinnern uns: Laut Selbstdarstellung bedient sich das Kuratorium der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung nicht näher benannter Sachverständiger, mit deren Hilfe es sich ein Urteil "über die Freigabe der sog. Vorbehaltsfilme für die öffentliche Vorführung" bildet. Ich würde zu gern wissen, was die Sachverständigen zu Verräter zu sagen hatten, auf welcher Grundlage sich das Kuratorium also dieses Urteil bildete. Die Stiftung schweigt sich aus.
Wie es auch immer gewesen sein mag: Das Kuratorium der Murnau-Stiftung muss irgendwann beschlossen haben, dass es der propagandistische Gehalt von Verräter nicht rechtfertigt, den Film weiter auf der Vorbehaltsliste zu belassen. Blieb noch die Hürde FSK zu nehmen. Das gelang scheinbar ganz problemlos. Am 10. Dezember 1981 wurde Verräter ab 6 Jahren (!) freigegeben. Klaus Kanzog, der das sicher genau recherchiert hat, schreibt in seinem Buch "Staatspolitisch besonders wertvoll", dass die Freigabe ohne Schnittauflagen erfolgte. Im Januar 1983 revidierte die FSK ihre Entscheidung und setzte die Alterfreigabe auf 18 Jahre herauf, obwohl es keine Nacktheit, keine im Bild gezeigten Gewalttaten und keine Hakenkreuze gibt (im Büro von Siegfried Schürenberg, dem späteren Sir John der Wallace-Filme, hängt allerdings der Führer an der Wand). Was war geschehen?
Ich könnte mir vorstellen, dass Michael Verhoevens Die Weiße Rose Wirkung gezeigt hatte. Dieser von Artur Brauner co-produzierte Film sorgte 1982 (also im Jahr zwischen den beiden FSK-Entscheidungen) für einen kleineren Skandal. Durch eine Information im Abspann. Die Geschwister Scholl starben unter der Guillotine, nachdem sie von Roland Freislers "Volksgerichtshof" zum Tode verurteilt worden waren. Die von diesem "Gericht" gefällten Urteile waren noch immer gültig, als Verhoeven seinen Film drehte; die Geschwister Scholl galten in der BRD weiter als rechtmäßig verurteilte Straftäter, mit beträchtlichen Folgen auch für die Angehörigen. Darauf wies Verhoeven im Abspann hin. Damit verstieß er gegen die bundesrepublikanische Übereinkunft, die Vergangenheit totzuschweigen oder einer kosmetischen Operation zu unterziehen und bitte nicht die peinlichen Kontinuitäten zwischen Drittem Reich und BRD zu erwähnen. Für viele war nicht der Fortbestand der Urteile der Skandal, sondern Michael Verhoevens Abspann, der auf eine unangenehme Wahrheit aufmerksam machte.
Verhoevens Film löste eine längst überfällige Diskussion aus und trug wesentlich dazu bei, dass sich der Bundestag mit der Angelegenheit beschäftigte. Im Januar 1985 stellten unsere Parlamentarier fest, dass der "Volksgerichtshof" ein "Terrorinstrument zur Durchsetzung nationalsozialistischer Willkürherrschaft" gewesen sei. Es dauerte noch einmal bis 1998, bis endlich ein Gesetz erlassen wurde, das die Urteile von Freislers "Gericht" aufhob. Konsequenzen gab es auch für Michael Verhoeven, nur viel schneller. Bei Veranstaltungen, wo staatliche Stellen involviert waren, wurde sein Film nicht aufgeführt. Auch die Goethe-Institute durften ihn nicht zeigen. Dafür sorgte das Auswärtige Amt. Deutsche Behörden mögen es gar nicht, wenn andere auf den verantwortungsbewussten Umgang mit der NS-Zeit hinweisen, der bei uns geübt wird.
Werbung für den "Volksgerichtshof"
Was hat das nun mit Verräter zu tun? Bei NS-Filmen, die das Prädikat "staatspolitisch besonders wertvoll" erhielten, ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass sie "zu konkreten Maßnahmen der Regierung in Beziehung stehen" (Kanzog). Die Kunst bestand darin, den Bezug zu diesen Maßnahmen nicht zu offensichtlich werden zu lassen. Überdeutlich ist die Reklame für die Wehrmacht und ihre tolle neue Ausrüstung. Doch Ritters Spionagereißer ist auch und nicht zuletzt ein geschickt gemachter Werbefilm für die im Geheimen operierenden Sicherheitsorgane des Dritten Reichs und für den "Volksgerichtshof", ein am 20. April 1934 gebildetes Sondergericht für politische Straftaten. Das unterscheidet den Film auch von seinen britischen und amerikanischen Verwandten; in ihnen gibt es mehr oder weniger ruchlose Agenten wie in Verräter, aber im Hintergrund droht kein Terrorinstrument zur Durchsetzung von Willkürherrschaft, das sich als Gericht tarnt und dessen Angehörige nach 1945 nur deshalb ungestraft davonkamen, weil die deutsche Justiz beim Bemänteln ihrer dunklen Vergangenheit noch dreister vorging als andere Berufsgruppen.
1935 veröffentlichte Roland Freisler in der Deutschen Juristenzeitung (Heft 15/16, 1. August) einen Aufsatz mit dem Titel "Der Volksverrat. Hoch- und Landesverrat im Lichte des Nationalsozialismus". Das war eine der Inspirationsquellen für Verräter. Freisler konnte mit dem Film durchaus zufrieden sein. Schließlich wird da in Form eines spannenden Thrillers vorgeführt, wie honorige Vertreter deutscher Behörden ausländischen Spionen und deren Helfern das Handwerk legen. Dieses Verfahren, in dessen Verlauf die Schuldigen überführt und dingfest gemacht werden, findet seinen ordentlichen Abschluss, indem ein deutsches Gericht das Urteil spricht. Das ist explizit der "Volksgerichtshof". Stutzig werden könnte man allenfalls darüber, wie schnell das Urteil offenbar vollstreckt wird (die Geschwister Scholl wurden schon am Tag nach dem Schuldspruch durch die Nazi-Justiz ermordet). Aber der Film bleibt da absichtlich sehr vage, und außerdem kommt ein beschleunigtes Verfahren denen entgegen, die eine rasche Aburteilung von Straftätern fordern.
Durch die Filmaufnahmen vom Schauprozess gegen die Verschwörer des 20. Juli kennen wir Roland Freisler als geifernden Sadisten, der Angeklagte niederbrüllt und demütigt, bevor er das vorab gefällte Urteil spricht. So etwas zeigt Karl Ritter natürlich nicht. Indem er sich auf die klassische Form des Landesverrats beschränkt, macht er auf durchaus geschickte Weise Reklame für eine Einrichtung, die 1936 gerade dabei war, das Wort "Verrat" ganz neu zu definieren - ohne Rücksicht auf rechtsstaatliche Überlegungen, willkürlich und ganz im Sinne der Nazis, die sich mit dem "Volksgerichtshof" ein weiteres Terrorinstrument zugelegt hatten, was 1985 - also schon 40 Jahre nach Kriegsende! - auch der Deutsche Bundestag so feststellte. Das Wirken von Freisler und Kollegen kostete viele Menschen das Leben. Sie wurden Opfer eines Justizmordes.
Würde man eine Rangliste der schlimmsten Verbrecher des Dritten Reiches erstellen, hätte Roland Freisler gute Chancen, ganz weit vorn zu landen. Soll man nun also die Gelassenheit der FSK loben, die 1981 der Meinung war, dass in unserem Land auch 6-Jährige gefestigt genug sind, um einen Werbefilm für diesen Herrn und sein Blutgericht verkraften zu können? Oder soll man bewundern, mit welcher Größe im Lichte neuerer Erkenntnisse, etwa durch Ansicht von Die Weiße Rose, ein Fehler eingestanden und die getroffene Entscheidung 1983 revidiert wurde? Daraus, dass Verhoevens Film 1982 ab 12 freigegeben wurde, Verräter im Jahr zuvor aber ab 6, ergab sich nämlich ein Problem.
Anfang der 1980er verließ man sich besser nicht darauf, dass das Thema "Volksgerichtshof" in der Schule durchgenommen wurde. Durch die Heraufsetzung des Freigabealters für Verräter von 6 auf 18 gab man jugendlichen deutschen Filmfreunden jedoch die Möglichkeit, Die Weiße Rose zuerst zu sehen. Nach der alten Regelung hätten 6-Jährige mit Genehmigung der FSK einen Film anschauen dürfen, in dem die Gestapo eine ganz normale, für die Sicherheit unserer Wasserwerke, Sturzbomber und Rohölvergaser (und nebenbei noch die Einhaltung der "Rassenhygiene") sorgende Behörde ist, deren verdienstvolle Arbeit durch die Urteilssprüche eines ordentlichen deutschen Gerichts namens "Volksgerichtshof" (und die folgenden Hinrichtungen) zu einem rechtsstaatlich korrekten Abschluss gebracht wird. Danach hätten diese jungen Kinofreunde im ungünstigsten Fall sechs Jahre warten müssen (von 6 bis 12, Freigabealter für Die Weiße Rose), um sich anhand von Michael Verhoevens Film über die eher negativen Aspekte des "Volksgerichtshofes" informieren zu dürfen. Man fragt sich, ob jemandem etwas aufgefallen wäre, wenn Verhoeven den Film damals nicht gedreht hätte (dass er sehr lange um die staatliche Förderung kämpfen musste, überrascht einen auch nicht wirklich).
Die Verräter-Farce macht für mich sehr deutlich, wie problematisch es ist, den Umgang mit der Propaganda im NS-Kino durch indirekte Verbote (die "Vorbehaltsfilme") regeln zu wollen. So werden Teile unseres kulturellen Gedächtnisses amputiert. Sichtbar bleibt nur der Teil unseres filmischen Erbes aus der Nazizeit, der als "harmlose Unterhaltung" durchgehen kann. Das schützt uns nicht vor Propaganda. Es verharmlost das Dritte Reich, macht es leicht konsumierbar. Und es erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass uns gar nicht mehr auffällt, welche Ideologie durch Filme wie Verräter transportiert wird (für die "harmlose Unterhaltung", die nie ideologiefrei ist, gilt das sehr oft).
Der auf der Website der Murnau-Stiftung angebotenen Inhaltsangabe nach geht es in Verräter um die Verunglimpfung ausländischer Spione und deren deutscher Helfer. Da wird das Vehikel (der Spionagefilm mit seinen Genreregeln) mit der Propaganda verwechselt. Ich werde den Verdacht nicht los, dass keinem aufgefallen ist, was eigentlich das Thema ist: nicht den vom Kuratorium der Stiftung zugezogenen Sachverständigen, nicht diesem Kuratorium selbst und 1981 auch nicht dem zuständigen Gremium bei der FSK. Das stimmt mich insgesamt nicht sehr zuversichtlich, denn besonders heimtückisch versteckt ist die Botschaft gerade nicht.
Freisler und die netten Herren von der Gestapo
Dr. Wehlen von der Gestapo ist mindestens so nett wie Major Walen vom MAD. Beide können streng sein, aber wenn man ihnen erst mal alles erzählt hat, was sie wissen wollen, sind sie doch wie väterliche Freunde. Solchen Männern kann man sich gut anvertrauen, zumal auch noch der Bergkamerad Sepp Rist (Stürme über dem Montblanc) in der Rolle des Kommissars Kilian mit von der Partie ist und als deutscher Polizeibeamter dafür garantiert, dass bei der Gestapo, über die man als Zuschauer vielleicht schon böswillig in die Welt gesetzte Gerüchte gehört hat, alles nach Recht und Gesetz verläuft. Nur ins Kino geht die Gestapo nicht. Wenn Dr. Wehlen und Konsorten Hitlerjunge Quex gesehen hätten wüssten sie, woran man die Bösen gleich erkennt: Sie sind Raucher. In Verräter ist das ganz genauso. Paul Dahlke als der böseste von allen bevorzugt Zigarren. Wer nicht raucht, hat moderne Kunst im Wohnzimmer wie Lida Baarová.
Weil man die wirklich wichtigen Dinge nicht mit den Frauen bespricht, berät sich Panzerschütze Klemm nicht mit seiner Braut, sondern mit einem Kameraden, bevor er sich Hauptmann Dreßler anvertraut, der dann mit ihm zu Major Walen vom Militärischen Abwehrdienst geht. Die Gestapo ist den Verrätern da bereits auf der Spur. So wird dem Bürger im NS-Staat signalisiert, dass er besser nicht auf den Gedanken kommen sollte, sein Wissen für sich zu behalten. Das würde nur schlecht für ihn ausgehen, denn die Gestapo ist sowieso schon informiert. Also: Brav alles melden, was verdächtig ist.
Ein Agent, der versucht, mit einem gestohlenen Sturzbomber über die Grenze zu entkommen, wird in einer gemeinsamen Aktion von Luftwaffe und Kriegsmarine abgeschossen. Hans darf weiter mit seinem Panzer fahren. In ein paar Jahren wird Polen mit der Kavallerie das Deutsche Reich überfallen, da wird man ihn beim Zurückschießen noch sehr brauchen. Hilde, Klemms Verlobte, darf als Bittstellerin auftreten, zur Belohnung ihren Hans nach dessen Unschuldsbeweis wieder mitnehmen, Mutter werden und ihren Arbeitsplatz im Hotel aufgeben, den bestimmt ein Weltkriegsveteran übernimmt (Weltkriegskämpfer in Lohn und Brot zu bringen war eins von Hitlers Wahlsprechen, das er auf Kosten der jungen Leute erfüllte - mehr dazu in Maria Leitners Roman Elisabeth, ein Hitlermädchen). Irene von Meyendorff konnte hier schon für ihre Rolle in Veit Harlans Opfergang üben, wo ihr als selbstloser Ehefrau einiges abverlangt wird.
Um zu demonstrieren, dass die Welt wieder in Ordnung ist, wird am Ende mit militärischem Drill im Kasernenhof angetreten. Vor der strammstehenden Kompanie gibt Hauptmann Dreßler Folgendes bekannt:
Der Volksgerichtshof hat den Konstrukteur Dr. Fritz Brockau wegen Landesverrats zum Tode durch das Beil verurteilt. Brockau ist heute früh im Hofe der Strafanstalt Plötzensee hingerichtet worden. Panzerschütze Klemm! [Klemm tritt vor.] Der Panzerschütze Klemm hat sich bei der Abwehr dieses Spionageangriffes trotz schwerer eigener Gefährdung als mutiger und entschlossener Soldat bewährt. Durch seine rechtzeitige Meldung konnte ein weitverzweigtes Spionagenetz aufgedeckt werden. Der Kommandeur lässt Ihnen durch mich seine Anerkennung aussprechen.
Die vom Film ausgemachten Verräter wurden eliminiert, die Gestapo hat sich als vorbildlich arbeitende Behörde erwiesen, die blonde Hilde blickt einer Zukunft als treu duldende Hausfrau und Mutter entgegen, zum Zeichen der wiederhergestellten Ordnung wird das bereits vollstreckte Urteil eines Sondergerichts verkündet, der ehemalige Bankangestellte Klemm wird belobigt und tritt dankbar zurück ins Glied, nach einem Trompetensignal rollen die Panzer aus der Kaserne und üben für den Krieg, und damit sie nicht so allein sind donnern die Kampfflugzeuge über den Himmel. Ist das "Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts"? Irgendwie doch schon, auch wenn die Grenze zwischen reaktionärem Patriarchentum und spezifischer NS-Ideologie nicht immer klar zu ziehen ist.
Ich bin nicht dafür, Verräter wieder zu verbieten. Aber wenn man schon glaubt, solche Verbote zu brauchen, sollten sie in sich stimmig sein, einer erkennbaren Strategie folgen und einen Sinn ergeben, den Leute mit normaler Intelligenz erkennen können. Ich kann es nicht. Vielleicht bin ich schlicht zu dumm, um die ganze Komplexität dieser bei uns geübten Vorbehaltspraxis zu durchschauen. Deshalb begebe ich mich lieber zurück auf sicheres Terrain. Kommen wir also zu dem Werk, mit dem Karl Ritter zum Fachmann für geradlinig und im Hauruckstil in Szene gesetzte "filmische Panzerwagen" avancierte, die mit viel Getöse in die vorderste Linie der Propagandaschlacht geschickt wurden.