Der Rekordhalter: Hitlers gefährlichster Regisseur im Doppelpack
Seite 2: Wohltuende Geradheit und Primitivität
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Unternehmen Michael (Uraufführung: 7.9.1937) bleibt weiterhin verboten. Ich glaube sogar zu wissen, warum das so ist: Im Gegensatz zu Verräter, wo Anlässe für kriegsähnliche Aktivitäten konstruiert werden, wird in Unternehmen Michael richtig Krieg geführt und wollen deutsche Helden nichts lieber als untergehen. Das ist noch deutlicher und entspricht deshalb besser dem Anforderungsprofil. Man weiß gleich, wo die Propaganda ist. Da die Handlung an zwei Tagen des Jahres 1918 spielt, kann es noch keinen Roland Freisler geben. Man muss deshalb auch nicht darüber nachdenken, ob der "Volksgerichtshof" womöglich etwas mit nationalsozialistischem Gedankengut zu tun hatte. Das ist doch sehr beruhigend. Denn an solch schwierigen Fragen scheitern sogar die Sachverständigen der Murnau-Stiftung, wie es scheint.
Karl Ritter mochte Ensemblefilme. Das unterscheidet ihn von der Mehrzahl seiner Regisseurskollegen und könnte ein sympathischer Zug sein. Leider steckte sein Ensemble meistens in einer Uniform und führte vor, dass das Individuum unwichtig ist, wenn es um das große Ganze geht. "Unternehmen Michael" war der Codename für eine am 21. März 1918 in Frankreich begonnene Großoffensive, mit der die deutsche Heeresleitung hoffte, das siegreiche Ende des Ersten Weltkriegs einleiten oder wenigstens die Vereinigung der Armeen Frankreichs und Englands verhindern zu können. Tatsächlich wurde durch "Michael" aber die Niederlage Deutschlands eingeleitet, dessen Truppen der Gegenoffensive der Alliierten bald nichts mehr entgegenzusetzen hatten. Diesen ungünstigen Ausgang des Unternehmens lässt Ritter einfach weg. Wer in Geschichte nicht so bewandert ist, könnte fast glauben, dass Deutschland damals den Krieg gewonnen hat.
Dem Film merkt man an, dass er auf dem gleichnamigen Bühnenstück eines gewissen Hans Fritz von Zwehl basiert. An den wenigen Schauplätzen wird viel und ausdauernd geredet. Dramatik wird erzeugt, indem einer erregt von A nach B geht. Dazwischen führt Ritter vor, was er an Militärkram alles im Köcher hat. Das ist eine ganze Menge. Das Jahr 1937 war für ihn ein sehr gutes. Er etablierte sich endgültig als Regisseur und wurde in den Aufsichtsrat der Ufa berufen, einer seiner Fans war Adolf Hitler, und er hatte weiterhin die Unterstützung der Wehrmacht. Also wurde munter drauflos geballert.
Ein Kirchturm wird so schön in Stücke geschossen, dass man das gleich mehrfach sehen darf, die Fahrt eines Panzers durch die feindlichen Linien ist mehr dem Spaß an der Freud geschuldet als einer narrativen Notwendigkeit, und natürlich kommen auch Flugzeuge zum Einsatz. Goebbels' anfängliche Begeisterung für Ritters "filmische Panzerwagen" ließ übrigens bald nach. Weil er aber Hitler nicht widersprechen wollte, kleidete er seine Ablehnung in das zweischneidige Kompliment, Ritters Filme zeichneten sich durch eine "wohltuende Geradheit und Primitivität" aus. Das beschreibt sie ziemlich gut. Nur "wohltuend" finde ich sie nicht.
Unternehmen Michael ist ein Film aus der Abteilung "Der gemeine Frontsoldat weiß gar nicht, wie schwer es der Offizier im Generalstab hat". Am Anfang überrennen deutsche Truppen britische Stellungen. Leutnant Hassenkamp nimmt mit 25 Mann das Dorf Beaurevoir ein. Damit ist auch gleich der Grundkonflikt etabliert. Eine verschworene Gemeinschaft deutscher Kämpfer steht gegen einen anonymen Feind, der zahlenmäßig überlegen ist und besser ausgeruht, was aber den deutschen Mann nicht bremsen kann. Hassenkamp wird von Karl John gespielt. Das ist derselbe Karl John, der am Ende von Weiße Sklaven, als Graf Kostja, mit Camilla Horn in den Westen aufbricht, um vor der kommunistischen Gefahr zu warnen. Scheinbar ist er gleich bis zur Westfront durchgefahren.
An dieser Besetzung lässt sich auch gut sehen, dass Propaganda nicht in Form von ein paar besonders schlimmen Filmen funktioniert, die man isolieren und wegsperren kann. Filmschauspieler bringen immer ihre früheren Rollen mit, mit denen sie vom Publikum identifiziert werden. Wenn man die beiden Filme zusammenlegt (Weiße Sklaven wurde fleißig weiter gespielt, als Unternehmen Michael anlief), erhält man Karl John als den deutschen Helden im Zweifrontenkrieg. Dabei denkt sich kein Zuschauer, dass ihn die Gefahr aus dem Osten nichts angeht, weil John in Weiße Sklaven einen russischen Grafen spielt. Wir tun aber so, als ob das so wäre, wenn wir Propagandafilme mit deutschen Figuren verbieten (Friesennot), Propagandafilme ohne Deutsche dagegen nicht (Weiße Sklaven). Der ebenfalls verbotene Ritt in die Freiheit (nur Polen und Russen) ist wohl die Ausnahme von der Regel.
Blockierte Hirne
"Wir machen seit fünf Tagen den Versuch", sagt Major zur Linden (Mathias Wieman), "gegen alle Wahrscheinlichkeit das Rad des Schicksals rückwärts zu drehen und Deutschland zu retten." Das soll durch die gerade gestartete Großoffensive gelingen. "Wenn wir jetzt hier siegen", meint Heinrich George als General dazu, "dann ist der Krieg zu Ende." Und: "Michael ist die Hoffnung, diesen Krieg durch eine offene Schlacht siegreich zu beenden." Dem steht aber der Feind entgegen, der sich feige eingegraben hat. Diese Verteidigungsstellung, das "Labyrinth" ("ungewöhnlich geschickt angelegte Erdwerke der Engländer"), muss unbedingt genommen werden, weil die in den anderen Frontabschnitten gut vorankommende Offensive sonst ins Stocken gerät. Und in der Nähe des Labyrinths liegt das Dorf Beaurevoir. Die Engländer dürfen es nicht zurückerobern, weil das Dorf sonst "zum Strombrecher für unseren Angriff werden" könnte. Major zur Linden weiß das gleich. Er ist beim Generalstab und hat den Angriffsplan ausgearbeitet.
Zur Lindens Plan, sagt der General, ist genial. Aber da gibt es noch das Armee-Oberkommando, das kurz in Gestalt des schnöseligen Graf Schellenberg (wieder Willy Birgel) vorbeischaut, um zu melden, dass die schweren Batterien, obwohl zugesagt, nun anderswo benötigt werden. Der General kriegt einen Wutanfall. Und Major zur Linden grämt sich sehr. Die schweren Batterien hatte er fest eingeplant. Die Aufgabe des Sturmbataillons 37, das das Labyrinth einnehmen soll, wird ohne diese Geschütze noch schwieriger, wenn nicht gar unmöglich. Als Urheber des Plans will zur Linden das Bataillon wenigstens persönlich in die Schlacht führen, statt das Ergebnis am Kartentisch des Generalstabs abzuwarten. Das ärgert wieder den General, der darauf Sachen sagt wie: "Deutsche Offiziere tun ihre Pflicht, wo man sie hinstellt, wir sind keine Marodeure." Oder auch: "Ein deutscher Offizier verlässt seinen Posten nicht." Heinrich George macht das übrigens nicht schlecht. Meistens kriegt er noch die Kurve, bevor sein General zur polternden Knallcharge wird. Hin und wieder erhält man sogar eine Ahnung davon, was für ein differenzierter und feinnerviger Schauspieler dieser bullig wirkende Mann sein konnte. Man meint dann auch, seinen Sohn Götz George in ihm zu erkennen. Schade, dass er bei solchen Filmen mitmachte.
Wenn Major zur Linden der Held eines amerikanischen Kriegsfilms wäre, würde er seinen General vermutlich ignorieren und die Initiative ergreifen. Allerdings wäre er dann auch ein Soldat aus den unteren Rängen und kein Offizier mit Adelstitel. Weil er aber in einem NS-Propagandafilm Heldenmut beweist, muss erst mal abgewartet werden. Im NS-Kino kann der Held nur ein solcher werden, wenn es der Chef erlaubt. Heini Völker darf sich in Hitlerjunge Quex erst opfern, als es sein Vorgesetzter genehmigt. Das Führerprinzip greift sogar dann, wenn einer durchdreht. In Friesennot kann Wagner nur Amok laufen, weil er selbst der Dorfvorsteher ist. Ohne die Erlaubnis des Vorgesetzten geht in solchen Filmen gar nichts - oder wenn, dann höchstens weiter unten in der Hierarchie. Leutnant Hassenkamp erobert Beaurevoir ohne ausdrücklichen Befehl. Das ist scheinbar schon so bemerkenswert, dass es extra thematisiert werden muss. Wäre die Eroberung vom General verboten worden, hätte Hassenkamp das nie gemacht. Nazihelden haben im Hirn eine Blockade, die sie daran hindert, Befehle zu missachten.
Da der General seinen Major zur Linden zunächst nicht missen möchte, bleibt viel Gelegenheit zum Aufsagen grandioser Dialoge. "Es ist leichter, geführt zu werden als zu führen", bemerkt etwa Hauptmann Noack. Zur Linden inspiriert das zu einem Sprachbild, auf das die Welt schon länger gewartet hat:
Wir stehen auf der Brücke, am Steuer, und sehen, wie sich unser Schiff durch den Orkan kämpft. Die anderen schuften blind unten an den Kesseln. Die Truppe weiß tagelang nicht, ob außerhalb ihres Trichterfeldes die Welt noch steht.
Übersetzt heißt das: Wenn dem gemeinen Soldaten manches unsinnig erscheint, so liegt das daran, dass ihm der Überblick fehlt. Den haben nur die Kommandierenden, und die wissen auch, was sie tun. Die Last der Verantwortung ist sogar so schwer, dass der Mann im Maschinenraum eigentlich viel besser dran ist als der Kapitän auf der Brücke. Der Film propagiert dieses streng hierarchische Modell durchaus geschickt. Die Frontsoldaten schimpfen auf Heinrich George und auf seinen Generalstab, so wie Heinrich George und sein Generalstab auf das Armee-Oberkommando schimpfen, und irgendwie wissen dabei doch alle, dass der jeweilige Vorgesetzte die Lage besser beurteilen kann als sie selbst, weil er weiter oben ist und von dort mehr sieht. Daraus ergibt sich, dass die oben von denen weiter unten nicht wirklich kritisiert werden können, weil unten an der Leiter die Übersicht fehlt.
Mit dieser feinen Logik ließ sich auch das 1934 erlassene "Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen" (kurz: "Heimtückegesetz") rechtfertigen. Von Strafe bedroht war, wer "vorsätzlich eine unwahre oder gröblich entstellte Behauptung tatsächlicher Art aufstellt oder verbreitet", und zwar insbesondere "über leitende Persönlichkeiten des Staates oder der NSDAP, über ihre Anordnungen oder die von ihnen geschaffenen Einrichtungen". Da vorausgesetzt wurde, dass nur die Führungselite des Dritten Reiches den Überblick hatte und Andersdenkende das auch wissen mussten, war ein solcher "Vorsatz" schnell unterstellt.
Volk ohne Raum
Schon Sokrates lehrt, dass man seinen Kritikern am besten den Wind aus den Segeln nimmt, indem man ihre Einwände gleich selber nennt, bevor sie es tun können. Also gibt es auch die Nörgler und die Defätisten. Im Generalstab ist dafür Rittmeister von Wengern zuständig. "Wir sitzen schon zu lange im Tollhaus", sagt er, der Krieg dauere zu lange, man solle endlich Frieden schließen. Der Rittmeister spielt auch Klavier. Klavierspieler gibt es im NS-Kino eine Menge. Das mag damit zusammenhängen, dass diese Kunst früher mehr gepflegt wurde als heute, hat aber eindeutig eine ideologische Funktion. So zeigt der Deutsche, dass er ein Kulturmensch ist.
Grundsätzlich sind Klavierspieler erst mal die Guten. Weil Nazis aber lieber negativ denken als positiv, ist immer mit dabei: es gibt auch Böse. In Weiße Sklaven begleitet sich Camilla Horn auf dem Flügel, als sie ein Lied von Peter Kreuder singt, Karl John lächelt glücklich dazu, dann kommt der Kommunist, der die Blondine vergewaltigen will. Im Kriegsfilm kämpft so mancher deutsche Soldat auch am Klavier gegen die Kulturlosigkeit der Ausländer, der er immer ausgesetzt ist, wenn er Krieg gegen fremde Völker führen muss. Wenn zufällig eine Kirche auf dem Schlachtfeld steht wie in Wunschkonzert, darf es auch mal eine Orgel sein. Wichtig ist dabei die Auswahl des Musikstücks. An ihr erkennt man, mit wem man es zu tun hat. Wird sich also Rittmeister von Wengern, der den Krieg inzwischen sinnlos findet und Frieden schließen will, für Richard Wagner oder wenigstens Anton Bruckner entscheiden? Natürlich nicht. Er bringt die "S-Dur Prelude von Chopin" zu Gehör, und damit der Zuschauer das auch weiß, wird es sofort gesagt. Zur Linden liefert die Interpretation dazu: Von Wengern ist ein Sensibelchen. Eigentlich ein guter Offizier, ist er schon zu lang beim Generalstab, und das ist ihm aufs Gemüt geschlagen.
Eine interessante Wendung: Von Wengern hat nicht, wie er glaubt, schon viel zu lang gekämpft. Er hat zu lange nicht mehr gekämpft (und keine Marschmusik mehr gehört). Zur Linden weiß auch noch, warum dieser Krieg geführt wird. Die anderen haben ihn dem deutschen Volk aufgezwängt, weil sie kein Verständnis für dessen legitime Bedürfnisse haben:
Die 70 Millionen [Deutschen] wollen arbeiten, essen, trinken. Die Erde ist groß genug, um ihnen Raum zu geben. Die Welt wird das einsehen müssen.
Wenn ich richtig informiert bin, unterläuft Major zur Linden hier allerdings ein Anachronismus. Das von den Nazis so häufig strapazierte "Volk ohne Raum" geht auf den gleichnamigen, 1926 erschienenen Roman von Hans Grimm zurück. Zur Linden ist sehr früh dran und erklärt 1918 bereits den Ersten Weltkrieg mit der Überbevölkerung in Deutschland, die erst Jahre später als Begründung für alles Mögliche in das NSDAP-Parteiprogramm aufgenommen wurde und dann als Rechtfertigung für den Eroberungskrieg der Nazis im Osten herhalten musste.
Noch so ein Spruch aus dem Generalstab: "Das Unabänderliche ist niemals ohne Sinn." Zum Unabänderlichen gehörte bei den Nazis meistens, dass gestorben werden musste. Das ging sehr früh los. Der erste deutsche Film, der im Dritten Reich Premiere hatte, war Gustav Ucickys U-Boot-Drama Morgenrot (Uraufführung am 31. Januar 1933, einen Tag nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler). Am 2. Februar saß der Führer schon im Kino, sah ihn sich an und war beeindruckt. "Vielleicht ist der Tod das einzige Ereignis im Leben", sagt Kapitänleutnant Liers zu seiner Mutter. Dann wird sein U-Boot von den Engländern versenkt. Für zehn Überlebende gibt es nur acht Tauchretter. Liers schlägt vor, dass er und sein Erster Offizier sich opfern. Die Matrosen wollen lieber mit den Offizieren ertrinken, als ohne sie gerettet werden. Man diskutiert noch darüber, wie herrlich es ist, für Deutschland zu sterben, als sich zwei von den Männern erschießen, damit die anderen weiterleben können.
Berüchtigt wurde dieser Dialogsatz aus Morgenrot: "Zu leben verstehen wir Deutsche vielleicht schlecht, aber sterben können wir fabelhaft!" Die ursprüngliche Fassung des Films überließ es noch dem Zuschauer, ob er den Satz ironisch verstehen wollte oder nicht (im Oktober 1939, als Morgenrot neu gestartet wurde, fehlte eine pazifistische Sequenz). Auf den Leinwänden des Dritten Reichs wurden die Ironiesignale dann sehr schnell weniger. Wenn man solche Opfertod-Filme heute sieht, kann einen leicht ein Gefühl der Beklemmung überkommen. Unternehmen Michael ist schon ziemlich gruselig, und da schrieb man erst das Jahr 1937.
Krieg und Abenteuer
Als Hauptmann Hill, der Kommandierende des Sturmbataillons 37, durch feindlichen Beschuss verwundet wird, gibt es keinen adäquaten Ersatz. Der General muss Major zur Linden jetzt die Erlaubnis geben, das Bataillon in die Schlacht zu führen. Die Sorge um das Vaterland verlangt es. Kaum hat zur Linden mit einem Teil seiner Leute das von Leutnant Hassenkamp gehaltene Dorf Beaurevoir erreicht, da starten die Engländer einen Gegenangriff. Zur Linden wird eingekreist. Jetzt droht genau das einzutreten, was er von Anfang an vorausgesehen hat: Beaurevoir könnte zum "Strombrecher" werden, die deutsche Offensive ins Stocken bringen. Das muss unter allen Umständen verhindert werden.
Der General schickt einen von den Briten erbeuteten Panzer, der zur Linden aus Beaurevoir herausholen soll. Aber der Major bleibt bei seinen Männern, um das Dorf so lange wie möglich zu verteidigen. Per Brieftaube fordert er dazu auf, den englischen Belagerungsring unter Artilleriebeschuss zu nehmen, obwohl ganz klar ist, dass dann auch das Dorf zerstört wird. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Der General lässt "schwerstes Vernichtungsfeuer aller Kaliber auf Beaurevoir" anordnen. Die Engländer werden aus ihren Stellungen vertrieben und fliehen. Das deutsche Heer kann auf Paris vorrücken. Der Krieg wurde dann doch noch irgendwie verloren, aber hier, in den Trümmern von Beaurevoir, wurde er jedenfalls gewonnen.
Mitten in die Siegesmeldungen hinein erreicht den General eine Brieftaubenbotschaft aus Beaurevoir. Major zur Linden ist gefallen. Leutnant Hassenkamp konnte noch ein paar Worte auf ein blutiges Stück Papier schreiben, bevor auch er erschossen wurde: "Es lebe Deutschland!" Das deutsche Heer ist wieder auf dem Vormarsch. Der an Hindenburg erinnernde General findet noch Zeit für einen finalen Sinnspruch: "Nicht nur nach der Größe unserer Siege wird man uns einst messen, sondern nach der Tiefe unseres Opfers."
Wie im Jahr zuvor Verräter lief auch Unternehmen Michael im Rahmenprogramm des Reichspartetages der NSDAP. Die Darsteller des zur Linden und des Generals waren als Gäste geladen (Goebbels' Tagebuch, 13.9.1937: "Ich treffe George und Wiemann. Sie sind ganz benommen von der monumentalen Größe des Parteitages."). Die gleichgeschaltete Publizistik war begeistert. Wie Unternehmen Michael verstanden werden sollte, kann man in Der Deutsche Film (Jahrgang 1937/38) nachlesen: "Mit zwingender Logik zeigt dieser stählerne Film das hohe Verantwortungsbewusstsein des hohen deutschen militärischen Führers, die heroische Einsatzbereitschaft auch des deutschen Strategen."
Genörgel gab es von der Wehrmacht. Da fand man, dass es mehr um das Siegen und das Töten von Feinden hätte gehen sollen als darum, ein Dorf in Trümmer zu schießen und heroisch-sinnlos zu sterben. Wenn Ritter ein nicht ganz so beratungsresistenter Haudrauf gewesen wäre, hätte er gemerkt, dass er dabei war, einen wichtigen Verbündeten zu verlieren. Für seine weitere Karriere sollte das noch Folgen haben. Zur Geschichte der Vorbehaltsfilme gehört auch die Rolle, die die Wehrmacht dabei spielte.
Bleibt die obligatorische Frage, ob ich durch das Sehen von Verräter und besonders von Unternehmen Michael (weiterhin verboten) die Nazikrankheit in mich aufgenommen habe? Bisher kann ich nichts feststellen. Ich will weder mein Leben der Leitung eines weltweit fast einzigartigen Wasserwerks widmen noch Panzerschütze werden, will mich nicht dem netten Onkel von der Gestapo anvertrauen, Roland Freisler keine Kränze winden noch in einem französischen Bauerndorf als Held untergehen, und das schon gar nicht, damit die Deutschen mehr Raum haben, auf dem sie dann auch für Ordnung und Sauberkeit sorgen können. Im Ausland trifft man so schon genug von denen.
Wenn ich mich unbedingt für etwas entscheiden muss, würde ich die Affäre mit Lida Baarová wählen. Da hätte ich dann eine Gemeinsamkeit mit Dr. Joseph Goebbels. Vielleicht ist also hier das süße Gift des Dritten Reichs versteckt. Obwohl: die schöne Ausländerin als tödliche Falle - irgendwie glaube ich daran nicht, auch wenn ich das womöglich soll.
Über eine Wirkung kann ich aber doch berichten. Geyer, einer von den Agenten in Verräter, versinkt im Sumpf. Dadurch, dass das in einem Werbefilm für den "Volksgerichtshof" passiert, ist mir klargeworden, warum das NS-Kino für Figuren, die in der "Volksgemeinschaft" keinen Platz mehr haben, so häufig diese Todesart wählt. Es reicht nicht aus, die Feinde des NS-Staats zu eliminieren. Wer im Moor ertrinkt, stirbt langsam und qualvoll. Das verbindet eine Filmfigur wie Geyer mit den realen Verschwörern des 20. Juli, die Freisler zum Tod durch den Strang verurteilte. Die Hinrichtungen in Plötzensee wurden absichtlich so vollzogen, dass die Opfer langsam und qualvoll stranguliert wurden.
Wer würde schon gern in einem Staat wie dem Dritten Reich leben? Man spricht da aber über etwas, das es längst nicht mehr gibt. Wenn einem plötzlich deutlich wird, wie viel Hass und Sadismus sich knapp unter der Oberfläche eines mit höchsten Auszeichnungen bedachten Films wie Verräter verbergen (neben dem Varietéfilm Truxa auch der größte Publikumserfolg der Saison), kann man einen Moment lang fühlen, warum man in diesem Staat nicht hätte leben wollen. Das fast körperlich zu spüren, ist etwas anderes, als sich verstandesmäßig darüber im Klaren zu sein. Der Hass in vielen dieser Filme ist erschreckend. Die Moorleichen sehe ich jetzt mit anderen Augen. Gern würde ich mir denken, dass die FSK Verräter mit diesem Ziel freigab. Allein, mir fehlt der Glaube. Für Kinder wäre er trotzdem ungeeignet.
Hier noch ein besonders gelungener Beitrag zum Themenkreis "Verantwortungsbewusster Umgang mit dem NS-Filmerbe": Wenn man auf der Website der Murnau-Stiftung nach "Filmbestand" und "Erweiterte Suche" das Genre "Abenteuerfilm" anklickt, findet man da Unternehmen Michael. Bravo! Der Krieg als Abenteuer, so muss es sein. Karl Ritter, der alte Haudegen, hätte sich gefreut.
Weitere bereits erschiene Folgen der Serie "Das Dritte Reich im Selbstversuch":
Teil 1: Hitlerjunge Quex
Teil 2: Hans Westmar - Ein deutsches Schicksal
Teil 3: Braune Volkstänzer im russischen Wald
Teil 4: Nicht ohne die Gestapo, oder auch: Ich will meine Mutter wiederhaben!
Teil 5: Ritt in die Freiheit
Teil 6: Die Russen kommen! Aber wo?
Teil 8: Robert und Bertram und Die Rothschilds
Teil 9: Fälschung und Entartung im NS-Kino
Teil 10: Gefahr aus dem Bierkeller
Teil 11: "Es wird ein Signal, ein Weckruf sein!"
Teil 12: "Feinde" und "Heimkehr"
Teil 13: "… reitet für Deutschland"