Der innere Befehl

Das Dritte Reich im Selbstversuch, Teil 13/I: … reitet für Deutschland

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Heute nähern wir uns Arthur Maria Rabenalt an, der einen der bekanntesten Propagandafilme des Dritten Reichs drehte, einer der produktivsten Regisseure der Adenauerzeit war und mit zwei Büchern zum NS-Kino einen prägenden Beitrag zur Debatte leistete. Rabenalt stand 1989 im Mittelpunkt einer Universitätsaffäre, die deutlich macht, wie gründlich die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit misslungen war, und weil der Umgang mit dem uns von den Nazis hinterlassenen Filmerbe so ähnlich ist wie der mit der Pornographie wird es nicht verwundern, dass auch Frau Monssen-Engberdings Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien einen Gastauftritt hinlegt, obwohl ich von dieser Behörde nie wieder reden wollte.

Das Dritte Reich im Selbstversuch, Teil 12: Engel der Volksdeutschen

Was fällt einem zur Universität Bayreuth ein? Genau. Ein tief gestürzter Freiherr und seine Doktorarbeit. 1989 war die Uni Bayreuth schon einmal in einen Skandal verwickelt, in dem ein Freiherr und ein Doktortitel eine Rolle spielten. Der wackere Adelige, ein echter Draufgänger, hieß Carl-Friedrich von Langen, war ein berühmter Spring- und Militaryreiter und gewann 1928 bei den ersten Olympischen Spielen, an denen Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg wieder teilnehmen durfte, zwei Goldmedaillen in der Dressur (Einzel und Mannschaft). 1968 ehrte ihn die Deutsche Bundespost mit einer Olympia-Briefmarke. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung hat ihren Sitz in der Freiherr-von-Langen-Straße in Warendorf (das ist da, wo Hermann Göring bis 2001 Ehrenbürger war, was unangenehm auffiel, als diese Würdigung auch Paul Spiegel zuteil wurde, damals Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland). Die Nazis feierten den Freiherrn als Helden der Bewegung.

Zum Führer geführt

Was von Langen davon hielt, ist schwer zu sagen, weil er 1934 beim Militaryreiten vom Pferd fiel und seinen Verletzungen erlag. Die Nazis sahen im Sport eine vormilitärische Ausbildung, keine individuelle Freizeitgestaltung. Deshalb wurde nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler kräftig verboten und gleichgeschaltet. Von Langen war 1933 Präsident eines der vielen lokalen Reitvereine, die in den SA-Reitersturm eingegliedert wurden. Fortan bekleidete er den Rang eines Obersturmführers. Andere, denen ähnliches widerfuhr, machten nach 1945 geltend, dass sie nur reiten wollten. Das muss man wohl von Fall zu Fall beurteilen. Ein Reiter wurde später Generalsekretär der Vereinten Nationen, ein anderer Bundespräsident (siehe dazu die Waldheim-Affäre und Klaus Staecks Plakat "Prof. Carstens reitet für Deutschland").

Rund um die Olympischen Spiele in Berlin, inszeniert als großes Propagandaspektakel für das NS-Regime, wurden Helden des Sports gesucht. Einer, der sich, wenn er es denn gewollt hätte, nicht mehr wehren konnte, war Freiherr von Langen. Clemens Laar, ein populärer Unterhaltungsschriftsteller, veröffentlichte 1936 das Buch … reitet für Deutschland, in dem er eine stramm auf NS-Linie gebrachte Version des freiherrlichen Werdegangs ("Ein Kämpferschicksal") zum Besten gab. Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten steuerte ein Geleitwort bei, in dem er (oder sein Pressereferent) schreibt:

Im Nachruf der SA heißt es: Er starb für uns und die Ehre der SA! Ein vorbildliches Sterben beendete sein Leben, das ebenso vorbildlich war und das ihm selbst und darüber hinaus seinem Volk und Vaterland Ehre und Ruhm brachte. […] Seine Erfolge lagen in seiner Persönlichkeit begründet, in der alle Tugenden eines Kämpfers, eines Reiters, eines Edelmannes und eines guten Freundes vereint waren, und wer ihn kannte, wird begreifen, daß diese Tugenden ihn auch zum Führer und zum neuen Deutschland geführt haben, wie es für ihn gar nicht anders sein konnte.

Als Beleg sind Photos vom Freiherrn beim Posieren in SA-Uniform abgedruckt, von seinem "letzten Ritt" (in Uniform) und von den Gedenkveranstaltungen der SA nach seinem Tod. Laar garniert das mit Passagen wie dieser, über die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg:

Draußen, jenseits der deutschen Grenze, gibt es wieder Feste, gibt es wieder friedlichen Wettbewerb in der Arena des Geistes oder des Sports. Deutschland? […] Es gibt noch genug große Köpfe in Deutschland, aber sie haben es leider versäumt, sich rechtzeitig als Genosse zu proklamieren. Sie sind also nicht würdig, dieses Paradies der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu vertreten, das man in Weimar zusammengebastelt hat.

Will sagen: Die Weimarer Republik ist eine Demokratie und somit korrupt. Zum Glück gibt es noch die "großen Köpfe", die nicht die Republik repräsentieren, sondern den "deutschen Menschen" aus Sicht der Nazis. Unbeirrbar geht der von Langen in Laars Buch seinen Weg und setzt gegen alle Widerstände durch, dass er auf internationalen Turnieren starten kann. So tritt er "der allgemeinen Feindseligkeit mit einer Leistung" entgegen und auch "der Welle des Hasses und der Verleumdung […], ehe sie immer höher und höher wächst". Durch seine Siege im Sport erobert er für das Vaterland den verlorenen Platz in der Weltgemeinschaft zurück, aus den Lautsprechern der europäischen Turnierplätze erklingt wieder: "Es … reitet … für Deutschland: …", und am Schluss der Verfilmung wird zum ersten Mal nach dem Krieg im Ausland wieder die deutsche Nationalhymne gespielt, weil Freiherr von Langen (im Film: Baron von Brenken) den Großen Preis von Europa gewonnen hat.

Statt an NS-Propaganda kann man da an das "Wunder von Bern" denken und an die Bedeutung, die der Sieg bei der Fußballweltmeisterschaft für das Selbstbewusstsein der Deutschen und für die Rehabilitation des Landes nach dem Zweiten Weltkrieg hatte. Arthur Maria Rabenalt, Regisseur der Verfilmung von … reitet für Deutschland, machte in den 1950ern (und dann immer weiter bis zu seinem Tod) auch geltend, dass sein Reiterdrama ganz unpolitisch gewesen und allenfalls falsch verstanden worden sei. In Film im Zwielicht (1958) schreibt er:

Es ist oft die ungewollte, unbeabsichtigte Resonanz eines Filmes, die ihn politisch werden läßt. Der einzig von einfachen patriotischen Empfindungen getragene Sportfilm um einen Turnierreiter, der ohne politische Absicht hergestellt worden war, wurde erst durch seinen Erfolg sowohl im neutralen und besetzten Ausland wie im Inland zu einem Politikum. Die Folge war, dass der Film ("… reitet für Deutschland") nachträglich das Prädikat "Staatspolitisch wertvoll" erhielt, nach dem Zusammenbruch zu den berüchtigsten Nazifilmen der schwarzen Liste gezählt wurde und dem Regisseur und seinen Hauptdarstellern zu einem fast zweijährigen Berufsverbot - diesmal von den Amerikanern - verhalf (während das mitspielende Pferd Harro von den Russen deportiert wurde).

Rabenalt vergisst dabei zu erwähnen, dass der Sport für die Nazis ein Instrument zur Kriegsvorbereitung war und sein Held nicht nur Pokale gewinnen, sondern zugleich die verfehlte Politik der demokratisch gewählten, jüdisch unterwanderten Regierung korrigieren will: "Eines Tages wird auch die Reichswehr wieder Pferde brauchen, und dann ist die Zucht kaputt. Wir können doch nicht denken wie die Börsenmakler!"

… reitet für Deutschland war einer der großen Publikumserfolge der Saison 1941/42, wurde 1944 von Goebbels auf eine Liste mit neu gestarteten Filmen von "nationaler Wichtigkeit" gesetzt und wäre darum von den Alliierten auch ohne jüdische Kriegsgewinnler, Uniformen und Hindenburg-Bild an der Wand verboten worden. Der Hauptdarsteller Willy Birgel etablierte sich mit seiner Rolle als Rittmeister von Brenken (alias von Langen alias Hasso von Elsenau, wie er im Drehbuch heißt) endgültig als "Herrenreiter des deutschen Films". Mit dieser Rolle identifizieren ihn seine Fans mehr als mit jeder anderen. … reitet für Deutschland, das 1979 erschienene "Willy Birgel Erinnerungsbuch", besteht im Wesentlichen aus dem gekürzten Skript und Standphotos aus dem Film. Als Nachwort gibt es eine von Rabenalts Rechtfertigungsschriften. Ihm gelang es recht gut, … reitet für Deutschland umzuetikettieren und seine Regiekarriere im Dritten Reich in einem milden Licht erscheinen zu lassen. Das geschah mit gütiger Hilfe der FSK, der die Alliierten ihre Verbotsliste übergeben hatten (die Reste dieser Liste landeten später bei der Murnau-Stiftung).

1950 erschien die erste Nachkriegsausgabe von Clemens Laars Buch über Freiherr von Langen. Das Geleitwort des Reichssportführers war entfallen, aus dem "Kämpferschicksal" war ein "Reiterschicksal" geworden. Während Ritt in die Freiheit weiter verboten bleibt (Birgel reitet für Polen), wurde schon 1952 eine bereinigte Fassung (13 Minuten weniger) von … reitet für Deutschland durch die FSK wieder freigegeben. Wie in solchen Fällen üblich, erfuhr weder der Kinozuschauer noch später der Käufer der Videokassette, dass etwas entfernt worden war, was entfernt worden war oder gar aus welchen Gründen. Zensoren mögen keine Transparenz (die ersten drei Telepolis-Leser, die mir den Kommentator eines deutschen Leitmediums nennen können, der nicht nur über die schlimme Anonymität im Internet wettert, sondern auch über solche Hinterzimmer-Aktivitäten, kriegen ein Buch von mir geschenkt).

… stiftet für Deutschland

Rabenalts Flucht ins Dunkel und Fronttheater hat seit 1945 kaum mehr einer gesehen, weil sie bis heute auf der Liste der Vorbehaltsfilme stehen, und Achtung! … Feind hört mit! ist einer dieser Filme über böse ausländische Spione und inländische Verräter, die in der BRD sowieso nicht als Nazi-Propaganda galten, weil es da um die tolle Arbeit deutscher Sicherheitskräfte geht (zu allen dreien demnächst mehr). Unter solch günstigen Voraussetzungen fiel es Rabenalt nicht schwer, sich zum unpolitischen Regisseur harmloser Unterhaltungsware zu erklären. Dabei kam ihm sehr entgegen, dass man sich in rasender Geschwindigkeit darauf einigte, die Filmproduktion des Dritten Reichs in eben jene vermeintlich unpolitische Unterhaltung (die große Masse) und einige wenige Propagandastreifen zu unterteilen, von denen außer Jud Süß und vielleicht noch Der ewige Jude nicht viel in Erinnerung geblieben ist. Hier eine Passage aus einem Leserbrief des in Heidelberg lehrenden Germanisten und Theaterwissenschaftlers Dieter Borchmeyer an den Nordbayerischen Kurier vom März 1989, in dem er Rabenalt in Schutz nimmt:

Er ist nie Nazi gewesen und hat den Unterhaltungsfilm, der im Dritten Reich bewußt als unpolitisches Entlastungs- und Kompensationsmedium toleriert wurde, als Form künstlerischen Überlebens in einer Diktatur angesehen. Man mag das als fragwürdig empfinden, aber wenn man Rabenalt als Naziregisseur ausgibt, müßte man z. B. auch Hans Moser oder Heinz Rühmann als Nazischauspieler bezeichnen. Doch durch solche voreiligen Etikettierungen werden nur die wirklichen Naziregisseure vom Schlage eines Veit Harlan verharmlost. "… reitet für Deutschland" ist ein recht harmloser Film, und "Achtung! Feind hört mit!" ein ‚Auflagefilm’, für den Rabenalt wohl nur sehr bedingt verantwortlich zu machen ist. Das alles ist Filmhistorikern bekannt.

In nur zwei Sätzen von "verharmlost" zum "harmlosen Film": ob das wohl eine Freud’sche Fehlleistung ist? Wer Rabenalts Film im Zwielicht gelesen hat, dem ist bekannt, dass Prof. Borchmeyer hier die Hauptaussagen der ersten beiden Kapitel wiedergibt, "Der Film als Exil" und "Der unpolitische Film des Dritten Reiches". Man muss dem Regisseur aber nicht unbedingt glauben, was er da schreibt. Wie "harmlos" sein Reiterfilm tatsächlich ist, dafür gleich ein paar Beispiele. Zunächst jedoch der versprochene Skandal, der Prof. Borchmeyer zu seinem Brief veranlasste.

Beim Guttenberg-Skandal wurde viel über die Vorbildfunktion des Ministers gesprochen. Als mildernder Umstand muss dann aber gelten, dass er seine akademische Karriere im Freistaat Bayern absolvierte, er sich also in ein Biotop begab, wo es nicht erst in seiner Doktorandenzeit kleine Unregelmäßigkeiten gab. Ich finde, man sollte ihm zugute halten, dass er selbst das Opfer schlechter Vorbilder geworden sein könnte. Manchmal leidet das Rechtsbewusstsein, wenn man mitkriegt, was mit akademischen Titeln alles passieren kann.

1989, als Karl-Theodor zu Guttenberg noch Gymnasiast in Rosenheim war und drei Jahre, bevor er sein Jurastudium aufnahm, machte die Universität Bayreuth Arthur Maria Rabenalt, den "Altmeister der Musiktheaterregie" (Pressetext der Uni), zum Honorarprofessor. Der Titel eines Honorarprofessors kann Personen verliehen werden, die hauptberuflich eine andere Tätigkeit als die des Hochschullehrers ausüben und sich durch besondere wissenschaftliche oder künstlerische Leistungen hervorgetan haben. Der Honorarprofessor darf seinen Titel ohne Zusatz vor dem Namen führen, was in den richtigen Kreisen mindestens so schmückt wie ein "Dr.". Prof. Rabenalt verdankte diese Ehre dem Musikwissenschaftler Prof. Sieghart Döring und der Sprach- und Literaturwissenschaftlichen Fakultät, der das sehr idyllisch in Schloss Thurnau untergebrachte, damals von Prof. Döring geleitete Forschungsinstitut für Musiktheater angegliedert ist. Wie es zum Kontakt mit Rabenalt gekommen war, daran konnte sich später niemand mehr genau erinnern.

Gesichert ist, dass 1985 eine im Auftrag des Thurnauer Forschungsinstituts herausgegebene Festschrift zu Rabenalts 80. Geburtstag erschien, dass Prof. Döring im Juni 1987 die Honorarprofessur beantragte und dass der "Altmeister" die Einrichtung einer Stiftung mit einem Gründungskapital von 100.000 DM zusagte. Zweck der Stiftung, laut ministeriellem Amtsblatt vom 16. Februar 1989: "Förderung der musiktheaterwissenschaftlichen Forschung an der Universität Bayreuth". Am 28. Februar wurde der edle Gönner zum Honorarprofessor ernannt. Diese zeitliche Koinzidenz war aber der pure Zufall, auch wenn Otto Köhler in einem ätzenden Zeit-Artikel etwas anderes suggeriert und von einem "ausgesprochenen Billigangebot der Universität Bayreuth" spricht. 100.000 Mark müsse man schon "auf dem freien Titel-Markt der Privat- und der Schwindel-Hochschulen irgendwo in Südamerika" hinlegen, wo man dann einen Titel ohne Wert erhalte.

Demokratieforschung

Köhler kannte sich aus. Vorher hatte er zwei umfangreiche Artikel über den "Demokratieforscher" Lothar Bossle veröffentlicht. Bossle, Berater von Hans Filbinger und Helmut Kohl, wies seine wissenschaftliche Qualifikation nach, indem er den bei einem Militärputsch ermordeten Salvador Allende einen "sozialistischen Hitler" nannte und auch Willy Brandt und Olof Palme mit Hitler verglich. Auf Druck von Franz-Josef Strauß wurde er 1977 als Ordinarius für Soziologie an die Universität Würzburg berufen, was dort nur ein ehemaliger Wehrmachtspsychologe befürwortete. Ende der 1980er versuchte er mehr schlecht als recht, sich gegen Vorwürfe zu verteidigen, er habe seinen Lehrstuhl und das von ihm geleitete "Institut für Demokratieforschung" zur Doktorenfabrik für Leute mit dickem Geldbeutel umfunktioniert. Zum Rundum-Sorglos-Paket gehörte die Veröffentlichung der Dissertation in Bossles eigenem Verlag.

Zu trauriger Berühmtheit brachte es die vom Pressereferenten einer Antennenfirma verfasste und von Prof. Bossle betreute Doktorarbeit mit dem Titel "Zersetzen, Zersetzen, Zersetzen - Zeitgenössische deutsche Schriftsteller als Wegbereiter für Anarchismus und Gewalt", die von der Bundeszentrale für politische Bildung angekauft wurde. Der Pressereferent einer Walzlagerfirma in Schweinfurt promovierte mit einer Werbeschrift für seinen Arbeitgeber und Franz Georg Strauß, Sohn von Franz-Josef und Bruder der zeitweiligen bayerischen Kultusministerin, interessierte sich, Otto Köhlers Recherchen zufolge, für das von Doktorand Obenhuber zurückgegebene Thema "Die Soldatenwallfahrt nach Lourdes", scheint dann aber den Kairos der Fertigstellung verpasst zu haben.

Der gute Ruf einer Universität ist schnell ruiniert. Einen Doktor wird man schwer wieder los, und bei einem Professor ist es noch viel komplizierter, wie Bayerns Wissenschaftsminister im Fall von Prof. Bossle soeben leidvoll erfahren hatte. Deshalb empfiehlt es sich, genau zu prüfen, ehe man eine Urkunde unterschreibt. Den Mitgliedern des für Rabenalts Honorarprofessur zuständigen Fachbereichsrats in Bayreuth, überwiegend Sprachwissenschaftler, sagte der Name des Kandidaten wenig bis gar nichts. Zur Meinungsbildung zogen sie die Gutachten heran, die bei zwei renommierten Persönlichkeiten in Auftrag gegeben worden waren: Hans-Peter Bayerdörfer, Professor am Institut für Theaterwissenschaft der Uni München und Prof. August Everding, Generalintendant der Bayerischen Staatstheater. Diese beiden Herren konzentrierten sich auf Rabenalts Beiträge zum avantgardistischen Theater der 1920er, die folgenden Jahrzehnte behandelten sie mit viel Mut zur Lücke.

Nach Durchsicht der Gutachten empfahl der Fachbereichsrat einstimmig Rabenalts Ernennung. Der Senat der Universität Bayreuth war auch dafür, und das Wissenschaftsministerium, aus Erfahrung doch nicht klug geworden, segnete die Ernennung im Januar 1989 ab. Einen Monat vorher war die "Natalie-Rabenalt-Stiftung" genehmigt worden. Das Ganze wäre vielleicht eine Provinzposse geblieben, wenn es nicht die Bayreuther Rechtsgelehrten gegeben hätte. Klaus Dieter Wolff, Juraprofessor und Präsident der Universität, ließ es sich nicht nehmen, persönlich nach München zu reisen, um Rabenalt am 28. Februar die Urkunde zu überreichen. Dem 83-jährigen Altmeister war es offenbar nicht zuzumuten, sich das Dokument in der Uni abzuholen, an der er fortan, "nach besonderer Vereinbarung" (Vorlesungsverzeichnis), Lehrveranstaltungen anbieten sollte.

Nach der Urkundenübergabe verschickte das Pressereferat der Uni eine Jubelmeldung, und weil das alles in der Zeitung stand, nebst Hinweisen auf des Ehrenprofessors Schaffen abseits des Musiktheaters, sah sich die Universität Bayreuth alsbald in Erklärungsnot. Prof. Werner Röcke, Mediävist und Prodekan der den Titel vergebenden Fakultät, stellte fest: "Die Gutachten lassen 55 Jahre im Leben des Geehrten aus. Die Zeit von 1933 bis 1989." Die Vertreterin der Fachschaft, die für die Ernennung gestimmt hatte, entschuldigte sich bei den Studierenden, dass sie sich "auf die Aussagen der beiden Gutachter sowie die Kompetenz der Kommission verlassen" habe, "ohne selbst den Sachverhalt genau zu prüfen". Die oberen Ränge wählten dagegen die Offensive.

Den Stein ins Rollen gebracht hatten zwei Artikel im Nordbayerischen Kurier. Präsident Wolff schickte dem Blatt eine ziemlich peinliche Stellungnahme, mit der er die Universität und ihren Honorarprofessor verteidigen wollte und die Sache nur noch schlimmer machte. Der Senat der Universität missbilligte "die Vorverurteilung von Professor Rabenalt" und prüfte disziplinarrechtliche Schritte gegen Fakultätsmitglieder wegen der Weitergabe vertraulicher Gutachten. Wie miserabel das Krisenmanagement der Universität war wurde offensichtlich, als die geplante Verleihung der Ehrendoktorwürde an den Nigerianer Wole Soyinka platzte. Soyinka, der erste mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnete Afrikaner, hatte um eine Verschiebung gebeten und wollte lieber abwarten, weil er, wie Dekan Franz Rottland mitteilte, den Zeitpunkt für ungünstig hielt. Damit hatte sich die Universität Bayreuth Berichte in überregionalen Printmedien wie der Zeit eingehandelt. Solinka nahm den Ehrendoktor 1993 entgegen. Das war, ob Zufall oder nicht, das Jahr, in dem Prof. Rabenalt verstarb.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.