Der innere Befehl
Seite 3: Nazi-Pornographie
"Hallo, antraben!" ruft Bruder Olav, und "der Toms" leistet dem brav Folge. Man kann das als witzigen Dialog begreifen, als heiteres Wortgeplänkel unter Geschwistern. Es ist aber doch etwas anderes. Toms trägt in dieser Szene Reithosen. Fortan werden wir sie in Kleidern sehen, denn geritten wird hier nur vom Rittmeister. Darüber kann es keine Diskussionen geben. Der Held im NS-Film weiß instinktiv, was gut und richtig ist. "Ich weiß, was ich will, sagt von Brenken, was ich tue und was ich tun muss. Es gibt nämlich so etwas wie einen … einen inneren Befehl." Nur wer diesem inneren Befehl folgt, koste es was es wolle, ist ein Führer und ein Naziheld. Die anfangs selbstbewussten, mit eigenem Kopf ausgestatten Frauen müssen in solchen Filmen immer lernen, sich dem Willen des Mannes zu unterwerfen und das gern zu tun. Dazu gibt es üblicherweise eine Szene, in der der Held der Heldin sagt, wie enttäuscht er von ihr ist, weil sie doch nicht die Gefährtin zu sein scheint, die er in ihr sah. Die Heldin erhält dann etwas Zeit, um zu bereuen und zu verstehen, dass der Held richtig gehandelt hat. Anschließend gibt sie keine Widerworte mehr und fügt sich brav in die ihr von den Nazis zugewiesene Rolle.
In … reitet für Deutschland tritt die nur durch weibliche Unterwerfung zu überwindende Krise ein, als von Brenken riskiert, sein Gut Alt-Mellin zu verlieren, weil ihm die deutsche Reiterei und die deutsche Zucht über alles gehen. Toms denkt an die gemeinsame Zukunft und mahnt mehr Pragmatismus an, damit die zu gebärenden Kinder einmal ein schönes Heim haben werden. So etwas kann der Nazi-Held nicht dulden, weil er für höhere Werte kämpft. Das persönliche Glück muss da hintan stehen. Wenn Toms auf dem von ihm gewählten Weg nicht mitgehen könne, sagt der Rittmeister, würde er auch sie aufgeben. Dann hält er eine der Reden, die es an dieser Stelle immer gibt:
Gerade du müsstest das verstehen! Ich liebe dich, weil ich glaube, dass du Charakter hast und also nur das lieben kannst, was Charakter besitzt. […] Ich brauche keine Meinungen. Ich brauche einen Menschen, der zu mir hält. Auf Biegen oder Brechen. Und von dir glaubte ich, dass du so ein Mensch bist.
So kommt es, wie es kommen muss. Toms erkennt, dass sie doch auch Charakter besitzt und keine eigene Meinung braucht, weil der Rittmeister schon eine hat. Vorerst aber lernt man sich gerade kennen. Nein, nein, meint von Brenken, die Beine seien schon noch dran, jedoch: "Lähmung. Unterm Gaul gelegen. Und zwar unterm besten, den ich je geritten habe." Nach dieser wehmütigen Erinnerung an Harro, der nach dem Krieg verkauft wurde, werden noch ein paar Sätze über Glieder gewechselt, die nicht mehr können wie sie sollen, und Olav raunt etwas von einer Kriegsverletzung. Einer alten Konvention nach hat die "Kriegsverletzung" meist mit dem Intimbereich zu tun, wie etwa Ava Gardner in der Hochzeitsnacht mit ihrem nicht mehr ganz vollständigen Grafen erfahren muss (The Barefoot Contessa). Toms weiß das auch, weshalb sie nun bittet, sie nicht für taktlos zu halten, weil sie die "Glieder" erwähnt hat. "Nur nicht erschüttern lassen", antwortet von Brenken mit charmantem Lächeln. Wie bereits erwähnt: Die "Beine" sind noch dran. Also kann man hoffen.
Der Weg zur Genesung jedoch ist weit. Der Rittmeister verliert auch mal die Geduld und sagt dann Sätze wie diese: "Ich muss wieder reiten, sonst bin ich kein Mensch mehr. Wozu lebe ich dann noch." - "Ich will, dass Sie mich gesund machen oder hier verrecken lassen. … Aber hier verfaulen, das gibt’s nicht." - "Auf den Müll gehört so ein lahmer Kerl. … Das lahme Stück Mensch …" - "Ich muss doch den Kadaver wieder in Form bringen!" - "Entweder kaputt oder durch, etwas Halbes gibt es nicht." Die Diktion und die dramaturgische Funktion dieser Dialogsätze wecken bei mir ungute Erinnerungen an einen Film, der etwa zur gleichen Zeit entstand: Wolfgang Liebeneiners Euthanasie-Melo Ich klage an! Ein behinderter Mensch gehört auch in … reitet für Deutschland zum "lebensunwerten Leben". Da es in diesem Film aber um den Sieg über die Krankheit geht, nicht um deren Beendigung mittels Euthanasie, liegt das Hauptaugenmerk auf anderen Feldern der Nazi-Ideologie.
Natürlich ist Toms die Frau, deren Bild von Brenken in dem verlassenen Gutshof in Ostpreußen sah, ehe er Harro begegnete. Das wiederholt sich jetzt. Harro, das in den Nachkriegswirren verlorene Pferd, wird wiedergefunden und auf Gut Alt-Mellin gebracht, wo von Brenkens voreiliger Reitversuch scheitert. Doch Toms ist nun regelmäßig auf dem Gut zu Gast und ersetzt einen von des Rittmeisters Gehstöcken. Nach dessen Bekenntnis zur deutschen Zucht ("Wir brauchen wieder Aufzucht, Reiter, Gestüte! Sonst gehen wir vor die Hunde!") darf sie miterleben, wie er erstmals seit seiner Kriegsverletzung wieder reitet. "Toms, Toms!" jubiliert der Rittmeister. "Toms, ich bin kein Krüppel! Ich bin kein Krüppel, Toms - ich bin kein Krüppel!"
Ernst kann wieder reiten, Harro darf wieder ein edles Springpferd sein und wird nicht zum Ackergaul degradiert wie früher, Toms ist überglücklich. Sie und Ernst küssen sich und sind jetzt ein Liebespaar. Im echten Leben hieß das Pferd Hanko, und das wurde auch der Spitzname seines Reiters, Freiherr von Langen. Im Drehbuch heißt der Held noch Hasso (gestrichener Dialog: "Aber lassen wir es bei Harro. Dann heißt er beinahe so wie ich. Harro und Hasso passt gut zusammen."). Rabenalt, nehme ich an, war das zu dick aufgetragen. Jedenfalls wurde aus Hasso Ernst. Für mich ist das trotzdem - eingebettet in diese Zucht-, Rasse- und Potenzmetaphorik - Nazi-Pornographie. Das geht auch ohne Ausziehen und Vorzeigen des Gemächts von Willy Birgel oder seinem Hengst.
Weiter in Teil II: Es muss geritten werden
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