Dr. Goebbels und die Weltverschwörung: Antisemitismus mit Spiel und Tanz und FSK

Robert und Bertram

Das Dritte Reich im Selbstversuch, Teil 8: Robert und Bertram und Die Rothschilds

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Oskar Roehlers Jud Süß - Film ohne Gewissen und die zugehörigen Verrisse haben es wieder an den Tag gebracht: Wir sind uns darüber einig, dass die Nazis im Kino antisemitische Propaganda betrieben, aber sonst wissen wir nur wenig. Ein Film ist mehr als die Summe seiner Teile. Veit Harlans Jud Süß besteht nicht nur aus den drei oder vier Schnipseln, die man immer sehen muss, weil die Murnau-Stiftung die scheinbar im Paket anbietet. Der Film war Teil einer Gesamtstrategie, auch ihr verdankte er seine Wirkung. Deshalb heute auf dem Programm: Ein antisemitisches Musical und die Weltverschwörung des "internationalen Finanzjudentums".

Teil 7: Verräter und Unternehmen Michael

Wenn über Robert und Bertram etwas geschrieben wird, dann meistens nur, dass der Film schlecht und misslungen ist. Auf der Suche nach dem Ursprung dieser Meinung habe ich zwei Quellen gefunden. Die eine ist Adolf Hitler (fast) höchstpersönlich, der größte Filmkritiker aller Zeiten. Beim Kino des Dritten Reichs gibt es das häufig. Die Artikel einer gleichgeschalteten Presse, die verlautbarte, was gerade gewünscht war, sind nicht sehr aussagekräftig. Also ist man auf Nazigrößen angewiesen, die etwas gesagt oder sich notiert haben. Am liebsten wird der Propagandaminister genommen, weil der zu allem etwas aufgeschrieben hat und gerne auch das Gegenteil. Ohne eigene Hausmacht war Dr. Goebbels auf das Wohlwollen des GröFaZ angewiesen, und bei Bedarf änderte er blitzschnell seine Meinung. Er sagte das auch ganz offen. Hier zwei Sätze aus Der Angriff vom 13. Dezember 1932: "Ich betone, wie so oft schon, daß ich in der Partei keine besondere Richtung vertrete. Es gibt bei uns überhaupt nur eine Richtung und das ist die, die der Führer bestimmt." Man könnte fragen, was unter dieser Vorgabe von Goebbels’ Einlassungen zu halten ist, und ob man sie so unreflektiert übernehmen sollte, wie die Filmpublizistik das meistens tut? Aber wir wollen hier nicht zu kritisch sein.

Der Deutsche schlecht gemacht

Im Dezember 1939 war es wieder mal soweit. Falls es so gewesen ist, wie der Rassenideologe Alfred Rosenberg es in sein Tagebuch geschrieben hat, machte Hitler den Propagandaminister beim Mittagessen 20 Minuten lang zur Schnecke und warf ihm vor: "Im neuen ‚Robert und Bertram’ sei der Deutsche schlecht gemacht." Ein Film, der den Unmut des Führers erregte, konnte nur misslungen sein. Das Publikum sah das scheinbar genauso. Obwohl Robert und Bertram mit knapp 1¼ Millionen Reichsmark nur ein Fünftel von dem kostete, was Harlan für Jud Süß ausgab, hatte der Film Mühe, die Produktionskosten wieder einzuspielen. Das heißt noch nicht, dass er schlecht ist. Streng genommen sagt es auch nichts über die Wirkung. Ein Film, der im Rahmen einer übergreifenden, mehr oder weniger durchdachten Strategie entsteht, sollte im Gesamtzusammenhang betrachtet werden. Er kann, selbst wenn er, isoliert gesehen, misslungen ist, zum Erfolg von anderen Filmen beitragen - und sei es nur, weil die nachfolgenden Autoren und Regisseure aus den gemachten Fehlern lernen.

Robert und Bertram wurde spätestens ab April 1938 entwickelt (Erwähnung in der Filmwelt vom 1.4.), nach den Novemberpogromen von 1938 gedreht und am 7. Juli 1939 in Hamburg uraufgeführt. Unter Goebbels gab es keine Schnellschüsse. Wenn sein Ministerium trotzdem unmittelbar nach den Pogromen eine Reihe von antisemitischen Propagandafilmen auf den Weg brachte, lässt sich daraus ableiten, dass das Ganze von langer Hand geplant war. Robert und Bertram war der erste dieser Filme. Der Regisseur, Hans H. Zerlett, schrieb das Drehbuch mit Gustav Raeders gleichnamigem Bühnenstück von 1865 als Vorlage. Raeders "Posse mit Gesängen und Tänzen" war zuvor schon 1915 und 1928 für das Kino adaptiert worden. Atze Brauner, der selten vor etwas zurückschreckte, wenn sich eine schnelle Mark verdienen ließ, brachte 1961 eine weitere Version heraus (mit Willy Millowitsch und Vico Torriani).

1839. Die Vagabunden Robert und Bertram fliehen aus dem Gefängnis und verdingen sich im "Silbernen Schwan", in dem gerade eine Hochzeit gefeiert wird, als Tellerwäscher. Sie belauschen ein Gespräch zwischen Herrn Biedermeyer und Lips dem Wirt. Biedermeyer will Lips zwingen, ihm seine Tochter Lenchen zur Frau zu geben. Aber Lenchen liebt Michel, der den Militärdienst ableisten muss. Robert und Bertram stehlen Biedermeyer die Brieftasche und finden darin ein Schreiben des Berliner Bankiers Ipelmeyer. Biedermeyer hat sich bei dem Bankier große Summen geborgt, um den in finanziellen Schwierigkeiten steckenden Wirt von sich abhängig zu machen. Jetzt fordert Ipelmeyer sein Geld zurück. Weil das nette Lenchen und ihr Vater die Gastwirtschaft zu verlieren drohen, reisen Robert und Bertram nach Berlin. Sie geben sich als Graf von Monte Christo und als dessen Gesangslehrer Professor Müller aus, stehlen den Familienschmuck der Ipelmeyers und schicken ihn dem Wirt, damit der seine Schulden bei Biedermeyer bezahlen kann. Lenchen verlobt sich mit Michel. Robert und Bertram sind wieder auf der Flucht und fliegen mit einem Ballon in den Himmel, wo sie freundlich aufgenommen werden.

Robert und Bertram, Swiss Miss

Die bei der Hochzeit im "Silbernen Schwan" aufgeführten Volkstänze, der Humor und die über weite Strecken um sich greifende Behäbigkeit erinnern mich an die tristen TV-Erlebnisse meiner Kindheit und an Unterhaltungssendungen wie Der blaue Bock, wo Äppelwoi in Bembeln serviert wurde, Heinz Schenk Kalauer und Altherrenwitze zum Besten gab und die Gesangsdarbietungen ungewollt demonstrierten, was sich Deutschland mit der Vertreibung und Ermordung jüdischer Textdichter und Komponisten angetan hatte. Trotzdem ist der Film nicht ohne Charme. Einige der von Gustav Raeder übernommenen Couplets sind durchaus witzig, und die von Rudi Godden (Robert) und Kurt Seifert (Bertram) gespielten Vagabunden sind entfernte Verwandte von Stan Laurel und Oliver Hardy. Die eine oder andere Szene macht sogar den Eindruck, als habe Zerlett sich seine Inspiration bei Way Out West und The Bohemian Girl geholt. Große Momente des Surrealismus wie den in Swiss Miss, wo Laurel und Hardy ein Klavier über eine Hängebrücke in den Schweizer Alpen transportieren und unterwegs einem Affen begegnen, sollte man allerdings nicht erwarten. Das NS-Kino litt an einer chronischen Phantasielosigkeit, und alles Anarchische war ihm sowieso suspekt.

Swiss Miss

Ewige Vergeltung

Sehr antisemitisch klingt das bisher noch nicht. Auch die vom Reichsfilmarchiv gelieferte Inhaltsangabe ließe eine harmlose Gaunerkomödie vermuten, wenn da das Wörtchen "Judenfamilie" nicht wäre. Das sind die Ipelmeyers. "Diese Ipelmeyer-Szene", sagt Zerlett in einem am 17. Januar 1939 im Film-Kurier erschienenen Drehbericht, "hat schon bei Raeder eine stark antisemitische Tendenz; sie steht auch in meinem Film im Mittelpunkt." Das ist einer dieser gruseligen Sätze, wie man sie in Wortbeiträgen deutscher Filmschaffender der Nazizeit immer wieder findet. Zwei Monate nach der "Reichskristallnacht" sagt ein Regisseur, dass er gerade dabei ist, einen antisemitischen Film zu drehen, und die meistgelesene Filmzeitschrift des Landes druckt das ab, als wäre es eine Selbstverständlichkeit.

Der Film-Kurier war eine Publikumszeitschrift, kein Fachblatt für Judenhasser und NS-Ideologen. Solche Veröffentlichungen machen auch deutlich, dass die Geschichte vom verführten deutschen Volk, dessen Hirne von Jud Süß vergiftet wurden, zu einfach ist. Und sehr bequem. 14 Tage, nachdem das Interview mit Zerlett erschienen war, am 30. Januar 1939, "prophezeite" Hitler in einer Sitzung des Reichstags die baldige "Vernichtung der jüdischen Rasse". Bei dieser Gelegenheit drohte er auch damit, nun verstärkt antisemitische Filme herzustellen. Wie üblich gab er das als Notwehr aus - diesmal gegen Hollywood, das dabei sei, "antinazistische das heißt antideutsche Filme" zu drehen. (Im Mai 1939 lief in den USA Anatole Litvaks Confessions of a Nazi Spy an.)

Bei Raeders Singspiel steht übrigens gar nichts im Mittelpunkt, weil da nur durch die beiden Landstreicher verbundene Episoden aneinandergereiht werden. Die von Zerlett entdeckte "starke antisemitische Tendenz" ist zumindest stark übertrieben und gehört zur Propaganda. Die Nazis beriefen sich gern auf (notfalls gefälschte) Zeugnisse aus der Vergangenheit, die belegen sollten, dass die Verfolgung und Vernichtung der Juden nicht ihre Erfindung war, sondern Teil der "ewigen Vergeltung", wie es der NS-Autor Mario Heil de Brentani nannte. De Brentani steuerte für das Presseheft der Produktionsfirma Tobis zu Robert und Bertram einen Text bei, in dem er Ipelmeyer zum Profiteur des "überhandnehmenden Maschinenwesens" erklärte, vor dem schon Goethe gewarnt habe (das Zitat ist aus Wilhelm Meisters Wanderjahre und steht da in einem völlig anderen Zusammenhang). Der jüdische Bankier sei einer von den Leuten, "die das Neue und Unfaßbare auswerteten und die dem Volke darob unheimlich werden". Und de Brentani weiter: "Gustav Raeder hat den gesinnungslosen Geschäftemacher Ipelmeyer als Typus für Tausende gezeichnet, und er hat damit unsere eigene - hundert Jahre später erfolgte - gewaltige Abrechnung mit all denen, die Eigennutz über Gemeinnutz stellen, vorausgeahnt […]."

Von Goethe über Raeder zum NS-Hetzfilm in ein paar Sätzen: die Nazis bogen sich alles so zurecht, wie sie es gerade brauchen konnten (de Brentani machte das auch mit den eigenen Überzeugungen, setzte sich 1945 nach Kanada ab und gab später die von der DDR gesponserte Zeitung Montrealer Nachrichten heraus). Robert und Bertram ist aber keineswegs so plump, wie man vermuten könnte, oder jedenfalls nicht immer. Dem Bankier Ipelmeyer begegnen wir zum ersten Mal im Café Kranzler in Berlin. Draußen vor der Tür wartet eine Prostituierte auf Kundschaft. So wird der Kommerzienrat Ipelmeyer, noch bevor wir ihn gesehen haben, in einem Milieu von Halbwelt und Unmoral angesiedelt, auch wenn er es sich leisten kann, Stammgast in einem teuren Café zu sein. Das ist nicht ungeschickt und stellt zugleich die Herkunft seines Reichtums in Frage. Später, im protzigen Palais der Ipelmeyers, wird der Buchhalter des Bankiers sagen, dieses habe "mehrere Vermögen" gekostet - gemeint sind die Vermögen der Opfer, die durch Ipelmeyers Geschäfte ruiniert wurden. Der Kommerzienrat selbst formuliert es so: "Wenn Sie jemandem etwas antun wollen, nehmen Sie kein Schwert. Nehmen Sie Tinte und Feder."

Robert und Bertram

Wenn jemand durch geheime Finanztransaktionen (die Verschwörung) ehrbare deutsche Bürger wie Lenchen und ihren Vater in Not bringt, sagt der Film, kann er nur ein Jude mit Hakennase sein. Bertram erkennt Ipelmeyer deshalb gleich: "Das muss er sein, dem Profil nach zu urteilen." Manches kommt in NS-Propagandafilmen dauernd wieder. In Hans Westmar, einem der ersten, muss der Held erbittert feststellen, dass aus einem Berliner Hofbräuhaus-Verschnitt das Nachtlokal "Chez Ninette" geworden ist; dort serviert man jetzt ausländische Konsumgüter, statt weiter "das gute Münchner Bier" auszuschenken, und eine "Negerkapelle" macht die Musik dazu. Damit das anders wird, marschiert Westmar mit seinem SA-Trupp durch die Straßen von Berlin. Ipelmeyer trinkt im Café Kranzler einen Sherry, isst ein Kaviarbrötchen und liest das Börsenblatt. Bertram zeigt, wie es der gute Deutsche macht. Er bestellt eine Berliner Weiße und eine Schinkenstulle und lässt sich die Königl. Privilegierte Berlinische Zeitung bringen. Draußen vor der Tür marschiert der Rekrut Michel, Lenchens Liebster, mit einem Trupp Soldaten vorbei. Demnächst, soll das signalisieren, wird aufgeräumt.

Robert und Bertram

Ipelmeyer fällt umso leichter auf "Professor Müller" und den falschen Grafen von Monte Christo herein, weil er vor lauter Glück darüber, dass sich die beiden Herren mit ihm einlassen, nicht mehr klar denken kann. Ein echter Graf und ein echter Professor würden den Kontakt zu einem Juden, selbst wenn er reich ist, ablehnen; sogar die beiden Vagabunden geben sich nur mit ihm ab, weil es der guten Sache dient (Lenchen soll den ungeliebten Biedermeyer nicht heiraten müssen). Die Botschaft hätte man viel plumper übermitteln können. Zerlett macht das wieder nicht ungeschickt. Außer Robert und Bertram nimmt auch ein englischer Lord die Einladung zu einer Soirée im Palais Ipelmeyer an. Darüber wundert sich sogar der Buchhalter Samuel. "Wir verkehren sehr gern in diesen Kreisen", erwidert der Lord, "die uns very much sympathisch sind." Damit setzt er sich der jüdischen Indoktrination aus. Das passt perfekt in das paranoide Welterklärungssystem der Nazis, die 1939 die Juden für den Krieg mit Großbritannien verantwortlich machten. Aus Hitlers "Aufruf an die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei" vom 3. September 1939: "Unser jüdisch-demokratischer Weltfeind hat es fertiggebracht, das englische Volk in den Kriegszustand gegen Deutschland zu stellen."

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