Dr. Goebbels und die Weltverschwörung: Antisemitismus mit Spiel und Tanz und FSK

Seite 2: Stimme des Blutes

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Ein Film entsteht erst im Kopf des Zuschauers. Weil so etwas schwer zu kontrollieren ist, gab es eine begleitende, die Interpretation lenkende Berichterstattung, die spätestens dann einsetzte, wenn ein Film gedreht wurde. Diese Texte werden informativ, wenn man sie gegen den Strich liest. Hans Hömbergs Kritik im Völkischen Beobachter (16.7.1939) ist scheinbar voll des Lobes über Herbert Hübners schauspielerische Leistung als "Kommerzienrat, der uns in der Maske Offenbachs kömmt und mit beachtlicher Fertigkeit die fettige Kunst des Tarnopoler Jüdelns beherrscht. Was hier Herbert Hübner als Sadduzäer über die lispelnde Zunge bringt, ist keine Karikatur, sondern satirische Charakterisierung." Darin verbirgt sich die Befürchtung, dass Familie Ipelmeyer eben doch als Karikatur wahrgenommen werden könnte, und Hömberg versucht dem vorzubeugen, indem er sagt, wie es "wirklich" ist. In der Tat trägt Zerlett sehr dick auf. Aber auch das ist nicht ganz so plump, wie man meinen könnte.

In Lehrbüchern für den "Lebenskunde-Unterricht" an höheren Schulen wurden die Juden als "seelische Rasse" präsentiert. Das war eine Reaktion darauf, dass viele Juden keineswegs so aussahen wie die Karikaturen im Stürmer, also an äußeren Merkmalen nicht zu erkennen waren. Mit diesem Problem schlugen sich die Nazis lange herum. Ende der 1930er, als die ersten dezidiert antisemitischen Filme entstanden, bedienten sie sich zweier Hilfskonstruktionen, die wechselweise oder kombiniert zum Einsatz kamen:

  1. Es gab Juden, die sich vorsätzlich "tarnten" (um die Weltverschwörung besser voranbringen zu können) und
  2. Es gab unverwechselbare Merkmale, die von einer erst ganz am Anfang stehenden Rassenforschung noch nicht eindeutig identifiziert worden waren, weshalb man vorläufig "der Stimme des eigenen Blutes folgen" musste, wie es in der Antwort der SS-Zeitschrift Das schwarze Korps (29.8.1940) auf die besorgte Anfrage eines Lesers heißt.

In Veit Harlans Jud Süß macht das der als positive Identifikationsfigur angebotene Karl Faber, der in Süß gleich auf den ersten Blick den "getarnten Juden" erkennt. Zerlett erzählt in den Atelierberichten vom Januar 1939, dass auch der das blonde Lenchen begehrende Biedermeyer ein Jude ist. Weil es der Film aber versäumt, ihn als solchen zu entlarven, merkt man das nicht. Es kann auch sein, dass Zerlett oder seine Auftraggeber später umdachten. Robert und Bertram wurde in der Experimentierphase des antisemitischen Films hergestellt. Vielleicht wurde der getarnte Jude während der Dreharbeiten durch den vom Juden zum Bösen verführten Arier ersetzt, der in den folgenden Filmen ein festes Element ist. In Jud Süß ist es der von Heinrich George gespielte Herzog von Württemberg. Im Nachkriegsdeutschland behielt man dieses Sündenbock-Denken bei. An die Stelle des vom Semiten verführten Ariers trat das vom antisemitischen Film Jud Süß verführte deutsche Volk. (Das soll nicht Harlans Film sympathischer machen, sondern nur die hiesige Form der "Vergangenheitsbewältigung" in Frage stellen.)

Zerlett geht lieber kein Risiko ein und zeigt die Juden so, wie es der gemeine Antisemit erwartet: Fett, gierig, mit krummer Nase und krummen Beinen. "Aufgeblasen wie Pfaue und watschelnd wie fette Enten ‚schreiten’ sie, Vater, Mutter und Tochter, zur Tür", schreibt der Völkische Beobachter (23.1.1939) in seinem Drehbericht. Zum Zerrbild gehört, dass man die Juden am Gang erkennt. Beglaubigt wird das von Frau Ipelmeyer. Beim Maskenball antwortet sie auf die Frage des Prokuristen Forchheimer, warum sie ihn trotz Verkleidung erkannt habe: "An de Fieß." Wie vieles in Robert und Bertram ist das doppeldeutig. Es heißt auch, dass Frau Ipelmeyer intime Kenntnis von Forchheimers Körper hat: er ist ihr Liebhaber. Herr Ipelmeyer weiß das, ohne sich daran zu stören. So sind sie eben, "die Juden". Beim Maskenball tritt das Paar als Ludwig XIV. und als Madame Pompadour auf. Das bringt ein paar billige Lacher, tut so, als ob die Juden sich die kulturelle Tradition der Arier ausborgen müssten, weil sie keine eigene haben und erinnert noch einmal daran, dass Frau Ipelmeyer eine Hure ist. Keine arische Frau in diesem Film würde sich als Mätresse kostümieren.

Robert und Bertram

Wenn die Ipelmeyers nicht so viel Geld hätten, wären sie auch noch schmutzig. Ihre Kultiviertheit ist nur vorgetäuscht. Der Bankier lässt seiner Tochter Isidora Französischunterricht erteilen, weil er glaubt, sie dadurch besser verheiraten zu können (Herr Lips, das arische Gegenbild, lehnt es empört ab, seiner Tochter Lenchen wegen Geld die Ehe mit Biedermeyer aufzuzwängen). Und bei der Soirée gibt es nur deshalb eine Ballettaufführung, weil Ipelmeyer mit der Solotänzerin schlafen will. In Jud Süß taucht das Motiv wieder auf: der Herzog (als verführter Arier) will unbedingt ein eigenes Ballett haben, um die Tänzerinnen in sein Bett zu holen. Zwischen den NS-Propagandafilmen gibt es einen regen Austausch der Handlungselemente. Für ihre Funktionsweise und ihre Wirkung ist das wichtig.

Weil alle Juden geil auf arische Frauen sind, erhält Ipelmeyer noch einen Nebenbuhler: seinen Hausarzt Dr. Kaftan. Die Soirée endet mit dem Diebstahl des Familienschmucks, dem Verschwinden des Isidora Ipelmeyer als Gatte zugedachten Grafen von Monte Christo und einer doppelten Diffamierung. Isidoras Wunsch, nun wenigstens vom Buchhalter Samuel entjungfert zu werden (auch Ipelmeyers Tochter ist geil und unmoralisch) bleibt unerfüllt, weil in diesem Film Juden im fortpflanzungsfähigen Alter keinen Geschlechtsverkehr haben dürfen. Bei Raeder ist Samuel mutig und kämpft um Isidora. Zerlett macht ihn lächerlich und impotent, indem er ihn beim Maskenball in eine Ritterrüstung steckt. Der Film präsentiert das als lustige Idee. Wenn man daran denkt, dass zum Vernichtungsprogramm der Nazis die Zwangssterilisation gehörte, bleibt einem das Lachen aber im Halse stecken. Auch Ipelmeyers Bemerkung, er kenne alle möglichen Juden, sogar einen Erzbischof Kohn und einen Lord Rothschild, ist nicht wirklich lustig. Er sagt das zu einer Zeit, als deutsche Staatsbürger ausgeforscht und auf ihre Großeltern überprüft wurden, damit man auch die "getarnten Juden" aussondern konnte.

Robert und Bertram

Strolche und Spießer

Warum also war Hitler so unzufrieden mit diesem Film, dass er Goebbels die Leviten las? Propaganda ist ein schwieriges Geschäft. Alles muss gut aufeinander abgestimmt sein, wenn sie funktionieren soll. Weil den Nazis und ihren Helfern wenig Neues einfiel, bearbeiteten sie gern das, was sich andere Leute ausgedacht hatten. Harlans Jud Süß bedient sich beim gleichnamigen Roman von Lion Feuchtwanger und bei dessen Verfilmung durch Lothar Mendes (wie die Bundesrepublik Deutschland mit Lion und Martha Feuchtwanger umging, die das nicht hinnehmen wollten, ist auch ein trauriges Kapitel). Zerlett plündert das Singspiel von Gustav Raeder, hat die Vorlage aber schlecht ausgewählt. Darum zeigt er unfreiwillig die Risiken des Ideenklaus auf.

Die Liste der Publikumserfolge des Dritten Reichs macht nicht den Eindruck, dass die Kinogänger unbedingt Ringelpiez und deutschen Volkstanz sehen wollten. Populär waren Revuefilme wie Hallo Janine! oder Kora Terry mit einer steppenden Marika Rökk, die von den Nazis misstrauisch beäugt und reglementiert wurden, weil Goebbels & Co. einerseits mit Hollywood konkurrieren (ohne Eleanor Powell, Ginger Rogers und Fred Astaire ein aussichtsloses Unterfangen), andererseits aber ein altväterisches Chauvinistenkino wollten. Zerlett bietet beides, die deutsche Trachtenhochzeit und die ausgelassene Tanzveranstaltung im Palais der Bankiersfamilie, inszeniert letztere jedoch mit viel mehr Verve, als ob er selbst vergessen hätte, dass sich das Publikum für die Hochzeit unter Ariern entscheiden soll, nicht für die jüdische Unmoral und den Maskenball (Harlan lernt in Jud Süß daraus und inszeniert den Tanz viel distanzierter). Albert Schneider sah die Gefahr, dass Gesang, Spiel und Tanz bei Ipelmeyers die propagandistische Absicht unterlaufen könnten und wagte in der Licht-Bild-Bühne (15.7.1939) einen leisen Einwand (den er am Ende zurücknahm, weil Kritik nicht mehr erwünscht war):

So gut das jüdische Milieu dank der hervorragenden Leistungen […] in seiner Lächerlichkeit gezeigt ist, so sehr vermißt man einen einzigen sichtbaren Beweis der Gefährlichkeit des typischen Börsenjobbers und so sehr könnte man an die Beziehungen und die Triebkräfte der Vertreter dieses Milieus und der handelnden Rahmenpersonen sehr kritische Sonden anlegen.

Mit dieser etwas verschwurbelten Formulierung ist gemeint: 1. Ipelmeyer müsste mindestens einmal etwas richtig Böses tun, damit man nicht vergisst, wie gefährlich er ist (die folgenden Filme beherzigten das: der lüsterne Jude lässt bei Harlan den tugendhaften Arier foltern und vergewaltigt Kristina Söderbaum); und 2. Dem bösen Juden muss eine klar erkennbare, die Naziideologie transportierende Alternative gegenübergestellt werden. Darin besteht das Grundproblem eines Films, der nicht "Jud Ipelmeyer gegen den deutschen Michel" heißt, sondern Robert und Bertram. Deutlich wird es in einem Satz, mit dem Bertram sich selbst beschreibt: "Ich bin ein weggelaufener Bourgeois - einer, der lieber ein Strolch sein will als ein Spießer."

Es gibt sehr wohl andere Möglichkeiten, dem Spießertum zu entfliehen. Aber nicht im Dritten Reich. Vagabunden wie Robert und Bertram waren in einem Repressions- und Überwachungsstaat nicht vorgesehen und konnten nur "Strolche" sein. Sie entziehen sich der behördlichen Kontrolle und taugen nicht als positiv besetzte Alternative zu den Juden, die in der NS-Zeit als "Kosmopoliten" bezeichnet wurden, weil sie angeblich heimatlos und keine Deutschen waren (Ipelmeyer, der gern ein "getarnter Jude" sein möchte, verbietet seinem Diener den Gebrauch von Fremdwörtern). Wenn das Nazi-Kino versucht, sich etwas vorzustellen, das über die schlichte Opposition Strolch vs. Spießer hinausgeht, landet man beim Militär. Michel, Lenchens Liebster, ist anfangs ein tumber Tor. Bei der Armee schert man ihm die Haare kurz, lässt ihn exerzieren und marschieren. Am Schluss kommt er als schneidiger Korporal zurück zum "Silbernen Schwan", verlobt sich mit der Wirtstochter und ist wie ausgewechselt.

Robert und Bertram

Der Michel des Singspiels von Gustav Raeder ist ganz anders. Zerlett hat die Rolle geändert, weil auch ihm klar war, dass der Geschichte die - im Sinne der Nazis - positive Identifikationsfigur fehlte. Weil er aber Raeders lockere, durch Robert und Bertram zusammengehaltene Episodenstruktur beibehielt, kommt Michel, der leicht zu übersehende Held, im zentralen Ipelmeyer-Teil kaum vor. Wahrscheinlich hatte ihn auch Hitler nicht bemerkt, als er darüber wetterte, dass in Robert und Bertram "der Deutsche schlecht gemacht" wird. Dorothea Hollstein meint in ihrem Buch "Jud Süß" und die Deutschen, das sei ein Missverständnis gewesen. Diesem Missverständnis dürfte aber nicht nur Hitler erlegen sein. Als Gegenspieler des Juden Ipelmeyer sind Robert und Bertram, unabhängig von ihrer Lebensform und ihrem Strafregister, die Helden des Films. Michel ist zu wenig präsent, um das am Ende mit seiner schmucken Uniform und dem mitgelieferten Selbstvertrauen noch ausgleichen zu können.

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