Der Russe, der Feind
Seite 2: Politische Paradoxa in Zeiten des Krieges
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- Politische Paradoxa in Zeiten des Krieges
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Zu den Paradoxa der aktuellen Entwicklung zählt nicht nur, dass die oft linksliberal geprägten Antikriegsproteste rassistische Übergriffe zu begünstigen scheinen. Zugleich treten rechtsoffene Strukturen wie der sogenannte Bund der Vertriebenen (BdV) gegen "Anfeindungen gegen Mitbürger mit Wurzeln im russischsprachigen Raum in Deutschland" entgegen. Verkehrte Welt in Kriegszeiten.
BdV-Präsident Bernd Fabritius hatte dazu bereits Anfang März angemerkt, man wolle "Putins Krieg nicht in Deutschland" und er mahnte "gesellschaftlichen Zusammenhalt" an. Laut einer Erklärung des BdV warnte Fabritius vor "pauschaler Diskriminierung und Ausgrenzung von Russlanddeutschen, jüdischen Kontingentflüchtlingen und Russen in Deutschland". Diese Menschen gehörten "zu den Opfern von Putins Attacke auf Freiheit und Frieden in Europa".
Wie schon der Präsident der "Landsmannschaften" aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten hatte auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser am 4. März vor Anfeindungen gegen Menschen mit russischen Wurzeln gewarnt.
Die SPD-Politikerin betonte, bei dem "entsetzlichen Angriffskrieg gegen die Ukraine" handele es sich um "Putins Krieg". Es sei jedoch nicht "der Krieg der Menschen mit russischen Wurzeln, die in Deutschland leben", so Faeser gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.
Entgegen all diesen Warnungen wurden in den vergangenen zwei Wochen viele institutionelle Verbindungen zwischen Deutschland und Russland pauschal und eilig abgebrochen – auch in der wissenschaftlichen Sphäre.
Julia Herzberg, Professorin für Geschichte Russlands und Ostmitteleuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München, sieht dadurch Studierende und Wissenschaftler in Russland doppelt gefährdet:
Studierenden und Lehrenden (…) droht für die Teilnahme an Protesten die Exmatrikulation, was für männliche Studierende weit mehr als nur den Verlust des Studienplatzes bedeutet. Sie können nun eingezogen und an die Front in die Ukraine geschickt werden. Wegen dieser beunruhigenden Entwicklungen ist es wichtig, die wissenschaftlichen Kanäle nach Russland offen zu halten. Ein Eiserner Vorhang, an dem deutsche Universitäten und Wissenschaftsministerien voreilig mitstricken, wird uns nicht zu einer europäischen Friedensordnung zurückbringen, sondern er schwächt die russische Zivilgesellschaft und lässt auch die Opposition in Russland im Stich.
Julia Herzberg in der FAZ