Der Schuster bleibt bei seinen Leisten
Die Ergebnisse einer Studie über Gesamtschulen legen nahe, dass weniger die Schulwahl als die soziale Herkunft den entscheidenden Einfluss auf den Werdegang des Menschen ausübt
Über eine lange Zeit hinweg wurde von unterschiedlicher Seite aus viel Hoffnung in das Konzept der Gesamtschule gelegt. Im Gegensatz zu mehrgliedrigen Schulkonzepten sollten Gesamtschulen eine Offenheit in unterschiedlichen Bereichen ermöglichen. In den Klassen wurden Schüler unterschiedlicher Gesellschaftsschichten und Leistungsniveaus unterrichtet. So sollte einer frühzeitigen Selektion der Schüler, wie sie in mehrgliedrigen Schulkonzepten erfolgt, entgegengewirkt werden. Das Niveau der Schüler sollte damit angehoben und Schüler unterschiedlicher Schichten miteinander bekannt werden.
Die Folgestudie Lebensverläufe von der späten Kindheit ins frühe Erwachsenenalter (LIFE) ist ein Gemeinschaftsprojekt der Universität Zürich und der Universität Konstanz. Die neuen Ergebnisse, die der an der Universität Zürich lehrende Soziologe Helmut Fend in der "Zeit" vor ihrer Veröffentlichung vorstellte, zeigen, dass diese von der Gesamtschule erhofften Effekte zwar möglicherweise in der Zeit bestehen, in der die Schule besucht wird, aber dass bei der letztendlichen Wahl für den Lebensweg die soziale Herkunft die entscheidende Rolle spielt.
Fend zeigt sich selbst von den Ergebnissen der eigenen Studie überrascht:
Die Gesamtschule schafft unterm Strich nicht mehr Bildungsgerechtigkeit als die Schulen des gegliederten Schulsystems – entgegen ihrem Anspruch und entgegen den Hoffnungen vieler Schulreformer, denen ich mich verbunden fühle.
Seine eigene Verbundenheit zu den Schulreformern ist für die Ergebnisse der Studie weniger relevant. Dadurch aber, dass er mit seiner neuen Studie eigenen Forschungsergebnissen aus den 70er Jahren widerspricht, wird die Drastik der neuen Studie deutlicher. Diese hat „das schulische Schicksal und den Lebenslauf von 1527 Personen vom 12. bis zum 35. Lebensjahr untersucht“, die im Großraum Frankfurt in die Gesamtschule gingen. Das Ergebnis für den Schulbesuch ist, dass sich die sozialen Unterschiede während des Besuches der Gesamtschule nivellieren und die Leistung der Schüler nicht an ihre Herkunft gebunden ist:
Solange die Schule intern agieren kann, also die Kinder und Jugendlichen beisammenhat und sie nach Leistungen gruppiert, kann sie die soziale Selektivität durchaus reduzieren.
Nachdem der Schulabschluss auf der Gesamtschule erreicht wurde, richtet sich die Ordnung jedoch wieder an der sozialen Herkunft aus. Das Arbeiterkind hat es trotz eines guten Schulabschlusses demnach weit schwerer, einen Hochschulabschluss zu erhalten:
Die Chancen eines Arbeiterkindes, einen Hochschulabschluss zu erreichen, stehen im Vergleich zu einem Kind aus den Bildungsschichten eins zu zwölf.
Der Besuch der Gesamtschule erscheint von dieser Seite aus beleuchtet als eine Insel der Seligen, auf der eine Gleichheit hergestellt wird, deren Erlöschen mit dem Erhalt des Abschlusszeugnisses besiegelt wird. Als positives Ergebnis der Studie für die „Bildungsschichten“ kann festgehalten werden, dass sie ihre Kinder anscheinend gefahrlos auf eine Gesamtschule schicken können. Auch diese verhindert nicht, dass sich Schichten reproduzieren, auch sie stellt keine Veränderung der sozialen Durchlässigkeit mittels Bildung dar.
Mit der Interpretation der Studie, die Helmut Fend liefert, scheint er den Bereich von deren Ergebnissen zu verlassen. Seine Studie stellt den Zusammenhang von gleichen Bildungschancen und sozialer Durchlässigkeit in Frage. Die Vorschläge, die er macht – „gezielte Frühförderung und Unterstützung, etwa durch Ganztagsschulen“, ein zweigliedriges System u.a. – schweben demnach im Leeren, da er selbst mit seiner Studie die Relevanz interner Veränderungen in den Schulen für die Chancengleichheit bezweifelt. Ob seine Vorschläge, mit denen er in die Kerbe von Schulreformen schlagen will, die fortschreitende Differenzierung der sozialen Schichten in Deutschland in irgendeiner Weise beeinflussen könnten, darf somit ebenfalls angezweifelt werden.