Der Schwächste gewinnt
Die Bemühungen vieler Industriestaaten, die Krisenfolgen durch Exportüberschüsse auf andere Währungsräume abzuwälzen, können in einem globalen Abwertungswettlauf münden
Die Ankündigung der japanischen Notenbank, zu einer exzessiven Ausweitung der Geldmenge überzugehen, stieß international auf vehemente Kritik - wobei die deutsche Politelite den Chor der Kritiker anführte.
Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos erklärte etwa Bundeskanzlerin Angela Merkel, sie sei bezüglich der japanischen Geldpolitik "nicht völlig ohne Sorge". Bundesbankpräsident Jens Weidmann sorgte sich wiederum um die Unabhängigkeit der japanischen Notenbank, die nach Ansicht des deutschen Währungshüters nur durch massiven Druck seitens der Politik zu ihrer expansiven Geldpolitik übergehen konnte: "Hinter der Forderung nach einer noch aggressiveren Geldpolitik steht die Drohung, der Notenbank ihre Autonomie zu nehmen." Ähnlich - wenn auch etwas holpriger - argumentierte auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble: "Mir macht sehr viel Sorge, was die neue Politik der neu gewählten japanischen Regierung ist"
Den unmittelbaren Anlass zu dieser inflationären Zunahme von Besorgnisäußerungen deutscher Spitzenpolitiker lieferte die japanische Notenbank mit ihrer Entscheidung, ab 2014 zu zeitlich unbefristeten Aufkäufen japanischer Staatsanleihen überzugehen. Staatspapiere im Volumen von umgerechnet 109 Milliarden Euro sollen im Rahmen dieses Programms aufgekauft werden - pro Monat! Hierdurch wird somit de facto Geld gedruckt, das den Märkten als zusätzliche Liquidität zur Verfügung steht und zu einer Abwertung der eigenen Währung führen soll. Ministerpräsident Shinzo Abe sprach von einem "Paradigmenwechsel" japanischer Geldpolitik, die endlich die hartnäckige Deflation im Land überwinden soll. Bislang waren die Aufkaufaktionen der Bank of Japan in ihrem Umfang strikt begrenzt. Mit der Ankündigung einer zeitlich unbefristeten Gelddruckerei - die von einem umfassenden Konjunkturpaket im Umfang von 173 Milliarden Euro flankiert wird - hofft die japanische Regierung darauf, den aktuellen Rückfall in die Rezession in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt möglichst schnell überwinden zu können. Seit dem dritten Quartal 2012 befindet sich Japan wieder in der Rezession, wobei das exportabhängige Land bereits 2011 einen Wirtschaftsabschwung durchstehen musste, der das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 0,6 Prozent schrumpfen ließ. Allein im vergangenen November sank die japanische Industrieproduktion um 5,8 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. "Wir müssen dem Schrumpfen der Wirtschaft ein Ende bereiten", erklärte der konservative japanische Ministerpräsident Mitte Januar, als er einen regelrechten "Raketenstart" der japanischen Industrie zu Beginn seiner Amtszeit ankündigte.
Abwertung des Yen stößt auf Kritik in Deutschland
Die internationale - und insbesondere deutsche - Kritik an diesen Maßnahmen Tokios ist aber vor allem durch die Tatsache motiviert, dass sie auf eine Steigerung der japanischen Exporte ausgerichtet sind. Je stärker die japanische Währung an Wert verliert, desto größer sind die Vorteile der japanischen Exportindustrie, da sie ihre Waren billiger verkaufen kann als die Konkurrenz. Eine solche Politik zielt somit auf die Erzeugung möglichst hoher Handelsbilanz- und Leistungsbilanzüberschüsse ab, die dann als ein Konjunkturmotor der betreffenden Volkswirtschaft fungieren - und die zu Lasten der Länder gehen, die diese Handelsüberschüsse verkraften müssen.
Da die Erde dem kapitalistischen Weltsystem nur eine begrenzte Fläche zur Verfügung stellt und wir unsere Exportüberschüsse auch nicht ins Weltall abführen können, stellen die Überschüsse der exportorientierten Volkswirtschaften automatisch die Defizite der Importhändler dar. Das Problem dabei bildet also der grundlegende arithmetische Umstand, dass die Handelsüberschüsse des Exporteurs automatisch die Defizite der Importeure bilden. Ein auf Handelsüberschuss fußender Aufschwung beruht somit automatisch auf Defizitbildung, auf Verschuldungsprozessen, im Ausland - und es ist deswegen international so umstritten.
Der deutsche Unmut wird vollauf verständlich, wenn die Wandlungen der deutschen Exportstruktur seit dem Ausbruch der Eurokrise berücksichtigt werden. Japan bemüht sich nämlich gerade darum, das Wirtschaftsmodell des "Exportüberschussweltmeisters Deutschland" möglichst schnell zu kopieren. Der Euro verlor während der Eurokrise massiv an Wert gegenüber vielen Währungen - deswegen haben ja deutsche Exporte in den vergangenen Jahren gerade außerhalb der Eurozone massiv zulegen können. Gerade Japan musste in dieser Krisenperiode massiv unter einem "starken" Yen leiden. Der Euro kostete etwa in der ersten Jahreshälfte 2008 rund 165 Yen, um dann krisenbedingt massiv abzuwerten und ein Kursverhältnis von weniger als 100 Yen Anfang 2012 zu erreichen. Hierdurch konnten deutsche Exporteure massive Vorteile gegenüber ihren japanischen Konkurrenzen verzeichnen.
Die Folge: Die Expektoration Japan musste, verstärkt noch durch größere Energieimporte nach dem Super-Gau von Fukushima, in den vergangenen beiden Jahren erstmals seit 1980 Handelsdefizite verzeichnen. Erst in den vergangenen Monaten gelang es der japanischen Geldpolitik, den Yen etwas zu schwächen, der nun bei knapp bei 120 Yen zum Euro pendelt. Die nun angekündigte Gelddruckerei der Bank of Japan soll somit vor allem diese Abwertung des Yen beschleunigen. Auch innerhalb des besagten japanischen Konjunkturpakets wurden übrigens ungerechnet 30 Milliarden Euro dafür reserviert, um die ungünstigen Wechselkurse für die japanischen Exportunternehmen auszugleichen.
Deutschlands Wirtschaftswachstum beruht auf den beständig wachsenden Schuldenbergen im Ausland
Deutschland ist in bei dieser so umstrittenen Politik des "Exports" der Krisenwidersprüche übrigens mit weitem Abstand führend. Mehr als 50 Prozent des Wirtschaftswachstums in der Bundesrepublik sind auf die auch als "Außenbeitrag" bezeichneten deutschen Handelsüberschüsse in den vergangenen Jahren zurückzuführen. Laut dem Statistischen Bundesamt wäre die Bundesrepublik im vergangenen Jahr in einer Rezession versunken, hätte es diese Handelsüberschüsse nicht gegeben, die das deutsche BIP-Wachstum auf immerhin 0,7 Prozent hievten: "Die Differenz zwischen Exporten und Importen - der Außenbeitrag - steuerte 1,1 Prozentpunkte zum BIP-Wachstum 2012 bei und war damit einmal mehr wichtigster Wachstumsmotor der deutschen Wirtschaft."
Der enorme konjunkturelle Effekt von Handelsüberschüssen ist ergibt sich ja allein schon aus der Tatsache, dass hierdurch die Wirtschaftstätigkeit in der exportorientierten Wirtschaft das Fassungsvermögen des Binnenmarktes übersteigen kann. Ohne Übertreibung kann somit konstatiert werden, dass Deutschlands Wirtschaftswachstum auf den beständig wachsenden Schuldenbergen im Ausland beruht, die hierzulande so gerne kritisiert werden. Ende Januar meldete überdies das Ifo-Insititut, dass Deutschlands Leistungsbilanzüberschuss in 2012 mit 169 Milliarden Euro rund 6,4 Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes umfasste und somit von der EU-Kommission als "stabilitätsgefährdend" für den europäischen Währungsraum eingestuft wurde. In diesem Jahr soll der deutsche Leistungsbilanzüberschuss laut Ifo-Institut sogar auf 6,6 Prozent des BIP der BRD ansteigen.
Aufgrund dieser exzessiven Leistungsbilanzüberschüsse befindet sich Deutschland bereits im Kreuzfeuer internationaler Kritik, die etwa die österreichische Tageszeitung Die Presse folgendermaßen zusammenfasste:
Viele Experten sehen im deutschen Überschuss eines der großen Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft, die für die Finanz- und Schuldenkrise mitverantwortlich sind. Den Ländern mit solchen Exportwerten stehen welche mit Defiziten gegenüber, die ihre Importe über Schulden finanzieren müssen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Industriestaaten-Organisation OECD fordern daher immer wieder von der deutschen Regierung, die Binnennachfrage anzukurbeln, um die Unwucht zu verringern.
Soros warnt vor Währungskrieg
Beim Gipfel in Davos war etwa es der Finanzspekulant George Soros, der die Kritik an dem deutschen Spardiktat in Europa erneuerte. "Die Deutschen glauben an Einsparungen und der Rest der Welt glaubt an geldpolitische Lockerungen", erläuterte Soros. Dieser deutsche Sparkurs, der auf die einseitige Steigerung der Exportüberschüsse der Eurozone abzielt, erhöhe die Gefahr eines "internationalen Währungskrieges", warnte der einflussreiche Spekulant.
Bei solch einem Währungskrieg würden die Notenbanken der wichtigsten Währungsräume bestrebt sein, eine möglichst starke Abwertung der eigenen Währung in Gang zu setzen, um so für die heimische Wirtschaft Exportvorteile zu generieren, die folglich die Handelsüberschüsse gegenüber anderen Währungsräumen ansteigen ließen. Im Endergebnis würde der Inflationsdruck global immer stärker ansteigen, da die Weltfinanzmärkte von einer gigantischen Liquiditätswelle überrollt würden.
Tatsächlich bauen sich solche Tendenzen zu einem internationalen geldpolitischen Abwertungswettlauf schon seit Jahren immer stärker auf. Die währungspolitischen Spannungen zwischen den USA und China, bei denen Washington eine substanzielle Aufwertung der chinesischen Währung fordert, schwelen zwischen beiden Großmächten schon seit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise im Jahr 2008. Die Schweiz reagierte auf die starke Aufwertung des Franken mit einer festen Kopplung ihrer Währung an den Euro, um so weitere wirtschaftliche Nachteile zu vermeiden. Überlegungen zu einer weiteren geldpolitischen Lockerung gibt es auch in Großbritannien . Die Vereinigten Staaten, die auch im vergangenen Jahr ein enormes Handelsdefizit verkraften mussten, tragen sich sogar mit dem Gedanken, Klagen wegen Währungsmanipulationen vor der Welthandelsorganisation anzustrengen. Rund fünf Millionen Arbeitsplätze sollen in den USA aufgrund der dortigen Handelsdefizite verloren gegangen sein.
Währungsabwertung statt Protektionismus
Das Instrument der Währungsabwertung ist auch deswegen so populär, weil bislang alle großen Wirtschaftsräume auf offenen Protektionismus verzichten - aus berechtigten historischen Erfahrungen heraus. Sollten aber solche offenen Handelsbarrieren in Zukunft zur Anwendung gelangen, würden aufgrund von Vergeltungsmaßnahmen die bisherigen Währungskriege zu regelrechten Handelskriegen eskalieren, was einen schweren ökonomischen Einbruch mit sich brächte.
Die Weltwirtschaftskrise von 1929 führt drastisch vor Augen, wie protektionistische Politik wirtschaftliche Verwerfungen zusätzlich verstärken kann: In Juni 1930 passierte der "Smoot-Hawley Tariff Act" das US-Repräsentantenhaus, der hohe Schutzzölle auf nahezu 20 000 in die USA importierte Waren verhängte. Die darauf folgende protektionistische Welle verringerte das globale Handelsvolumen dramatisch: Der US-Import ging bis 1933 um 66 Prozent zurück, der Export sank um 61 Prozent.
Die verstärkte Fokussierung kapitalistischer Krisenpolitik auf rücksichtslose Exportförderung resultiert aber vor allem aus den eigentlichen Krisenursachen, die in der warenproduzierenden Industrie zu verorten sind. Die Krise ist im Kern eine systemische Überproduktionskrise, die seit Jahrzehnten aufgrund der Rationalisierungsschübe im Gefolge der 3. industriellen Revolution von Mikroelektronik und Informationstechnologie schwelt. Die Staaten bemühen sich derzeit darum, Produktionsüberschüsse zu exportieren, um Arbeitsplätze zu erhalten. Dies geschieht auf Kosten anderer Volkswirtschaften, die diese Importe - die wiederum deren Binnenwirtschaft zusätzlich zu destabilisieren drohen - durch Währungsabwertungen oder protektionistische Maßnahmen abzuwehren versuchen. Die drohenden internationalen "Währungskriege" bringen somit die Gefahren einer neuen protektionistischen Welle sowie eines massiven Inflationsschubs mit sich.