Der Sieg in Afghanistan?

"IS in Khorasan", Propagandafoto

Der aktuelle SIGAR-Bericht bestätigt, dass auch diese US-Regierung keine erfolgreiche Strategie hat

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Der amerikanische Verteidigungsminister Mattis gab sich Mitte März optimistisch. "Wir sehen einem Sieg in Afghanistan entgegen", sagte er. Mattis meinte keinen militärischen Sieg, sondern eine Versöhnung auf politischer Ebene, wie er präzisierte. "Sieg in Afghanistan" bedeute, dass es zu einer Vereinbarung zwischen den Taliban und der Regierung in Kabul komme.

Aus amerikanischer Sicht sei wichtig, dass die afghanische Armee das Land selbstständig absichern könne und Afghanistan "kein Hafen mehr für Terroristen" sei, die international Attentate verüben, wie das vor den Anschlägen am 11. September 2001 der Fall war, als al-Qaida das Land als Basis nutzen konnte.

Eindeutige Ziele beim IS und den Taliban

Die Selbstmordanschläge am Montag in Afghanistan dokumentierten erneut, wie gefährlich die Situation in der Hauptstadt Kabul ist (nicht nur dort, siehe Anschläge und Angriffe allerorten in Afghanistan). Mindestens 29 Menschen starben in Kabul; 52 wurden verletzt. Zu den Getöteten gehörten neun Journalisten, denen eine Falle gestellt wurde. Internationale Medienaufmerksamkeit war sicher. Der IS bekannte sich zum Anschlag und bekam die erwünschten Schlagzeilen. Auch das ist ein Sieg, besonders seitdem die Nachrichten vom IS-Kalifat in Syrien schlecht sind.

Die Strategie des IS in Khorasan, auch "ISIS-K" genannt, ist nicht kompliziert: Die Anschlägen machen auf die Präsenz der Gruppe und ihre Schlagkraft aufmerksam, es geht wie schon zuvor in Syrien darum, möglichst viele neue Kämpfer und Anhänger zu rekrutieren.

Unter den Taliban-Gruppierungen gibt es solche, die zu Friedensverhandlungen mit der Regierung bereit sind oder dies zumindest signalisieren, allerdings mit einer Forderung, die für die USA nicht akzeptabel ist: "den kompletten Abzug des US-Militärs und anderer ausländischer Truppen aus Afghanistan" ("Der Ball liegt nun bei den Taliban").

Für andere Taliban-Gruppen kommen Verhandlungen gar nicht in Frage. Gemeinsam ist ihnen allen das Ziel, dass die USA und ihre westlichen Verbündeten Afghanistan verlassen müssen.

Trump: Verhandlungsbereitschaft militärisch erzwingen

Man kann davon ausgehen, dass die USA in Afghanistan bleiben wollen, wenn auch mit einem möglichst kleinem Kontingent. Schwer vorstellbar ist, dass die USA nach fast 16 Jahren aufwendiger Miltär-Präsenz in dem geopolitisch wichtigen Land ihre Truppen vollkommen abziehen. Zumindest dieses Ziel ist einigermaßen klar.

Alles was sonst an Zielvorstellungen in den vielen Jahren geäußert wurde, war nicht zu realisieren, sehr teuer oder vage. Trump hatte als Strategie vorgegeben, dass mehr Militäreinsatz die Taliban zum Verhandlungstisch zwingen sollte. Das hat bislang überhaupt nicht funktioniert, wie Berichte zur Frühjahrsoffensive der Taliban aufzeigen, auch wenn sich, wie Voice of America berichtet, Militärs beflissen bemühen, positive Entwicklungen zu erkennen.

Der jüngste SIGAR-Bericht untermauert wie gewöhnlich das Gegenteil. Schon zu Anfang des Jahres hatte der Special Investigator General for Afghan Reconstruction in seinem Bericht trotz mancher "alternativer Fakten" nahegelegt, dass es dort nicht zum Besten steht (Afghanistan: Mehr als 60.000 Taliban-Kämpfer).

Aus dem aktuellen, mehr als 270 Seiten starken SIGAR-Bericht wird hervorgehoben, dass die USA trotz beträchtlichen Aufwands nicht verhindern können, dass sich die Situation weiter verschlechtert.

9 Milliarden Dollar, damit weniger Opium produziert wird

Beinahe zwei Jahrzehnte lang hätten die USA etwa 126 Milliarden Dollar in Wiederaufbau-Projekte ("relief and reconstruction") gesteckt, weltweit rangiere das Land auf Platz 183 auf der Liste der Länder, mit denen man Geschäfte machen kann. Weniger als ein Drittel aller Afghanen seien an das Stromnetz angebunden, zitiert das Magazin Foreign Policy aus dem SIGAR-Bericht.

Fast neun Milliarden Dollar seien von den USA seit 2002 allein dafür ins Land geflossen, dass weniger Opium produziert würde, heißt es im Bericht, der feststellt, dass die Produktion stetig weiter gewachsen sei und im Jahr 2017 sogar ein Wachstum um 67 Prozent gegenüber dem Vorjahr erzielt habe.

Ebenfalls deutlich habe die Zahl der Selbstmordanschläge im Jahr 2017 zugenommen, nämlich um 50 Prozent. Dass in den ersten Monaten 2018 von der US geführten Koalition mehr Bomben abgeworfen wurden, habe dem Land bislang noch keinen erkennbaren Zuwachs an Stabilität gebracht.

Die Unsicherheit im Land nimmt zu

Der Eindruck ist im Gegenteil, dass die Unsicherheit im Land zunimmt. Wie der Afghanistan-Kenner von Afghanistan-Analysts, Thomas Ruttig, in seinem detaillierten und sachkundigen Bericht zu den "Sicherheitstrends 2017" (veröffentlicht Ende Januar 2018) beschreibt, sind die objektiven Indikatoren über die Jahre weniger geworden.

Es gebe weniger Quellen und weniger Transparenz. Als Beispiel nennt Ruttig neben anderen die Aufzeichnung von sicherheitsrelevanten Zwischenfällen, von verwundeten oder getöteten Soldaten. Entsprechende Nato- oder US-Aufzeichnungen darüber seien mit Dezember 2014, als das Mandat in Resolute Support geändert wurde, eingestellt worden.

Seinem ausführlichen Bericht ist zu entnehmen, wo Lücken für an der genauen Situation Interessierte gefüllt werden können, eine Station wäre etwa die UNAMA, wo zivile Opfer unter der afghanischen Bevölkerung aufgezeichnet werden.

Ruttigs Bericht ist gar nicht optimistisch. Der erklärte Gegner von Abschiebungen von Flüchtlingen nach Afghanistan berichtet anhand nachvollziehbarer Indizien, dass das Land für Bewohner gefährlicher wird. Die Gewalt haben zugenommen und sei mehr verbreitet als zuvor. Die "Arbeitshypothese" für Rückführungen des deutschen Innenministeriums, wonach Teile Afghanistans sicher seien, widerlegt Ruttig.

Über die Hälfte der Regierungsdistrikte sind umkämpft

Zu den relevanten Indizien gehört der Stand der Dinge darüber, wie viel Gebiete die Regierung kontrolliert und wie viele die Taliban. Seit langem gibt es hierzu Ergänzungen oder Präzisierungen vom Long War Journal zum SIGAR-Bericht.

Das Long War Journal (LWJ) erklärt, dass seine Zahlen aktueller sind und die Stärke der Taliban weniger vertuschen. SIGAR habe eine eigene Kategorie - "von Taliban beeinflusst" -, um die afghanischen Regierungsdistrikte zu markieren. Beim LWJ zähle man diese Kategorie zur Kategorie mit den Namen "umkämpft".

Die drei Kategorien ("von der Regierung kontrolliert", "von den Taliban kontrolliert" und "umkämpft") würden genügen, um sich ein klares Bild zu machen.

Im SIGAR-Bericht, der sich auf Daten bis Ende Januar 2018 stützt, kontrolliert die afghanische Regierung 229 Distrikte von insgesamt 407. Das sind 56,3 Prozent. Die Taliban kontrollieren oder beeinflussen 59 Distrikte (14,5 Prozent). 119 Distrikte (29%) sind umkämpft.

Nach Information des LWJ kontrolliert die afghanische Regierung lediglich 159 Distrikte (39 Prozent) und die Taliban 39 (9,5%). Etwa die Hälfte, 200 Distrikte, 49 Prozent, sind umkämpft. Von neun Distrikten (2 Prozent) sie dem Journal der Status nicht bekannt.

Aus dieser Aufreihung ergibt sich die Ansicht, dass die Regierung in 239 Distrikten, mit 59 Prozent anteilig weit über der Hälfte, keine sichere Kontrolle hat, da diese in 39 Fällen in den Händen der Taliban ist und die Regierungshoheit in 200 Distrikten bekämpft wird.