Der Silberstreif am digitalen Horizont
Erste Anzeichen für eine Wende bei der Definition allzu weitreichender Schutzrechte für geistiges Eigentum
Nach einem Jahr juristischer Siege für die Content-Industrie, um die Besitzrechte für geistiges Eigentum auszudehnen, beginnt dieses Vorgehen Züge seiner inneren Widersprüche zu zeigen. Kontinuierlich weitet sich die Kluft zwischen dem, was die Gesetze vorschreiben, und dem, was die Leute tatsächlich tun. Zusätzlich werden durch die negativen Nebeneffekte der neuen Gesetze langsam wichtige Gruppen entfremdet, speziell die Technologie-Entwickler. Die Chancen für die Content-Industrie, die völlige Kontrolle über Inhalte zu erlangen, verringern sich zusehends und das Potenzial für eine radikale Innovation ist noch vorhanden.
Für das Internet als Innovationsplattform war das Jahr 2001 das Horrorjahr. Jetzt nahmen die Content-Industrien, angeführt von den Musiklabels, das Internet ernst und ihre vereintes Streben, die Kontrolle über ihr geistiges Eigentum in der neuen Umgebung wiederzugewinnen, machte sich bemerkbar. Wie offenbar wurde, ist die "Wiedergewinnung der Kontrolle" ein Euphemismus dafür, dass sie ihre Kontrolle über Inhalte gewaltig ausdehnen und im Zuge dessen die legalen und gebräuchlichen Rechte verschiedener Nutzergruppen verletzen.
Ein Schlüsselelement in diesem Drang ist der berüchtigte US Digital Millennium Copyright Act (DMCA), der den Copyright-Schutz ausdehnt, unter anderem indem das Herumbasteln am technologischen Schutz digitalen Inhalts illegalisiert wird. Einige hochrangige Fälle ließen die gewaltigen Verästelungen dieser Klausel in aller Schärfe hervortreten.
So wurde im April Edward Felten, Professor an der Universität Princeton, dazu gezwungen, eine öffentliche Präsentation vor einem Publikum von Computersicherheits-Experten abzusagen. Er wollte darüber berichten, wie er und sein Team ein Stück Code entschlüsselt haben, das Musikdateien vor unberechtigtem Kopieren schützen sollte. Für die Musikindustrie bedeutete dies ein mit der Kopierschutz-Technologie, nach dem DMCA illegal, und das obwohl die Musikindustrie selbst genau dazu öffentlich herausgefordert hatte.
Im Juli wurde der russische Programmierer Dmitry Sklyarov verhaftet, weil er bei einer Konferenz in Las Vegas ein Stück Code vorgeführt hatte, das Anwendern den Inhaltsschutz von Adobes E-Book Technologie zu umgehen erlaubte. Er verbrachte mehrere Wochen im Gefängnis, bevor er auf Kaution freigelassen wurde. Erst im Dezember konnte eine Einigung erzielt werden, die ihm erlaubte die USA zu verlassen, im Gegenzug für seine Kooperation in der Klage gegen seinen Arbeitgeber, die russische Firma Elcomsoft.
Im Lauf des Jahres wurde dann noch das New Yorker Hacker-Magazin "2600" bestraft, wieder aufgrund des DMCA, wegen DeCSS, einem Tool zur Entschlüsselung des Content Scrambling Systems für DVDs. Jede DVD hat einen sogenannten Regionalcode, der es unmöglich macht, etwa eine DVD, die auf dem asiatischen oder dem amerikanischen Markt herausgebracht wurde, auf einem europäischen DVD-Player abzuspielen. Es verunmöglicht auch, DVDs auf nicht autorisierten Geräten abzuspielen, beispielsweise solchen in Verbindung mit Linux-Systemen. Dieser Spruch ist derzeit in Berufung. (Der DMCA muss fallen)
In jedem dieser drei Fälle spielte der Zweck, zu dem die technische Schutzvorrichtung umgangen wurde, keine Rolle. Weder Sklyarov, Felten oder die Hacker von "2600" haben Piraterie befürwortet. Sklyarovs Programm beispielsweise gestattete Anwendern, ihr E-Book über einen Sprach-Konverter laufen zu lassen, obwohl der Herausgeber diese Option aus welchen Gründen auch immer ausgeschalten hatte. Feltens Vorführung zielte darauf ab, den Wissensstand in Computersicherheit zu erhöhen, indem die Schwächen eines Verschlüsselungsalgorithmus gezeigt wurden. Und das DeCSS-Programm wurde geschrieben, damit auch Linux-Anwender ihre DVDs auf den eigenen Computern abspielen können. Nichts davon war zuvor illegal, und die meisten Anwender denken nach wie vor, dass es nicht illegal sein sollte. Denn warum sollte der Vertreiber einer DVD das Recht haben, den Anwender zu gebieten, welches Betriebssystem sie verwenden sollen?
Die Tatsache, dass solche Technologien auch für Piraterie genutzt werden könnten, war für die Content-Industrie schon Grund genug, vor Gericht zu ziehen und dabei diente der DCMA als das Vehikel, um ihre Strategie durchzuziehen. Zu dem Gefühl, dass die Anwälte eigentlich über die Entwicklung des Internet sprechen, trug die gerichtliche Niederlage von Napster bei, trotz nie dagewesener Beliebtheit bei den Anwendern. Zusammen mit dem höllischen Drang der Europäischen Union, eine ähnlich ausgedehnte Gesetzgebung einzuführen, schien dies als könnte die Content-Industrie tatsächlich ihren Traum einer völligen Kontrolle über ihr geistiges Eigentum erreichen. Von geringer Wichtigkeit schien dabei die Verletzung der Rechte des fairen Gebrauchs (Sklyarov), der Meinungsfreiheit (DeCSS), oder der Freiheit von Wissenschaft und Forschung (Felten).
Doch in den letzten paar Monaten tauchten einige Risse in diesem Bild auf, und es werden sogar innerhalb der Industrie jene Stimmen lauter, welche die Kontraproduktivität dieser Strategie behaupten.
Business Week verlieh kürzlich jenen Befürchtungen Ausdruck, dass die Industrie "eine Kultur digitaler Gesetzlosigkeit begünstigt", weil eine zunehmende Anzahl von Personen es für gerechtfertigt hält, die aufgeblasenen neuen Copyright-Gesetze nicht zu befolgen. Elektronikgeschäfte in ganz Europa zum Beispiel bieten die Entfernung regionaler Restriktionscodes aus DVD-Playern an. Während das sicherlich nicht legal ist, wird es von größeren Geschäften für ihre gewöhnliche Kundschaft durchgeführt, ohne große Angst vor einer Anklage. Egal was die Gesetze vorschreiben, fühlen sich die Leute im Recht, wenn sie ihre eigenen DVDs anschauen möchten, ohne Rücksicht darauf, woher die Kopie kommt.
Was der Artikel in Business Week zeigt ist, dass sogar eiserne Verteidiger von Copyright zu verstehen beginnen, dass es eine Grenze für Gesetze gibt, die den Leuten Werte und Verhaltensweisen aufzwingen wollen. Wenn Gesetze den Commonsense nicht beachten - beispielsweise die Wahrnehmung von Anwendern, dass sie im Besitz ihrer gekauften Disk sind - dann werden sie eben einfach ignoriert. Je seltsamer der Versuch, neue Beschränkungen durchzusetzen, desto weniger werden die Leute sie befolgen wollen. Mit dem Effekt, so behaupten die Kritiker auf Seiten der Industrie, dass Leute, die durch ausufernde Beschränkungen befremdet sind, immer weniger Gründe dafür sehen, Copyrightgesetze im einzelnen zu beachten und damit die moralische Schranke gegen den Kauf von Raubkopien sich auflösen wird.
Aber nicht nur die Kundschaft ist zunehmend befremdet und gegen die neuen Copyright-Schutzmuster feindlich gestimmt. Der holländische Elektronikriese Philips, der die Linzenz-Technologie von Musik-CDs verwaltet, hat kürzlich damit gedroht, die Lizenz für Kompaktdisks mit Kopierschutz-Technologie aufzuheben (Gegen Konzerne helfen nur Konzerne). Das Unternehmen führt an, dass diese Technologie die CDs inkompatibel mit bestimmten Playern macht, zum Beispiel solche in Computern. Philips behauptet, dass CDs mit dieser Technologie die lizenzierten Standards verletzen, die 1980 eingeführt wurden. Indem es die Lizenz aufhebt, könnte Philips die Labels dazu zwingen, auf kopiergeschützen CDs ein Warnung anzubringen. Das würde dem Verkauf dieser Disks sicherlich Schaden zufügen.
Freilich ist Philips keineswegs gegen geistiges Eigentum. Schließlich beruht die Drohung auf der Kontrolle des Unternehmens über die Standards der CD-Technologie. Philips stellt sich gegen den Versuch der Content-Industrie, deren eigene Interessen der technischen Entwicklung aufzuerlegen. Philips will, dass die Konsumenten CD-Player und CDs kaufen. Eine Aushöhlung des Vertrauens in die Qualität des Standards ist für Philips bedrohlicher als eine mögliche Copyright-Verletzung am Inhalt der CD. Früher lagen die Interessen von Philips und die der Musikindustrie nah beieinander. Das ist nicht mehr unbedingt länger der Fall.
Der technologische Copyright-Schutz jedenfalls würde am besten funktionieren, wenn die Content-Industrie technische Hersteller wie Philips davon überzeugen kann, ihre eigenen Interessen denen der Content-Industrie unterzuordnen. Das wird zunehmend schwierig, vor allem weil Technologien des Digital Rights Management (DRM) bislang am Markt versagt haben.
Ein spezieller Fall sind hier die elektronischen Bücher. Viele Verleger zögern mit dem Verkauf von elektronischen Büchern, weil sie befürchten, ihre Kontrolle über die Inhalte zu verlieren, wenn diese erst mal digitalisiert sind. Die Konsumenten waren nicht daran interessiert, E-Book Reader zu kaufen, teilweise zumindest weil die Auswahl so klein war. Je mehr die Verleger realisierten, dass es keinen Markt für E-Books gibt, desto weniger waren sie gewillt, in teure und noch nicht bewährte DRM-Systeme zu investieren. Wie jüngst in Technology Review aufgezeigt, befindet sich die DRM-Industrie in der Krise. Im vergangenen Jahr hat eine Menge von Unternehmen entweder dichtgemacht oder die Zahl der Mitarbeiter wesentlich reduziert.
Das Problem ist, dass viele Verfahren außergewöhnlich kompliziert sind. Sie schränken Anwender auf so vielen Ebenen ein - beispielsweise indem sie ihnen nicht erlauben, ein geschütztes Dokument auf mehr als einem Gerät zu lesen - dass die Leute für solchen Inhalt nicht zu bezahlen bereit sind. Die DRM-Industrie ist freilich noch nicht gestorben, aber ihre Schwierigkeiten zeigen, dass es auch ein technologische Grenze dafür gibt, was den Anwendern zugemutet werden kann, die wesentlich verschiedene Werte vertreten als die Industrie.
Sogar Napster, nach einer Reihe von rechtlichen Rückschlägen praktisch tot, springt ins Leben zurück. Marilyn Hall Patel, Bundesrichterin in San Francisco, die zuvor gegen Napster entschieden hatte, stellt sich in einer jüngsten Erkenntnis auf Seiten des umkämpften Filesharing-Unternehmens. Die Praktiken der Tonträgerindustrie, unabhängige Online-Vertreiber zu schließen um dann eigene Unternehmen wie MusicNet und Pressplay zu gründen, so ihre Begründung, setzen sich mindestens dem Verdacht aus, die Anti-Trust Gesetze zu verletzen. Zudem hat sie den Plattenfirmen auferlegt, den Nachweis zu erbringen, dass sie nicht einfach versuchen Mitbewerber auszuschalten. Obwohl diese Entscheidung zu Napsters Glück unmittelbar nicht beiträgt, so zeigt sie doch an, dass die Content-Industrie ihre bedingungslose Unterstützung durch die amerikanischen Gerichte verlieren könnte, die gegenüber ihrer Argumentation zunehmend skeptisch werden.
Wie all diese jüngsten Ereignisse zeigen, wächst die Gegnerschaft zur Strategie der vollständigen Kontrolle über Inhalte, mit der die Content-Industrie ihre veralteten Geschäftsmodelle aufzubessern sucht. Es ist von Wichtigkeit, dass diese Gegnerschaft nicht mehr nur von außerhalb der Industrie kommt - wo Leute wie Lawrence Lessig mit ihren Anstrengungen hervorgetreten sind, um die Öffentlichkeit aufzuklären und die Gesetzgeber über den Wert der Einschränkung geistiger Eigentumsrechte - sondern eben auch von zuvor Verbündeten der Content-Industrie. Es wächst die Einsicht, dass Innovation und nicht Einschränkung der beste Überlebensweg ist. Während es noch viel zu früh zur Voraussage ist, wie die Kämpfe um Anwenderrechte ausgehen werden, sieht doch die Rechtslage der alten Garde immer weniger eindrucksvoll aus. Das wenigstens ist ein Silberstreif am Horizont.
Aus dem Englischen von Frank Hartmann