Der Tanz der Eiszeiten: Ein Blick ins Holozän

Seite 2: "Jenseits des Hockeyschlägers"

Folglich ist ein wichtiger Part der Wissenschaft die sogenannte Zuordnungsforschung, oder auch Attributionsforschung. Im siebten Kapitel des Buches "Jenseits des Hockeyschlägers" (im Original: "Beyond the Hockey Stick") wird erläutert, wie in Klimamodellen beispielsweise unterschiedliche Szenarien durchgespielt werden.

In einem davon hat die industrielle Revolution und eine damit verbundene Zunahme an Treibhausgasen nie stattgefunden. Der gemessene Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur konnte jedoch durch natürliche Faktoren, wie häufigere oder stärkere Vulkanausbrüche oder Schwankungen der Sonneneinstrahlung nicht reproduziert werden.

Ganz im Gegenteil: Der Planet hätte sich ohne unser Eingreifen sogar leicht abkühlen müssen, wären ausschließlich natürliche Faktoren im Spiel gewesen.

Die Folge: Wir heben das ganze planetarische Ökosystem auf ein anderes Niveau, speziell die Meere sind hier massiv betroffen. Die Frage, ob die Erde dadurch in Richtung einer El-Niño- oder einer La-Niña-Welt driften wird, mit welcher Anhebung des Meeresspiegels zu rechnen ist und ob wir kurz vor einem möglichen Kipppunkt des Förderbandes der nordatlantischen Ozeanzirkulation, die "Atlantic Meridional Overturning Circulation", kurz AMOC stehen, all das ist im Detail noch ungeklärt.

Jedoch verstärken sich die Anzeichen, dass schon einiges im Gange ist, schließlich prognostizieren Klimamodelle schon länger eine Abschwächung der AMOC für dieses Jahrhundert, sollten wir weiterhin Kohlenstoff verbrennen und den Planeten erwärmen. Ursache dafür ist in erster Linie das Schmelzwasser des Grönländischen Eisschilds, der sich aufzulösen beginnt.

Die Beobachtungen aus der Paläozeit der letzten zwei Jahrtausende deuten auch darauf hin, dass eine erhebliche Abschwächung bereits eingetreten ist. Alle diese paläoklimatischen Daten kommen zu demselben beunruhigenden Ergebnis: Die AMOC hat sich im letzten Jahrhundert so stark abgeschwächt wie nie zuvor innerhalb unserer Zeitrechnung.

Die paläoklimatischen Daten aus dem Erdzeitalter unterstreichen die dramatische Zunahme des Gefahrenpotenzials für die Küsten durch den Anstieg des Meeresspiegels und die Zunahme von Tropenstürmen. Und sie liefern Informationen für wichtige klimapolitische Einschätzungen, wie z. B. dem Kohlenstoffbudget, das uns bleibt, um die Erwärmung unter den gefährlichen planetarischen Schwellenwerten von 1,5 bzw. 2,0 °C zu halten.

Michael E. Mann, Moment der Entscheidung

Was haben wir gelernt?

Im achten und letzten Kapitel des Buches "Das Vergangene ist die Vorgeschichte. Oder etwa nicht?" (im Original: "Past Is Prologue. Or Is It?") resümiert Mann die einzelnen Kapitel und spinnt gleichzeitig einen roden Faden, der hilft, die entsprechenden Lehren, aus all den im Buch beschriebenen Klimawandelereignissen zu ziehen.

Eines ist offensichtlich: Für die Treibhausklimata, auf die wir uns zubewegen, scheint es keine Blaupause in der Vergangenheit zu geben. Es gibt zwar jede Menge Analogien und Parallelelen, aber die Erde war schon immer in einem stetigen Wandel, alle prähistorischen Epochen waren für sich einzigartig.

Sie haben jeweils zu anderen Zuständen und Voraussetzungen für das Leben geführt. Unbestritten und zahlreich belegt ist dabei der Einfluss von Emissionen auf das Klima.

Was uns zu denken geben sollte, ist, dass die Erde rund 4,5 Milliarden Jahre bewiesen hat, dass sie bestens ohne Menschen zurechtkommt. Erst vor etwa zwei Millionen Jahren tauchten die ersten Urmenschen auf. Dies war nur durch die perfekten Rahmenbedingungen, die letztendlich auch die Entstehung der Menschheit begünstigten, möglich.

Dabei wird deutlich: Der Existenz- bzw. Temperaturbereich für menschliches Überleben ist eng und zerbrechlich. "Zu kalt" und "zu warm" ist schnell erreicht. Das Bestehen der Menschheit hängt daher davon ab, diese Schwellen nicht zu überschreiten.

Aber es gibt auch Hoffnung, so schreibt Mann:

Der Klimawandel ist eine Krise, jedoch eine lösbare Krise.

Denn obwohl die düsteren Manifestationen des Klimawandels "Anzeichen dafür, dass wir in den Abgrund eines unbewohnbaren Planeten zu schlittern drohen", zeige das Studium der Erdgeschichte, dass das Klima bis zu einem gewissen Grad widerstandsfähig sei.

Man könnte auch sagen: Die Erde resigniert in Anbetracht der Klimakrise nicht so schnell wie manche Menschen.

Wir kehren also zu der grundlegenden Frage zurück, die dieses Buch zu beantworten versucht: Steht unser Klima bereits heute auf Messers Schneide und droht es in einer Todesspirale aus Methan und unkontrollierter Erwärmung zu kollabieren? Oder ist es widerstandsfähig genug, um die weitere Verbrennung fossiler Brennstoffe mit minimalen Folgen zu tolerieren? Die Antwort darauf ist, wie Stephen Schneider schon vor Jahrzehnten bemerkte, weder noch.

Michael E. Mann, Moment der Entscheidung

Moment der Entscheidung
Wie wir mit Lehren aus der Erdgeschichte die Klimakrise überleben können

Im Original: Our Fragile Moment (von Michael E. Mann)
 In der deutschen Übersetzung von Matthias Hüttmann und Tatiana Abarzúa Mit einem Vorwort des Meteorologen Özden Terli.

ISBN 978-3-98726-069-8
Erste Auflage 2024

Herausgeber: DGS, Landesverband Franken e.V. Oekom-Verlag, München

Weitergehende Infos: www.dgs-franken.de/medien/moment-der-entscheidung www.oekom.de/buch/moment-der-entscheidung-9783987260698

Besuch des Mittelatlantischen Rückens in Island im Oktober 2013 von Michael E. Mann. Entnommen aus "Moment der Entscheidung" (2024), © 2023 Michael E. Mann, all rights reserved

Michael E. Mann ist Professor für Atmosphärenforschung an der Universität von Pennsylvania. Das Magazin Scientific American wählte ihn 2002 zu einem der fünfzig führenden Visionäre in Wissenschaft und Technik.

Neben anderen Ehrungen und Auszeichnungen war er Teil des Wissenschaftsteams des UN-Weltklimarats IPCC, der 2007 den Friedensnobelpreis erhielt. Im Jahr 2020 wurde er in die Nationale Akademie der Wissenschaften der USA gewählt. Mann hat zahlreiche Bücher geschrieben und lebt in State College, Pennsylvania.