Der Terrorkonzern
Seite 2: Globalisierung der Barbarei
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Ein Paradebeispiel für eine "erfolgreiche" Karriere innerhalb des - im höchsten Maße globalisierten - Terrorkonzerns stellt der tschetschenische Georgier Tarkhan Batirashvili dar, der unter seinem neuen Namen Omar al-Shishani höchstwahrscheinlich zum militärischen Oberbefehlshaber des ISIL aufgestiegen ist.
Nachdem er wegen einer Erkrankung aus der georgischen Armee - bei der er im georgisch-russischen Krieg 2008 erste Kampferfahrungen sammelte - entlassen wurde, boten sich dem Georgier keine Arbeitsmöglichkeiten. Er geriet auf die schiefe Bahn und wurde wegen Waffenschmuggels zu einer Zuchthausstrafe verurteilt. Während des Gefängnisaufenthaltes erfolgte seine Bekehrung zum extremistischen Islam. Nach seiner Begnadigung setzte er sich ins Bürgerkriegsland Syrien ab: "Vater, niemand braucht mich hier." Mit diesen Worten, die die Perspektivlosigkeit vieler zum Dschihadismus konvertierter junger Männer illustrieren, soll sich al-Shishani von seinem Vater, einem Christen, verabschiedet haben. In Syrien spielte al-Shishani eine Schlüsselrolle bei der erfolgreichen Eroberung der Menagh-Luftwaffenbasis, die erst durch den Einsatz von ISIL-Selbstmordattentätern eingenommen werden konnte.
Omar al-Shishani stellt beileibe keinen Einzelfall dar. Nicht nur in ihrer megalomanischen Zielsetzung - der Errichtung eines gigantischen Kalifats von Spanien bis nach Indien - ist die ISIL konsequent postnational und global ausgerichtet. ISIL ist eine hochgradig globalisierte Organisation, die in dieser Hinsicht kaum einem transnationalen Konzern nachsteht. Auch in ihrer Mitgliederstruktur und dem Selbstverständnis ihrer Anhänger spielen Nationen keine Rolle mehr. In den Reihen der ISIL kämpfen inzwischen Tausende ausländischer Kämpfer, wobei die Terrorgruppe mit gezielter Propaganda diesen islamistischen "Internationalismus" ausdrücklich fördert. Viele neue ISIL-Mitglieder verbrennen in einem Initiationsritual ihre Pässe, um den Bruch mit der alten zerfallenden Staatenwelt zu bekräftigen.
Letztendlich strebt ISIL danach, die Barbarei ihres Steinzeitislamismus zu globalisieren, wie Terrorchef al-Bagdadi bei seiner eingangs erwähnten Rede klar machte:
Eilt, denn Syrien ist nicht für die Syrer und Irak ist nicht für die Iraker. Die Erde gehört Allah.
Die Dschihadisten träumen von einem transkontinentalen Gottesstaat, in dem laut al-Bagdadi alle Muslime, "Araber und Nicht-Araber, Weiße und Schwarze, Ostländer und Westländer Brüder" sein würden - während sie hauptsächlich damit beschäftigt sind, Muslime zu massakrieren.
Dabei exekutieren die Islamisten mit ihrer postnationalen Ideologie nur die Krisendynamik in der ökonomischen Zusammenbruchsregion des Mittleren- und Nahen Ostens. Sie tragen schlicht der Tatsache Rechnung, dass die Staaten der Region längst - aufgrund einer gescheiterten kapitalistischen Modernisierung am Erodieren sind oder in einem molekularen Bürgerkrieg (Enzensberger) zerfallen, in dem Konfessionen, Ethnien und Stämme in einem Kampf Aller gegen Alle übergehen. Deswegen gelang es ja der fragilen Allianz zwischen ISIL, Baathisten und sunnitischen Stämmen in so kurzer Zeit, dermaßen große Erfolge gegen den in Auflösung begriffenen Irak zu erzielen. Es gab kaum irakische Soldaten, die für die Chimäre eines "irakischen Staates" ihren Kopf riskieren wollen. Und deswegen zerbricht übrigens die Allianz zwischen ISIL und ehemaligen Angehörigen der Baath-Partei Saddam Husseins wieder, die nun von den Dschihadisten in Mosul verschleppt werden. Alle Allianzen oder Waffenstillstände gelten im molekularen Bürgerkrieg nur solange, bis man sich in der Lage sieht, den ehemaligen Verbündeten auszuschalten.
Der Islamismus ist somit selber ein Produkt der Krise des kapitalistischen Weltsystems, das aufgrund beständig zunehmender Produktivität und Kapitalintensität in der Warenproduktion eine buchstäblich "überflüssige" Menschheit produziert. Der konzernartig operierende Dschihadismus "sammelt" als Erbe des gescheiterten arabischen Nationalismus - der ein wirtschaftliches Modernisierungsprogramm verfolgte - die "überflüssigen" und desorientierten jungen Männer auf, um ihnen die Plünderungswirtschaft als vorläufige Lebensgrundlage und - vermittels einer ausgefeilten webgestützten Propagandakampagne seine irre Ideologie als weltanschaulichen Halt anzubieten. Die Weltkrise des Kapitals lässt somit den "Krieg gegen den Terror" des Westens, der sich in seinen brutalen Methoden immer stärker der Praxis der Dschihadisten annähert, zu einem regelrechten Windmühlenkampf verkommen: Selbst wenn einzelne Terrorgruppen zerschlagen werden können (wie etwa zeitweilig Al-Qaida im Irak), so wachsen den global agierenden Terrornetzwerken immer neue Massen desorientierter und "überflüssiger" junger Männer heran, die in ihren unheiligen Kriegen verheizt werden können.
Der Einsatz neuster Technologie - ISIL nutzt das Internet äußerst professionell zur Selbstdarstelllug und Rekrutierung (Wie ISIL Medien nutzt) - und moderner Organisationsformen, um hierdurch archaische, letztendlich irrsinnige Ziele zu erreichen, hat ein bekanntes historisches Vorbild. Die Nazis waren in dieser Hinsicht ebenfalls hochmodern: Beseelt von dem irren Glauben an eine jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung, in der amerikanischer Banker und russische Kommunisten zu einem einheitlichen Feindbild zusammenschmolzen, wandten sie modernste Methoden und Organisationsformen an, um die Auslöschung ihrer Feinde in die Wege zu leiten.
Genauso wie der deutsche "Nationalsozialismus" ein Produkt der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre war, ist der Dschihadismus ein Produkt der gegenwärtigen Systemkrise des spätkapitalistischen Weltsystems. Beide Krisenideologien - Islamismus und Rechtsextremismus - und deren Exponenten stellen einen Ausfluss der Selbstzerstörungstendenz dar, die dem Kapitalverhältnis innewohnt und die in Krisenzeiten offen zutage tritt (vom Ökonomen Schumpeter als "schöpferische Zerstörung" ideologisiert). Die Jahresberichte des ISIL stellen letztendlich statistische Erhebungen erfolgreicher Zerstörungs- und Vernichtungsarbeit dar, die mit einer an Konzernbuchführung erinnernden Pedanterie aufgestellt wurden. Der so archaisch auftretende Terrorchef al-Bagdadi, der in seiner eingangs erwähnten Rede die Rückkehr zu einem frühmittelalterlichen "Kalifat" predigt, stellt somit ein Krisenprodukt dar. Er spiegelt dem liberalen Westen die hässliche Fratze der Weltkrise des Kapitals, die gerade in den Zentren ihren Ursprung hat.