Der Terrorkonzern
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Die Steinzeitislamisten der Terrorgruppe ISIL mögen eine Rückkehr in ein imaginäres Mittelalter predigen, ihre Methoden sind aber hochmodern - und dem internationalen Geschäftsleben abgeschaut
Kein politischer und weltanschaulicher Abgrund scheint größer als der zwischen dem neoliberal-kapitalistischen Westen und den Steinzeitislamisten der Terrorgruppe ISIL bzw. IS (Islamischer Staat), deren Führer Abu Bakr al-Bagdadi jüngst bei einer gespenstisch anmutenden Predigt im kürzlich eroberten Mosul eine Art totaler Kriegserklärung gegen alle "Ungläubigen" abgab ("Versetzt die Feinde Allahs in Schrecken").
Und dennoch kommen etliche Beobachter im Westen nicht umhin, die evidenten Ähnlichkeiten bei Organisationsformen, Strukturen und Öffentlichkeitsarbeit zwischen der Terrortruppe und dem Rückgrat der westlichen "freien" Marktwirtschaft, den transnationalen Großkonzernen, zu bemerken. ISIL operiere wie ein "multinationales Unternehmen", titelte etwa der britische The Telegraph, während die in Wirtschaftsfragen bewanderte Financial Times zu der Schlussfolgerung gelangte, das Dschihadisten-Netzwerk strebe letztendlich danach, "Terror zu verkaufen".
ISIL sei kein Konzern und habe keine Aktionäre, aber die militärischen Erfolge und die Brutalität der Dschihadisten im Irak seinen "auf einem Niveau der Präzision festgehalten worden", das zumeist der Buchführung von Konzernen vorbehalten sei, so die Financial Times. In regelrechten Jahresberichten lege ISIL detailliert Rechenschaft ab über die Fortschritte ihrer Terrorkampagne. Ein ehemaliger Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes MI6 kommentierte: "Sie produzieren sie nahezu wie ein Konzern, mit Details über Märtyrer-Operationen und Ziele. Du kannst hier eine klare umfassende Struktur, Planung und Strategie in der Organisation erkennen." Die Direktorin des US-Thinktanks Institute for the Study of War, Jessica Lewis, erläuterte gegenüber Telegraph: "Sie haben einen Geschäftsplan und ihr primäres Geschäftsfeld besteht in Expansion durch Eroberung. Es ist eine sehr effektive Institution und das macht sie zu einem sehr effektiven militärisch-nationalen Konzern."
Jahresberichte des Terrors
Beide Zeitungen berufen sich auf eine Analyse des Institute for the Study of War, bei der die "al-Naba" genannten Jahresberichte des ISIL eingehend untersucht wurden, die für die "Geschäftsjahre" 2012 und 2013 erstellt und der interessierten Öffentlichkeit zur Einsicht vorgelegt wurden. Wie es für ein Unternehmen üblich ist, stehen hierbei vor allem Zahlen im Mittelpunkt dieser Berichte. In professionell erstellten und seriös anmutenden Infografiken werden hierbei die Fortschritte des ISIL bei seiner Terrorkampagne im Irak dokumentiert.
Der interessierte Leser kann so einer gediegenen Grafik entnehmen, die in ihrer Aufmachung dem Public-Relations-Abteilungen westlicher Unternehmen entsprungen sein könnte, dass ISIL im vergangenen Geschäftsjahr (das von November 2012 bis November 2013 reichte) exakt 7681 militärische Operationen im Irak durchführte; hierunter fallen 1083 Mordanschläge, 607 Mörserattacken, 1015 Sprengstoffangriffe gegen Häuser und Gebetsräume von Ungläubigen, 537 Autobomben oder 238 Selbstmordanschläge (160 mit "Selbstmordwesten", 78 mit Fahrzeugen durchgeführt). Etwas vage sind die Angaben zur Anzahl "vertriebener Schiiten" und "bekehrter Ungläubiger", die mit jeweils "mehr als 100" angegeben werden.
Wer es genauer wissen will, dem bietet die Öffentlichkeitsabteilung des ISIL in den Jahresberichten auch eine detaillierte Darstellung der einzelnen Kategorien von Terrorakten dieses Terrorkonzerns. So können wir erfahren, dass ISIL 2013 beispielsweise über 887 Panzerfäuste, 359 Mörser oder 633 Handfeuerwaffen verfügte. Bei den genannten Zahlen soll es sich "nicht um reine Propaganda halten", erklärte ein Analyst des Institute for the Study of War gegenüber Daily Mail. Ein großer Teil des Zahlenmaterials konnte - durch Vergleich mit Zweitquellen - "bekräftigt" werden.
Der menschenverachtende Irrsinn, der in dieser rund 400 Seiten starken Terrorstatistik zusammengefasst wurde, hat durchaus Methode. Der ISIL wolle durch diese Jahresberichte "neue Geldgeber gewinnen" und seine zunehmende strukturelle Effizienz demonstrieren, urteilt das Institute for the Study of War. Letztendlich fungieren diese "Geldgeber" also doch als eine Art von Anteilseignern, die mit einer möglichst guten Performance bei Laune gehalten werden müssen - ansonsten könnten womöglich die Kapitalzuflüsse verebben.
Ein weiterer Beweggrund, mit konzernartigen "Jahresberichten" für Finanzmittel zu werben, wird bei einem Blick auf das Zielpublikum dieser Machwerke ersichtlich. Es handelt sich überwiegend um reiche Geschäftsmänner aus den Golfdespotien der arabischen Halbinsel, denen so umfangreiches Informationsmaterial zu Hand gegeben wird, das sich in seiner Aufmachung nicht wesentlich von den Hochglanzbroschüren unterscheidet, die für gewöhnlich um Investitionen im Erdölsektor oder in der Energiewirtschaft werben. Der Nahostexperte Michael Lüders spricht gegenüber der Deutschen Welle (DW) von einer "ambivalenten Haltung" Saudi-Arabiens, das jüngst 30.000 Truppen an der Grenze zum Irak zusammenziehen ließ, gegenüber der Terrortruppe:
Die saudische Regierung selber unterstützt ISIL nicht direkt. Aber insbesondere reiche saudische Geschäftsleute lassen ihnen Geld zukommen. Wie viel, ist unklar. Und soweit wir es ermitteln konnten, tuen es Araber in den anderen Golfstaaten genauso. Jene, die ISIL unterstützen, sehen es als ein Bollwerk gegen die Schiiten und die von Schiiten geführte Regierung des Iran.
Lüders Kollege vom Mainzer Centre for Research on the Arab World (CERAW), Günter Meyer, erklärte gegenüber DW, die wichtigsten Finanzquellen für ISIL bestünden bis Mitte 2014 aus den Zuwendungen "aus den Golfstaaten, primär Saudi Arabien, aber auch Katar, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten".
Ein Teil der Erdöleinnahmen der Golfstaaten, mit denen die Aufrechterhaltung des Autowahns in den Zentren des kapitalistischen Weltsystems ermöglicht wird, fließt somit an die Terrormilizen in dessen peripheren Zusammenbruchsregionen (Mad Max im Zweistromland). Die Deviseneinnahmen für das Erdöl, das in den Tanks sprithungriger SUVs verfeuert wird, wandeln sich so mittelbar in die "Produkte" dieses Terrorkonzerns: In geköpfte "Ungläubige", in Flüchtlingselend, abgehackte Hände, archaischen Tugendterror, gesprengte Moscheen und Kirchen, vergewaltigte Frauen und Kinder.
Diese Investitionen aus den despotischen Theokratien der Golfregion haben sich offensichtlich ausgezahlt. Mit der Einnahme von Mossul und der Expansion in weiten Teilen Iraks und Syriens ist ISIL - der zugleich mit der Umbenennung zum "Islamischen Staat" (IS) einen Imagewechsel einleitete - zu der weltweit mit weiten Abstand vermögendsten Terrorgruppe aufgestiegen. Rund 425 Millionen US-Dollar sollen die Dschihadisten bei Plünderung der Zentralbank von Mosul eingenommen haben. Da der Terrorkonzern bereits vor der Einnahme von Mossul über Vermögenswerte von rund 875 Millionen US-Dollar verfügte, sollen sich diese durch "Bankraub und erbeutete Militärvorräte" im Zuge der erfolgreichen Offensive nun auf rund zwei Milliarden US-Dollar summieren.
Profitabler Terror
ISIL betreibt somit eine erfolgreiche Plünderungsökonomie im vom Staatszerfall voll erfassten Zweistromland, bei der die "Kriegsbeute" den Treibstoff weiterer militärischer Expansion liefert. Geplündert und verscherbelt wird von den Islamisten auch das historische Erbe des Zweistromlandes, das als die Wiege der Zivilisation bezeichnet werden kann. Archäologische Stätten und Museen werden von den Milizionären nach wertvollen Artefakten durchsucht, um sie anschließend auf dem Schwarzmarkt feilzubieten. Die Einnahmen aus diesem Geschäftsfeld beliefen sich auf Dutzende von Millionen US-Dollar. Allein die Plünderung einer einzigen Ausgrabungsstätte in Syrien soll 36 Millionen US-Dollar in die Kassen der Gotteskrieger gespült haben.
Daneben ist die Terrortruppe längst auch auf klassischen Geschäftsfeldern präsent, sodass sie der "Anschubfinanzierung" durch reiche Gönner aus den Golfdespotien kaum noch bedarf. ISIL kontrolliert inzwischen viele Ölfelder in Syrien und dem Irak die der Gruppe stattliche Einnahmen aus dem grassierenden Ölschmuggel in der Region verschaffen (Syrische Rebellengruppen schließen sich "Islamischem Staat" an). Bei der Auswahl ihrer Geschäftspartner sind die Islamisten nicht gerade wählerisch: Sie liefern den Rohstoff auch an das syrische Regime von Präsident Al-Assad, das die Gotteskrieger als ihren Todfeind betrachten.
Ein weiteres Feld für Kapitalakkumulation erschloss der Terrorkonzern ISIL in allen möglichen Formen der organisierten Kriminalität - Mafiosi sind ja nichts anderes als Unternehmer, deren Produkte und Dienstleistungen (Drogen, Waffen, Auftragsmorde, Entführungen, Menschenschmuggel, etc.) illegal sind und die sich folglich auf gänzlich unregulierten Märken bewegen (Ist das nicht letztendlich der Wunschtraum eines jeden Neoliberalen?). Die Grenzen zwischen mafiösen Strukturen und islamistischen Tugendterror sind im Nahen Osten folglich fließend.
ISIL sei immer weniger auf die Zuwendungen reicher Spender angewiesen, da nun ein großer Teil der Einnahmen aus "kriminellen Aktivitäten" generiert würde, erläuterte die Zeitschrift Foreign Policy. Hierzu zählen Schutzgelderpressung (als "Steuern" bezeichnet), Schmuggel (Öl, Drogen), Entführungen, Banküberfälle oder Geldwäsche. Allein die "Barreserven" dieses Terrorkonzerns, die aus diesen klassischen Mafia-Tätigkeiten resultieren, sollen sich auf "bis zu 500 Millionen US-Dollar" belaufen.
Die New York Times sieht in der zunehmenden "Kommerzialisierung" islamistischer Terrornetzwerke gar einen globalen Trend, der von den Taliban mit ihrer Heroinindustrie begründet und von ISIL auf die Spitze getrieben wurde. Al-Qaida im Maghreb, Boko Haram oder die somalischen Shabab-Milizen würden "lokale Gelegenheiten zum Geldverdienen" immer besser nutzen. Hierzu zählten Entführungen, Schmuggel, Geldwäsche, Schutzgelder oder Überfälle und Plünderungen. Die ISIL sei inzwischen dazu übergegangen, eine regelrechte "Kriegsökonomie" aufzubauen, bei der die Kontrolle über die Überreste der lokalen Ölindustrie und der "Ausverkauf des Eigentums und der Ausrüstung" der kollabierten Regierungen Einnahmen generieren würden. Dieses "auf Profiterzielung ausgerichtete Militanzmodell" habe der Milizbildung auf der ganzen Welt "neues Leben eingehaucht".
Und tatsächlich verwandeln diese ungeheuren Finanzmittel ISIL in ein organisatorisches Gravitationszentrum in der gesamten Region, das Islamisten, Milizionäre und perspektivlose Jugendliche gleichermaßen anzieht. Die Terrorgruppe kann sich bereits jetzt eine riesige Armee schlicht zusammenkaufen. In der Ukraine kostet ein Milizionär rund 1000 US-Dollar monatlich (Der gescheiterte Staat von nebenan), doch im Nahen Osten sind die Preise aufgrund des weitaus größeren Elendsniveaus niedriger, wie ein Nahost-Analyst in der Washington Post vorrechnete:
Zum Beispiel könnte ISIL für 425 Millionen US-Dollar über ein ganzes Jahr hinweg 60.000 Kämpfern 600 US-Dollar monatlich zahlen.
Eine Ausbildung der neu rekrutierten Kämpfer ist oftmals nicht nötig, da inzwischen ganze kampferfahrene Verbände rivalisierender Gruppierungen zu den in Bargeld schwimmenden Gotteskriegern des "Islamischen Staats" überlaufen. Eine rund 1000 Mann starke syrische Rebelleneinheit soll kürzlich mitsamt etlichen erbeuteten Panzern zum ISIL in der Idlib-Provinz übergelaufen sein (Syrische Rebellengruppen schließen sich "Islamischem Staat" an). Ähnliche Berichte kommen aus der ostsyrischen Grenzstadt al-Bukamal, wo einige Fraktionen der "säkular" ausgerichteten FSA sich dem ISIL angeschlossen haben sollen.
Für viele marginalisierte Jugendliche in der ökonomisch daniederliegenden Region stellt eine "Karriere" beim "Islamischen Staat" die schlicht einzige nennenswerte Perspektive dar, um Elend und Hunger zu entgehen. Der Spiegel berichtete etwa von einem jugendlichen ISIL-Milizionär aus einem verarmten konservativen Stadtteil von Istanbul, der sich den Islamisten angeschlossen habe, nachdem man ihm "400 Dollar im Monat" versprochen habe. Ein für ISIL kämpfender Milizionär aus Syrien nannte im Interview mit Welt-Online ausdrücklich den gerüchteweise verbreiteten Reichtum der Gotteskrieger als einen wichtigen Grund für deren erfolgreiche Rekrutierungskampagne: "Angeblich bekamen die Kämpfer zur Hochzeit Zehntausende Dollar. Viele sollen einen BMW X5 fahren." Diese Aussage verdeutlich den postmoderne Gemütszustand vieler jugendlicher Dschihadisten, der kaum noch Ähnlichkeiten mit der klassischen islamischen Religion aufweist: Sie möchten im BMW X5 in die Steinzeit zurückfahren.