Der Tod des Tonfilms
Der Krieg um Hollywood ist entschieden: Gewonnen hat der Computer. Gundolf S. Freyermuth über die Evolution des Kinos von einer abbildenden zur bildenden Kunst.
Mögen die Sterne auch wenig über unsere Zukunft verraten, am "Krieg der Sterne" läßt sich ablesen, welchen Weg Hollywood und somit das Kino geht. Denn in zweifacher Hinsicht verbinden sich mit diesem modernen Tech-Mythos Epochenmarken. Das erste Schlüsselereignis, welches den Anfang vom Ende der analogen Traumfabrikation einläutete, war George Lucas' Entschluß, die Serie pausieren zu lassen. Das zweite ist ihre Fortsetzung.
Die drei Star Wars-Filme, die zwischen 1977 und 1983 gedreht wurden, gehören zu den erfolgreichsten Werken der Filmgeschichte. Inklusive Merchandising haben sie bis heute 4,3 Milliarden Dollar eingespielt, das Gros davon erst in den vergangenen Jahren - und das, obwohl Lucas vor einer massenkulturellen Ewigkeit alle Pläne für weitere Teile der Saga auf Eis legte. Sein Motiv: der Stand der Technik zwang ihn zu künstlerischen Kompromissen, die einzugehen er nicht länger bereit war. Statt dessen wollte er allererst die Verfahren entwickeln, die jene künstlichen Welten, nach denen seine Phantasie verlangte, produzier- und bezahlbar machten.
Nun, zwei Jahrzehnte nach dem Erscheinen von "Star-Wars", dem ersten Film, bei dem je ein Computer direkt mit einer Kamera verbunden war, hat der digitale Fortschritt Lucas' Sehnsüchte eingeholt. Seit Ende Januar - in Deutschland ab Ende März - kommen die drei existierenden Spielfilme um Luke Skywalker wieder ins Kino; natürlich nicht so, wie wir sie erinnern, sondern so, wie sie George Lucas schon damals vorschwebten, wie sie aber zu prä-digitalen Zeiten nicht zu realisieren waren. Für fünfzehn Millionen Dollar ist die Trilogie nachträglich per Computer der Ursprungsvision angenähert worden.
Die hysterische Begeisterung, die diese mythische Mischung aus künstlerischer Naivität und technischer Brillanz bereits am ersten Wochenende weckte, übertraf alle Erwartungen. Die Vorstellungen waren Stunden im voraus ausverkauft, bei eisiger Kälte bildeten sich bereits im Morgengrauen lange Schlangen vor den Kinokassen. Wie der Film selbst scheinen denn auch die Einspielergebnisse nicht von dieser Welt. Die 36,2 Millionen Dollar, die Star Wars in seiner Neufassung am ersten Wochenende einnahm, machten ihn nicht nur zum mit Abstand erfolgreichsten Film - die Nummer zwei, Jerry Maguirre, brachte es nur auf bescheidene 5,6 Millionen. Sie führten auch dazu, daß Star Wars mit einem Gesamteinspielergebnis von 358,9 Millionen Dollar an Jurassic Park und Forrest Gump vorbeizog, nunmehr der zweiterfolgreichste Film aller Zeiten ist und beste Chancen hat, demnächst auch E.T. (399,8 Millionen) zu enthronen.
Gerechnet hat mit diesem Erfolg keiner; kalkuliert waren Einnahmen von maximal 100 Millionen Dollar aus der gesamten Trilogie - soviel, wie nun bereits allein die erste Folge bringen dürfte. Dabei war die Wiederaufführung nur als Vorspiel zu größerem gedacht: Lucas bereitet als Regisseur drei neue Star-Wars-Folgen bzw. "prequels" vor. Ab 1999 sollen sie im Abstand von zwei Jahren der nach Hunderten von Millionen zählenden Fangemeinde die Vorgeschichte der bekannten Saga offenbaren. Lucas beendet damit nicht nur sein selbstgewähltes Regie-Exil, er eröffnet auch - symbolisch zumindest - die nächste Phase des Films: das digitale Kino.
So radikal unterscheidet es sich vom analogen farbigen Tonfilm, der die bislang letzte Entwicklungsstufe darstellte, daß die Veränderung bedeutender scheint als vom stummen zum tönenden Film. Denn jener fügte dem visuellen Medium "lediglich" die akustische Dimension hinzu. Heute aber schüttelt die Filmkunst radikal das limitierende physische Medium ab, von dem sie ihren Namen bezog. In der nahen Zukunft, die Lucas wesentlich mit herbeiproduzierte, werden alle laufenden Bilder nicht mehr analog fixiert, sondern in beliebig manipulierbaren Bits aufgezeichnet. Dieser Wechsel bedeutet einen radikalen Entwicklungssprung: Was digitalisiert wird, verliert die Inelastizität der Materie.
Vom analogen zum digitalen Kino
In vor-digitalen Zeiten, von den ersten Ritualspielen bis in die jüngste Vergangenheit, erinnerte jede Produktion "irrealer" Szenen in jenen Künsten, die Handlung darstellen, an das Kleingedruckte auf der Speisekarte einer Berliner Pizzeria: "Alle Salami ist Plockwurst." Genauso war im Theater oder im traditionellen Kino alle Irrealität schlicht Realität; gewöhnliche Plockwurst gewissermaßen, die mit allerlei Tricks als phantastische Salami durchgehen sollte. Nichts nämlich konnte man den Menschen vorspielen und vorspiegeln, das nicht in der einen oder anderen Form der Welt der Atome angehörte, das heißt materielle Wirklichkeit gewesen war.
Auf der Illusionsbühne des Theaters erschienen, der mechanischen Epoche entsprechend, in der sie entstand, Gott, Teufel und sonstwie ungewöhnliche Besucher ex machina. Und im analogen Kino, der Mimesis-Form des elektrischen Zeitalters, behalf man sich, um Szenen zu schaffen, die die Wirklichkeit nicht hergab, mit Mitteln der malerischen Bildherstellung wie Retuschen und Kolorierungen, mit simplen optischen Verfahren wie Doppelbelichtungen und mit einer Verfeinerung jener spiegelfechterischen Tricks, der sich Illusionisten und Magiere seit Jahrhunderten bedienten. Von Georges Méliès' verzaubert-animierten Dingwesen über die in Abgründe stürzenden Helden Hitchcocks bis zu den Monstern und Menschen, die in den avancierten Fantasy- und Action-Produktionen der 1980er Jahre marionettengleich vor den Blue Screens baumelten: Wo Kino "Unmögliches" zeigte, hingen die Träume wie die elektrischen Maschinen, die sie einfingen, an nabelschnurartigen Drähten, die Neues ermöglichten und zugleich beengten.
Kaum ein interessanter Regisseur läßt sich daher finden, der nicht an der Widerständigkeit des Wirklichkeitsmaterials verzweifelte, dieser unnachgiebigen, nur mühsam zu modulierenden Materie, aus der die sichtbare Welt besteht. Gerade die bedeutendsten Filmkünstler wurden so zu technischen Innovatoren oder adaptierten zumindest neue Verfahren sofort für ihre Zwecke. Die Geschichte des Kinos im zwanzigsten Jahrhundert war und ist wesentlich die der Entwicklung seiner Technik.
Zunächst, solange der Film noch an der Unzulänglichkeit seiner Mittel zur Reproduktion der Realität krankte, ging es vorrangig darum, ungewollte Irrealismen zu beseitigen. Aus der Spannung zwischen dem Möglichen und dem Gewollten entstanden Jahr für Jahr elaboriertere Verfahren zur Realitätsreproduktion: Zum stummen Bild kam der Ton, zum schwarzweißen Bild die Farbe; Kulissen- und Modellbau sowie Maskenbildnerei avancierten, das Stuntgewerbe professionalisierte sich; Fortschritte in der Kameratechnik ermöglichten die Eroberung immer neuer Perspektiven und Bildinhalte, die dem Menschenauge vertraut, der Kamera aber verschlossen gewesen waren. Man ging unter Wasser und in die Luft, in Mikro- und Makrobereichen, und man subjektivierte mit beweglichen Handkameras den Blick.
Realistische Wiedergabe allerdings war nur das wichtigste Etappenziel. Am Ende lockte die originäre fotorealistische Schöpfung, die Erzeugung künstlicher Welten und Wesen. Der kreative Wille zur Unwirklichkeit forderte "neue" Bilder, wie sie kein Lebender je erblickt hatte. So sehr die Fortschritte in Trick- und Stunttechnik sich beschleunigten, die Wünsche wuchsen schneller als die Fähigkeit, sie zu realisieren. Man verlangte Abenteuerlichkeiten zu sehen, von denen die Generationen zuvor nicht einmal träumen konnten. Immer weiter öffnete sich die Schere zwischen dem Möglichen und dem Gewollten.
Nicht zufällig stieß daher die analoge Illusionsfabrikation zu jener Zeit an unüberwindbare Grenzen, als in der Realität die digitale Epoche heraufzog. Eine qualitative Erweiterung der filmischen Mittel, eine Ausdehnung der künstlerischen Verfügungsfreiheit, wurde für alle notwendig, die über soziale Kammer- und Dokumentarspiele hinaus Kinoträume erzeugen wollten. Die radikalsten und folgenreichsten Konsequenzen zog aus dieser Erfahrung des Mangels George Lucas.
Seine Firma, treffend Industrial Light & Magic getauft, wurde zur Brutstätte des digitalen Kinos. Bewußt siedelte Lucas ILM nicht in der Nachbarschaft Hollywoods, sondern unweit des Silicon Valley an, auf der Skywalker Ranch, einem eintausend Hektar großen Gelände im nordkalifornischen Marin County. Dort arbeiten heute rund fünfhundert Angestellte an halb so vielen Hochleistungrechnern - mehr besitzt nur die NASA. Sie entwickeln digitale Verfahren zur Bildproduktion, die, wie "Newsweek" schrieb, einer "Neuerfindung Hollywoods" gleichen.
Denn ob Datensammlung oder Buchtext, Tonaufzeichnung oder Filmbild - in Nullen und Einsen repräsentiert, läßt alles sich nach Gusto erzeugen und manipulieren. Filmemacher müssen daher unter digitalen Produktionsverhältnissen nicht länger inszenierte Wirklichkeit reproduzierend aufzeichnen, sie können fortan gefilmte Szenen beliebig modifzieren, und sie können ebenfalls wie Maler oder Schriftsteller imaginierte Szenen "erfinden" und fotorealistisch produzieren.
Die praktischen Folgen für die Filmproduktion sind weitreichend. Umberto Eco und Jean-Jacques Annaud erzählten mir einmal, wie sie auf Suche nach Drehorten für die Verfilmung von Der Name der Rose durch Italien fuhren. Eco schaute mit den Augen des Romanciers, der mit der Realität souverän verfahren kann, und entdeckte überall "perfekte" Kulissen. Annaud hingegen hatte den Blick des trainierten Regisseurs für die Widrigkeiten der materiellen Welt: Er sah die modernen Anbauten, die Fernsehantennen und Leitungsmasten, er hörte den Lärm der Autobahnen und nahen Fabriken. Ihn, den Tonfilmer, störte unerbittlich, was der Schriftsteller mühelos in seinen Texten ausblenden konnte.
Am Ende mußte der Produzent Bernd Eichinger Ecos Kloster für viel Geld auf einem Hügel bei Rom nachbauen lassen, und selbst dann blieb die Filmproduktion den Zufällen der Realität ausgeliefert. Dutzende guter Takes "starben" allein während der Woche, die ich die Dreharbeiten beobachtete, weil wieder eine Düsenmaschine am Himmel heran donnerte.
Unter den Bedingungen digitaler Filmproduktion fallen derlei Fesseln kreativer Freiheit. "In der digitalen Welt muß man die Naturgesetze nicht mehr beachten", sagt Mark Dippe, der bei ILM die Erzeugung der Saurier für Jurassic Park überwachte. "Du spielst Gott. Tiere können fünfzehn Meter hoch springen, Bäume können in jede Richtung fallen, die Sonne braucht nicht unterzugehen. Jedem, der Kino liebt, gibt das das ultimate High - es befreit deine Imagination." Der digitale Film verleiht der Rede vom "Filmemacher" so einen wörtlicheren Sinn: Wie Gemälde oder Romane werden in Zukunft auch Filme einzig und allein von der Phantasie und den handwerklichen Fähigkeiten ihrer Macher gestaltet werden.
Die Bedeutung dieser neuen Möglichkeiten transzendiert allerdings Praktisches. Seit es Filmtheorie gibt, hat sie stets die prinzipielle Abhängigkeit von der physischen Realität zum essentiellen Kennzeichen der Kinokunst erklärt - von Béla Balázs' Entdeckung des "sichtbaren Menschen" über Siegfried Kracauers einflußreiches Theorem von der "Errettung der äußeren Wirklichkeit" bis zu den Semiologen der jüngeren Vergangenheit.
Den Stand der wissenschaftlichen Überlegungen zum Verhältnis von Film und Wirklichkeit konnte Manuel Köppen noch 1993 so zusammenfassen: "Das photographierte Bild des Films stellt bekanntlich andere Konditionen als die Sprache oder auch das gemalte Bild. Die Sprache läßt Bilder erfinden. Der Film trifft Feststellungen über die Bilder, die er erzählt, indem seine photographische Präzision zunächst immer real existierende Räume, Personen oder Gegenstände denotiert."
Mit diesen tradierten Gewißheiten macht die Digitalisierung des Films ein Ende. Der Film ist nicht länger, wie Kracauer einst schreiben konnte, "die einzige Kunst, die ihr Rohmaterial mehr oder weniger intakt läßt." Die digitale Epoche verwandelt das Kino auch kunstphilosophisch kategorial: von einem abbildenden zu einem bildenden Medium, von einer dokumentarisch-darstellenden zu einer fiktiv-erzählenden Kunstform.
Zum Stand der digitalen Filmproduktion
E.T. und die Star Wars-Folgen; Willows, den Film mit dem ersten Morphing, und Terminator 2, den Film mit der ersten vom Computer geschaffenen Hauptfigur; das Mensch-Maschinen-Animations-Mix in The Mask und die Saurierherden in Jurassic Park - Industrial Light & Magic produzierte die Meilensteine des High-Tech-Kinos. Doch mindestens genauso wichtig für die Zukunft des Kinos war, daß Lucas' Firma zur Kaderschmiede einer ganzen Industrie wurde.
Dort ausgebildete Fachkräfte gründeten rund drei Dutzend Special-Effects-Firmen, die heute mit ILM konkurrieren. Bedeutendestes Beispiel ist Digital Domain. Geleitet wird das mit IBM-Geld finanzierte Unternehmen des "Terminator"-Regisseurs James Cameron von dem einstigen ILM-Chef Scott Ross. In ihrem Studio in Venice entstanden seit 1993 die - zumindest technisch - avancierten Effekte zu True Lies, Apollo 13 und Interview with the Vampire. Auch Pixar, das mit Toy Story den ersten komplett am Computer animierten Film schuf und Apple-Gründer Steve Jobs beim anschließenden Börsengang zum Milliardär machte, ist ein ILM-Ableger - die seit 1979 existierende Firma übernahm Jobs erst 1986 samt Personal von Lucas. "George", sagt Steve Starkey, Co-Produzent von Forrest Gump, dessen verblüffende "Fiktionalisierung" von Dokumentaraufnahmen bei ILM entstand: "George sah diese Revolution kommen, lange bevor seine Zeitgenossen es bemerkten."
Daß es aber überhaupt solange dauerte, bis der von Industrial Light & Magic seit den siebziger Jahren avisierte evolutionäre Sprung gelang, hatte zwei wesentliche Gründe. Zum einen, geringeren Teil lag es daran, daß Lucas die Umstellung der Filmproduktion auf digitale Verfahren zunächst nicht vorauszusehen vermochte und alle Energien auf die Entwicklung analoger Trickverfahren verwandte. Bei ihnen dienten Computer nicht der Bildproduktion selbst, sondern primär zum Design und zur Steuerung der komplizierten Modelle und Puppen, die dann konventionell abgefilmt wurden.
Ein größeres Handicap stellte die ungünstige "Forschungssituation" dar. Das Fehlen staatlicher oder universitärer Institute zur Entwicklung filmischer Basistechniken verwundert wenig. Andere Industrien - wenn auch wenige - haben gleichfalls ohne solche öffentliche Hilfe auszukommen. Einmalig im Vergleich zu allen High-Tech-Branchen ist jedoch, daß nicht ein einziger der großen Filmkonzerne eine technische Entwicklungsabteilung unterhält. "Die Filme müssen das Repertoire der Techniken aufbauen", sagt Forrest-Gump-Regisseur Robert Zemeckis: "Ich hatte einfach das Glück, daß ich an großen Produktionen gearbeitet habe, bei denen es das Geld für solche Experimente gab."
Learning by doing lautet die Devise. Grundlagenforschung und ihre praktische Umsetzung lassen sich in Hollywood ausschließlich über einzelne Produktionsbudgets finanzieren. In Scott Ross' Worten: "Wir verlangen von den Leuten gewissermaßen, daß sie Esperanto lernen und gleich darin Gedichte schreiben." Industrial Light & Magic konnte sich daher nicht als privat finanziertes Forschungsinstitut etablieren, sondern nur als Anbieter spezialisierter Dienstleistungen. Das allerdings brachte mit sich, daß die kreative Arbeit sich nicht auf das konzentrierte, wovon Lucas träumte. Statt dessen hatte die Firma ihre Ressourcen den Wünschen der Kunden entsprechend einzusetzen.
Wenn sie dennoch nicht nur gute Geschäfte, sondern auch bahnbrechende Erfindungen machte, verdankt sich das wesentlich dem Umstand, daß Lucas als alleiniger Besitzer keinem Aufsichtsrat und keinem Aktionär verantwortlich ist. Die finanzielle Unabhängigkeit, die er durch die Star-Wars-Serie erlangte, erlaubt es ihm, sich dem Profit-Automatismus solcher Apparate zugunsten seiner eigenen Bedürfnisse entgegenzustellen. "Die Firma ist nur dazu da, so gut so sein, wie sie sein kann", sagt er. "ILM war erfolgreich, weil wir jeden Cent, den die Firma verdient hat, genommen und wieder investiert haben - um neue Computer zu kaufen, um die Software auf den neuesten Stand zu bringen, um das Personal auszubilden."
Ging es Lucas nach eigenem Bekunden nicht primär um Gewinnmaximierung, so auch nicht allein um spektakuläre High-Tech-Innovationen. Das Ziel, das ILM nicht aus den Augen verlieren sollte, war die Entwicklung neuer Verfahren zur Bildproduktion, neuer - im Wortsinne - Erzähltechniken. "George ist ein Geschichtenerzähler", sagt Richard Edlund, dessen Arbeit für ILM mit vier Oscars prämiert wurde und der dann seine eigene Konkurrenzfirma Boss Film Studio eröffnete: "Technologie ist für ihn nichts anderes als ein Mittel zum Zweck."
Aus ähnlichen Motiven, sagt James Cameron, gründete er ILMs Hauptkonkurrenten Digital Domain: "Wie man gute Geschichten erzählt, das ändert sich nicht, aber die Computereffekte erzeugen Möglichkeiten, Geschichten zu erzählen, die zuvor nicht existierten." Für ihre Entwicklung kurzfristige Gewinnoptimierung zurückzustellen, sei keine künstlerische Selbstlosigkeit, sondern Teil des Überlebenskampfes: "Als Filmemacher mußt du die Zukunft umarmen. Du mußt auf der Welle reiten oder sie wird über dir zusammenschlagen. ... Ich wollte nicht obsolet werden, deswegen führe ich die Bewegung an."
Aufzuhalten ist sie längst nicht mehr. "Der Krieg ist bereits vorbei", sagt Mark Dippe. "Die digitale Revolution hat gewonnen." Technisch scheint fast alles möglich - kein Schritt im Prozeß der analogen Tonfilmproduktion, der nicht im Prinzip am Computer erledigt werden könnte und zumindest in Einzelfällen auch bereits erledigt wurde: von der Vorproduktion (Drehbuch, Budgetierung, Motivsuche und Besetzung via Bilddatenbanken, Drehplanerstellung und Testdrehs kompletter Szenen am Monitor) über die Filmproduktion selbst (digitale Kameras, komplett im Computer erzeugte Kulissen und Charaktere) und die Postproduktion (akustische und visuelle Nachbearbeitung von konventionell gedrehten Szenen, bei der künstliche Charaktere hinzugefügt und störende Kulissenelemente beseitigt werden, Computerschnitt, Computerton) bis zur Bewerbung im Internet und Distribution per Kabel oder über Satellit.
Bislang allerdings dominieren traditionelle Verfahren den Hollywoodalltag. Dafür gibt es psychologische wie ökonomische Gründe: Den meisten Filmschaffenden ist die hergebrachte Arbeitsweise vertrauter und angenehmer, und sie ist für einen historischen Augenblick noch billiger und qualitativ besser - jedenfalls für die pure Reproduktion von Realität. Eine elektronische Kamera etwa ist voluminös, technisch anfällig und kostet über eine Million Dollar. Die Bilder, die sie erzeugt, lassen sich zwar sofort und problemlos am Computer bearbeiten, können jedoch in ihrer technischen Qualität nicht mit jenen einer traditionellen Kamera für zwanzigtausend Dollar mithalten. Daher versucht man weiterhin, soviel wie möglich vor Ort oder in nachgebauten Kulissen mit Schauspielern aus Fleisch und Blut zu filmen.
Denselben ökonomischen Vorteil billiger Handarbeit gegenüber teurer Technik hatten zu Zeiten Portraitzeichner in Konkurrenz zu Daguerreotypien, Handsetzer- in Konkurrenz zu Computersatz oder abtippende Sekretärinnen in Konkurrenz zu Scannern und OCR-Programmen. Angesichts der Explosion in der Rechenkraft der Computer wird er schnell dahinschmelzen - weshalb kaum jemand bezweifelt, daß die Kinokunst gegenwärtig radikale Veränderungen durchmacht, wie sie zuletzt beim Übergang vom Stumm- zum Tonfilm zu beobachten waren.
In einer kurzen Übergangsphase Ende der zwanziger Jahre war Ton ein teurer special effect - ein Schrei, ein Lied -, der wenige Filmminuten ausmachte. Ähnlich verhält es sich heute mit digital erzeugten Filmszenen: Sie sind die Ausnahme, zu der man greift, wenn es um besondere, anders nicht zu erzielende Effekte geht. Eher früher als später wird die digitale Produktion jedoch die Regel werden. Festplatten werden Zelluloid ablösen, Computergrafiken an die Stelle kostspieliger Kulissenbauten und Statistenscharen treten - und wohl auch den einen oder anderen Hauptdarsteller ersetzen.
"Die Konsumenten sind allemal so sehr an visuellem Zuckerwerk interessiert wie an der Handlung, und die Studios merken das allmählich", sagt Digital Domains CEO Scott Ross. Im vergangenen Jahr kamen nur zwei Filme mit Budgets von über einhundert Millionen Dollar in die Kinos, 1997 werden es zehn sein - die Titanic wird mit zweitausend virtuellen Passagieren versinken, Vulkane werden ganze Landstriche ausradieren, und auch Dinosaurierherden trampeln wieder über die Erde.
Wie einst beim Übergang vom Stumm- zum Tonfilm sucht die Industrie bereits verzweifelt nach Fachkräften für die neue Technik; wie damals entstehen neue Berufe in Hollywood. Als der Stummfilm starb, brauchte man plötzlich Toningenieure und Drehbuchautoren, die Dialoge schreiben konnten; heute benötigt man Experten für die digitale Bildproduktion. "Wir heuern Leute aus allen möglichen Bereichen an - aus der Filmindustrie, aus der Informatik, Videoexperten, Fotoretuscheure, Bildende Künstler", sagt Scott Ross: "Uns bleibt nichts anderes übrig, denn diese Art von erfahrenen Digitalkünstlern, die die Technik erfordert, gibt es einfach noch nicht."
Daß allerdings am Ende der stürmischen Entwicklung dasselbe Hollywoodsystem stehen wird, dieselbe hochgradig arbeitsteilige und kapitalintensive Massenkulturindustrie, nur eben durch eine neue Schicht professioneller High-Tech-Hilfskräfte ergänzt, erscheint den meisten, die sich von der Digitalisierung eine strukturelle Revolutionierung der Filmkunst versprechen, weder wahrscheinlich noch wünschenswert.
Ansichten von der Zukunft des Kinos
Hollywood verhält sich, was technische Innovationen angeht, von jeher konservativ. Dem Ton- wie dem Farbfilm widerstanden die Studiobosse solange, bis das Publikumsbedürfnis und damit der ökonomische Vorteil alle Bedenken hinwegfegte. Nicht anders reagiert die Mehrheit der suits - jene Typen in Anzügen, die die Entscheidungen treffen - nun auf die digitale Revolution. Ein eigenständiger Wille zur Innovation besteht kaum, langfristige Investitionen, die den unmittelbaren Profit schmälern würden, werden verweigert. Durchgesetzt hat sich die neue Technik daher nur unter zwei Umständen: Zum einen, wenn das talent, vornehmlich Spitzenregisseure, aus kreativen Gründen auf den Einsatz digitaler Verfahren bestand. Und zum zweiten, wenn er sich buchhalterisch rechnet.
Von wenigen, einst aufwendigen Verfahren abgesehen, die inzwischen zum Standardrepertoire gehören - die fünf Sekunden lange Szene morphender Tiere in Willows kostete 1989 über einhunderttausend Dollar, derweil gibt's entsprechende Programme für unter hundert Dollar zu kaufen -, spart der Einsatz digitaler Technik heute primär in der Postproduktion Geld; insbesondere beim Bildschnitt und bei der akustischen Bearbeitung. Dort lassen sich die exorbitanten Vierzig-bis-sechzig-Millionen-Dollar-Budgets der Durchschnittsfilme am ehesten reduzieren, und hier ist die Digitalisierung im Alltag denn auch am weitesten fortgeschritten.
Welche strukturellen Konsequenzen diese Revolutionierung der Filmproduktion am Ende haben wird, darüber gehen die Meinungen auseinander, je nachdem, ob man Hollywood-Insider oder unabhängige Filmemacher fragt. Aus der Perspektive der Studios werden mehr Filme für weniger Geld in kürzerer Zeit zu produzieren und unter die Menschen zu bringen sein. Insbesondere die Möglichkeiten zur remote production locken eine Branche, die schon heute aus Kostengründen soviel wie möglich aus dem teuren und gewerkschaftlich organisierten Hollywood auslagert.
Auch für eine solche Dezentralisierung hat ILM Pionierarbeit geleistet, aus der Not seiner geographischen Entfernung von Hollywood eine Tugend machend. Material, das auf einer südkalifornischen Tonbühne oder irgendwo auf der Welt vor Ort geschossen wurde, kann elektronisch auf die Skywalker Ranch in Marin County übermittelt werden. Nachdem die gewünschten Effekte eingefügt wurden, wird es sofort wieder zurückgesendet, so daß der Regisseur das Ergebnis Stunden später sehen und eventuelle Mängel noch durch konventionelles Nachdrehen beseitigen kann.
Eines Tages, so die Utopie, soll ein über die Welt zerstreutes Team gemeinsam an einem Film arbeiten können, wie es ja bei der Herstellung anderer digitaler Software, Computerprogrammen oder Musikproduktionen, längst üblich ist. "Das ist einer der wichtigsten Trends", sagt Jim Morris, Präsident von Lucas Digital: "Er beinhaltet das Versprechen, daß die Leute von überall aus vernünftig mitarbeiten können."
Wo die Studios primär Kostenersparnisse und zusätzliche Gewinnmöglichkeiten sehen, meinen aber nicht nur die Gegner des Hollywoodkinos mehr zu erkennen: den Anfang vom Ende des Studiosystems. George Lucas etwa betont die demokratisierende Wirkung der vergleichsweise billigen digitalen Technik. Sie offeriert nun auch Filmern wie zuvor Schriftstellern und Musikern erschwingliche Produktionsmittel. "Das alles macht es möglich, Filme in hoher Qualität zu niedrigen Kosten zu drehen", sagt Lucas: "Es wird dafür sorgen, daß ein Haufen Leute, die heute den Zugang kontrollieren, überflüssig werden." James Cameron ist derselben Ansicht: Die Computer "werden die Fähigkeit einzelner revolutionieren, ihre Werke unter die Menschen zu bringen - statt Jahre als zahnloser Diener schuften zu müssen, um diese Gelegenheit zu bekommen."
Die Frage von Begabung und handwerklicher Fähigkeit erledigt sich damit nicht. Computer produzieren ebensowenig Filme, wie sie Romane schreiben oder Bilder malen. Ein Laserwriter ist eine Druckerpresse nur für den, der das Zeug zum Verleger hat; für alle anderen ist er ein Gerät, das Briefe und Rechnungen druckt. Digitale Technik ersetzt nicht Talent, sie beseitigt Privilegien und entmachtet Mandarine, die Zugang zu teurer Technik kontrollieren. Das jedoch ist außerordentlich genug.
Einige der neuen Effekte, die zur Originalfassung von Star Wars hinzugefügt wurden, entstanden binnen weniger Stunden auf einem Powerbook. "Und sie sehen genauso aus wie die alten Szenen, zwischen die sie reingeschnitten wurden", sagt George Lucas. Kreative Habenichts-Produktionen werden daher unter digitalisierten Verhältnissen Filme herstellen können, die vor kurzem noch Millionen koste, und sie werden diese Werke über elektronische Vertriebskanäle auch billig und weltweit an die Öffentlichkeit bringen können. Wer einen dieser außerhalb des Hollywoodsystems hergestellten Filme sehen will, meint George Lucas, wird ihn sich schlicht vom Server des Regisseurs herunterladen. Eine Konsequenz der Kombination egalitärer Verfügung über Produktions- wie Distributionsmittel werde so der Aufstieg einer neuen Schicht von Off-Hollywood-Filmemachern sein - das cineastische Äquivalent zu Garagenbands.
Vielfältige Anfänge sind gegenwärtig zu beobachten. Nicht nur flimmern Hunderte von Underground-Quicktime-Quickies im Internet, nicht nur gibt es jährliche Festivals für Kurzfilme, deren Herstellungskosten unter dem Preis eines PC liegen. Auch im professionellen Bereich können dank billiger Computer nun unabhängige Produktionen für ein paar hunderttausend Dollar Filme drehen, die zuvor nur mit Millionenbudgets realisierbar waren. Leistungen etwa, für die ein Postproduktion-Studio über tausend Dollar die Stunde in Rechnung stellt, vermag derweil ein gewöhnlicher Macintosh zu erbringen. Und auch aufwendigere Effekte lassen sich auf erschwinglichen PCs oder Workstations erzeugen.
Ein radikales Beispiel: Roger Corman, der Urvater aller Billigfilmer, wagte sich an The Fantastic Four, ein Drehbuch, das jahrelang die Runde in Hollywood machte, weil die notwendigen special effects für zu teuer gehalten wurden. Bei traditioneller Produktion kalkulierte man das Budget auf über zwanzig Millionen Dollar. Corman heuerte statt dessen den digitalen Avantgardisten Scott Billups an, der für einen grundsätzlichen Wechsel in der Filmproduktion plädiert: "vom Schwerpunkt auf dem Organischen zum Inorganischen". Billups, unter anderem Erzeuger diverser Synthespians, am Computer generierter Tier- und Menschendarsteller, produzierte die gut einhundertfünfzig verschiedenen Effekte des Films auf einem Macintosh Quadra für Gesamtkosten von kaum mehr als zweihunderttausend Dollar.
Dezentralisierung und Individualisierung der Filmproduktion
Hollywoods Position wird so doppelt in Frage gestellt: als gatekeeper, als hierarchisches Ordnungsystem, das den Zugang der - überwiegend amerikanischen - Filmemacher zu den Produktionsmitteln kontrolliert und damit, welche Stoffe auf welche Weise produziert werden; und zugleich als kulturelle Hegemonialmacht, die den massenkulturellen Weltmarkt dominiert. Digitale Technik dezentralisiert, und sie wird auch die Filmproduktion dezentralisieren.
Was mit remote production und dramatischer Kostenreduzierung beginnt, könnte zumindest theoretisch mit einer Wiederbelebung der darniederliegenden nationalen Filmproduktionen kleinerer Länder und folgerichtig mit einer radikalen Reduzierung des Marktanteils enden, den Hollywood hält. Von der gegenwärtigen Machtfrage ökonomischer Ressourcen wird eine solche regionale Renaissance jedenfalls in der Epoche des digitalen Kinos wieder primär zu einer Frage der kreativen Intelligenz ( - was in Anbetracht der kulturellen Technikfeindlichkeit der Alten Welt eine Wiederauferstehung des europäischen Kinos nicht unbedingt wahrscheinlicher macht).
So verlockend die ökonomisch fundierte Entstehung einer cineastischen Garagen-Gegenkultur einerseits scheinen mag, und so wünschenswert die Dezentralisierung der kulturindustriellen Produktion andererseits - die wohl entscheidende Veränderung, die die Digitalisierung der Filmproduktion verspricht, ist ihre Individualisierung. Das Stumm- und Tonfilmkino war eine kollektive Kunst, darin dem Theater gleich. Der Regisseur fungierte lediglich als oberster Manager. Er war nicht alleiniger Schöpfer, er war nicht Autor in dem Sinne, in dem ein Schriftsteller Verfasser seiner Werke ist.
Das digitale Kino eliminiert nun die Notwendigkeit, größere Menschengruppen an einem Ort zu versammeln. Die Rede vom Autorenkino, die in den sechziger und siebziger Jahren die leicht hochstaplerische Usurpation eines kollektiven Prozesses durch einen Einzelnen bedeutete, wird für digitale Regisseure zunehmend von einer Herrschaftsfiktion zur Realität. In ein paar Jahren schon könnte Filme zu machen eine einsame Kunst sein, nicht weniger einsam als die Abfassung eines Romans. Ein Film würde unter solchen Produktionsbedingungen zu einem erzählenden Text, abgefaßt - statt in Worten allein - in Bildern und Dialogen.
Das selbstverständlich hätte weitreichende produktions- wie rezeptionsästhetische Konsequenzen. Denn solche Subjektivierung ging in der Geschichte der Künste noch stets mit Marginalisierung einher. Kino, das nicht mehr das Ergebnis kollektiver Anstrengungen wäre, eine Kompromißleistung konkurrierender Individuen, sondern einzig Ausdruck subjektiver Kreativität, erlitte aller Wahrscheinlichkeit nach ein Schicksal vergleichbar jenem, das die Lyrik und zunehmend auch den Roman aus dem Zentrum der Massenkultur an ihre zivilisierteren Ränder trieb.
Populäre Vergnügungslust nämlich forderte noch stets durchschnittlichere, weniger individuierte Ware - unbändiges, zirzensisches Spektakel, das zur Teilnahme einlädt. Dergleichen bot, bevor das Bürgertum sich seiner weihevoll bemächtigte, das zum Burlesken tendierende und nach Zwischenrufen geradezu verlangende Theater; dergleichen bietet das Kino in seinen besten primitiven Momenten.
Doch heute bereits erwächst ihm Konkurrenz in zwei strukturell verwandten Formen, denen die Zukunft gehören dürfte: dem Videospiel und dem - in der Regel auf Filmen basierenden - Themepark-Erlebnis. Beide zielen auf die totale Immersion, die Integration der Subjekte in die real gestaltete Fiktion. Rezeptionserfahrungen dieser Art stellen das schlichte Gegenteil dessen dar, was subjektive Kunst bietet; denn deren Kern ist die Erfahrung von Distanz und Differenz.
Die Utopie solch vereinnahmender Unterhaltungswelten hat, in Ermangelung intellektueller Entwürfe, sich die populäre Sehnsucht selbst geschaffen: das Holodeck der Star-Trek-TV-Serie. Seine fiktiven Gegenrealitäten versprechen eine interaktive Befriedigung der Immersions-Bedürfnisse, auf die schon vor anderthalb Jahrhunderten das Panorama zielte und die heute notdürftig von Themeparks versorgt werden. Als jüngst die Star-Trekker aus der holographischen Zukunft - horribile dictu - in unsere Gegenwart zurückgeschleudert wurden, erlitten sie den retardierten Stand der Entertainment-Industrie: Daß es einst, im zwanzigsten Jahrhundert, Fiktionen gab, in die man nicht physisch einzutauchen vermochte, erschien ihnen in etwa so grauslig wie uns der Gedanke, Autos per Handkurbel zu starten oder gar nur zwischen dem Ersten und Zweiten Programm wählen zu können.
Die Idee, unsere realexistierende Form von Kino und Fernsehen im Fernsehen selbst als höchste Stufe der Unterentwicklung zu präsentieren, bewies nicht nur den Grad der Ironisierung, zu der aktuelle Massenkulturproduktion derweil fähig ist. Sie dokumentierte auch die populäre Vorahnung vom Tod des Tonfilms.