Der Traum vom weißen Heimatland

Der Tod des "Aryan Nations"-Gründers Richard Butler markiert das Ende einer Ära der radikalen amerikanischen Rechten

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Einst waren die Aryan Nations (AN) die größte und einflussreichste Organisation der radikalen Rechten in den USA. Mitte der 80er-Jahre konnte die Neonazi-Gruppe auf eine Gefolgschaft von mehreren tausend Mitgliedern und Sympathisanten zurückgreifen. Ihr Hauptquartier im Bundesstaat Idaho, von wo aus AN-Gründer und Anführer Richard Girnt Butler seine hasserfüllten Botschaften verbreitete, wurde zur ideologischen Brutstätte der "white supremacy"-Bewegung. Mehr als drei Jahrzehnte lang stand der selbst ernannte Pastor, in den Medien oftmals als "the elder statesman of hate" tituliert, an der Spitze der Organisation. Am 08. September verstarb Richard Butler im Alter von 86 Jahren in seinem Haus in Hayden Lake, Idaho. Nicht nur im Hinblick auf die personelle Zukunft der AN markiert sein Tod das Ende einer Ära.

Nur wenig zeugte zum Zeitpunkt von Butlers Ableben vom unrühmlichen "Glanz" vergangener Tage. Das legendäre AN-Hauptquartier, ein zur Festung ausgebautes 8-Hektar-Areal, das neben Wachtürmen und Stacheldrahtzäunen auch Druckerpressen und eine mit Hakenkreuzen verzierte Kapelle beherbergte, musste Eigentümer Butler 2001 nach einem verlorenen Schadensersatzprozess aufgeben. Die Mitgliederzahlen sind auf etwa 200 gesunken, längst haben andere Gruppen die AN als Speerspitze der radikalen amerikanischen Rechten abgelöst, die heute ohnehin eher eine Ansammlung extremistischer Subkulturen aus Milizen, religiösen Sekten und nationalistischen Splittergruppen als eine organisierte Massenbewegung darstellt.

Dass Butlers Tod dennoch allen großen amerikanischen Tageszeitungen, inklusive der New York Times, längere Artikel oder Kolumnen wert war, lässt lediglich erahnen, welche Rolle der Rassismus-Advokat als spirituellen Gottvater einer ganzen Generation von Rechtsradikalen ehemals spielte.

Richard Butler wurde 1918 in Colorado geboren und wuchs in die Nähe von Los Angeles auf. Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor 1941 meldete sich der gelernte Flugzeugingenieur zur Armee, blieb während des gesamten Krieges allerdings in den USA stationiert. Die deutschen Soldaten, deren militärische Disziplin und ehrenhaften Kampf für die arische Rasse er in Interviews häufig rühmen sollte, bekam er selbst nie zu Gesicht. Die Geschichte habe es so gewollt, dass er damals auf der falschen Seite gekämpft habe, erklärte Butler. Adolf Hitler wurde für ihn zum "zweitgrößten Menschen der Weltgeschichte" - nach Jesus Christus.

"Wir werden die Bastarde töten müssen"

Butlers Aufstieg an die Spitze des amerikanischen Rechtsextremismus begann kurz nach dem II. Weltkrieg, als er der antisemitischen Christian Defense League des ehemaligen Methodisten-Predigers Wesley Swift beitrat, dessen Ansichten ihn ebenso maßgeblich prägten wie die Bekanntschaft mit William Potter Gale, dem Kopf der militanten Anti-Regierungsorganisation Posse Comitatus. Swifts und Gales Ideologie basierte auf einer als Christian Identity bekannten pseudo-theologischen Lehre, die eine streng moralische Interpretation der Bibel mit der Diffamierung von Juden als Kinder des Teufels verbindet und nach der Schwarze oder andere unreine Rassen als "mud people" - Schlammmenschen - gelten.

Nach Swifts Tod 1971 gründete Butler die Church of Jesus Christ Christian und erklärte sie zur Nachfolgeorganisation der Christian Defense League. Drei Jahre später verlegte Butler seinen Wohnsitz nach Idaho und gab dem politischen Arm der Bewegung einen neuen Namen: Aryan Nations. In einer Grundsatzerklärung wurde schon bald danach kein Zweifel an der Entschlossenheit in Bezug auf das gemeinsame Ziel gelassen, die Gründung eines "autonomen arischen Nationalstaates":

Wir werden unser Ziel um jeden Preis erreichen. Wie auch unsere Vorväter sich ihre Freiheit mit Blut erkauften, so müssen wir es ihnen gleich tun...Wir werden die Bastarde töten müssen.

Lange Jahre stellte das AN-Hauptquartier in den abgelegenen Hügeln von Idaho so etwas wie die Mikrokosmos-Variante dieser Vision dar. Von hier aus zog Butler die Fäden, koordinierte Kampagnen, ließ Propagandamaterial drucken und knüpfte Kontakte mit anderen rassistischen Gruppierungen wie dem Ku Klux Klan, der National Alliance oder regierungsfeindlichen Milizen.

Das von bewaffneten Sicherheitskräften und Bluthunden streng bewachte Gelände wurde zum Sammelbecken für Rechtsradikale jeder Couleur. Skinheads, Antisemiten, religiöse Fanatiker oder andere "white supremacy"-Anhänger pilgerten nach Idaho, um Butlers Predigten zu hören. Auch viele internationale Größen der rechten Szene, unter ihnen beispielsweise der deutsche Rechtsextremist Manfred Roeder, wurden auf den jährlich stattfindenden "Aryan Nations Weltkongressen" gesichtet.

Während sich Butler selbst auf die Rolle des geistigen Brandstifters beschränkte, trugen viele seiner Besucher, inspiriert von Hass und Verschwörungsrhetorik, den propagierten Rassenkrieg auf die Straßen Amerikas. 1983 gründeten mehrere AN-Anhänger die paramilitärische Gruppe The Silent Brotherhood, besser bekannt als The Order, deren Plan es war, die Bundesregierung zu stürzen und eine arische Nation im Nordwesten des Landes zu etablieren. Zwei Jahre lang verübte die Gruppe in Guerilla-Manier Raubüberfälle, und Bombenanschläge auf Synagogen und ermordete schließlich einen jüdischen Radiomoderator in Denver. Ihr Anführer, Robert J. Mathews, wurde 1984 nahe Seattle nach einer Verfolgungsjagd von der Polizei erschossen.

Ein anderer Bewunderer Richard Butlers war Randy Weaver, ein regierungsfeindlicher Extremist, der sich 1992 ein 11-tägiges Feuergefecht mit dem FBI lieferte. Der Vorfall blieb unter dem Namen Ruby Ridge bekannt und wurde später als eine der Hauptinspirationsquellen für Timothy McVeighs Anschlag auf ein Regierungsgebäude in Oklahoma City (Link) angeführt.

Vergeblich versuchten Strafverfolgungsbehörden vor allem in den 80er-Jahren, Richard Butler strafbare Handlungen nachzuweisen. Eine Anklage wegen Verschwörung gegen den Staat blieb 1988 erfolglos. Ein entscheidender Schlag gegen die AN gelang erst im Jahr 2001. Nach dem Angriff von Mitgliedern des Wachpersonals der Organisation auf eine Frau und deren Sohn wurde Butler in einem mit Hilfe der Bürgerrechtsgruppe The Southern Poverty Law Center geführten Prozess (Mit Schadensersatzklagen gegen rassistische Organisationen) zur Zahlung von $6,3 Millionen Schadensersatz verurteilt und war damit zum Verkauf seines Grundbesitzes gezwungen. Mit der zentralen Basis ging auch viel vom Einfluss des zunehmend von Alter und Krankheit gezeichneten Butler auf die Szene verloren. Zuletzt lebte er in einem kleinen Landhaus, das ihm ein wohlhabender Sympathisant gekauft hatte.

Die rechtsradikale Bewegung hat sich verändert

Mit Richard Butler verliert das rechtsextreme Netzwerk nach dem Tod des National Alliance-Chefs William Pierce im Jahr 2002 den wohl letzten angesehenen Vertreter einer zentral organisierten und mit Disziplin geführten Bewegung. Auch wenn seine Stellung bis zu seinem Ableben zumindest offiziell unangetastet blieb, haben die jahrelangen internen Grabenkämpfe um Kurs und Führung der Gruppe ihre Spuren hinterlassen.

Nach dem Bruch mit mehreren designierten Nachfolgern hatte der schwer herzkranke Butler die Führung der AN 2001 wieder selbst übernommen. 2003 kandidierte er sogar für das Amt des Bürgermeisters von Hayden - er bekam ganze 50 Stimmen - und noch im Juli hatte Butler auf der Ladefläche eines Pick Up Trucks sitzend an dem jährlichen Neonazi-Aufmarsch durch die Stadt Coeur d'Alene teilgenommen.

Dennoch warnen Experten davor, die AN, die weiterhin "Abteilungen" in mindestens 17 amerikanischen Bundesstaaten unterhält, blindlings abzuschreiben. Die moderne rechtsradikale Bewegung ist lockerer strukturiert und operiert weitgehend unabhängig von organisatorischen Zentren. Vor allem das Internet hat mit seinen Kommunikationsmöglichkeiten Kontaktpunkte wie Butlers ehemaligen Wohnsitz obsolet gemacht.

Auch wenn der harte, gewaltbereite Kern der extremistischen Szene kleiner geworden sein mag, so hinterlässt Richard Butler doch eine ganze Reihe von Fanatikern, die entschlossen sind, das Vermächtnis ihres Mentors zu bewahren und die Hasstiraden gegen Juden, Schwarze, Homosexuelle oder Kommunisten fortzusetzen. "Wir trauern tief um einen der letzten echten Rassenkrieger unserer Generation", schrieb sein ehemaliger Mitstreiter und AN-Webmaster Charles Juba auf der Internetseite der Organisation, "aber unser Kampf geht weiter."

So denken jedoch offensichtlich nicht alle, die Butler in seinen letzten Tagen begleitet hatten. Noch am Tag seines Todes forderten Familienmitglieder alle Gesinnungsgenossen des Verstorbenen auf, das Haus in Hayden zu verlassen und entfernten eine große Aryan Nations-Fahne von einem der Fenster. Butlers Begräbnis fand im engsten Familienkreis statt. Seine Neonazi-Anhängerschaft war nicht eingeladen.