Der Verbraucher: König Kunde oder der Kaiser ohne Kleider?
Seite 2: Der Verbraucher: personifizierte Zahlungsfähigkeit
- Der Verbraucher: König Kunde oder der Kaiser ohne Kleider?
- Der Verbraucher: personifizierte Zahlungsfähigkeit
- Der Verbraucherschutz: eine Dauerbaustelle
- Fazit: Alles steht Kopf
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Wer die Verbrauchersouveränität feiert und den Kunden als Entscheider der Konkurrenz vorstellig macht, die die Händler oder Hersteller untereinander austragen, sieht genauso vom Ausgangspunkt der ganzen Chose für den Käufer ab. Für ihn kommt es auf den Gebrauchswert der Waren und Dienstleistungen an, die er für seine alltägliche Lebensführung oder für besondere Vergnügungen benötigt. Um an diese für sein Leben notwendigen Mittel zu kommen, braucht er Geld, denn alles ist Eigentum - und somit sind die Konsumenten von allem Benötigten erst einmal ausgeschlossen.
Um an die Waren zu gelangen, müssen sie sich also das notwendige Geld beschaffen, d.h. es mit ihrer Arbeit verdienen. Dafür müssen sie sich denen andienen, die über Geld verfügen und als "Arbeitgeber" ihre Arbeitskraft für sich nutzen wollen. In die Kalkulation der Hersteller und Händler geht der Lebensunterhalt der meisten Verbraucher also als Kosten ein, deren Höhe den Gewinn beeinträchtigt und daher möglichst niedrig kalkuliert wird.
Dass gerade niedrige Preise ein Kampfmittel um Marktanteile sind, verdankt sich der Tatsache, dass sich die für die Unternehmenskalkulation günstigen niedrigen Löhne und Gehälter auf dem Markt als begrenzte Zahlungsfähigkeit der Kundschaft geltend machen. Die Mehrzahl der Menschen muss sich ihr begrenztes Einkommen nach strengen Kriterien einteilen. Einen großen Teil ihres Verdienstes bekommen sie dabei gar nicht erst zu sehen, weil er staatlicherseits gleich für Steuern und Sozialabgaben konfisziert wird. Hausbesitzer und Baufinanzierer von Eigenheimen oder Eigentumswohnungen verschlingen fürs Wohnen einen weiteren Batzen des Einkommens, so dass der Rest gründlich eingeteilt werden muss. Denn außer für die Fahrt zur Arbeit und zum Einkauf, für Essen und Kleidung will man sich ja auch noch etwas leisten, an heimischen Vergnügungen teilnehmen oder in Urlaub fahren.
Durch den Kauf soll aber der Verbraucher - so die gängige Konsumkritik - nicht einfach den Notwendigkeiten seines Alltags nachkommen; er soll sich nicht nur für das konkrete Produkt, sondern auch für die Art der Herstellung entschieden haben. Dabei wird einerseits von den wirklichen Subjekten und Kriterien der Investitionsentscheidungen abgesehen und andererseits dem Kauf eines Einzelnen ein Gewicht beigemessen, das diesem ökonomisch gar nicht zukommt. Ob der jeweilige Konsument die Ware des Herstellers A oder die des Herstellers B bevorzugt, entscheidet nicht über deren Erfolg oder Misserfolg in der Konkurrenz, auch wenn die betreffenden Firmen durch Werbung den Kunden in den Mittelpunkt rücken und mit großem Aufwand versuchen, seine Entscheidung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Denn die Kalkulation der Unternehmen ist auf das Abgreifen eines bestimmten zahlungsfähigen Potenzials ausgerichtet und der Erfolg hängt nicht an Einzelnen und auch nicht unbedingt an einem lokalen Markt, produzieren die großen Hersteller doch meist für den Weltmarkt.
So kann der Verbraucher in Deutschland auf sein Schnitzel verzichten, aber dies berührt den Gang des Geschäfts einer Firma Tönnies nicht, die den größten Teil ihrer Produktion nach China verkauft. Deshalb kommt der Verweis auf die Verbrauchersouveränität nie aus ohne die Forderung, dass viele Kunden sich in der "richtigen Weise" betätigen müssten. Weil sich die Entscheidungen des Einzelnen in der Rechnung der Unternehmen kaum bemerkbar machen, wird immer die Verantwortung der Verbraucher als Kollektiv beschworen; erst in der Menge kann sie wirksam werden, und so wird noch in dem Verweis deutlich, dass die individuelle Kaufentscheidung so gut wie gar nichts bewegt.
In dem Appell an die Gesamtheit oder Mehrheit der Verbraucher wird unterstellt, dass sie eine Einheit bilden. Aber außer, dass sie etwas kaufen - und selbst da unterscheiden sie sich schon sehr darin, was sie kaufen -, haben sie nichts gemeinsam. Dennoch wird mit dem Personalpronomen "wir" an diese fiktive Gemeinschaft appelliert, wenn durch das Kaufverhalten die Wirtschaft beeinflusst werden soll. Den Konsumenten wird so ein gemeinsames Interesse beim Kauf unterstellt jenseits dessen, was sie gerade kaufen, und ihnen wird die besagte Verantwortung in Sachen Umwelt, Armut, Ausbeutung etc. ans Herz gelegt, wobei sie erst immer über diese Übel als Folge einer Produktion, die von ganz anderen Entscheidungen regiert wird, mühsam und oft ganz investigativ ins Bild gesetzt werden müssen.
Behandelt wird der Verbraucher also als Souverän jenseits seiner alltäglichen Notwendigkeiten. Ganz so, als ob er beliebig mehr oder weniger für einzelne Produkte ausgeben, auf bestimmte Produktarten verzichten und sie durch andere ersetzen könnte. So soll er Bio und gleichzeitig fair kaufen, sich umweltbewusst bewegen, gesund ernähren und Müll vermeiden. Dazu werden dann Menschen vorstellig gemacht, die beweisen sollen, dass dies alles geht.
Für Menschen mit dauerhaft beschränktem Einkommen, bei denen die Arbeitszeit und der Weg zur Arbeit den größten Teil des Tages bestimmen und die vor dem Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf stehen, stellt sich die Sachlage anders dar. Sie müssen jeden Euro umdrehen und sich genau überlegen, was sie sich leisten können. Und so kaufen sie höchstens gelegentlich Bio-Produkte, trennen den Müll nicht immer und haben ein schlechtes Gewissen bei der Fahrt mit dem Auto oder der Billigreise mit dem Flugzeug.