Der Verbraucher: König Kunde oder der Kaiser ohne Kleider?

Seite 3: Der Verbraucherschutz: eine Dauerbaustelle

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Allein die Tatsache, dass es Verbraucherschutzministerien im Bund und Ländern gibt, dass zahlreiche Verbraucherschutzgesetze existieren oder eine Verbraucherberatung die Kunden darin berät, worauf sie beim Kauf zu achten haben, sprechen der Behauptung von der Verbrauchersouveränität Hohn. Offenbar laufen die Konsumenten ständig Gefahr, Dinge zu kaufen, die nichts taugen, die überteuert oder sogar schädlich sind. Auch müssen ihnen ständig die Folgen ihres Einkaufs vor Augen geführt werden.

Das hindert aber weder Journalisten noch Politiker daran, die herausgehobene Rolle der Konsumenten immer wieder zu beschwören. Die Fakten spielen da offenbar keine Rolle, auch wenn sich die Politik gerne darauf beruft. Und so finden sich in den Medien neben den Berichten über verschiedene Verbraucherschutzmaßnahmen ständig Mahnungen an die Adresse der Verbraucher zum richtigen, verantwortungsvollen Kauf. Dabei zeigt, wie oben bemerkt, allein schon die Tatsache, dass der Verbraucher immer darüber aufgeklärt werden muss, was er mit seinem Kauf alles anstellt, dass es diese Verantwortlichkeit nicht geben kann.

Wie jeder weiß, ist der Kauf eines Produkts für den Käufer keine einfache Sache. Das fängt schon bei der Produktbezeichnung an, die gesetzlich geregelt ist. Die naive Vorstellung, dass eine Leberwurst aus Leber und eine Fleischwurst aus Fleisch bestehen würde, wird durch die Regelung dementiert; statt dessen wird festgelegt, wie wenig Leber oder Fleisch in einer solchen Wurst sein darf, damit sie sich dennoch danach nennen darf. Damit ist es amtlich, dass Produktfälschung zur Normalität in dieser Gesellschaft gehört, dass sie gesetzlich - in einem bestimmten Rahmen - zugestanden wird. Der Verbraucher wird durch die Mindestbestimmungen nur davor bewahrt, dass die Fälschung komplett ist. Wenn im Erdbeerjoghurt keine Erdbeeren mehr zu finden sind, sondern nur noch Aromastoffe, die aus Holzspänen gewonnen werden, dann muss dies durch die Kennzeichnung irgendwie deutlich werden.

Ganz über den Tisch gezogen werden soll der Verbraucher eben nicht. Durch den staatlichen Schutz wird sein Recht als ebenbürtiger, juristisch verantwortlicher Geschäftspartner gewahrt. Irgendwie muss er erkennen können, was er da mit seinem Kaufvertrag erwirbt. Denn gerecht soll es in dieser Gesellschaft schon zugehen. So wacht der Staat darüber, dass die Anbieter ihre Machtposition nicht ausnutzen. Aber ihr Geschäft soll durch die einschlägigen Schutzmaßnahmen auch nicht verunmöglicht werden. Die Produktinformationen sollen einen Kauf nicht verhindern, nur weil das Produkt jetzt als (relativ) ungenießbar oder ungesund kenntlich ist. Deshalb gibt es auf den Produkten Beschreibungen zum Inhalt, wobei gesetzlich genau abgewogen wurde, was darauf in welcher Schriftgröße und an welcher Stelle der Verpackung stehen muss und was nicht. Denn wenn wirklich alles aufgeführt würde, was im jeweiligen Produkt oder Lebensmittel enthalten ist, würde so Manchem schlecht und die Ware wäre nur schwer absetzbar.

Da Produktion und Verkauf der Waren kostengünstig unter Einsatz von vielen Giften und Chemikalien erfolgen (vgl. Kampf gegen Gift in Lebensmitteln, WAZ, 7.10.2020), also durch Maßnahmen, die die Waren gesundheitsschädlich oder ungenießbar machen, wird der Kunde durch Grenzwerte vor gravierenden Schädigungen bewahrt. Dies bedeutet nicht, dass keine Gifte in der Ware enthalten wären oder durch die Verpackung ans Produkt gelangen würden etc. Die davon ausgehende Schädigung soll sich jedoch im Rahmen bestimmter Grenzen bewegen.

Bei der Festlegung der Grenzen wird unterstellt, dass es eine geringfügige Menge gibt, bei der ein Stoff harmlos oder seine Wirkung zu vernachlässigen ist. Das stimmt bei manchen, bei anderen nicht, da diese sich im Körper anreichern. Auch wird nur die Wirkung jedes einzelnen Schadstoffes auf den Organismus bewertet, während die Menschen im Alltag ständig ganzen Cocktails von Giften ausgesetzt sind, weswegen Krebserkrankungen und Allergien mittlerweile Volkskrankheiten darstellen.

Wer als Konsument dies alles vermeiden will, steht vor einer Vielzahl von Produkten unterschiedlicher Markenbezeichnungen, also vor der Qual der Wahl oder auch vor deren Unmöglichkeit. Wer z.B. in der Corona-Pandemie Fleisch aus dem Hause Tönnies vermeiden wollte, tat sich schwer, beliefert Tönnies doch Aldi, Lidl, Rewe und Edeka mit den Marken Gutfried, Zimbo, Böcklunder, Lutz, Könecke, Redlefsen und Schulte. Die Rettung soll dann immer darin bestehen, dass man zum Metzger um die Ecke geht - den es aber kaum noch gibt und der auch nicht mehr selber schlachtet.

Neu eingeführt hat die zuständige Ministerin den Nutri-Score. Fein abgestuft soll er signalisieren, welche Produkte gesundheitsschädlich sind und welche nicht. Den Herstellern ist es dabei freigestellt, die eigene Ware damit zu kennzeichnen oder es bleiben zu lassen. Hersteller von Produkten, die mit einer roten Kennzeichnung ausgezeichnet werden müssten, dürften dabei wohl keinen Gebrauch von diesem Label machen.

Interessant ist beim Nutri-Score-System schon die Tatsache, dass die Politik hier höchst offiziell von Lebensmittelproduzenten verlangt, "zwischen gesunden und ungesunden Fertigprodukten zu unterscheiden" (FAZ, 10.10.2020), die also beide weiter im Handel verbleiben dürfen. Und das auch noch, wie gesagt, auf freiwilliger Basis. Die Politik vertraut hier ganz dem Markt - der es bislang nicht gebracht hat! - und den wundersamen Wirkungen des freien Wettbewerbs - wo Vertreter von Bioverbänden schon davor warnen, dass Firmen das Label nur zur "Schönung" einzelner Produkte verwenden würden. Hinzu kommt, dass die an der Gesetzgebung beteiligten Wissenschaftler gleich die Gefahr sehen, "dass das Logo Verbraucher in die Irre führe. Es verrechne allein Kalorienanzahl und Nährstoffe miteinander, trage aber nicht zu einem gesunden Mix für die Ernährung bei." (FAZ)

Dem Kunden soll die Qual der Wahl durch besondere Kennzeichnungen der Produkte erleichtert werden - also durch "Labels", mit denen die Hersteller dann auch noch werben können. Ausgangspunkt für dieses Labelling ist die Kenntnis der negativen Folgen der Produktion für Mensch, Tier, Natur oder Klima. Die Label geben in der Regel an, ob irgendein Schaden bei der Produktion nicht oder nur in geringerem Maße auftritt. Eine Verhinderung der bekannten Schäden wird damit nicht versprochen. Wenn ein Teppich ohne die Arbeit von Kindern geknüpft wurde, dann sagt dies nichts aus über die Bezahlung des Erwachsenen, der die Arbeit ausgeführt hat. Es wird damit auch nicht mitgeteilt, dass es in dem betreffenden Geschäftszweig keine Kinderarbeit mehr gibt oder dass es den dortigen Familien, die auf das Einkommen der Kinder angewiesen waren oder sind, jetzt besser geht.

Der Käufer von "fairem" Kaffee weiß, dass Kaffeebauern üblicherweise nicht von dem Verkauf ihrer Bohnen leben können. Den Produzenten des fairen Kaffees soll es da besser ergehen. Dass es denen dann gut geht, wird mit dem Siegel nicht versprochen. Die Auskunft lautet: Es geht ihnen "irgendwie" besser, es ist eben relativ. Wer sich um die Nachhaltigkeit der Fischbestände kümmert und auf die entsprechenden Siegel achtet, kauft unter Umständen Fische aus Aquakulturen - was diese im Meer anrichten, darüber geben die Label keine Auskunft.

Bio-Produkte sollen irgendwie besser sein für Mensch und Umwelt. Worin das Besser besteht, bleibt meist auch im Vagen. Mehr Vitamine sind dann nicht unbedingt im Produkt enthalten, auch hier bestimmt sich die Qualität in der Regel negativ: Sie enthalten weniger Schadstoffe. Wie viel weniger, bleibt offen und ebenso, ob diese Menge relevant ist, ob man jetzt nach regelmäßigem Verzehr gesund bleibt oder nicht. Denn Schadstofffreiheit kann auch ein Bio-Bauer nicht garantieren, schließlich entsorgt die Industrie kostengünstig viele Schadstoffe über die Luft, und zwar aus hohen Kaminen, die alles weit übers Land verteilen. So picken auch Bio-Hühner die entsprechenden Gifte vom Boden auf und findet sich selbst im Bio-Ei noch eine Portion Dioxin.

Dass man als Kunde durch den Kauf eines entsprechenden Produkts die Welt irgendwie mitgestalten kann - und sei es nur den Mikrokosmos des eigenen Organismus -, dieser Glaube ist die Basis für all diese Label, die den Kunden in die Lage versetzen sollen, seiner Verantwortung gerecht zu werden. So bedienen Industrie und Handel nicht nur die materiellen Interessen ihrer Kundschaft, sondern auch die ideellen.

Wunderbar: Durch den Kauf des "richtigen" Produkts kann man sich auch noch von der Verantwortung für die Missstände in der Welt freikaufen! Dieser moderne Ablasshandel eröffnet zudem ein Marktsegment für eine zahlungskräftigere Kundschaft, die sich ihre Verantwortung etwas kosten lässt. Prestigekonsum der höheren Art!