Der Zschäpe-Prozess in München
Seite 4: Das seltsame Verhalten der Verteidigung
- Der Zschäpe-Prozess in München
- Reden und schweigen zugleich
- Strukturen um das NSU-Trio herum
- Das seltsame Verhalten der Verteidigung
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Der Bruch zwischen der Angeklagten Beate Zschäpe und ihren drei Verteidigern Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl, Anja Sturm stellt ein wichtiges Datum in diesem Prozess dar. Absolutes Schweigen war ursprünglich die Strategie der Angeklagten. Ihre Verteidiger verwechselten das allerdings mit eigener Tatenlosigkeit.
Nach den anfänglichen strafprozessualen Pflichtübungen, wie dem Stellen von Befangenheitsanträgen, verfielen die drei Anwälte in tiefe Passivität, besonders auffällig im Zusammenhang mit dem Polizistenmord von Heilbronn. Die begründeten Zweifel an der (Allein-) Täterschaft der beiden Uwes, die in diesem Fall besonders stark sind, nahm die Verteidigung nicht zum Anlass, die Anklage anzugreifen und ihre Mandantin zu entlasten.
Denn, wenn die Uwes nicht die Täter waren, kann in der Logik der Anklage Zschäpe keine Mittäterin gewesen sein. Doch von Heer, Stahl und Sturm kam keinerlei Initiative zum Heilbronn-Mord, kein Antrag, nicht einmal eine Frage.
Ähnlich seltsam, als Opferanwälte den früheren hessischen Verfassungsschutz-Chef Lutz Irrgang kritisch zum Mord in Kassel befragten und daraufhin ausgerechnet die Verteidigung von Zschäpe versuchte, die wiederholten Nachfragen, die ein schlechtes Licht auf den Verfassungsschutz warfen, massiv zu verhindern - unter Hinweis auf angeblich fehlende Relevanz. Dabei hätte eine Belastung des Geheimdienstes doch eine Entlastung von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe bedeuten können.
Dass die Bundesanwaltschaft als Teil des Sicherheitsapparates der BRD versuchte, den Verfassungsschützer in Schutz zu nehmen, hatte seine Logik. Bundesanwalt Herbert Diemer bemühte gar die "Fürsorgepflicht" für den Zeugen Irrgang, um Fragen der Nebenkläger abzuwehren. Man müsse darauf achten, so Diemer, ob alles, was der Zeuge sage, noch von seiner Aussagegenehmigung gedeckt sei, weil er sonst Schwierigkeiten bekomme. Das griff der Zschäpe-Verteidiger Wolfgang Stahl auf und warf den Nebenklägern sogar eine "Anstiftung zur Verletzung von Dienstgeheimnissen" vor. Ein selten gezeigtes Engagement der Zschäpe-Anwälte ausgerechnet für einen Verfassungsschützer. Soll der Schutz von Geheimdienstgeheimnissen etwa einer mutmaßlichen Rechtsterroristin nützen, fragte man sich? Obendrein hatte sich eine erstaunliche Koalition zwischen Verteidigung und Anklage ergeben, die Zuschauer auf der Tribüne zu der Frage bewegte: "Wen verteidigen die eigentlich?"
Zschäpe erklärt ihr Misstrauen
Nach einem Jahr Prozessverlauf kam es zur ersten großen Zäsur. Sie ist verbunden mit dem Zeugenauftritt Tino Brandts im Juli 2014, dem ehemaligen Neonazikameraden des Trios, Gründer des Thüringer Heimatschutzes (THS) und in Personalunion V-Mann des thüringer Verfassungsschutzes. Er wurde in Handschellen in den Saal geführt, weil er eine Haftstrafe wegen vielfachen sexuellen Missbrauches von Minderjährigen absitzt. Brandt hatte engen Kontakt zum Trio, war für die Radikalisierung des THS wesentlich mitverantwortlich, wandte selber exzessiv Gewalt an, wurde aber durch das Geheimdienstamt erfolgreich vor Strafverfolgung verschont.
Als Spitzel schrieb er ausführliche und akribische Berichte über seine angeblichen Kameraden, erhielt insgesamt eine sechsstellige Summe an Honoraren vom Amt, die auch in die Szene flossen. All das kam nun zwei Tage lang zur Sprache. Brandt belastete sowohl Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe als auch den Verfassungsschutz.
Nach der Mittagspause des zweiten Vernehmungstages gab Richter Götzl bekannt, die Angeklagte Zschäpe habe mitteilen lassen, sie habe kein Vertrauen mehr in ihre Verteidiger. Die Sitzung wurde unterbrochen. Seither ist die Hauptverhandlung von diesem Vorfall geprägt. Allem Anschein nach war die Angeklagte mit der Strategie des Schweigens nicht mehr einverstanden, und die Frage stellte sich: Will sie reden? Kurz nach ihrer Festnahme hatte sie schon gesagt, sie habe sich nicht gestellt, um nicht zu reden. Beate Zschäpe fiel buchstäblich aus der Rolle. Allerdings hat sie seither keine wirklich neue gefunden und eingenommen.
Ein ganzes Jahr dauerte der folgende Machtkampf um die gewünschte Ablösung der drei Alt-Verteidiger Heer, Stahl und Sturm. Der Senat lehnte das wiederholt ab, sprach Zschäpe im Sommer 2015 aber einen vierten Pflichtverteidiger zu, Mathias Grasel. Der arbeitet mit Rechtsanwalt Hermann Borchert zusammen, der als Zschäpes nun fünfter Verteidiger immer wieder im Gerichtssaal auftaucht.
9. Dezember 2015: Zschäpe sagt aus
Im Deal um die Verteidiger stellte Zschäpe dem Gericht in Aussicht, eine Aussage zu machen. Das geschah dann am 9. Dezember 2015. Ihr Verteidiger Grasel verlas eine 53-seitige Einlassung. Die Verwunderung hinterher war groß, denn Zschäpe stützte damit fast eins zu eins die Tatvorwürfe in der Anklageschrift. Sie machte sich sozusagen selber zur Zeugin der Anklage und wurde ihre eigene Belastungszeugin. Sie schränkte lediglich ein, dass sie von den Morden immer erst hinterher erfahren habe und nicht an der Vorbereitung beteiligt gewesen sei.
Auffälligerweise stützte sie aber auch Darstellungen in der Anklageschrift, die als widerlegt gelten können. Beispielsweise, dass Böhnhardt die Bombe in dem iranischen Lebensmittelgeschäft in der Probsteigasse in Köln deponiert habe, die im Januar 2001 explodierte und eine Tochter des Inhabers schwer verletzte. Das Phantombild, das die Familie von dem Bombenleger erstellen ließ, hat keinerlei Ähnlichkeit mit Böhnhardt.
Warum eine solche Aussage, die einem Geständnis gleichkommt? Von "prozessualem Selbstmord" sprachen Prozessbeteiligte. Zschäpe hatte ein riskantes Spiel begonnen. Sie erklärte, reden zu wollen, belastet sich, schweigt aber zu Vielem weiterhin. Das Ergebnis ihrer Verweigerung auf das Fragenbombardement der Opferanwälte im Juli 2016 war nun erst Recht ihre vollkommene Entblößung.
Aus den Reihen der Neu-Verteidigung kamen gegenüber Journalisten Andeutungen, dass Zschäpe ursprünglich anders aussagen und vor allem mehr zum Verfassungsschutz sagen wollte. Genaues und warum sie das nicht getan hat, erfuhr man nicht. Als sie sich schließlich am 29. September 2016 unerwartet persönlich zu Wort meldete, sich zwar von ihrer Neonazi-Vergangenheit distanzierte und noch einmal formal bei den Opferfamilien für die Morde ihrer Kumpane entschuldigte, aber gleichwohl dabei blieb, keine Fragen von Opferangehörigen zu beantworten, war klar: Die Angeklagte beendet das Spiel, sie wird nicht mehr reden. Ihre Prozessstrategie ist ein Scherbenhaufen.
Ganz ähnlich bei Ralf Wohlleben, der im Dezember 2015 ebenfalls begann, sein Schweigen zu brechen, auszusagen, und der im Gegensatz zu Zschäpe selber redete. Doch auch seine Aussagebereitschaft kam bald an Grenzen. Wie Zschäpe belastete aber auch Wohlleben sich selbst. Er gestand, einen Schalldämpfer auf eine Pistole geschraubt zu haben, die an das Trio geliefert wurde.
Die Absetzbewegung Wohllebens von Zschäpe ist eine der interessantesten Entwicklungen in der Hauptverhandlung. Der Angeklagte versuchte, seinen eigenen Kopf zu retten. Die Strategie der Wohlleben-Verteidigung ist seither: Das Trio habe sich erst nach dem Untertauchen in Chemnitz radikalisiert. Wohlleben, der mit den dreien in Jena zu tun hatte, trage für deren Verbrechen keine Mitverantwortung. Was er damit gleichzeitig einräumte: Er sieht das Trio als die Täter an.
Ein weiterer Mord?
Am 13. Oktober 2016 wurde etwas bekannt, was eine ganze neue Tür im NSU-Komplex öffnen könnte. Bei den sterblichen Überresten des Mädchens Peggy K., das im Mai 2001 spurlos verschwand, mutmaßlich damals ermordet wurde und im Juli 2016 gefunden wurde, hat die Rechtsmedizin DNA von Uwe Böhnhardt nachgewiesen, einem Mitglied des "NSU". Ein weiterer Mordfall also, der der rechtsterroristischen Gruppierung zugerechnet werden muss? Die Dimension der Verbrechen noch größer?
Der Fall berührte auch den Prozess. Der Senat wollte von der Angeklagten Zschäpe, der einstigen Lebensgefährtin Böhnhardts, wissen, ob sie über Informationen dazu verfüge. Sechs Wochen dauerte es, dann antwortete ihr Anwalt Borchert für sie mit einem Wort: "Nein." Die Spur bleibt freilich in der Welt, die Entwicklungen in diesem Fall sind offen.
Wann geht der Prozess zu Ende?
Wann kommt dieser Prozess an ein Ende? Er sei auf der Zielgeraden wird immer wieder von Beobachtern reklamiert - kurioserweise seit Jahren. Zur Zeit sind Sitzungstage bis zum September 2017 terminiert. Das Hauptproblem: Solange in mehr als einem halben Dutzend parlamentarischer Untersuchungsausschüsse weiterhin eine Beweisaufnahme stattfindet und immer neue Details enthüllt werden, wird ein Gericht sich schwer tun, seine eigene Beweisaufnahme abzuschließen. - Es folgt Teil 8 der NSU-Serie: Das unbekannte kriminelle Netz.