Der Zschäpe-Prozess in München
Seite 2: Reden und schweigen zugleich
- Der Zschäpe-Prozess in München
- Reden und schweigen zugleich
- Strukturen um das NSU-Trio herum
- Das seltsame Verhalten der Verteidigung
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Reagieren will Beate Zschäpe auf die Fragen der Opferfamilien und ihre Vertreter nicht, ließ sie durch ihre Verteidiger ausrichten. Sie schränkte aber ein, sollte sich das Gericht Fragen zu eigen machen, werde sie sie beantworten. Ein widersprüchliches Verhalten, schließlich war Zschäpe selbst es, die mehr als ein halbes Jahr zuvor, am 9. Dezember 2015, ihre ursprüngliche Strategie des Schweigens aufgab und sich zu den Anklagevorwürfen einließ. Einerseits reden (gegenüber den Richtern), gleichzeitig aber weiter schweigen (gegenüber den Opfern), das erhöht nicht gerade ihre Glaubwürdigkeit. Und wenn sie gleichzeitig gegenüber den Opferfamilien ihre "aufrichtige Entschuldigung" ausdrückt, ihnen aber Antworten verweigert, verhält sie sich doppelt widersprüchlich.
Steckt die Angeklagte Zschäpe in einem Dilemma, will reden, kann es aber nicht rückhaltlos? Nur, wen und was wollte sie weiterhin schützen: Sich selber? Andere Personen? Oder vielleicht sogar staatliche Institutionen, wie die Polizei oder den Verfassungsschutz? Dass es überhaupt zur Änderung ihres Verhaltens kam, hatte mit dem Verlauf der Hauptverhandlung zu tun, die durchaus Wirkung entfaltete.
Normalisierung eines Ausnahmezustandes - das war die Hoffnung, die an diesen Prozess von vielen Seiten geknüpft wurde, beziehungsweise der Plan der Bundesanwaltschaft, als im Mai 2013 unter großer nationaler und internationaler Anteilnahme die Hauptverhandlung begann.
Um sie planmäßig durchziehen zu können, musste der NSU-Untersuchungsausschuss in Berlin seine Arbeit einstellen. Er wäre eine Art Parallelprozess gewesen und eine mögliche Belastung für die Hauptverhandlung. Denn Verstrickungen staatlicher Akteure und Instanzen in die Verbrechen, zum Beispiel durch V-Leute, die der Ausschuss auftragsgemäß hätte beleuchten sollen, hätten die Inszenierung von München gestört.
Die fünf Angeklagten
Die fünf Angeklagte sind: Beate Zschäpe (wg. Mittäterschaft bei zehn Morden sowie Brandstiftung und Mordversuch), Ralf Wohlleben, André Eminger, Carsten Schultze und Holger Gerlach (alle wg. Beihilfe zum Mord bzw. Unterstützung einer terroristischen Vereinigung).
Zschäpe schwieg zunächst, ebenso Wohlleben, Eminger tut das als einziger bis heute. Gerlach gestand, eine Waffe überbracht zu haben, bestreitet aber von den Morden gewusst zu haben. Schultze legte ein ähnliches Geständnis ab und stellte sich als Einziger von Anfang den Fragen des Gerichtes. Er enthüllte dabei, dass das Terrortrio bereits 1999 in Nürnberg eine Sprengfalle gelegt haben soll. Den Anklägern war das neu. Jetzt ordnen sie die Tat ebenfalls dem NSU zu. Schultze belastet vor allem Wohlleben. Die fünf Angeklagten bilden keinen homogenen Block. Im Lauf des Verfahrens wurden die Risse zwischen ihnen größer. Wohlleben begann, sich von Zschäpe abzusetzen und schließlich sogar gegen sie zu arbeiten.
Neben diesen fünf Angeklagten werden gegen neun Verdächtige weitere Ermittlungsverfahren wegen Unterstützung des NSU oder Beihilfe geführt: Gegen André Kapke (einst Kameradschaft Jena und Thüringer Heimatschutz), Thomas Müller, geb. Starke (einst Blood and Honour , Unterschlupfgeber für das Trio und V-Person der berliner Polizei), Jan Botho Werner (Anführer von Blood and Honour in Sachsen), Matthias Dienelt (Hauptmieter von Wohnungen des Trios), Mandy Struck (Unterschlupfgeberin), Susann Eminger (Ehefrau des Angeklagten André Eminger), Max-Florian Burkhardt (Passgeber für Uwe Mundlos) sowie Hermann Schneider und Pierre Jahn (beide wg. Waffenbeschaffung). Von einer bevorstehenden Anklageerhebung ist nichts bekannt.
Kein Ermittlungsverfahren betreibt die Bundesanwaltschaft (BAW) andererseits zum Beispiel gegen die ehemaligen Neonazis und V-Männer Ralf Marschner und Tino Brandt, die beide Kontakt zum Trio hatten als es im Untergrund war.
Dann gibt es noch ein allgemeines Sammelverfahren unter dem Stichwort "NSU/unbekannt", in das die BAW nach eigener Auskunft alles hineinpackt, was nicht zu den 14 Beschuldigten passt. Was sich in diesem Verfahren inzwischen an Spuren, Zeugen oder Beweisen befindet, entzieht sich dem allgemeinen Einblick.
Festlegungen der Anklagebehörde
Die oberste Anklagebehörde der Bundesrepublik hat bestimmte Festlegungen getroffen: Für die zehn Morde, die Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle, alles verübt zwischen Dezember 1998 und November 2011 innerhalb von 13 Jahren, sollen ausschließlich Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos verantwortlich gewesen sein, ohne Zutun ortskundiger Dritter. Beate Zschäpe soll mitgeholfen haben. Und nur diese drei hätten auch die terroristische Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" gebildet, die mit dem Tod der beiden Männer aufgelöst sei. Tatsächlich sprechen für ihre Täterschaft bisher nur Indizien, keine Beweise. Es gibt keine Augenzeugen, die sie an einem der Tatorte bei einer der Hinrichtungen gesehen hätten, sowie keinerlei Spuren wie Fingerabdrücke oder DNA-Funde.
Überraschenderweise und allen Zweifeln zum Trotz hat Zschäpe die Festlegungen der Anklageschrift bei ihrer Erklärung vor Gericht im Dezember 2015 gestützt. Damit hat sie den vielen Rätseln nur ein weiteres hinzugefügt.
Wenn Böhnhardt und Mundlos die alleinigen Täter gewesen sein sollen, ergibt sich daraus eine verfahrenspraktische Konsequenz: Da die Täter tot sind, und da gegen Tote nicht ermittelt wird, finden keine weiteren Täterermittlungen mehr statt. Also auch nicht in den Reihen des Verfassungsschutzes und seiner V-Leute. Diese Grundannahme erfährt inzwischen eine zunehmende Erschütterung. Denn die Täter- und Mittäterfrage ist längst nicht geklärt.
Nebenklage versus Anklage
Die tendenziöse Anklagekonstruktion prallt in München mit den Interessen der Opferfamilien zusammen. Sie wollen mehr wissen, wie die Flut ihrer Fragen zeigte: Warum wurden ihre Angehörigen ermordet? Warum wurden die angeblichen Täter bis zu ihrem Tod nicht gefasst? Laufen Täter noch frei herum? Welche Rolle spielte der Verfassungsschutz bei den NSU-Morden?
Nicht wie üblich der Konflikt zwischen Verteidigung und Anklage bestimmt diesen Prozess, sondern der zwischen Nebenklage und Anklage.
Eine Konstellation, die an einen anderen großen Terrorismus-Prozess aus jüngerer Zeit erinnert: Den wegen der Ermordung des Generalbundesanwaltes Siegfried Buback von 1977 gegen das einstige RAF-Mitglied Verena Becker in Stuttgart von 2010 bis 2012. Damals wie jetzt wollten die Nebenkläger weiter gehen als die Ankläger, dort wie hier kam es zu auffälligen Koalitionen zwischen Anklage und Verteidigung. Und wie im Falle der Terrorvereinigung NSU kam heraus, dass auch im Falle der Terrorvereinigung RAF der Verfassungsschutz eine undurchsichtige Rolle spielte. Beim NSU mehr als bei der RAF.
Während es aber andererseits bei Beate Zschäpe bisher nur einen unbelegten Verdacht auf eine Verbindung zum Inlandsgeheimdienst gibt, ist die bei Verena Becker belegt. Allerdings wird bei Zschäpe bisher nur die Zeit vor ihrer Verhaftung in den Blick genommen und nicht die danach. Die Geschichte von RAF, Bewegung 2.Juni und Revolutionärer Zellen lehrt aber, dass der Verfassungsschutz seine potentiellen Rekruten durchgängig in der U-Haft ansprach, wo sie aufgrund ihrer Zwangslage für solche Werbungen empfänglicher scheinen. Was hier sichtbar wird, sind beachtliche Systemverstrickungen und Geheimdienstmachenschaften im Rechts- wie im Linksterrorismus.
Auch bei dem Angeklagten Ralf Wohlleben gibt es ernstzunehmende Indizien dafür, dass er V-Mann des Verfassungsschutzes war. Sollte sich das bestätigen, könnte es den Prozess jederzeit zum Platzen bringen.
Stärke der Nebenkläger
Die Stärke der Nebenkläger veränderte den Prozess. Der vorsitzende Richter Manfred Götzl musste Zeugen gründlicher befragen. Das quasi industrielle Zeitmanagement, mit dem der Senat den Prozess routiniert durchziehen wollte, war schnell gescheitert. Oft war für die Vernehmung von Zeugen gerade mal eine halbe Stunde vorgesehen – dann wurde ein ganzer Tag daraus.
Infolge der Initiativen der Nebenkläger wurde vor allem das Netz aus Rechtsextremen und Kriminellen in Jena, Chemnitz und Zwickau aufgedeckt, in dem sich das untergetauchte Trio bewegt hatte. Allerdings gilt das nur für die ersten Jahre der Illegalität. Mit der Zeit verlieren sich die Spuren der drei. Von den 4700 Tagen im Untergrund sind etwa 4500 unbekannt, wie der NSU-Ausschuss des Bundestages ausgerechnet hat.