Der allmähliche Ausstieg aus dem Plastiktüteneinkauf

Die EU will die Vermüllung durch Plastiktüten mit höheren Abgaben und eventuell einem Verbot dünnerer Tüten bekämpfen

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Das Plastiktütenproblem ist beinahe so groß wie das Meer, dem es hässliche Abfallinseln baut. Die einfache Lösung, der Totalverzicht, scheint unmöglich. Der gute Mensch, der völlig auf Qualität setzt, seine Einkäufe gut vorbereitet und die Finger vom billigen Schmutz läßt, ist noch nicht erfunden und die Industrie winkt verlässlich mit der Drohung, die verendete Meerestiere noch weiter in die Ferne rückt: dem Abbau von Arbeitsplätzen. Ein Ausstieg aus der Plastiktüteneinkaufswelt ist nur schrittweise zu machen, darauf läuft ein Vorschlag aus Brüssel hinaus. Er zielt zunächst auf eine höhere Besteuerung oder einen höheren Preis für die dünnen Tüten, die z.B. in der Obstabteilung der Supermärkte zur Verpackung bereitgehalten werden. Erwogen wird auch ein Verbot.

Dass ein Verbot von Plastiktüten Wirkung zeigt, können Touristen in Sardinien sehen. Statt der herkömmlichen, kostenlosen, kleineren Polybeutel bekommt man dort seit einiger Zeit in Supermärkten gegen Bezahlung Maisstärke-Tüten ausgehändigt, sofern keine Kartons zur Verfügung stehen. Sie fühlen sich gut an, das Verbrauchergewissen wird gestreichelt, draussen ist alles sauber. Keine knisternden Plastiktüten mehr, die sich in Bäumen verfangen, im Gestrüpp neben den Stränden und Straßen, keine Tütenhaufen mehr neben Mülltonnen. Die im Übrigen seit der Durchsetzung der Mülltrennung so geputzt dastehen, als ob jemand mit dem Curlingbesen dort Trainingsstunden macht.

Sacchetto biogredabile, aus Maisstärke (Mater-Bi). Foto: Redaktion

Seit Januar 2011 sind die alten Plastiktüten ("La Busta") in Italien verboten. Auf rund 300 Tüten pro Kopf und Jahr wurde der Verbrauch zuvor geschätzt: "Das entspricht etwa 200.000 Tonnen und rund 20 Milliarden Tüten im Jahr - ein Viertel des gesamten europäischen Tüten-Konsums." Auch wenn man die alten Tüten hier und da noch sieht, ihr Verschwinden ist auffällig. Die Kunden scheinen darüber nicht unglücklich, die Industrie klagte über die Kosten der nötigen Umstellungen; Plastiktütenproduzenten sahen Arbeitsplätze gefährdet.

Schwieriges EU-weites Verbot

Keine Überraschung also, dass in der EU, wo Produzenten den Ton angeben, einem länderübergreifenden Verbot von Plastiktüten große Hindernisse in den Weg gestellt werden. Das konnte EU-Umweltkommissar Janez Potočnik schon 2012 feststellen.

Nun nimmt er einen neuen Anlauf mit kleineren Schritten; sein Vorschlag, der gestern publik wurde, zielt auf ein Verbot, welches erst durch das EU-Parlament müsste, und will dafür den Boden bereiten.

So geht es im Kern des Vorschlags zu einer Richtlinienänderung zunächst um höhere Abgaben für die leichten, durchsichtigen Tüten ("kleiner als 50 Mikrometer"), deren Verbrauch über mehr Kosten in Form von Steuern oder Preisen gesenkt werden soll.

Vier Plastiktüten pro Bürger in Dänemark, 466 in Polen, Portugal und in der Slowakei

Die EU sagt der Vermüllung den Kampf an, so die große Zielsetzung, die für den ersten Schritt damit argumentiert, dass die leichten Tüten 90 Prozent der 100 Milliarden Plastiktüten ausmachen, die von EU-Bürgern jährlich gebraucht werden. So unterschiedlich die jeweiligen nationalen Gesetzgebungen in der Sache sind, so unterschiedlich sind die Verbrauchswerte, so das EU-Memo.

In Dänemark und Finnland kommt ein Bürger im Durchschnitt auf vier Plastiktüten im Jahr, in Polen, Portugal und in der Slowakei auf 466. Es zeige sich also, dass Handlungen auf gesetzgeberische Seite durchaus Erfolg haben könnten, so der Schluss, den das EU-Vorschlagspapier in diesem Zusammenhang formuliert: "There clearly is scope to learn from the successful action taken in a number of Member States."

Umstellung auf Biokunststoffe?

Kritiker sehen mit einem Verbot der dünnen Tüten das Problem allerdings längst nicht gelöst. Es geht nicht weit genug, argumentiert der Sprecher für Energie der Grünenfraktion, Hans-Josef Fell, gefordert wäre eine grundlegende Umstellung auf Biokunststoffe. Die dicken Tüten wie auch die Plastikflaschen halten ewig, wenn sie ordnungsgemäß entsorgt werden, werden sie verbrannt und "heizen über CO2-Emissionen das Erdklima an". Wenn sie nicht ordnungsgemäß entsorgt werden, schwimmen sie tausende von Jahren im Meer, läßt er verstehen:

Plastiktüten oder Kunststofftrinkflaschen, die oft nach einem Tag wieder weggeworfen werden, wurden von der Chemieindustrie aber auf eine Stabilität für über zehntausend Jahren hingetrimmt und können deshalb gar nicht in der Natur verrotten.

Ein Verbot von Plastiktüten wäre nur für solche aus Erdöl und Erdgas sinnvoll, dagegen bräuchte es für Biokunststoffe Unterstützung in der Markteinführung, sowie Forschung und Entwicklung.

"Abgabe ist das wirksamste Instrument"

Doch regt sich auch zu dieser Alternative Kritik. Zum Beispiel aus Kommunen (vgl. Biomüll-Tüten stinken Kompostbauern) und vom Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe e.V. (DUH), Jürgen Resch, der auf die teueren und umweltbelastenden Produktionskosten der Biokunststoffe hinweist.

Tütenhersteller beginnen inzwischen mit der Produktion von Polyethylen-Plastiktüten aus nachwachsenden Rohstoffen, wie z.B. Zuckerrohr aus Brasilien. Ökobilanzen zeigen, dass Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen in einer gesamtökologischen Betrachtung oft zu noch negativeren Umweltauswirkungen führen als erdölbasierte Kunststoffe.

Der reine Pflanzenrohstoff in Tragetaschen ist klimaneutral, nicht jedoch die rohstoff- und energieintensive industrielle Agrarwirtschaft und Verpackungsherstellung. Zudem wird für "Bio-PE-Tüten" ausschließlich Neumaterial eingesetzt. Polyethylen-Tüten aus Zuckerrohr weisen in der Gesamtbetrachtung keine erheblichen Vorteile gegenüber solchen aus fossilem Rohöl auf und sind somit keine umweltfreundliche Alternative.

Resch kritisiert die Unverbindlichkeit der Brüsseler Vorschläge, sieht aber in der Abgabe "das wirksamste Instrument, um Europa von der Plastiktütenflut zu befreien", da sie problemlos auf alle Plastiktüten anwendbar sei. Er verweist dabei auf das Beispiel Irland, wo die Einführung einer Abgabe von 22 Cent zur Verringerung des Plastiktütenverbrauches von 328 auf nur noch 16 Stück pro Kopf und Jahr führte.