"Der entscheidende ideologische Kampf des 21. Jahrhunderts"
US-Präsident Bush versucht mit der üblichen Rhetorik des Schicksalskampfs anlässlich des fünften Jahrestags des 11.9. die kriegsmüden Amerikaner wieder zu gewinnen und den Irak als wichtigste Front darzustellen
Das Mantra der US-Regierung zum Jahrestag der Anschläge vom 11.9. war immer dasselbe. US-Präsident Bush wiederholte es in seiner Rede am 11.9., die den Höhepunkt einer Serie von Reden zum Beginn des Wahltags bilden sollte: „Heute sind wir sicherer, aber noch nicht sicher genug.“ Sicherer, weil die Bush-Regierung mit dem Krieg gegen den islamistischen Terrorismus auf der ganzen Welt, den Präventivkriegen und dem Ausbau der Überwachungsgesellschaft im eigenen Land angeblich verhindert, dass ein weiterer Anschlag in den USA gelingt. Der aber sei weiterhin möglich, wozu die offenbar kaum über erste Ideen hinaus gediehenen „vereitelten Anschläge“, von britischen Verdächtigen wieder einmal herhalten müssen, weswegen die Nation im Krieg und der Präsident oberster Kriegsherr bleiben muss, weswegen die Opposition nicht gewinnen darf, weswegen die Sicherheitsvorkehrungen ausgebaut und gegenüber der terroristischen Gefahr alle anderen politischen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Probleme marginal sind. Die Bush-Regierung sieht den nach dem 11.9. ausgerufenen Krieg als einen End- und Schicksalskampf, der um den Preis des Untergangs der „Zivilisation“ um jeden Preis gewonnen werden muss. Auf möglicherweise für die Regierung und die Republikaner gefährliche Weise wird dabei der im Bürgerkrieg versinkende Irak nun zur entscheidenden Front des Kampfes stilisiert.
Dass Saddam Hussein, wie von der Bush-Regierung zur Begründung des Einmarsches immer wieder behauptet wurde, Verbindungen zu al-Qaida gehabt habe, wurde in einem teilweise vom Senat veröffentlichten CIA-Bericht endgültig korrigiert. Hussein hat nach diesem Bericht sogar Jagd auf Sarkawi machen lassen, Bin Laden schätzte er als Bedrohung ein, was auch zutraf. Noch am 21. August hatte Buch hingegen versucht, zumindest eine Verbindung von Hussein zu Sarkawi zu „retten“. Die von der US-Regierung gerne benutzten Aussagen von Informanten aus den Reihen der Exil-Iraker, vor allem vom Iraqi National Congress (INC), waren meist falsch und auf politische Bedürfnisse zugeschnitten. Mit ihnen wurde die zweite Lüge gezimmert, die angebliche Existenz von Massenvernichtungswaffen oder zumindest von laufenden Programmen zu deren Herstellung. Damit ist nun gewissermaßen amtlich, dass die Bush-Regierung den 11.9. für den Krieg gegen den Irak instrumentalisiert und dazu „Beweise“ fabriziert hat oder, will man unrealistisch gutgläubig sein, zu nachlässig mit der Verifizierung der Informationen gewesen ist.
Ein Pentagon-Bericht über den Irak hatte Anfang September deutlich gemacht, dass die Grundlagen für einen „ethnisch-religiösen“ Bürgerkrieg im Irak vorhanden seien. Die Zahl der Angriffe, die vom US-Militär registriert werden, ist höher denn je. Monatlich werden nun 3000 Iraker zum Opfer der Gewalt. Von den 1800 Leichen, die im Juli in das Leichenschauhaus von Bagdad geliefert wurden, sind 90% in irgendeiner Form hingerichtet worden. Damit wird auch deutlich, dass die Anschläge auf zufällig anwesenden Passanten keineswegs die Hauptursache der Gewalt darstellen, sondern gezielte Ermordung aus politischen oder kriminellen Gründen. Ein Abzug der Truppen würde das Land im Chaos versinken lassen, da die irakischen Sicherheitskräfte nicht ausreichen und teilweise selbst parteiisch sind, während die Milizen und Todesschwadronen die Macht übernehmen. Das Land droht auseinanderzufallen, Kurden, Schiiten und Sunniten gehen Schritt für Schritt darauf zu. Während sich die Schiiten enger an den Iran anbinden, droht ein neuer Konflikt zwischen Kurden im Irak und der Türkei. Die Situation wird kompliziert, weil die Allianzen keineswegs klar sind. So schloss sich der al-Sadr, dessen schiitische Milizen große Macht ausüben, ausgerechnet den ansonsten befeindeten Sunniten an und boykottiert die Bemühungen schiitischer Politiker, eine Aufspaltung des Landes vorzubereiten.
Nach einem noch geheimen Pentagon-Bericht versinkt vor allem die sunnitische Provinz Anbar mit den Städten Ramadi und Falludscha in die Unkontrollierbarkeit. Hier sei ein „Vakuum“ entstanden, das von Aufständischen ausgenutzt werden konnte. Offenbar sieht man nun selbst im Pentagon ein, dass „eine rein militärische Lösung von jeder Art des Widerstands nicht möglich ist“. Ramadi, aber vor allem Falludscha, das in großen Teilen zerstört und mit einem Schutzwall umgeben wurde, waren Ziel solcher rein militärischen „Lösungen“, die gescheitert sind und eher den Widerstand noch vergrößert haben.
Bush bekräftigt in seiner Rede noch einmal den Krieg gegen den Irak als Folge des 11.9. Damals habe man gelernt, dass man gegen neue Bedrohungen angehen müssen, „bevor sie unsere Küsten erreichen, unabhängig davon, ob die Bedrohungen von Terrornetzwerken oder Terrorstaaten kommen“. Auch wenn Hussein nichts mit dem 11.9. zu tun gehabt hatte, sei er eine Bedrohung gewesen: „Nach dem 11.9. stellte das Regime von Saddam ein Risiko dar, das die Welt nicht länger akzeptieren konnte“, erklärte der Präsident, ohne eine Begründung zu geben. Und dann wiederholt er den Satz, der schon lange nicht mehr wahr ist, nämlich dass die Welt sicherer geworden sei, nachdem Saddam Hussein nicht mehr an der Macht ist. Zwar würden nun Extremisten aus der ganzen Welt in den Irak strömen, aber die US-Regierung habe einen „klaren Plan, um sicher zu stellen, dass sich ein demokratischer Irak durchsetzen wird“. Der größte Fehler sei es, so Bush gegenüber der wachsenden Ablehnung im Lande gegen das militärische Engagement im Irak, wenn die Truppen aus dem Land zurückgezogen würden. Dann nämlich würde der Irak wieder das, was es vor dem Stutz Husseins angeblich gewesen ist: eine unmittelbare Bedrohung der USA, weswegen der Irak das wichtigste „Schlachtfeld in diesem Krieg“ sei.
Der größe Fehler wäre zu denken, dass die Terroristen, wenn wir abziehen, uns in Ruhe lassen würden. Sie werden uns nicht in Ruhe lassen. Sie werden uns folgen. Die Sicherheit Amerikas hängt vom Ergebnis der Schlachten in den Straßen von Bagdad ab. Osama bin Laden nennt diesen Kampf den „Dritten Weltkrieg“, und er sagt, dass ein Sieg für die Terroristen im Irak Amerikas „Niederlage und endgültige Schmach“ bedeuten würden.
Allerdings vergisst Bush, dass die Rede vom Dritten oder Vierten Weltkrieg, vom neuen Faschismus und Totalitarismus, vom Endkampf der Kulturen vor allem auf amerikanischem Boden seitens der Neokonservativen gewachsen ist, die schon vor dem 11.9. den Krieg gegen den Irak und eine amerikafreundliche Neuordnung im Nahen Osten propagierten. Bush vermeidet wie stets jeden Hinweis auf eine Erklärung, warum der islamistische Extremismus und Terrorismus sich ausbreiten und sich durch den von ihm geführten globalen Krieg gegen den Terrorismus an Macht gewonnen hat. Es ist zwar richtig, dass die islamistischen Extremisten einen totalitär zu nennenden Gottesstaat anstreben, der autoritär geführt würde und in dem Freiheit, Menschenrechte und Demokratie der Willkür von Geistlichen und Machthabern wie im Taliban-Afghanistan unterworfen würden, gleichwohl scheint davon auch eine Attraktion auszugehen, weswegen viele Muslime sich radikalen Bewegungen freiwillig anschließen oder mit diesen sympathisieren. Wie sonst käme ein nicht zu versiegen scheinender Strom an jungen Menschen zustande, die bereit sind, ihr Leben zu opfern?
Bush schließt seinen Krieg wieder an die Kriege an, die die USA gegen das „Böse“ geführt und gewonnen haben. Auch die jetzt lebende Generation sei aufgerufen, das zu leisten, was ihre „Väter und Großväter in Europa und Asien erreicht haben“. Die USA wollen, so Bush, der Welt und jetzt den arabischen Ländern, Wohlstand, Demokratie und Freiheit schenken. Es handle sich um einen „Kampf um die Zivilisation“, um einen Schicksalskampf zwischen „Tyrannei und Freiheit“, der mit dem neuen Jahrhundert gerade begonnen hat, um eine Verteidigung „unserer Lebensweise“. Neben der Angst vor dem Bösen, das nur Vernichtung, Unfreiheit und Grausamkeit im Sinne hat, besetzt Bush damit gleichzeitig auch die politische Utopie. Allerdings ist das Versprechen von Freiheit und Befreiung nicht nur auf der Seite von Bush und der Neokonservativen zu finden, sondern eben auch bei al-Qaida, die mit der „Befreiung“ der muslimischen Länder von der Dominanz des Westens, dessen Stellvertreterregime und dessen Kultur, vor allem von den USA und Israel werben.
Deutlich wird an der Rede, dass Bush stärkere Rückgriffe auf religiöse Motive macht. Er spricht von einem „Test“, den die Geschichte den Amerikanern mit diesem Krieg gestellt habe. Die Schicksalsschlacht wird, wenn die Kräfte des Guten nicht erlahmen, zu einer Erlösung führen. Das Böse ist eliminiert und „wir“, also die Amerikaner hinter Busch, „werden das 21. Jahrhundert in das strahlende Zeitalter der menschlichen Freiheit führen“. Den 11.9. selbst stellt Bush wie einen Wendepunkt dar, eine erlösende oder zumindest wegweisende Krise, während der Krieg selbst, ähnlich manchen apokalyptischen Vorstellungen, zum „entscheidenden ideologischen Kampf des 21. Jahrhunderts“ stilisiert wird, zum „Aufruf unserer Generation“. Zum Schluss wird die Anspielung auf die Religion besonders deutlich. Die Angriffe, so sagt Bush, sollten die Amerikaner auf ihre Knie zwingen. Das hätten sie auch getan, aber in einem anderen Sinne, als die Terroristen dies beabsichtigt hatten. Die Amerikaner hätten sich dadurch im Gebet vereinigt, würden sich nun gegenseitig unterstützen und seien entschlossen im Kampf. Und überdies ist Freiheit nichts, was die Menschen sich selbst erkämpfen, sondern ein Geschenk Gottes.
Americans united in prayer, came to the aid of neighbors in need, and resolved that our enemies would not have the last word. The spirit of our people is the source of America's strength. And we go forward with trust in that spirit, confidence in our purpose, and faith in a loving God who made us to be free.
Ob das die Menschen in den USA wieder hinter der Bush-Regierung vereinen wird, ist höchst fraglich, da die Lügen vor dem Krieg und die schöngeredeten Erfolge im Irak und Afghanistan mittlerweile zu offensichtlich sind. Die religiöse Rhetorik spitzt allerdings den Kulturkampf zu und dürfte die Situation eher weiter verschärfen. Versprechen, dass man Osama bin Laden und alle anderen Terroristen fangen und zur Rechenschaft werde, dürften fünf Jahre nach den Anschlägen und gerade wieder aktuellen Lebenszeichen von Bin Laden und Sawahiri nicht besonders glaubwürdig klingen. Nach einer CNN-Umfrage ist die Zahl derjenigen Amerikaner erheblich gestiegen, die der Bush-Regierung für die Anschläge vom 11.9. mit verantwortlich machen. Waren es 2002 noch 32%, so sind es jetzt 45%. 41% sehen ebenfalls die Clinton-Regierung in Mitschuld. 57% sind offenbar gegenüber dem Mantra der Bush-Regierung skeptisch und gehen davon aus, dass Terroristen immer eine Möglichkeit finden werden, einen Anschlag durchzuführen, unabhängig davon, was die Regierung macht.