Der erste Quantencomputer rechnet seit 14 Milliarden Jahren

Seite 3: Wie ein Affe einen Computer programmiert

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Deutlich mehr als eine Inspirationsquelle für Science-Fiction-Autoren bringt es dennoch, das Universum als Quantencomputer zu betrachten. Es erklärt nach Seth Lloyds Überzeugung eine große Frage der Wissenschaft: Woher kommt die Komplexität in der Welt?

Das menschliche Gehirn ist, soweit wir wissen, das komplexeste Ding im Universum. Für seine von keinem Computer erreichten Leistungen, wie selbstständiges Lernen und Entscheidungstreffen, Wahrnehmung und kreatives Denken, braucht es nur zwei Liter Raum und verbrät kaum mehr elektrische Energie wie eine Energiesparleuchte. Wie dieses Netzwerk aus 100 Milliarden Nervenzellen das anstellt, ist weitgehend unbekannt, obwohl sich ganze Horden von Wissenschaftlern seit Jahrzehnten auf dieses Wunderwerk der Natur stürzen und dabei modernste bildgebende Verfahren einsetzen.

Auch der Tanz von Molekülen, Planeten, Sternen, Galaxien ist ein extrem vielschichtiges und elegantes Geschehen. Um alle Naturerscheinungen auch nur aufzuzählen, die über eine unbegreifliche Komplexität verfügen, bräuchte es wohl noch ein paar Bücher mit einem Umfang von diesem.

An seinem Anfang war das Universum einfach. Weniger als eine Mikrosekunde nach dem Urknall gab es nur eine heiße Suppe aus Elementarteilchen, die überall gleich aussah. Heute stehen wir fasziniert vor einer Welt voller Wunder inmitten eines Weltalls voller weiterer Wunder.

Der blanke, ungerichtete Zufall kann es nicht sein, der all die Komplexität ermöglicht. Das hat schon Douglas Adams in seiner Trilogie angedeutet. Der Held Arthur Dent strandet auf der prähistorischen Erde, wir erinnern uns: dem Computer, der die Frage errechnen soll, deren Antwort "42" ist. Im Beisein affenähnlicher Frühmenschen zieht er blindlings Scrabblebuchstaben aus einem Beutel. Die Idee dahinter: Da er ein Erdling ist, also Teil der Arbeitsmatrix der Erde, könnte die große Frage in sein Unterbewusstsein geprägt sein. Indem er das Zufallsspiel macht, hofft er das Muster aus seinem Kopf zu holen. Tatsächlich kommt ein sinnvoller Satz heraus: "Wie viel ist neun multipliziert mit sechs?" Die Antwort darauf lautet 54. Es handelt sich also um die falsche Frage.

Gut möglich, dass Adams damit auf das "Theorem der endlos tippenden Affen" anspielt. Demnach würde ein Affe, der unendlich lange wahllos auf einer Schreibmaschine herumtippt, irgendwann mal den kompletten "Hamlet" von Shakespeare zu Papier bringen. Nicht aus einer spontanen Inspiration heraus, sondern weil es eine, wenn auch mikroskopische, Wahrscheinlichkeit dafür gibt. Der Faktor Zeit reißt es heraus: Wenn ein hypothetischer langlebiger Jemand eine Million Jahre lang Lotto spielen würde, bekäme er sicherlich mal einen Sechser (geschickter wäre es wohl gewesen, das Geld anzulegen, da Zins und Zinseszins über einen solchen Zeitraum mehr bewirken). Der Affe hätte noch sehr viel mehr Zeit für seinen Zufalls-Hamlet.

Auf ähnliche Weise könnte die Komplexität des Universums durch eine schier unglaubliche Verkettung von Zufällen entstanden sein. Schließlich hatte das All 14 Milliarden Jahre Zeit, alles Mögliche auszuprobieren. Doch die Sache hat einen Haken, wie wiederum der tippende Affe veranschaulicht. Egal wie weit das Tier mit seinem Hamlet kommen mag, womöglich bis zum Beginn des fünften Aktes: Sein nächster Buchstabe ist sehr wahrscheinlich falsch. Die Wahrscheinlichkeit, dass er die Tragödie zu Ende tippt, ist weniger als mikroskopisch gering. Selbst wenn das ganze Universum voller tippender Affen wäre, kämen sie selbst in Milliarden von Jahren nicht zum erwünschten Ergebnis. Sogar diese gewaltige, aber letztlich auch endliche Zeitspanne wäre unzureichend.

Schriftsteller mag es beruhigen, dass aus dem Tierreich keine Konkurrenz droht. Doch das Bild mit dem Affen zeigt, dass "das Leben, das Universum und der ganze Rest" keine statistische Schwankung sein kann. Sonst wäre jeder Sonnenaufgang pures Glück und keine astronomische Gewissheit und das Gelingen des nächsten Atemzugs hinge von der Laune der Atome ab, im nächsten Moment einfach zu kollabieren.

So wie es Arthur Dent zwar erstaunlicherweise gelingt, eine sinnvolle Buchstabenfolge zu ziehen, diese aber nicht die ersehnte Frage ist, kann der Zufall zwar einiges erklären, aber nicht alles.

Statt der Willkür des Zufalls regieren klare physikalische Gesetze das Geschehen im Universum. Doch aus diesen relativ simplen Formeln lässt sich die Komplexität ebenso wenig erklären. Lloyd plädiert daher für eine Art Mischung aus Zufall und Gesetzmäßigkeit. Und damit wären wir wieder bei den Quanten.

Was wäre, wenn der Affe nicht auf einer Schreibmaschine tippen würde, sondern auf einem Laptop, fragt Lloyd. Das klingt zunächst nach einer technischen Aktualisierung desselben sinnlosen Unterfangens. Für viele mag ein Laptop nur eine bessere Schreibmaschine sein. Es ist aber ein Computer, und der kann Programme ausführen. Der Affe könnte, aus reinem Zufall, ein Programm eintippen, das die ersten Millionen Dezimalstellen der Kreiszahl Pi ausrechnet. Dazu müsste er "nur" ein paar Tausend Zeichen in der richtigen Reihenfolge tippen und nicht ein paar Hunderttausend wie beim Hamlet. Ein Computer vergrößert also die Chance, dass der Affe irgendwas Sinnvolles produziert.

Komplexe mathematische Objekte wie Fraktale oder regelmäßige geometrische Formen lassen sich mit erstaunlich kurzen Computerprogrammen erzeugen. Ein blind in die Laptop-Tasten hauender Affe hätte gar keine so schlechte Chance, derartiges zu produzieren! Der Computer funktioniert nach einfachen Regeln, kann aber dank der Zufallsprogrammierung durch den Affen Komplexes erzeugen. Zufallselement und Künstliche Intelligenz verbinden sich zu etwas Fruchtbarem.

Weiter oben haben wir gesehen, dass das Universum ein Quantencomputer sein könnte. Jetzt braucht es noch einen "Affen", der diesen Weltcomputer mit Zufallsdaten impft und - Abrakadabra - wir haben eine Quelle für all die Komplexität um uns herum!

Eine bessere Quelle für Zufall als die Quantenphysik gibt es nicht, wie wir in den vorhergehenden Kapiteln gelernt haben. Die Heisenberg’sche Unschärferelation gibt eine Bandbreite vor, innerhalb derer eine Größe zufällig schwanken kann. So kann für eine sehr kurze Zeit zum Beispiel Energie aus dem Nichts entstehen, ohne den Energieerhaltungssatz zu verletzen. Solche Quantenfluktuationen seien die "Affen", die das Universum programmieren, schreibt Lloyd.

In der Tat haben Quantenfluktuationen in der Frühphase des Universums zu Variationen in der Dichte der frühen Materie geführt. Diese wirkten wie eine Saat, aus der sich Galaxien entwickelten. Lächerliche, mikroskopisch kleine Zufallsschwankungen prägten also Strukturen in das All, die sich heute als kolossale Himmelsphänomene wiederfinden.

Bleibt noch die Frage, was dieser Weltall-Computer eigentlich ausrechnet. "Das Universum berechnet sich selbst", sagt Lloyd. "It from Qubit" ("Es kommt vom Qubit"), drückt es Paola Zizzi von der Universität Padua aus.

Diese Antworten klingen ähnlich unbefriedigend wie "42". Zu unrecht. Denn was könnte das Universum mehr tun als das? Kein anderer Computer hat je etwas annähernd so Faszinierendes, Wunderschönes und Ehrfurchtgebietendes hervorgebracht wie das Universum.

Christian J. Meier (geb. 1968), promovierter Physiker und freier Journalist, beschäftigt sich mit den Themen Quantencomputer und Quantentechnologie seit mehreren Jahren und berichtet darüber für verschiedene Medien, unter anderem für die Neue Zürcher Zeitung, bild der wissenschaft, Berliner Zeitung, Frankfurter Rundschau, Spektrum.de und VDI nachrichten.

Er hat viele der führenden Köpfe auf dem Gebiet interviewt, darunter Anton Zeilinger (Spitzname "Mr. Beam"), Scott Aaronson, Rainer Blatt, Immanuel Bloch oder Ignacio Cirac, und verfügt daher über ein umfassendes Wissen aus erster Hand. Ein Sachbuch hat er bereits verfasst: "Nano - wie winzige Technik unser Leben verändert" (über Chancen und Risiken der Nanotechnologien, erschienen im primus-Verlag).

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